Dienstag, April 28, 2009

Unsere tägliche Repression gib uns heute...

In den letzten paar Tagen haben repressive Organe in Estland gleich mehrere rote Linien überschritten, um Andersdenkenden verstummen zu lassen:

- Zum 2. Jahrestag der Bronzenen Nächte hat Notchnoj Dozor eine Konferenz angekündigt. Eingeladen wurden unter anderem der finnische Schriftsteller, Präsident des antifaschistischen Komitees Dr. Johan Bäckman, der vor einiger Zeit ein Estland-kritisches Buch veröffentlicht hat. Im Tallinner Hafen wurde er von den Zollbeamten fünf Stunden festgehalten und informiert, dass er in eine Blacklist eingetragen wurde und somit in Estland unerwünscht ist. Man kann zu Bäckmans Ansichten sehr geteilter Meinung sein, doch ist er weder verurteilt worden, noch wird gegen ihn ermittelt. Die Eintragung in die Blacklist erfolgt wohl auf Anweisung des Innenministers, wer darauf steht, weiss ausser dem Innenministerium niemand. Wer auf der lettischen Blacklist steht, weiss man inzwischen.

- Derselbe Schicksal ereilte fast den Mitglied des Europaparlaments Dr. Tatjana Zhdanok, als sie mit zwei Mitgliedern des lettischen Antifaschistischen Komitees die estnische Grenze passierte. Das Auto wurde von der estnischen Polizei angehalten, nur nach dem Vorzeigen des diplomatischen Passes und Aufklärung über diplomatische Immunität der Mitglieder der Europaparlaments wurde Frau Zhdanok freigelassen, ihre zwei Begleiter Eduard Gontscharov und Alexander Gamaleev wurden mit einer Eskorte nach Lettland zurückgefahren. Alle drei waren auf der Blacklist.

- Am 28. April wurde die Wohnung der zwei bekannten estnischen Blogger Inno und Irja Tähismaa (Youtube)von den Mitarbeitern des Amtes für Datenschutz durchsucht. Gegen 8 Uhr morgens kamen Vertreter des Amtes in Begleitung der Polizei. Es wurde ein Durchsuchungsbefehl gezeigt. Die Bitte auf die Ankunft eines Rechtsanwalts zu warten wurde abgelehnt. Im Laufe der Durchsuchung wurden Computer, Fotoapparate, Videokameras und Mobiltelefone der Blogger beschlagnahmt. In einem Interview sagte Irje: "Die Familie schon lange unter Beobachtung durch die Geheimdienste steht. Ihnen wurde mehrfach angeboten den Blog zu schliessen und mit der Kritik der Regierung aufzuhören. Wie es aussieht, war der psychische Druck nicht stark genug, also wurde mit Repressionen begonnen."

Vor einem Monat wurde die Seite innojairja.blogspot.com gehackt, alle Inhalte wurden gelöscht. Es stellt sich die Frage, ob nicht das Innenministerium hinter der Attacke steckt. Immerhin beschäftigten sich einige Artikel mit dem Privatleben des Innenministers Jüri Pihl und dem früheren Chef der Kriminalpolizei Andres Anvelt. Auch schrieb das Ehepaar an einem Buch in dem die Geschichte vom Angestellten der Stadt Tallinn Vladimir Panov erzählt wird, der unter grossen Aufmerksamkeit seitens der Presse von der KAPO festgenommen wurde und nach fünf Jahren Untersuchung vom Gericht völlig rehabilitiert wurde. Das alles wirft kein gutes Licht auf den Innenminister und den Vorsitzenden der estnischen Sozialdemokratischen Partei Pihl.

Montag, April 27, 2009

RIP Vesti Dnja

letzte Woche wurde eine der wenigen russisch-sprachigen Zeitungen in Estland Vesti Dnja eingestellt. Die Zeitung war die einzige oppositionelle Stimme in den estnischen Massenmedien, die offen die Regierung kritisierte und die Sorgen der russisch-sprachigen Minderheit ernstgenommen hat. Viele Nachrichten, die bruchstückhaft im Internet veröffentlicht wurden, bekamen erst durch die Hintergrundrecherche und Nachfragen von Experten seitens der Zeitung eine Bedeutung, so dass klar wurde, wie die neuen Gesetze und Massnahmen der Regierung sich auf die Situation der einfachen Leute auswirken. Öfters wurden auch Leute auf der Strasse nach ihrer Meinung zu einem Thema befragt. Die Zeitung hat sich eingemischt und geholfen. Dass die Meinungen über die Vesti Dnja gespalten waren, zeigt sich, dass einige Politiker kategorisch abgelehnt haben, Interviews der Zeitung zu geben. Im Februar wurden die Redaktionsräume im Zusammenhang mit einer Korruptionsaffäre in der Zentrumspartei von der KAPO durchsucht. Wohl als Reaktion darauf wurde die finanzielle Situation für die Zeitung noch angespannter, da viele Anzeigen zurückgezogen wurden. Schliesslich wurde vergangene Woche ohne vorherige Ankündigung die Auslieferung eingestellt, die Redaktion wurde aufgelöst.

Für mich persönlich waren Vesti Dnja bzw. ihre Internet-Ausgabe eine wichtige Informationsquelle, die mir sehr fehlen wird. An dieser Stelle möchte ich dem Hauptredakteur Alexander Tchaplygin und seinem Team für die getane Arbeit danken.

Passend zum Thema fand ich ein Artikel über die russische-sprachigen Massenmedien im baltischen Raum, den ich übersetzen möchte.

Igor Pavlovskij: Russisch-Baltisches Medienfeld

"... und wir werden aktiv den russischen Zeitungen in Riga und in anderen Städten Litauens helfen"

Ein Auszug aus dem Auftritt eines Hauptstadtbeamten (gemeint ist Moskau Anm. des Übersetzers) auf einem Treffen mit Kompatrioten in Moskau

Eigentlich ist das ein recht typischer geografischer Fehler nicht nur für den einfachen Bürger, sondern auch für die Staatsdiener und Politiker. Baltikum für Russland, besonders für Moskau, das ist zuallererst Riga. Nur wenige verstehen die Unterschiede und Spezifika jeden der baltischen Staaten. Doch ist es nicht nur in Russland der Fall. Nicht so lange her hat der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves behauptet, dass in den USA die drei baltischen Staaten sehr oft als eine gemeinsame Republik Baltikum begriffen werden. Ich weiss nicht, warum Ilves so viel Bedeutung die Gemeinsamkeiten der drei Republiken betont hat. Das was wir die baltische Solidarität nennen, ist in den Anfängen der 90er Jahre zurückgeblieben. Alle drei baltische Länder sind sehr verschieden. Von der ökonomischen Sichtweise, von der politischen, gesellschaftlichen, ethno-nationalen usw. Sogar die Art der Einmischung des Verfassungsschutzes in das politische Leben unterscheidet sich in diesen Staaten. Auch aus der historischen Sichtweise ist ihr Weg verschieden, obwohl alle drei Republiken Teil der Sowjetunion waren, denn auch dort hat sich ihr Status voneinander unterschieden. Logisch, dass die russisch-sprachige Diaspora (soweit dieser Terminus auf die Russen in Baltikum zutrifft, einen anderen gibt es nicht, deswegen benutzen wir diesen) in diesen drei Ländern verschieden ist. Die Situation mit russischen Massenmedien, die die Stimmungen und Probleme dieser Diasporas wiederspiegeln, unterscheidet sich auch voneinander.

Von allen drei Republiken ist die russisch-sprachige Presse in Lettland am weitesten entwickelt. Sowohl landesweit, als auch regional. Warum ausgerechnet Lettland zum Leader in der Entwicklung der russischen Massenmedien wurde, ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich gibt es eine Reihe von Gründen. Das Vorhandensein einer grossen russisch-sprachigen Diaspora muss kein Hauptgrund sein. In Estland mit vergleichbarer Anzahl russisch-sprachiger, ist die Situation mit russischen Massenmedien viel schlechter. Ich denke, dass die Wurzeln des Phänomens "russische Presse in Lettland" man sowohl in der Geschichte (Riga hat sich als imperiale Metropole in Baltikum aktiv entwickelt und war die drittwichtigste Stadt des Russischen Imperiums) als auch in den Eigenschaften der Diaspora suchen muss. Denn nur in Lettland gibt es zwei zentrum-links Parteien, die formell zu den "russischen" gezählt werden, die im Sejm vertreten sind ("Harmoniezentrum" und "Partei für Menschenrechte in Lettland"). In Estland gibt es im Parlament keine Partei, die die Meinung der russisch-sprachigen Minderheit vertreten würde (die "Zentrumspartei", die formell die "russische Stimmen" für sich beansprucht, zählt nicht). Kann sein, dass diese politische Aktivität der Diaspora mit der Geschichte der Umsiedlung der russischen Spezialisten ins Baltikum verbunden ist. Es ist so, dass nach Estland hauptsächlich entweder die Vertreter der Intelligenzija und Dissidenten aus Leningrad oder die Arbeiter für die Verteidigungsindustrie kamen. Nach Lettland hat man hauptsächlich das Proletariat hingebracht (obwohl die Intelligenzija auch dort war), weil zu Sowjetzeiten mit Nachdruck die technologische Fertigung in Lettland gefördert wurde.

Was Litauen angeht, so spielt sie in der Geschichte der Migrationströme ins Baltikum überhaupt eine Sonderrolle. Die Anzahl der Russen sprang dort nie über die 20% Marke, im Gegensatz zu fast 50% in Lettland und 40% in Estland (momentan sind es in Lettland 28% Russen, in Estland ca. 25%). Der erster Sekretär des Zentralkomitees der Litauischen Sowjetrepublik Antanas Snetchkus, der Litauen 34 Jahre lang regiert hat, hat eine harte Politik im Bereich der Nationalitäten geführt und versuchte keine starke Einwanderung auf das litauische Territorium zuzulassen. Als Folge wurde in Litauen als im einzigen baltischen Staat die sogenannte "Null Variante des Staatsbürgerschaft" (Gewährung der Staatsbürgerschaft an alle, ohne vorherige Verpflichtung die Loyalität dem Staat gegenüber zu beweisen) realisiert, was weder in Lettland noch in Estland geschehen ist.

Nichtsdestotrotz, auch bei vergleichbaren Anzahl der russisch-sprachigen in Lettland und Estland unterscheidet sich ihre Situation in Hinsicht auf die gesellschaftlich-politischen Aktivität recht stark. Ausser unterschiedlicher Zusammenstellung der Diaspora und dem historischen Hintergrund, vor dem die Umsiedlung der russisch-sprachigen nach Lettland und Estland geschah, übt die Каitsepolitsei (estnischer Verfassungsschutz - KaPo) eine grosse Wirkung auf das Leben der Gemeinde in Estland aus. Im Gegensatz zum Büro zum Schutz der Verfassung in Lettland, die sich wirklich hauptsächlich mit den Fragen der politischen und ökonomischen Sicherheit beschäftigt, mischt sich die KaPo aktiv in die estnische Politik ein und führt eine erfolgreiche Arbeit sowohl innerhalb der russischen Gemeinde, als auch zur ihrer Diskreditierung durch. Das beste Beispiel dieser Arbeit waren die sogenannten "Bronzenen Nächte", als durch zielgerichtete Formung des Informationsstromes in den Auges der Esten sich das Bild der "vene pätt" (est. russische Ausgeburt) ausgebildet hat. Genau diese Worte wurden in der Kolumne der größten estnischen Zeitung Postimees gleich nach der Versetzung des Denkmals des sowjetischen Soldaten-Befreiers und den nachfolgenden Unruhen benutzt (der volle Titel des Artikels "Gesicht der Woche: Die unbekannte russische Ausgeburt"). Speziell sollte man das Jahrbuch erwähnen, das von der KaPo herausgegeben wird. Nicht in einem der jährlichen Ausgaben dieses "Bestsellers" wurden die Gefahren für Estland nicht erwähnt, die die Organisationen der russischen Kompatrioten, die Verbindungen mit der russischen Botschaft unterhalten, in sich tragen. Selbst wenn man die harte Konfrontation in Lettland in einer Reihe von Fragen über die Nationalität nicht übersehen kann, solche Bosheiten wurden dort bis zum heutigen Tag nicht beobachtet.

Die russischen Massenmedien, die das Leben der Gemeinde wiederspiegeln, wiederholen die Tendenzen der Entwicklung der Gemeinden in baltischen Ländern. Und wenn es in Litauen nicht eine einzige allgemein-politische tägliche Zeitung in russischen Sprache gibt, da dort heute ca 7% der Einwohner Russen sind, so dass sie kein Einfluss auf das politische Leben in Litauen spielen, so sind es in Lettland drei allgemein-politische landesweite Zeitungen ("Vesti Segodnja", "Tchas" "Telegraf"). Und das wenn man die spezialisierte, wirtschaft-orientierte, regionale und aus der lettischen Sprache übersetzte Ausgaben nicht berücksichtigt. Zur Erinnerung, Lettland hat insgesamt 2,3 Mio. Einwohner. Estland kann sich einer kleineren Anzahl der allgemein-politischen täglichen Zeitungen rühmen. Auf den heutigen Tag ist die einzige tägliche Zeitung in der russischen Sprache "Molodjezh Estonii". Die Zeitung "Vesti Dnja", die vor kurzem rausgegeben wurde und als Nachfolger der Zeitung "Estonia" galt, hat vor Tagen ihre Existenz beendet.

Insgesamt fürs Baltikum und für jedes Land im speziellen ist die Existenz von zwei Informationsfeldern typisch, die sich selten überschneiden. Eines ist in der Nationalsprache, eines in russischen Sprache. Diese Situation hat sich am Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zu formieren angefangen, als die drei Staaten begannen ihre Nationalstaaten mit starken Vorzeichen einer Ethnokratie zu bauen. Deswegen wurde die Sprache der Nation, die den ethnokratischen Staat gebildet hat, zur Dominanten, gleichzeitig wurde die Rolle der russischen Sprache als innerdiasporalen zugewiesen. Eine starke Kürzung der Fernseh- und Radioübertragungen in russischen Sprache hat dazu geführt, dass das russische Publikum, das die Sprache nicht kannte und keine Informationen in fremden Sprache bekommen wollte, anfing, auf russländische Massenmedien und örtliche Zeitungen, die auf Russisch herausgegeben wurden, umzuschalten.

Hier können wir noch ein Paradox des russischen Informationsfeldes in Baltikum beobachten. Wenn in den ersten Jahres der Perestroika und Unabhängigkeit die allunionistischen Massenmedien von der Hauptmasse der Russen in Baltikum nicht als glaubhafte Informationsquelle betrachtet wurden, so verlieren die nationalen Massenmedien nach der Erklärung des Kurses dieser Länder in Richtung der Nationalstaaten und Herausdrängung des russisch-sprachigen Mitbürger aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben, an Glaubwürdigkeit gegenüber dem russisch-sprachigen Publikum. Umgekehrt wächst das Rating der Glaubwürdigkeit zu den Nachrichten aus den russländischen Quellen.

Diese Tendenz blieb weder in Estland noch in Lettland nicht unbemerkt. Soziologen, Politologen und nach ihnen die Staatsdiener dieser Länder fingen an darüber zu reden, dass nicht nur die Geschichte, sondern auch die Gegenwart von den "ursprünglichen Bevölkerung" und russisch-sprachigen unterschiedlich aufgenommen wird. Dies wird berechtigterweise als Gefahr für die Staatssicherheit wahrgenommen. Gerade aus diesen Ängsten heraus gab es Versuche "richtige russische Massenmedien" zu erschaffen. Hauptsächlich wurden diese Versuche realisiert, indem "Übersetzungsversionen" der wichtigsten nationalen Zeitungen erschaffen wurden. Noch hat es keinen Sinn über den ideologischen Erfolg dieser Projekte zu sprechen. Glaubwürdigkeitsstatus dieser Ausgaben, unbeachtet der hohen Auflage, ist viel niedriger als zu den "traditionellen" russisch-sprachigen Massenmedien, die in diesen Ländern herausgegeben werden. Nichtsdestotrotz, spielen diese Ausgaben neben der propagandistischen, noch eine wirtschaftliche Rolle. Wenn man ihre hohe Auflage und die Loyalität dem Staat gegenüber berücksichtigt, werden sie zu begehrtem Werbeplatz. Ausser diesen zwei Faktoren nutzen die "übersetzte Massenmedien" grosses Dumping für ihre Werbe- und Abonnementdienste. So sind die Kosten eines Abonnements auf die älteste russisch-sprachige Zeitung "Molodjezh Estonii" viel höher als das Abo für die russisch-sprachige Variante des "Postimees". Ein ähnliches Bild ist auch mit den Anzeigenpreisen. Diese "nichtpolitische" Hebel nutzend, zwingt der estnische Staat faktisch die unabhängigen russischen Massenmedien das Feld zu räumen. Interessanterweise unterscheidet sich noch das Bild in Lettland. Das russisch-sprachige Produkt, das von der Zeitung Diena herausgegeben wird, ist ein kommerzielles Blättchen mit Kaufe-Verkaufe Anzeigen, der nicht auf allgemein-politische Meinungsbildung prätendiert.

Die Interaktion zwischen den beiden Informationsfeldern (nationalem und russisch-sprachigem) ist minimal. Und wenn man die Informationen aus den nationalen Massenmedien in russische-sprachigen Ausgaben noch antreffen kann, so ist der Rückfluss an Information faktisch nichtexistent. Nichtsdestotrotz werden russisch-sprachige Ausgaben recht aktiv von der nationalen ethnischen Elite gelesen. Doch ist es nicht möglich über eine Einwirkung der russisch-sprachigen Ausgaben auf diese Politelite zu sprechen.

Noch ein interessanter Aspekt der Existenz der russisch-sprachigen Massenmedien in Baltikum ist ihre Beziehung zu Russland. Die Massenmedien und die russische Diaspora in Baltikum sind recht spezifisch. Man kann nicht sagen, dass sowohl die Massenmedien als auch die Diaspora eindeutig pro-russländisch eingestellt sind, Genausowenig kann man sagen, dass russische Diaspora eine fünfte Kolonne in diesen Republiken sei und die Massenmedien entsprechend eine zerstörerische Arbeit gegen diese Nationalstaaten führe. Am ehesten ist es sinnvoll über einen besonderen Status der russischen Diaspora und den Massenmedien zu sprechen. Dieser Status ist weder russländisch noch national-baltisch. Es ist ein eigener Status. Mit recht kritischem Blick sowohl auf Russland, als auch auf das Land, wo man lebt. Einige Experten reden sogar über die Formierung einer neuen russisch-baltischen Gesellschaft. (interessant ist auch, dass die Sprache der russischen Massenmedien in Baltikum sich von der russischen Sprache, die in russländischen Zeitungen benutzt wird, sich zu unterscheiden anfängt).

Die weitere Entwicklung oder Stagnation der russischen Massenmedien in Baltikum wird auch nach unterschiedlichen Szenarien verlaufen. In Litauen wird auch weiterhin die Anzahl der Massenmedien in russischen Sprache stagnieren, da die russische Diaspora sich verkleinert (übrigens sind die Polen in Litauen die zweitstärkste Bevölkerungsgruppe nach Litauern und die Hauptstreitigkeiten auf nationalen Ebene wird am ehesten zwischen ihnen geführt). In Lettland, kraft wirtschaftlichen und politischen Gründe ist es durchaus möglich, dass links-zentristische Parteien an die Macht kommen werden (in erster Linie das "Harmoniezentrum"), die sich teilweise an das russische Elektorat orientieren. Folglich wird das russische Informationsfeld endgültig aus dem Underground rauskommen und seinen Platz in der allgemein-politischen System des Landes einnehmen. Diese Thesis wird dadurch untermauert, dass in der letzten Zeit lettische Politiker den russischen Zeitungen immer mehr Aufmerksamkeit widmen und ihnen gerne exklusive Interviews und Kommentare geben. In Lettland besteht eine Chance, dass die russländischen Massenmedien die Rolle einer Art Brücke zwischen dem russländischen und baltischen politischen Establishments übernehmen könnten, um einander verstehen zu helfen.

Mit Estland ist eine besondere Geschichte. Es ist durchaus möglich, dass unabhängige russische Printmedien in nächster Zeit komplett aufhören zu existieren. Die Versuche russisch-sprachiges Fernsehen zu etablieren, werden fehlschlagen, da die Ressourcen und die kreativen Möglichkeiten kein Vergleich gegenüber den Möglichkeiten des russländischen TVs bestehen können. Internet-Publizistik in der russischen Sprache bleibt bestehen, wird jedoch streng von der estnischen Regierung kontrolliert. Kraft der Umstände wird sich das ansässige russisch-sprachige Publikum wohl komplett aus dem regionalen Informationsfeld verabschieden und auf das Programm der russländischen TV-Kanäle und Internet-Publizistik umschalten. Was das für Estland bedeutet, kann man nur vermuten.

Sonntag, April 19, 2009

Grauenhafte Hände Moskaus

Wie jedes Jahr veröffentlicht der Verfassungsschutz Estlands KAPO ein Jahresbericht, wo sie über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegt und die Gefahren benennt, die dem Staat Estland drohen. Schon in den früheren Jahren hat dieser Bericht für Aufregung gesorgt, weil die dort enthaltenen Fakten nicht gestimmt haben. Doch dieses Jahr entschied sich die KAPO für einen Rundumschlag:

1. Laut KAPO ist eines der Ziele des russländischen Geheimdienstes einen zur Russland loyalen Kandidaten aus Estland im Europaparlament zu installieren. Er soll dafür sorgen, dass die russische Sprache zur offiziellen EU-Sprache ernannt wird. Als Kandidat wird der Direktor des Informationszentrums zum Schutz der Menschenrechte Aleksej Semjonov genannt, der jedoch seine Teilnahme an der Wahlen längst abgesagt hat. In einer Stellungnahme bezeichnet Semjonov den Bericht als Frechheit vor allem weil diese Unterstellungen durch nichts belegt sind.

2. Russland möchte eine fünfte Kolonne in Estland etablieren. Dies wird durch die Politik des Kompatriotismus (russ. Соотечественики) verwirklicht, um die sich Russland verstärkt bemühen würde. Selbst innerhalb von Russland werden Diskussionen geführt, wie man einen Kompatrioten definiert, doch für KAPO scheint es schon festzustehen: Es sind alle Leute, die für die grossherrschaftliche Ideologie Russlands empfänglich seien und deswegen ausgenutzt und manipuliert werden können. Alle Vereinigungen, wie der Koordinationsrat der Kompatrioten in Estland, oder die teilweise aus der russländischen Staatskasse finanzierte Stiftung "Russische Welt" (russ. Русский Мир) werden per se als illoyal zum estnischen Staat hingestellt.

3. Die fünfte Kolonne finanziert sich über das estnische Business, sie soll sich an die Wirtschaftsvertreter gewendet haben, die finanzielle Interessen in Russland haben.

4. Russischer Geheimdienst soll Interesse an der estnischen Energiewirtschaft haben. So wird als konkretes Beispiel die Firma Greta Energy genannt, die Windenergieparks auf Hijumaa und Saaremaa baut. Die Firma ist zwar kanadisch, doch stammen die Gründer aus Russland und haben ein Office in Moskau. Das macht sie verdächtig.

5. Informationskrieg wird in Form von Gründung eines Presseclubs "Impressum" geführt, der regelmäßig Journalisten, Historiker und Wissenschaftler aus Russland zur Diskussion nach Tallinn einlädt. Auf diese Art und Weise wird der estnischen Presse mit russländischen Propaganda infiltriert. Die Hauptschuldige ist die Journalistin der Zeitung Komsomolskaja Pravda Galina Sapozhnikova, die diesen Club leitet. Frau Sapozhnikova kündigte an, wegen Verleumdung und Rufschädigung seitens der KAPO vors Gericht zu ziehen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Eingeladenen wie der Historiker Aleksandr Djukov, oder russische Kriegsreporter, die über Georgien-Krieg berichtet haben, andere Meinungen über heisse Themen haben, als die offizielle Politik in Estland, doch den Presseclub als staatsfeindlich hinzustellen, ist doch weit hergeholt.

6. Die KAPO warnt, dass die Lobbisten von Gazprom in Holland, Deutschland und Finnland aktiv sind, damit diese Partner-Länder, das kategorische estnische "Nein" zur Gaspipeline auf dem Grund der Ostsee umstimmen. Nur die tapfere KAPO hat den miesen Plan von Gazprom durchschaut und warnt die alte EU-Staaten vor zu viel Blauäugigkeit gegenüber Russland.

6. Immerhin wurde die Gefahr von Volksunruhen wie in Lettland oder in Litauen als gering eingeschätzt. Die Mentalität der Esten wäre anders als der Letten oder der Litauer und die Leute würden besser verstehen, dass die Situation ernst ist und durch Krawallen sich nichts ändern würde. Nichtsdestotrotz wurde vor kurzem ein Wasserwerfer angeschafft, da man vor zwei Jahren auf die Hilfe der lettischen Kollegen zurückgreifen musste.

Nach Meinung des Journalisten Aarne Rannamäe erlaubt die Jahresausgabe eine Einsicht in die wirklichen Ansichten der politischen Eliten Estlands. Es ist ein propagandistisches Werk, das eher für das Publikum ausserhalb Estlands bestimmt wäre. Während das Jahresbericht des Aussenministeriums maximal diplomatisch geschrieben ist, spricht das Jahresbericht des KAPO Klartext. Alle Behauptungen sind ohne Belege, die als Staatsgeheimnis qualifiziert werden.

Wenn solche Berichte tatsächlich die Meinung der politischen Elite Estlands widerspiegeln, dann muss man feststellen, dass auch zwei Jahre nach den Bronzenen Nächten Paranoia das Hauptgefühl ist, das sich einstellt, sobald man das Wort Russland ausspricht. Alles was Kontakte zu Russland oder zu dem nicht komplett-integriertem Teil russisch-sprachigen Bevölkerung herstellt, wird als Hand Moskaus verdammt und nach Möglichkeit zerschlagen.