Dienstag, Mai 29, 2012

Offener Brief an die Regierung der Estnischen Republik und an das Volk Estlands

Dieser Brief wird in keiner estnisch-sprachigen Zeitung veröffentlicht, ebensowenig wie der Aufruf zu der Demonstration am 30. Mai auf dem Toompea bei der mit 5.000 Teilnehmern gerechnet wird. Der estnische Präsident Toomas Ilves und der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip haben sich geweigert die Vertreter des Vereins Russische Schulen Estlands zu empfangen. Die 30.000 gesammelten Unterschriften für den Erhalt der russischen Schule in Estland können ihnen deswegen nicht persönlich überreicht werden.

Geehrte Mitglieder der Regierung der Estnischen Republik und das Volk Estlands, wir wenden uns an Euch, mit der Bitte uns, die Eltern der Schüler zu unterstützen!

Am 7. Mai 2012 haben vier Tallinner Gymnasien ein zweites Mal eine Eingabe über die Bestimmung der russischen Sprache als der Unterrichtssprache an den Gymnasien eingereicht. Die ersten Eingaben, die im März 2011 eingereicht wurden, wurden von der Regierung im Januar 2012 abgelehnt.

Doch die Elternräte der Tallinner Tõnismägi Realschule, des Russischen Gymnasiums Haabersti, der Tallinner Kesklinna Russischen Gymnasiums und des Tallinner Linnamäe Russischen Lyzeums wenden sich erneut an die Regierung im Namen der Schüler und der Eltern.

Der Entschluss die neuen Eingaben einzureichen wurde durch den Wunsch der Eltern diktiert, die sie auf den durchgeführten Versammlungen in den obengenannten Gymnasien geäußert haben.

Der Artikel 37 der Verfassung Estlands gibt den Eltern die Entscheidung darüber wie der Unterricht für ihre Kinder aussehen soll. Die Realisierung dieses Rechts erfolgt durch den Artikel 21 des Gesetzes über die Grundschule und das Gymnasium.

Unser Wunsch ist die Erziehung unserer Kinder zu richtigen Staatsbürgern, die ihr Land lieben und verstehen, dass ihre Meinung wichtig für den Staat ist. Wir wollen, dass unsere Kinder für das Wohl Estlands leben und arbeiten, dass die Bildung, die sie bekommen, ihnen nicht nur die Kenntnisse der estnischen Sprache, sondern auch das Allgemeinwissen auf einem würdigen Level vermitteln würde. Wir finden den Unterricht der Staatssprache wichtig und unverzichtbar, doch nicht zu dem Preis des Unterrichts der anderen Fächer.

Wir glauben, dass die Prinzipien der demokratischen Gemeinschaft auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Beziehungen funktionieren sollten. Diesen Glauben geben wir an unsere Kinder weiter. Für uns als Einwohner Estlands ist es wichtig, dass unsere Meinung und Wünsche ohne Verzerrung und Politisierung berücksichtigt werden. Für unsere Kinder und junge Bürger unseres Landes ist es wichtig, dass am Anfang ihres Lebensweges der Staat ihnen zu verstehen gibt, dass ihre Stimme gehört wird, dass er zu Dialog bereit ist. Wir sind uns sicher, dass eine positive Antwort der Regierung auf die Eingabe über die Wahl der russischen Sprache als Hauptunterrichtssprache in Gymnasium einen maßgeblichen Einfluss auf die Herausbildung der respektvollen, patriotischen Beziehung unserer Kinder zu ihrem Staat haben wird.

Die Wahl der russischen Sprache als Unterrichtssprache ist durch den Wunsch begründet den Kindern konkurrenzfähige Bildung und tiefe Fächerkenntnisse in ihrer Muttersprache zu geben. Dabei soll nicht auf den Unterricht von einigen Fächern in estnischen Sprache oder gar der estnischen Sprache selbst verzichtet werden, falls es notwendig ist, soll mehr Zeit darauf aufgewendet werden.

Wir wenden uns an die Regierung der Estnischen Republik mit der Bitte unseren Eingaben über die Bestimmung er russischen Sprache als Hauptunterrichtssprache in Gymnasium zu entsprechen.

Wir rufen alle, denen es nicht gleichgültig ist, auf, am 30. Mai um 17:00 an Toompea zu kommen, um das konstitutionelle Recht auf die Wahl der Unterrichtssprache zu unterstützen.

Montag, Mai 28, 2012

Worte der Woche

"Es ist schade, dass es in Estland so eine Situation vorherrscht, doch es ist so. Leiter von Organisationen, erst recht die Generalsekretäre der Parteien gehen nicht davon aus, dass ihre Telefone nicht abgehört werden. Es wird eher vorausgesetzt, dass ihre Telefongespräche aufgezeichnet werden und keiner Geheimhaltung unterliegen. Deswegen denke ich über Michal alles mögliche, doch dass er die Spenden am Telefon besprochen hat, das zu glauben bin ich nicht in der Lage. Deswegen meine Schlussfolgerung: Silver Meikar lügt."

Andrus Ansip kommentiert die Aussage von Silver Meikar, in der er beschreibt, wie der heutige Justizminister Michal ihn zwingt, Geld ungeklärter Herkunft unter seinem Namen an die Reformpartei zu spenden.

Samstag, Mai 19, 2012

Estland, Deine Steuern

zuletzt beschäftigten sich einige Artikeln in der estnischen Presse mit den Steuern in Estland. Basierend auf Daten aus diesen Artikeln möchte ich ein paar Gedanken zu diesem Thema loswerden. bbn.ee liefert einige interessante Daten wie die estnischen Steuern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aussehen:

- 43% des gesamten Steueraufkommens bezieht Estland aus den Konsumsteuern, also z.B. der Mehrwertsteuer, die in Estland 20% beträgt. Das ist der siebthöchster Wert in der EU, weiter vorne sind Länder wie Bulgarien, Ungarn, Litauen und Polen. Am anderen Ende der Skala stehen Deutschland und Belgien, Finnland belegt den fünften Platz von hinten. Der EU-Durchschnitt liegt bei 33%.

- Weitere Finanzplanungen der Regierung beinhalten Erhöhung der Konsumsteuern, so soll Alkohol innerhalb der nächsten vier Jahren um jeweils 5% mehr besteuert werden, gleichzeitig fällt die direkte Besteuerung, also Sozialversicherungen und Lohnsteuer von 32,9% auf 32,3%. Zur Erinnerung, in Estland ist Flat-Tax, es gibt keine progressive Besteuerung der Löhne und Gehälter.

Laut stolitsa.ee wurden seit dem Anfang der Wirtschaftskrise 2008 die Verbrauchssteuern drastisch erhöht. So erhöhte sich die Steuer für den Treibstoff (Benzin, Diesel) auf 36%, die Mehrwertsteuer kommt noch dazu. Die Steuern auf Flugbenzin erhöhten sich 2012 von 71,58 EUR auf 422,77 EUR pro 1000 Liter. Strom wird mit 4,47 EUR für eine Megawattstunde besteuert. Die Mehrwertsteuer für Heizung erhöhte sich 2009 von 5% auf 20%. Erdgas wird mit 23,45 EUR für 1000 Kubikmeter besteuert + MwSt.

- Die Ausnahmen für niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Kultur und Sportveranstaltungen, Bücher und Hotelübernachtungen wurden gestrichen und betragen statt 5% die üblichen 20%.

Was sind die Auswirkungen solcher Steuerpolitik? Zum einen werden die Waren automatisch teuerer, was eine erhöhte Inflation verursacht. So wuchsen die Preise laut dem Statistikamt in den letzten 10 Jahren um 49%. Mit 4,3% Inflation in April 2012 ist Estland Spitzenreiter in der EURO-Zone, in der EU ist nur Ungarn mit 5,6% vornedran. Hohe Inflation bedeutet, dass einkommensschwache Haushalte, die es in Estland zuhauf gibt, 20% der Haushalte sind unter der Armutsgrenze, haben also weniger als 280 EUR/Monat Nettoeinkommen, noch mehr sparen müssen. Teuere Waren schrecken auch mittelfristig Touristen ab und sorgen für niedrigeren Konsum, falls die Löhne nicht angepasst werden. Deswegen in einem freien Markt müssen die indirekten Steuern sehr genau austariert werden, denn niedrigerer Konsum wegen höheren Preise sorgt für weniger Steuereinnahmen. Der estnische Markt ist jedoch nur teilweise frei, da wichtige Waren, wie Wasser, Elektrizität, Heizung von Firmen zur Verfügung gestellt werden, die Monopolstellung haben. Bei manchen von ihnen ist der Staat der alleinige Eigentümer, kann also bestimmen, wieviel Gewinn ausgeschüttet werden muss, so dass damit zumindest indirekt die Preise für solche unverzichtbare Güter vom Staat bestimmt werden. Die Preise für überlebenswichtige Güter werden also über den staatliche Verfügung über das Kapital der Monopolisten und ihre Besteuerung vom Staat diktiert.

Andererseits geht der globale Trend zu höheren Verbrauchssteuern und niedrigeren Lohnsteuern. Manche Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens wie Götz Werner gehen soweit und fordern eine komplette Abschaffung der Besteuerung von Arbeit und nur eine Besteuerung des Konsums. Aus der Sicht des Umweltschutzes und der Ressourceneinsparungen macht Konsumbesteuerung definitiv Sinn. Durch den Wegfall der Lohnsteuer werden die Arbeitskosten mehr den Billiglohnländern angeglichen, durch höhere Produktivität und Qualität werden die in Hochlohnländern produzierten Waren noch konkurrenzfähiger. Was Estland jedoch von der Vision von Leuten wie Götz Werner trennt ist die absolut unzureichende soziale Absicherung. Das bedingungslose Grundeinkommen sieht vor, dass die Menschen, die keine bezahlte Arbeit haben, ein würdiges Leben nur mit dem Grundeinkommen bestreiten können. Das ist in Estland, wo ein Arbeitsloser 67 EUR / Monat bekommt, definitiv nicht der Fall.

Die Frage ist, ob Estland ein guter Kandidat für Experimente alá bedingungsloses Grundeinkommen wäre. Zum einen muss ein grundsätzliches Wechsel in dem Bewusstsein der Bevölkerung stattfinden. Die vielfach vorherrschende Meinung ist noch, dass nur "Faule und Dumme" keine Arbeit bekommen. Der Wert der unbezahlten Arbeit, die ja ein wesentlicher Bestandteil des bedingungsloses Grundeinkommens ist, wird nicht geschätzt. Dann müsste eine Berechnung stattfinden, um wieviel die Konsumsteuern und das Grundeinkommen erhöht werden müssten, um einerseits das faire bedingungslose Grundeinkommen für alle finanzieren zu können, andererseits durch erhöhte Preise von Artikeln den ganzen Effekt nicht wieder zunichtemachen. Falls die Preise zu hoch sind, dann werden die Einwohner Estlands in anderen Ländern einkaufen, wie sie schon heute in Russland, aber auch in Schweden tun, somit werden die Steuereinnahmen versiegen. Eine andere Frage wäre, wie gross ist der Effekt, dass die Lohnsteuer und die Sozialsteuern komplett wegfallen, so dass die Arbeitskosten sehr günstig werden, so dass viele Firmen sich in Estland ansiedeln. Arbeitskosten ist nur ein Faktor bei der Standortsuche, die Verfügbarkeit von qualifizierten Personal und verfügbare Logistik wären unter anderem Faktoren, bei denen Estland aufgrund der Auswanderungswelle, alternden Bevölkerung und geografischen Lage nicht gut dasteht.

Es wäre auf jeden Fall interessant das Szenario mit Estland als einem Kandidaten für bedingungsloses Grundeinkommen zumindest gedanklich durchzuspielen, denn mit dem jetzigen Steuersystem ist es eh schon näher dran, als beispielsweise Deutschland.

Samstag, Mai 12, 2012

Top Ten der Misserfolge der KaPO

Der folgende Artikel ist in www.stolitsa.ee erschienen.

Über die Erfolge des estnischen Verfassungsschutzes KaPO informiert alljährlich das Jahrbuch. Über die Misserfolge sind es die Zeitungen und ihre Internet-Ausgaben.

Die Mitarbeiter der Geheimdienste sind Leute, die aufgrund ihres Berufes nicht auffällig sind. Der breiten Öffentlichkeit werden sie in der Regel in zwei Fällen bekannt: falls eine Operation glänzend durchgeführt wurde oder komplett vermasselt wurde.

Eine kurze Übersicht über die vergangenen 15 Jahre zeigt, dass es solche Misserfolge in der jüngsten Geschichte der Geheimdienste der estnischen Republik zu genüge gab. Durchgefallene Mitarbeiter der KaPO reicht es für eine Art Top-Ten.

Die Bezeichnung des "unauffindbarsten" Mitarbeiters der KaPO sollte man aller Wahrscheinlichkeit nach dem Rauno Aas anhängen.

Am 20. Juni 1997 kehrte er nach Tallinn zurück über die Paldiski Chaussee. Bei der Tankstelle "Statoil" war auf dem Weg seiner Jeeps ein Fahrradfahrer. Der Schlag mit der Seite des Jeeps, der mit sehr überhöhten Geschwindigkeit fuhr war für ihn tödlich.

Die an den Ort der Tragödie angekommenen Polizisten haben ein verlassenes Auto gefunden, Aas hat es vorgezogen, sich zu verdünnisieren. Nach dem Gerichtsurteil und Feststellung ihn als Schuldigen, fand er es nicht nötig, im Gefängnis zu erscheinen.

Sieben Mal waren die Polizisten am Wohnort von "unauffindbarem" Aas - ohne irgendein Ergebnis. Schliesslich wurde das Verfahren abgeschlossen. Passiert schon mal.

Kaljo Juurik hat sich den Titel des "sorglosesten" Mitarbeiters der KaPO verdient. Oder den "selbstsichersten", je nachdem wie man draufschaut.

Zufällige Passanten haben ihn in winterlichem Dunkel im Jahr 1998 gesehen, als sie die Treppen in einem mehrstöckigen Haus in Lasnamäe bestiegen. Der Mitarbeiter des Verfassungsschutzen schief friedlich. Seine Waffe lag neben ihm.

Zuerst haben die Zeitungen Juurik verdächtigt, dass er sich eins über die Binde gekippt hat. Doch es fanden sich keine Spuren von Alkohol in seinem Blut. Es stellte sich heraus, dass die Situation weit absurder war, nach seiner eigenen, mit niemandem abgestimmten Initiative hat er beschlossen eine Wohnung zu überwachen.

Doch nachdem er nichts verdächtiges fand, hat Juurik, vom Dienst müde geworden, beschlossen in seiner Kampfstellung zu schlummern. Die Vorgesetzten bezichtigte des Mitarbeiters der äußersten Unprofessionalität und erteilte ihm eine Rüge.

Der "verantwortungsloseste" aus den durchgefallenen Mitarbeitern der KaPO ist ohne Zweifel Toomas Sõrgel.

Anfang Oktober 1997 hat er abends Feuer aus der Dienstwaffe eröffnet und zwar hundert Meter entfernt von einer Polizeistation in Mustamäe. Danach setzte er sich zum Schlummern an einer Bushaltestelle.

Bei der Festnahme des tapferen Schützen wurden 2,74 Promille Alkohol im Blut gefunden. Es stellte sich heraus, dass seine Alkoholsucht der Grund für die Kündigung Sõrgels aus den Reihen der KaPO war.

Das Gericht bezeichnete das Verhalten Sõrgels als "schweren Rowdytum mit Waffenanwendung". Bestraft wurde er mit ein-jährigen Gefängnisaufenthalt und drei Jahren auf Bewährung. Anders als die "kränklichsten" Mitarbeiter der KaPO Mait Põldmaa und Jullar Hints kann man kaum nennen: wegen Depression und chronischen Schnupfen haben sie unzählige Male ihr Erscheinen vorm Gericht verzögert.

Das Interesse der Femide zu ihren Personen haben sie erweckt, nachdem sie Ende März 1996 aus zwei Mitarbeitern des Nachtclubs Hollywood Geständnisse wegen Klauens von Tickets und 77 000 Kronen rausprügelten. Einer der Verdächtigen hatte einen Nasenbruch.

Das Gerichtsverfahren dauerte 9 Jahre. Und endete mit der Einstellung des Verfahrens wegen "des Vergleiches mit den Beschuldigen und dem Staatsanwalt wegen Fehlens des öffentlichen Interesses und der Nichtigkeit des Vergehens".

Schlag mit der Faust auf die Nase ist natürlich eine schlechte Sache. Sagen wir direkt - brutal. Doch es geht noch brutaler.

Zum Beispiel hat der Mitarbeiter der KaPO aus Ida-Virumaa Oleg Andronov einen Verdächtigen wie es sich herausstellte nicht nur mit den Füssen, sondern auch mit einer Hantel traktiert. Dabei wurde die Festnahme und die Inhaftierung der Person ausschliesslich auf die Initiative von Andronov durchgeführt.

Der Titel des "brutalsten" Ex-Mitarbeiters der KaPO geht deswegen an Andronov. Das Gericht hat ihn als Schuldigen des Missbrauchs seiner Dienststellung anerkannt. Und verhängte über ihn eine Gefängnisstrafe über ein Jahr und zwei Monate.

Den Titel "die Aufmerksamsten" haben Peeter Ojsaar und Pavel Kotkin aus guten Gründen für sich zu beanspruchen: denn anders als den Wunsch auf ihrer eigenen Haut die Aufmerksamkeit der Lehrer der Tartuer Universität zu überprüfen, kann man ihr Verhalten nicht erklären.

Der Direktor der Virumaaer Abteilung der KaPO Ojsaar lernte in dritten Jahr Jura an der bekanntesten Uni des Landes. Er machte das als Fernstudium, deswegen hat er beschlossen zur Prüfung nach Tartu Kotkin zu schicken, der als Rechtsanwalt in der KaPO arbeitete.

Die Aufmerksamkeit des Pädagogen Prijt Kama war gut, er merkte den Betrug. Den Studentenplatz an der TU musste Ojsaar verlassen. Auch die Reihen der KaPO musste er auf eigenen Wunsch verlassen, genauso wie sein "Partner".

Doch dieser Fall hat ihn nicht daran gestört in die Reihen der KaPO nach einigen Jahren zurückzukehren. Er nahm an der Operation zur Befreiung der Radfahrer-Geiseln in Libanon teil und bekam ein Adlerkreuz verliehen. Sein zweites, übrigens.

Als den "raffgierigsten" sollten man den "Helden" unserer Zeit anerkennen: Indrek Põder, den der Harjuer Bezirksgericht wegen mehrfachen Bestechungsgeldannahme von einigen Geschäftsleuten schuldig gesprochen hat.

Der "integrierteste" ist Aleksej Dressen, den man des Staatsverrats und der Übergabe von geheimen Information, die nicht nur Estland, sondern auch Lettland betrifft, an den "Nachbarstaat" beschuldigt.

Dressen hat übrigens auch wegen seines Berufes auch mit dem bis zum heutigen Tage bekanntesten Staatsverräter Hermann Simm zu tun gehabt, über der sogar ein Dokumentarfilm über seine Spionagetätigkeiten gedreht wurde.

Der letztere hatte soweit bekannt kein Verhältnis zu der KaPO. Deswegen droht die Top-Ten sich nicht in die Top-Eleven" zu verwandeln. Noch?

In den letzten 15 Jahren ist der Ausmass der Gesetzesübertretungen durch die Mitglieder der KaPO größer: vom banalen Rowdytum und Unverantwortlichkeit zu Staatsverrat und Bestechlichkeit in besonders hohem Ausmaß.

Steigerte sich die Professionalität der KaPO proportional in den letzten Jahren? Aus der Sicht des unverbesserlichen Optimisten - man möchte aufrichtig daran glauben.

Ilona

die ganze Zeit wird über die Wirtschaftskrise gesprochen, über die Schwierigkeiten, die einfachen Leuten zugemutet wird, über Opfer, die sie bringen müssen. Dabei bleibt die Diskussion abstrakt, es ist eher schwer sich vorzustellen, was die einzelnen Zahlen und Fakten für den einzelnen bedeuten, der von der Krise wirklich betroffen wurde. Deswegen hier eine Erzählung über Ilona.

Ilona kommt aus Lettland aus Ventspils. Eine 40-jährige hübsche blonde Frau. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt und zieht zwei Kinder gross, 14 und 21 Jahre alt. Die Kinder sind sehr intelligent, der ältere wird zwei Studienjahre überspringen und der jüngere hat schon aus den Händen vom letzten Präsidenten Lettlands Zattlers eine Urkunde für gute Schulleistungen bekommen. Ilona hat in Ventspils ein Haus und 18ha Land. Sie arbeitete als Qualitätsmanagerin für eine Restaurantkette in Lettland, besuchte sie öfters und schimpfte mit den Köchen, falls sie Essen gekocht haben, die nicht den hohen Standarts von Ilona genügten. Sie hat 1000 Lats verdient, das reichte ihr völlig aus. Mit Freunden fuhr Ilona nach Litauen, sie erzählte mir von schönen Feiern an litauischen Stränden, das Leben war gut.

Dann kam die Wirtschaftskrise. Was Lettland Genick gebrochen hat, war die Rettung der Parex-Bank, das sprengte den Landeshaushalt, das Land musste sparen, Investitionen blieben aus und die Wirtschaft brach ein. Die Restaurantbesucher mussten den Gürtel enger schnallen und kamen nicht. Zuerst kürzte man Ilona ihr Gehalt auf 500 Lat. Kurz danach auf 250 Lat. Danach musste sie eine 3-monatige Weiterbildung machen, während der man ihr gar nichts zahlte. Um zu überleben und ihre Kinder durchzubringen, wurde Ilona zur einzigen Taxifahrerin Ventspilses. Sie hatte viele Stammkunden, Touristen zahlen gut, doch war die Doppelbelastung aus Ausbildung tagsüber und Taxifahren in der Nacht zu viel. Bald konnte sie sich nicht gegenüber verantworten, durch Übermüdung sich und ihre Taxikunden in Gefahr zu bringen, also hat sie aufgehört.

Was tun? Seit zwei Jahren ist Ilona nun in Deutschland. Das erste Jahr verbrachte sie mit drei anderen Frauen in einem winzigen Zimmer. Erst vor kurzem fand sie in einem unsanierten Altbau eine eigene Wohnung, die sie sich leisten kann. Fürs Bett hat noch nicht gereicht, Matratze ist vorerst ausreichend. Ilona arbeitet als Kindermädchen und Putzfrau, sorgt für Behinderte, räumt in Cafés auf. Sie ist fleissig, arbeitet wenn es sein muss an Wochenenden und Feiertagen, die Kunden sind zufrieden, der Stundenlohn ist viel höher als sie in Lettland. Doch wird das verdiente Geld nach Lettland zu ihren Söhnen geschickt. Eine von den Frauen, die sie in ihrem ersten Jahr in Deutschland kennengelernt hat, ist die 21-jährige Christina aus Rumänien, die sie jetzt ihre Tochter nennt und jede freie Minute mit ihr verbringt. Trotzdem denkt sie sehr oft an ihre Söhne und vermisst sie sehr, ebenso wie das Meer. An eine Rückkehr nach Lettland ist vorerst nicht zu denken, die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, also hofft Ilona wenigstens ihren Söhnen gute Ausbildung zu ermöglichen, damit sie es besser im Leben haben, als sie selbst.

Freitag, Mai 11, 2012

Feier des Tages des Legionärs in Lettland (früh übt sich)

Während die Veteranen der Waffen-SS in Riga aufmarschieren, werden in lettischen Kindergärten am 16. März Unterricht im Patriotismus durchgeführt.

Das sieht dann so aus:

Der Mann auf dem Photo ist in die Uniform der Waffen-SS bekleidet. Auf seinem Ärmel ist so ein Abzeichen:

Die beiden Männer auf dem Foto sind Normund Erums und Ivo Lembergs aus der Vereinigung "Lettischer Soldat"

Folgende Ansprache ist auf der Webseite des Kindergartens: "Die Soldaten, an die wir uns an diesem Tag erinnern, waren vor dem Krieg einfache Männer - Väter, Söhne. Sie hatten Familien, wo Kinder, Enkeln, Brüder und Schwester aufwuchsen. Zu der Heimat näherte sich der Feind (also die Soldaten der Anti-Hitler Koalition). Dann wurden Väter und Söhne zu Soldaten und ihr Leben aufopfernd, um das zu bewahren, was sie mehr als das Leben geliebt haben. Nicht der Hass auf den Feind gab ihnen die Kraft für den Kampf und Flügel des Mutes, sondern die Liebe zu ihren Familien, ihrem Land, ihrem Volk. Wir erinnern und sind auf jeden stolz, der dafür gekämpft hat, damit wir heute auf dem schönsten auf der Welt lettischen Land leben können und auf der schönsten auf der Welt lettischen Sprache sprechen können.

Der Mann links auf dem Photo ist Mitglied des lettischen Parlaments Imant Paradnieks.

Freitag, Mai 04, 2012

Aprilkrisis in Estland und das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Es ist schon (oder erst?) fünf Jahre her, seit die Bronzenen Nächte Estland erschütterten. Es gibt viele Nachwehen, unter anderem Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Misshandlungen durch Polizei von Demonstranten oder komplett Unbeteiligten. Mstislav Rusakov vom Informationszentrum für Menschenrechte hat das in einem Artikel zusammengefasst.

Die Ereignisse, die am 26-29 April 2007 im Zentrum von Tallinn passierten, erzeugten einen Schock sowohl bei dem estnischen als auch bei dem russischen Teil der Gesellschaft.

Die Mehrheit der Esten war recht überrascht, dass die Russen, die man ungestraft 17 Jahre lang aus allen Sphären der Gesellschaft rauskomplimentieren und "integrieren" konnte, zum Protest fähig sind. Die Russen waren überrascht, dass die absolut unzweideutig ausgedrückte Meinung der Minderheit zynisch durch die Mehrheit ignoriert werden kann.

Die Message, die von Premier Ansip verbreitet wurde, war recht klar: "Wir wollen nicht, dass euer Denkmal hier steht; wir spucken auf euere Meinung, und deswegen werden wir es wegschaffen, ob ihr es wollt oder nicht". Und diese Message, wie die Umfragen zeigen, wurde von 90% der Esten unterstützt.

Ein Schock erzeugten bei den Russen auch die massiven Festnahmen durch die Polizei von zufälligen Passanten und Gaffern, unabhängig vom Geschlecht und Alter. So was gab es früher in Estland nicht. Dabei gibt es praktisch kein Zweifel, dass das entscheidende Kriterium für die Festnahme, die Nationalität war. Es wurden Russen festgenommen, die zufällig in der Griffweite waren. Dabei war das ganze Stadtzentrum umstellt, durch das die wichtigsten Transportwege durchgehen. Deswegen konnte man ins D-Terminal geraten, weil man einfach von der Arbeit oder aus der Schule kam. Oft wurden die Festnahmen mit Misshandlungen verbunden, bei der Festnahme selbst, oder auch später an den Orten wo sie festgehalten wurden.

Sofort nach den "Bronzenen Nächten" hat das Informationszentrum für Menschenrechte angefangen, Aussagen von den Opfern aufzunehmen. Wir haben versucht die Leute anzunehmen, die nicht an den Unruhen beteiligt waren und gegen die die Polizei nichts hatte. Hauptsächlich waren es solche, die "am falschen Ort zur falschen Zeit waren". Was wurde beklagt? Jemandem hat ein Polizist den Schädel mit dem Knüppel durchbrochen, in diesem Zustand wurde er in D-Terminal gebracht, als er das Bewusstsein verloren hat, wurde er von den Polizisten an den Füßen wie ein Sack in den Rettungswagen geschleppt. Einem anderen hat man die Hand bei der Festnahme gebrochen. Den dritten hat man derart in D-Terminal zusammengeschlagen, dass seine Operationsnarben aufgegangen sind. Dem vierten hat man medizinische Hilfe verweigert, als er Schmerzen wegen Magengeschwür hatte. Den fünften haben die Polizisten auf den Boden gelegt, zwangen ihn die Beine auseinanderzuspreizen und schlugen ihn mit den Füßen auf seine Geschlechtsteile.

Solche Aussagen gab es an die 50 Stück. Wir gaben sie an den Kanzler der Justiz und danach an die Staatsanwaltschaft weiter. Die Aussagen beinhalteten Eingaben wegen dem grausamen Umgang seitens der Polizei, ungesetzliche Festnahme und Festsetzung mit Bewachung. Die Art der Eingaben war folgende. Die Beschwerden gegen die Polizei gingen an die Bezirksanwaltschaft. Die Bezirksanwältin weigerte sich für alle unsere Eingaben ein Strafverfahren zu eröffnen. Die Antworten waren immer gleich: wegen der Massenunruhen waren die Handlungen der Polizei begründet. Manchmal war diese Formulierung unbegründet. Zum Beispiel griff die Polizei Larissa Neschadimova, die im Auto neben dem Denkmal war, vor den Massenunruhen an. Übrigens wurde diese "erfinderische" Bezirksanwältin in Folge von der estnischen Regierung prämiert.

Auf die Weigerung hin ein Strafverfahren zu eröffnen, haben wir in der Staatsanwaltschaft eine Beschwerde eingelegt. Dort waren die Antworten schon etwas ausführlicher. Es wurde eine Ansicht vertreten, dass die Verletzungen von anderen Teilnehmern der Unruhen stammen und nicht von der Polizei. Danach wurde die Beschwerde an das Tallinner Bezirksgericht weitergeleitet. Dort hat und der vereidigte Advokat Boris Jaroslavskij sehr geholfen. Nach dem Gesetz kann die Beschwerde gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft über die Eröffnung eines Strafverfahrens nur von einem vereidigten Advokat eingereicht werden.

Im Endergebnis konnte kein Strafverfahren gegen die Polizei eröffnet werden. Wobei der bekannte deutsche Geschäftsmann Klaus Dornemann, der in D-Terminal misshandelt wurde, konnte mit der Hilfe der deutschen Botschaft die estnische Staatsanwaltschaft zwingen ein Strafverfahren zu eröffnen. Doch es wurde geschlossen, weil es nicht möglich war die Schuldigen festzustellen. Ausführlicher kann man über die apriler Ereignisse in dem Sammelband "Der Bronzene Soldat. Die April-Krise", der von dem Informationszentrum für Menschenrechte herausgegeben wurde, nachgelesen werden.

Wegen vielen Schwierigkeiten und Verzögerungen sind von den 50 ersten Beschwerdeführer bis zum Tallinner Bezirksgericht (in diesem Fall der letzten Instanz) nur 7 übriggeblieben. Diese sieben Leute haben mit unserer Hilfe und der Hilfe einen bekannten englischen Menschenrechtsanwalts Bill Bouring, Klagen vor das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGM) eingereicht. Estland wurde wegen Verletzung von vier Punkten der Europäischen Menschenrechtskonvention angeklagt:

- Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. (Artikel 3)

- Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden (§1, Artikel 5)

- Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. (§1, Artikel 6)

- Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben. (Artikel 13)

Wenn ein Polizeibeamter bei der Ausübung seiner Pflicht grundlos einem Menschen Schmerzen zufügt, ist das eine Folter. Wenn man Leute mit zusammengebundenen Armen auf dreckigen, kalten Boden sitzen zwingt, ihnen kein Wasser gibt, sie nicht auf die Toilette ausführt, das ist wenn auch keine Folter, so zumindest eine erniedrigende Behandlung. Deswegen aus unserer Sicht ist das eine Verletzung des Artikels 3 der Konvention.

Die Festsetzung in D-Terminal, das nicht vom Gesetz bestimmtes polizeiliches Gebäude ist, ist auch eine Verletzung des Teil 1 des Artikels 5 der Konvention. Die Nationalität als Grund für die Festnahme ist auch nicht in den estnischen Gesetzen festgehalten. Dies ist auch eine Verletzung des Teil 1 des Artikels 5 der Konvention.

Eine methodische (auf vorgerichtlichen und gerichtlichen Ebenen) Nichteröffnung der Strafverfahren gegen die Mitarbeiter der Polizei zeigt klar das Fehlen von gerechten Gerichtsbarkeit (Teil 1, Artikel 6). Genau dasselbe zeigt auch das Fehlen der Mittel der effektiven Rechtsverteidigung (Artikel 13).

Das Verfahren nennt sich "Korobov und andere gegen Estland". Nach der Regeln des EGMs muss zuerst eine Entscheidung stattfinden, ob die Klage angenommen wird und erst danach wird die eigentliche Entscheidung gefällt. Laut Statistik werden 95% der Klagen nicht angenommen. Am 14. September 2010 hat das EGM über die teilweise Annahme der Klagen im Verfahren "Korobov und andere gegen Estland". Und, wie es uns scheint, haben diese Klagen sehr gute Chancen, stattgegeben zu werden.