Samstag, Mai 12, 2012

Ilona

die ganze Zeit wird über die Wirtschaftskrise gesprochen, über die Schwierigkeiten, die einfachen Leuten zugemutet wird, über Opfer, die sie bringen müssen. Dabei bleibt die Diskussion abstrakt, es ist eher schwer sich vorzustellen, was die einzelnen Zahlen und Fakten für den einzelnen bedeuten, der von der Krise wirklich betroffen wurde. Deswegen hier eine Erzählung über Ilona.

Ilona kommt aus Lettland aus Ventspils. Eine 40-jährige hübsche blonde Frau. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt und zieht zwei Kinder gross, 14 und 21 Jahre alt. Die Kinder sind sehr intelligent, der ältere wird zwei Studienjahre überspringen und der jüngere hat schon aus den Händen vom letzten Präsidenten Lettlands Zattlers eine Urkunde für gute Schulleistungen bekommen. Ilona hat in Ventspils ein Haus und 18ha Land. Sie arbeitete als Qualitätsmanagerin für eine Restaurantkette in Lettland, besuchte sie öfters und schimpfte mit den Köchen, falls sie Essen gekocht haben, die nicht den hohen Standarts von Ilona genügten. Sie hat 1000 Lats verdient, das reichte ihr völlig aus. Mit Freunden fuhr Ilona nach Litauen, sie erzählte mir von schönen Feiern an litauischen Stränden, das Leben war gut.

Dann kam die Wirtschaftskrise. Was Lettland Genick gebrochen hat, war die Rettung der Parex-Bank, das sprengte den Landeshaushalt, das Land musste sparen, Investitionen blieben aus und die Wirtschaft brach ein. Die Restaurantbesucher mussten den Gürtel enger schnallen und kamen nicht. Zuerst kürzte man Ilona ihr Gehalt auf 500 Lat. Kurz danach auf 250 Lat. Danach musste sie eine 3-monatige Weiterbildung machen, während der man ihr gar nichts zahlte. Um zu überleben und ihre Kinder durchzubringen, wurde Ilona zur einzigen Taxifahrerin Ventspilses. Sie hatte viele Stammkunden, Touristen zahlen gut, doch war die Doppelbelastung aus Ausbildung tagsüber und Taxifahren in der Nacht zu viel. Bald konnte sie sich nicht gegenüber verantworten, durch Übermüdung sich und ihre Taxikunden in Gefahr zu bringen, also hat sie aufgehört.

Was tun? Seit zwei Jahren ist Ilona nun in Deutschland. Das erste Jahr verbrachte sie mit drei anderen Frauen in einem winzigen Zimmer. Erst vor kurzem fand sie in einem unsanierten Altbau eine eigene Wohnung, die sie sich leisten kann. Fürs Bett hat noch nicht gereicht, Matratze ist vorerst ausreichend. Ilona arbeitet als Kindermädchen und Putzfrau, sorgt für Behinderte, räumt in Cafés auf. Sie ist fleissig, arbeitet wenn es sein muss an Wochenenden und Feiertagen, die Kunden sind zufrieden, der Stundenlohn ist viel höher als sie in Lettland. Doch wird das verdiente Geld nach Lettland zu ihren Söhnen geschickt. Eine von den Frauen, die sie in ihrem ersten Jahr in Deutschland kennengelernt hat, ist die 21-jährige Christina aus Rumänien, die sie jetzt ihre Tochter nennt und jede freie Minute mit ihr verbringt. Trotzdem denkt sie sehr oft an ihre Söhne und vermisst sie sehr, ebenso wie das Meer. An eine Rückkehr nach Lettland ist vorerst nicht zu denken, die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, also hofft Ilona wenigstens ihren Söhnen gute Ausbildung zu ermöglichen, damit sie es besser im Leben haben, als sie selbst.

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