Das Jahr 2011 geht zu Ende. Ich kann mich nicht an ein Jahr erinnern an dem weltweit mehr Ereignisse passiert sind, als in diesem, es waren Katastrophen wie in Japan und Thailand, britische königliche Hochzeit, Revolutionen, Regierungsumstürze, schrecklicher Amoklauf in Norvegen, Todesfälle von mehreren berühmten Personen, Eurokrise und noch vieles mehr. Die Zukunft ist ein Stück unvorhersehbarer geworden, viele der Ereignisse sind noch nicht ausgestanden und es gibt noch Tendenzen, die zeigen, dass das nächste Jahr kein Deut ruhiger wird.
Doch zurück zum Thema diesen Blogs. Das wichtigste Ereignis in Estland waren zweifellos die Wahlen des Parlaments. Nach vielen unpopulären Entscheidungen der letzten Regierung war es bis zuletzt unklar, ob die Opposition davon profitieren kann oder nicht. Doch recht pünktlich zur Wahl warnte der estnische Verfassungsschutz KAPO davor, dass die führende Oppositionspartei der Zentristen Parteispenden aus Russland erhalten haben könnte, erwartungsgemäß stürzte die Partei in Umfragen ab. Gewonnen haben die Regierungsparteien und alles blieb bei altem, von ein paar Ministerwechseln mal abgesehen. Ein Putschversuch bei den Zentristen verlief sich auch, Savisaar blieb an der Macht, die Opponenten kuschten sich. Die Spenden aus Russland wurden nach den Wahlen von niemandem mehr erwähnt.
Eine gesonderte Diskussion wert waren die E-Wahlen, mehrere unabhängige Experten aus USA und Norwegen bescheinigten dem estnischen E-Wahlen systembedingte Schwächen, die leicht ausgenutzt werden können. Zudem haben einige Hacker-Skandale in Estland gezeigt, dass Potential durchaus vorhanden wäre. Wie die aktuelle
Entscheidung zu E-Wahlen in Österreich zeigt, um vertrauenswürdig zu sein, müssen die E-Wahlen mit sehr hohem Aufwand durchgeführt werden.
Weitere Themen waren die Einführung des Euros, das Aufleben der Wirtschaft und die demographische Situation, bzw. die Frage gehen oder bleiben. Die Einführung des Euros machte den Vergleich zwischen den skandinavischen Nachbarn und Estland sehr transparent, in tabellarischen Form kann man sofort sehen, wie schwach der soziale Sektor in Estland ist, wie niedrig sind die Gehälter und wie ähnlich teuer die Waren. Das öffnete wohl recht vielen die Augen, die Auswanderungstendenzen und auch der Umzug innerhalb Estlands verstärkten sich. Die Wirtschaft wuchs sehr ordentlich um mehr als 8%, die Staatsfinanzen blieben in Ordnung, was viele Kommentatoren der westlichen Wirtschaftszeitungen und auch die Rating-Agenturen mit wohlwollen kommentierten, die Esten verglichen ihre Sozialleistungen mit denen von Griechen und fragten sich, wer hier wem helfen muss.
Ein Riesenthema für die russische Gemeinde Estlands waren die russischen Gymnasien. Seit dem Anfang des neuen Schuljahres müssen alle Gymnasien Estlands mind. 60% der Kurse auf Estnisch anbieten, 40% können auf Russisch sein, oder einer anderen Sprache. Die Tatsache, dass es keine Lehrer gibt, keine speziellen Schulbücher und auch die Schüler unzureichend vorbereitet sind, interessierte niemanden. Am 22. Dezember wurde ein Gesuch von 15 russisch-sprachigen Schulen abgelehnt, die Reform an ihren Schulen zumindest zu verschieben. Laut Yana Toom, einer der lautesten Gegnern der Reform passiert in vielen Schulen folgendes: Lehrer liest vom Papier auf estnisch vor, weil er nicht frei auf estnisch sprechen kann, die Schüler verstehen nur die Hälfte, die Lehrer, die frei sprechen können, müssen ihr Lehrstoff stark vereinfachen, damit die Schüler Physik, Chemie, Biologie und anderen wissenschaftlichen Fächern mit komplizierten Terminologie überhaupt folgen können. Welche Folgen das für die Abschlüsse haben wird, kann man sich leicht vorstellen. Demnächst werden sich wohl Gerichte mit dem Thema auseinandersetzen müssen, doch für die Schulen wird es zu spät sein. Die einzige Alternative sind wohl Privatschulen, doch während Deutschland das deutsche Gymnasium in Estland unterstützt und diese nicht auf die 60/40 Regelung umgestellt wurde, ist Russland wiedermal unfähig ihren Staatsbürgern hier zu helfen. Die Städte Tallinn und Narva versprechen zwar, dass sie die Finanzierung von Privatschulen erwägen, doch eine oder zwei Schulen pro Stadt werden kaum genug sein, um den Bedarf zu decken, ausserdem braucht nur die Stadtregierung zu wechseln, dann wird die Finanzierung schnellstens gestrichen.
Wenn man schon die russländischen Staatsbürger erwähnt, in diesem Jahr war deren Zahl zum ersten Mal höher, als denjenigen ohne die Staatsbürgerschaft. Dabei ist es so einfach die estnische Staatsbürgerschaft zu bekommen, ganz ohne Sprachkenntnisse, man muss nur vor Gericht beweisen können, dass man einen Vater hat, dessen Vorfahren vor 1940 in Estland gelebt haben. Man muss 16.000 EUR an eine
tschechische Anwaltskanzlei zahlen und 6-8 Monate später hat man einen neuen Vater und eine neue Staatsbürgerschaft. Ist doch viel sicherer, als wenn man bei den IRL-Mitgliedern eine winzige Wohnung anmietet, die man mit 60 anderen Oligarchen teilen muss und deswegen in die Schengen-Zone einreisen darf. Andererseits hält in diesem Fall die KAPO
still.
Bei den russländischen Duma-Wahlen erwiesen sie sich die russländischen Staatsbürger als treue Unterstützer der regierenden Partei, über 70% gaben ihre Stimme für Edinaja Rossija ab. Entsprechend gering war die Proteststimmung gegen die Wahlfälschungen in Russland, nur 5 Leute protestierten vor der russischen Botschaft. Potential der protestierenden wäre erheblich größer, doch gibt es keine öffentliche dritte Kraft in der russisch-sprachigen Bevölkerung, die sowohl gegen das regierende System in Russland, als auch gegen das regierende System in Estland wäre. Sobald man sich gegen das eine System äußert, ist man automatisch Unterstützer des anderen. Es gibt durchaus Leute, die gegen beides sind, doch ist diese Meinung noch nicht stark genug, um sich Gehör zu verschaffen.
Die vorher unbekannte schweizer Zeitung "Der Bund" dürfte sich über unerwartete Zugriffszahlen aus Estland freuen, denn der estnische Präsident Ilves dachte entweder, dass in Estland niemand deutsch versteht, oder keiner Internet bedienen kann, denn in einem
Interview erlaubte er sich so viele Lügen, dass selbst die recht zurückhaltende Kammer der nationalen Minderheiten inzwischen mit Gericht droht, falls der Präsident sich nicht entschuldigt. Offenbar darf der estnische Präsident einiges, zum Beispiel
seine Einkommensverhältnisse bei der Parlamentskommission jahrelang falsch angeben, ohne dass es jemanden interessiert.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich noch
Klaus Dornemann, der leider viel zu früh von uns gegangen ist. Ich werde versuchen seine Sache fortzusetzen, auch wenn es nicht einfach ist.
Zum Schluss möchte ich allen meinen Lesern und insbesondere den Kommentatoren danken. Ihr liefert mir Ideen, Zuspruch und bringt mir Interesse entgegen, die mich ermutigen weiterzumachen. Danke Euch dafür, hoffe, dass Eure Weihnachtsbäume nicht umfliegen, wie die Tanne am Rathausplatz in Tallinn, und warten wir gespannt was uns 2012 bringen wird.