Freitag, Juli 29, 2011

Archiv der Vereinigung der Veteranen der Waffen-SS

Ungeachtet der Ereignisse in Norwegen, wo ein Massenmörder seine faschistoide Wahnvorstellungen auslebte, findet auch dieses Jahr am 30.07 in Sinimäe in Nord-Osten Estlands ein Treffen der Veteranen der Waffen-SS und ihrer Verehrer statt. Es ist wieder ein Gegenmeeting von Notchnoj Dozor und anderen Organisationen geplant, allerdings haben die Altnazis ein so grosses Gelände für ihre Veranstaltung reserviert, damit sie garantiert unter sich bleiben und von den schwarz-weissen KZ-Roben der Protestierenden nichts mitbekommen werden. Der folgende Artikel wurde von Galina Sapozhnikova geschrieben, sie bekam Unterstützung von der Organization "Welt ohne Nazismus".

Der Archiv der Veteranen der Waffen-SS wurde veröffentlicht.

Wie der Korb mit den Papieren auf meinem Schreibtisch landete, kann ich nicht sagen. Noch. "Dank dem Mut der Leute, die unerkannt bleiben wollen", heisst es dann in den Zeitungen.

Der Mensch, dem diese Photos und Papiere gehörten, ist vor kurzem gestorben. Und die Koffer, die sein ganzes Leben enthielten, landeten auf der Müllhalde. Was da drin war? Der Archiv alles estnischen Organisationen der Veteranen der Waffen-SS.

Es stellte sich heraus, dass der estnische Opa, der ein Aktivist einer der 18! offiziell in Estland registrierten Organisationen der Veteranen war, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, für irgendwas alle diese Dokumente sammelte und kopierte, die ihm in die Hände kamen. Wahrscheinlich träumte er davon, dass die Geschichte des zweiten estnischen Staates, in dem diejenigen zu Helden wurden, die man in der zivilisierten Welt für Unmenschen halten würde, von nachfolgenden Generationen erforscht wird. Genau das tun wir.

Fehler im System

Dass der Archiv echt ist, wurde von Historikern zugleich bestätigt - die Protokolle der Sitzungen der Versammlungen der Veteranen und Photos von blonden Jungs in SS-Uniform sind ohne System gesammelt und genauso abgeheftet worden- Fälschungen würde man gewissenhafter anfertigen. Doch damit man die Unterlagen versteht, muss man das geschichtliche Konzept kennen, das in heutigem Estland für ein Dogma gehalten wird.

Also: Im Jahr 1940 wäre hier die erste Okkupation gewesen, die sowjetische, von der die Esten nur noch eine Erinnerung an Angst haben. Dann die deutsche, angenehm in jeder Beziehung - aus dieser Zeit erinnert man sich an die Konfekts, an die Erschiessungen will man sich irgendwarum nicht erinnern. Dann die zweite sowjetische Okkupation, die bis zum Jahr 1991 andauerte. Daraus folgt die Logik, die estnischen Veteranen der Wehrmacht als Helden darstellt - sie kämpften gegen Bolschewismus und für die Unabhängigkeit ihrer Heimat, nur in deutschen Uniformen. In allen offiziellen Dokumenten werden sie "Freiheitskämpfer" genannt.

Ein paar Details passen nicht in dieses Konzept, zum Beispiel, dass die Esten freiwillig zur SS gegangen sind, massenweise, zum Ende des Krieges 1944. Sie wussten wahrscheinlich über die jüdischen Ghettos und Gasöfen, sie sind trotzdem gegangen. Ihre erste Wahl könnte man einen Fehler nennen. Dass man 70 Jahre später diesen Fehler in Estland richtigstellen versucht, sagt, dass wir es hier mit einem System zu tun haben.

Blutgruppe auf der Schulter

Also, Archiv: Postkarten, mit Kinderschrift geschrieben ("Danke, dass ihr für die estnische Freiheit gekämpft habt"), ein Pack von Einladungen zu allen möglichen Versammlungen und Redenotizen, in denen folgendes steht: "Ich begrüße euch im Namen der Kameraden der 20. Division der SS! Uns verbindet der Kampf gegen den Bolschewismus während der Okkupation Estlands durch die Sowjetunion. Für unsere Division endete der Krieg in Tschechoslowakien, doch ein Großteil blieb in Estland, unter den Sowjets. Wir lebten weiter, doch nicht als verdiente Veteranen, doch als Faschisten, mit dem Blutgruppentattoo auf der Schulter. Die Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlaubte es den Kämpfern in der deutschen Armee eigene Organisationen zu erschaffen, Treffen abzuhalten, Erinnerungen zu publizieren. Trotz den Bemühungen aus dem Ausland, uns als Kriegsverbrecher anzuerkennen, hält uns die estnische Regierung für Leute, die für die estnische Freiheit gegen die sowjetische Okkupation kämpften. Wir stellen uns die Aufgabe die Geschichte der Division auferstehen zu lassen, unsere Rechte und Ziele zu verteidigen, für die wir gekämpft haben. Denn ausser uns wird es keiner tun." Hier irrt sich der Autor dieser Zeilen, der damalige Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS Karl Sirel: die estnischen Buchhandlungen sind auch ohne seine Hilfe vollgestopft mit ähnlichen Memoiren, denn das Thema SS wurde in Estland unerwartet zu einer der wichtigsten.

"Die Sache soll man bis zum EU-Eintritt lösen"

Sie haben wohl gedacht, dass die estnische Regierung sich dazu herablassend verhält, denkt, dass wäre ein Zeichen der Demenz? Durchaus nicht. Umgekehrt, alle drei letzten Premier-Minister trafen sich ganz offen mit den "Ehemaligen".

Den heutigen Verteidigungsminister Mart Laar, als er Vorsitzender der Regierung war, wollten die "Freiheitskämpfer" zwingen "eine Entschädigung für den Schaden von Russland, USA und Großbritannien für den Molotov-Ribbentrop und die Vereinbarung von Jalta zwischen Stalin - Roosevelt - Churchill zu verlangen". Laar war ehrlich: "Heute ist es unrealistisch Forderungen an USA oder Großbritannien zu stellen. Es gibt konkrete aussenpolitische Argumente, warum man es nicht tun sollte. Was die Entschädigung seitens Russland angeht: da prüfen wir".

Der nächste Premier, Juhan Parts, war auch gut dabei (aus dem Stenogramm seines Treffens mit den "Kämpfern" 2003):

"Parts: Ich habe keine Zeit, deswegen beantworte ich die nächsten drei Fragen schnell. Ein Memorial für die Kämpfer gegen die sowjetischen Armeen? Heino Kerde (der Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Grenadier Division der SS): Die Letten haben uns überholt. Ein imposantes Memorial. 11 000 Namen der Gefallenen in Granit. Wir haben nichts ähnliches. Parts: Heute diskutiert man in Europaparlament und in der Duma die Estland und Lettland-Frage. Enn Sarv (einer der Aktivisten der Organisation): Früher oder später sollte man Druck auf Europa ausüben, dass in der Realität unser Kampf 1944 ein zweiter Befreiungskrieg war, den wir verloren haben. Mit Faschismus gibt es nichts Gemeinsames… In der letzten Zeit hat man das Gefühl, dass wir diese Frage lösen können. Die Regierung, die das erreicht, wird die Dankbarkeit des gesamten estnischen Volkes verdienen. Parts: Die Sache sollte man bis zum Eintritt in EU lösen. Die Frage ist, wie man die nötige Anzahl der Stimmen im Parlament bekommt".

Zum Glück für die EU, wurde diese Frage nicht gelöst.

Und der heutige Premier Andrus Ansip, der Urheber des skandalösen Umzugs des Bronzenen Soldats, schrieb sogar den "Kämpfern" einen Brief (es war auch im Archiv): Ich möchte mich mit Euch treffen, um die Perspektiven für eine weitere Zusammenarbeit zu besprechen". Er macht aus seinen Treffen mit den "Ehemaligen" überhaupt kein Geheimnis. Diesen Winter hat er sich derart entspannt, dass er der Allgemeinheit mitteilte: "Ich bin euch dankbar, was ihr für das estnische Volk getan habt". Ich werde niemals müde zu erwähnen, dass zu Sowjetzeiten dieser Genosse in der Kommunistischen Partei gearbeitet hat.

Die Idee mit dem Umzug des Bronzenen Soldaten wurde wohl Ansip auch von den Ex-SS-Leuten eingeflüstert. Ihre erste Rede zu diesem Thema war schon 1996. Und ein Päckchen mit Fotos, die in verschiedenen Jahren am 9. Mai bei dem Denkmal von einem nicht gleichgültigen Photografen gemacht wurden, zeigt, dass die Situation um das Denkmal von den "Kämpfern" schon lange vor dem April 2007 beobachtet wurde.

Bonus fürs Leiden

Man muss sagen, dass nicht ohne die Hilfe der Regierung die "Ehemaligen" recht komfortables Leben führen. So hat das estnische Parlament 2005 ein Gesetz verabschiedet, laut dem ALLE Veteranen, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, als politisch repressierte anerkannt wurden! Sogar der einzige noch lebende estnischer Träger des Eisernen Ritterkreuzes Harald Nugiseks. Die Logik ist folgende: Warst du nach dem Krieg in Sibirien? Also hast du unter der Sowjetmacht gelitten, also bist du komplett rehabilitiert… Auf diese Weise haben sich die Listen der Repressierten, die Estland Anfang der 90-er der Welt präsentierte, um vom Genozid zu berichten, um 50 000 Leute vergrößert - durch die, die in der deutschen Armee dienten und laut dem Nürnberger Tribunal verurteilt wurden. Zählen wir mal nach: 1941 wurden ca. 10000 Esten deportiert, 1949 25 000. Doch in den Listen der Repressierten, die in Okkupationsmuseum hängen, sind es 87 000! Wie es aussieht zahlt man in Europa für die "Opfer des Kommunismus" proportional ihrer Anzahl…

Laut den Archivberichten haben die "Freiheitskämpfer" ihre Freude nicht versteckt: "In Parlament ist das Gesetz über die Repressierten durch das Okkupationsregime verabschiedet worden. Ganz besonders angenehm ist es, dass in diesem Gesetz Esten berücksichtigt werden, die in 20. Division SS mobilisiert wurden oder diejenigen, die freiwillig dorthin gegangen sind".

Diese "Annehmlichkeit" hatte, ausser dem moralischen, auch einen materiellen Gewinn. Laut dem Gesetz bekommen ALLE Repressierten eine erhöhte Rente. Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Tallinner Vereinigung der Freiheitskämpfer 2003: "Wir haben direkte Kontakte mit dem Ministerium für Soziales aufgebaut. Das Ergebnis war eine 10% Erhöhung der Rente. Die Krankenkassen und Sozialhilfebehörde gaben den Kämpfern erste Sanatoriumaufenthalte im Gesundheitszentrum "Seli". Der Zusatz zu den Renten (10%), die vom Verteidigungsministerium und Ministerium für Soziales gemacht wurden, sollte man bis 60% erhöhen, oder eine jährliche Prämie ausgeben." Das heisst die "Kämpfer" bekommen Boni von drei Seiten: vom Staat, weil sie durch stalinistisches Regime repressiert wurden, von den Ländern in deren Uniform sie kämpften (Deutschland und Finnland) und Zusatzleistungen von speziellen Fonds, dafür, dass sie auf der "richtigen" Seite gekämpft haben. Das ist für das Leiden. Heldentaten werden getrennt bewertet: im Archiv ist ein ganzes Pack der Fragebögen der Anwärter auf Staatsorden. Ich ziehe per Zufall ein Blatt heraus: Eldor Jaanisoo. In der Spalte "Verdienste" steht schwarz auf weiss: "Dienst in der 20. Division SS".

Ich war nicht faul und ging auf die Seite des Präsidenten (www.president.ee). So ist es, 2002 hat dieser Veteran einen Orden aus den Händen des Präsidenten der Estnischen Republik bekommen - ein Adlerkreuz der 5. Stufe!

Staatsbudget als Staatsgarantie

Den "Kämpfern" direkt zu helfen hatte der Staat zuerst etwas Angst. Deswegen wurde folgende Pyramide erbaut: Das Geld aus dem Staatshaushalt wurde auf die Konten von drei Fonds überwiesen - Hilfsfonds für die Repressierten, Hilfe für die "Kämpfer" und Fonds "Der Verehrung der Kämpfer für die Freiheit Estlands". Die Geldeingänge (aus den Ministerien der Verteidigung und der Justiz) waren ungleichmäßig, mal wurden 5 Mio. Kronen (320 000 Euro) überwiesen, mal 10 mal weniger. Die gesamtrepublikanische "Union der Kämpfer für die Freiheit Estlands" verteilte das Geld ehrlich unter den anderen Organisationen. Noch eine Struktur - die Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS - war ein Sonderfall. Einsehend, dass die Abkürzung SS überall auf der Welt, ausser in Estland einen schlechten Ruf hat, unterstreichte die Regierung, dass sie keinesfalls mit der Organisation der SS-Versammlungen in Sinimäe verbunden ist. Doch die Kontoauszüge, die unser SS-Opa gesammelt hat, sprechen eine andere Sprache: das Verteidigungsministerium Estlands überwies regelmäßig Geld genau auf das Konto der Vereinigung der 20. Division der SS!

Es sieht so aus, dass die Steuerzahler, ein Drittel derer aus den Leuten besteht, die eine komplett entgegengesetzte Sicht auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges haben - Russen, Weissrussen, Ukrainer - all die Jahre Versammlungen derer bezahlt haben, die sie besiegten.

Druzhba - Freundschaft

Das ist doch ein internationaler Skandal, sagen Sie, man sollte schleunigst darüber in Europa berichten!
Keine Sorge. Europa ist schon hier. Sie ist immer mit uns. Hier ist die Liste der deutschen Staatsbürger, die "Union der Kämpfer für die Freiheit" mit Ehrenabzeichen ehrte: persönliche Sponsoren Günter von Maidel und Heinz Peterson, aber auch ein gewisser Georg Diers, ein Vertreter der Vereinigung der Veteranen des Steiner Korps aus Deutschland, BEVOLLMÄCHTIGTER Estlands… Wie soll man das verstehen?

"Korps Steiner" zu dem die 20. Grenadier Division SS gehörte, führte die Blockade von Leningrad durch und wurde dann bei Narva zerschlagen. Doch sein Kommandeur, der Obergruppenführer Felix Steiner überlebte das Ende des Krieges, war in Gefangenschaft und hinterliess sogar Memoiren, dass die "grünen" (Waffen) Teile der SS - das sind sehr gute und friedliche SS, im Gegensatz zu den "schwarzen".

Wie es aussieht sind Ideen von Steiner nach wie vor lebendig, 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: ein ganzer Stapel von Zeitschriften, die in Deutschland herausgegeben wurden, wurden in der Wohnung des Bewahrers der SS-Geheimnisse aufbewahrt, sie beleuchten den Kampf der Veteranen um ihre Vergangenheit.

In den Briefen, die auf den Briefbögen der "Kriegskameradschaft ehemaliger europäischen Freiwilligen" gedruckt wurden, die der "estnische Bevollmächtigte" Georg Diers seinen estnischen "Kameraden" schickte, steht geschrieben, dass "diese Legionäre tapfer in der dritten europäischen Panzerdivision von General Steiner gekämpft haben und grosse Verluste davontrugen. Jetzt kann die Erinnerung an sie auf einem historischen Platz verewigt werden, die an unsere Kampfgenossen erinnert wird, die im Namen der Gerechtigkeit gefallen sind" (Die Rede ist über den Bau des Memorials, für das der Korps Steiners ein Drittel des Geldes überwiesen hat)

Einige Briefe zeigen den internationalen Charakter der ex-SS Organisationen: es stellt sich heraus, dass es ein Weltzentrum der Freiheitskämpfer gibt, das die aus Estland geflüchteten SS-Leute vereinigt, es wurde 1960 in New York registriert und vereinigte 17 verschiedene Vereinigungen: 2 in Australien, 9 in USA, 4 in Kanada, je eins in Schweden und Großbritannien. Die Programme dieser Organisationen durchzulesen ist nichts für die Leute mit schwachen Nerven. "Wir fordern, dass die Vertreter der slawischen Völker, die von Okkupanten nach Estland eingeführt wurden, rausgeschmissen werden" - schreiben in Übereinstimmung mit der Rassentheorie die Grossväter, die in einer besseren Welt lebten und sich auf dem Übergang in die ewigen Jagdgründe befanden.

Übersetzungsschwierigkeiten

In Australien leben Känguru, in Südafrika Pinguine, in Estland lebende SS-Leute. Die Population verkleinert sich natürlich, doch ist sie sehr kämpferisch. Unter der Mehrheit der Papiere aus diesem Archiv steht die Unterschrift von Heino Kerde, dem jetzigen Vorsitzenden der Vereinigung der Veteranen des 20. Grenadier Division der SS. Durch Zufall kennen wir uns - haben uns mehrmals während SS-Versammlungen getroffen. Ich fahre zu ihm auf die Insel Hiiumaa, mich auf einen Kampf vorbereitend, doch der Himmel selbst schickt mir auf meinem Weg freundliche Esten, solche, die wir immer geliebt haben - ruhig, arbeitsliebend, ausgeglichen. Alle, ohne Ausnahme, demonstrieren maximale Freundschaft zu Russland und Russen, so dass im Gehirn ein unlösbares Paradox entsteht: wie passt in ihren Köpfen die Sympathie zu uns und zum Dritten Reich? Und wie passt es in unsere Köpfe: absolute Liebe zu Estland als zu einem Land und hundertprozentiger Liebesentzug an den Staat, der die Geschichte bezahlt, die komplett verdreht ist? Im Zentrum der Hauptstadt der Insel , in der Stadt Kärdla, wächst wie ein Steinpilz der sowjetische steinerne Soldat "Kivi Jüri". Die Geschichte, warum man ihn nicht zusammen mit dem Tallinner Bronzenen Soldaten wegschaffte ist fast so irreal, wie das Leben von Heino Kerde, der als Freiwilliger in die 20. Division der SS ging, als er 16 Jahre alt war. Die Sache ist so, dass der SS-Mann Kerde den steinernen Soldaten Jüri gerettet hat. Als Inspektor der Gesellschaft für den Erhalt der Denkmäler machte er ein Vermerk, dass das Monument einen künstlerischen Wert darstellt. Hat sich der Meinung der Inselbewohner unterworfen, normale Leute hatten kein Problem mit dem steinernen Soldaten.

 - Das heisst Sie hatten keine Gründe für persönliche Rache an den Russen?

- Für die Rache, nein. Doch dem Vater, einem ehemaligen Offizier der estnischen Armee, gab man keine Arbeit, ich denke das ist schon Repression. Er kam in die Rote Armee und kämpfte in Schützenkorps. Und bekam sogar den Roten-Stern-Orden.

- Das heisst ihr kämpftet gegeneinander?

- Woher sollte ich wissen, dass er dort war? Doch der Vater spielte keine Rolle, dass der Premier-Minister Jüri Uluots die Esten aufrief, die Heimat zu verteidigen, das war wichtig!

- Doch haben sie 1944 schon gewusst, wer Hitler ist. Wie konnten sie die Uniform der deutschen Armee anziehen?

- Die Deutschen haben menschlich besser gehandelt, als die Russen. Sie liessen uns die estnische Fahne, die Hymne und gaben das Wort, dass wenn wir bis zum Ende kämpfen würden, geben sie uns die Republik zurück. Die Russen haben das nicht getan.

- Ich wollte Sie schon immer fragen: Ihr wurden 1944 bei Sinimäe geschlagen, warum versammelt ihr euch ausgerechnet dort?

- Wir halten das nicht für eine Niederlage, weil wir die russischen Armeen aufhielten. Die Frontlinie stand drei Monate. Als die Roten Tallinn eingenommen haben, gingen fünf tausend nach Deutschland, zehn tausend blieben hier. Sie waren Optimisten, ich war unter ihnen. Ich wurde zum "Waldbruder". Dann haben die Freunde die Möglichkeit gefunden, Dokumente zu kaufen.

- Das heisst Sie haben keine Bestrafung durch die Sowjetmacht erfahren, weil Sie auf Seite des Feindes gekämpft haben?

- Ich war 17 Jahre alt - sie suchten nicht unter Jungen. Das Tattoo auf der Hand, wie bei allen in SS, wurde wegoperiert. Ich beendete das Polytechnikum, wurde zum Ingenieur, Leiter der staatlichen Baubehörde.

- Die Veteranen aus Deutschland helfen Ihnen?

- Früher haben sie viel geholfen. Jetzt fast gar nicht, weil es sie fast gar nicht mehr gibt. In den ersten Jahren haben wir vom Staat keine Mittel bekommen. Nur die deutschen Kameraden, mit denen wir gekämpft haben, haben was gegeben - mit diesem Geld fing die Organisation an.

- Beim letztjährigen Treffen der 20. Division der SS in Sinimäe gab es kein Militärorchester und keine Vertreter des Verteidigungsministeriums. Distanziert sich der Staat von Euch?

- Ach was. Ansip ist unser Mann! Dass er in der kommunistischen Partei war, merkt man fast gar nicht.

- Ist es unbedingt nötig, dass Eure Sache von der Jugend unterstützt wird?

- Natürlich. Als wir die Fahne der Veteranen der 20. Division der SS erhielten, dann sagte ich: Der letzte von uns übergibt sie ins Museum. Jetzt sage ich: Die Fahne muss man an Jugend übergeben!

Faschismus im Stil casual

Wahrscheinlich konnte ein 16-jähriger Junge kaum Hitler helfen, auch wenn er ihm vom ganzen Herzen Treue geschworen hat - wie es nur ein Kind kann. Opfer des Krieges - doch kein Held! Vor dem Hintergrund seiner 83 1/2 Jahre, war das halbe Jahr Dienst in der SS, nur eine Episode, doch die Impfung wirkt irgendwarum das ganze Leben. Wenn zu ihnen, wie er, es Vorwürfe geben kann, dann nicht für die Vergangenheit. Doch für die Gegenwart. In den letzten 20 Jahren wurde mit Hilfe von Heino Kerde und seinen Kameraden der Faschismus etwas allgegenwärtiges. Etwas zärtliches, leichtes, mit Humor: mal hängt man in Tartu eine Swastika vom Balkon mit der Unterschrift "Kunstwerk", mal bauen die Mitarbeiter des Tallinner Stadtmuseums einen Stand, der einem berühmten Landsmann, dem Begründer der Rassentheorie, Alfred Rosenberg gewidmet ist… Schon seit zwei Jahren steht im Zentrum der Hauptstadt das hässliche gläserne Kreuz der Freiheit, es ist mit demselben Symbol verziert, den die Soldaten der 20. Grenadier Division der SS auf dem Ärmel trugen: Sie durften nicht an den Hemdkragen die klassischen SS-Runen anhängen, da sie nicht genügend "arisch" waren. Im Archiv, der in Händen der "Komsomolskaja Pravda" ist, gibt es eine Postkarte, aus der folgt, dass der Freiheitskreuz, der den estnischen Haushalt mit 8,5 Mio. Euro belastet hat, tatsächlich fast eine genaue Kopie eines anderen Kreuzes ist, unter dem man hohe Offiziere Hitlers beerdigte… Es gibt keinen Zweifel, dass die estnische Gesellschaft auch das schlucken wird.

Doch warum rufen alle diese SS-Versammlungen, Bücher, Filme und Medaillen keine Reaktion bei niemandem hervor, ausser in Russland und in Israel?

Es gibt hier zwei Gründe: zuerst haben die US- und europäischen Diplomaten, die in der Spalte "Demokratie" bei Estland ein Häkchen gesetzt haben, keine Lust das Tagebuch zurückzublättern, sie sind schon längs irgendwohin nach Libyen geflogen, um dort Revolutionen zu machen und die Akte ist schon im Archiv. Zweitens gibt es auf der Welt kaum Spezialisten für so eine seltene Sprache wie Estnisch, deshalb kann niemand lesen, welche Erinnerung über den Krieg in Estland Mainstream wurde.

Die einzigen, die in der Lage sind das alles zu verstehen und zu übersetzen, das sind die lokalen Russen. Deswegen gibt es auch den Konflikt, er ist nicht ethnisch, doch es geht um die Weltanschauung. Und man sollte meinen er bleibt ewig, bis ein Vermittler aus der EU, z.B. Deutschland, erzählt nicht den Esten, vor was sie Stalin gerettet hat.

Estland ist von der Schande davongekommen, ein Land zu sein, das Hitler unterstützte und im Zweiten Weltkrieg verlor (als Folge gäbe es Entnazifizierung und Entschädigungszahlungen), doch der Preis war der Verlust der eigenen Selbstständigkeit. Doch wenn man betont, dass die damalige Wahl bewusst getroffen wurde, dann sollte man zu diesen Fragen zurückkehren.

Die Autorin dankt der internationalen Menschenrechtsorganisation "Welt ohne Nazismus"

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