Wie jedes Jahr veröffentlicht der Verfassungsschutz Estlands KAPO ein Jahresbericht, wo sie über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegt und die Gefahren benennt, die dem Staat Estland drohen. Schon in den früheren Jahren hat dieser Bericht für Aufregung gesorgt, weil die dort enthaltenen Fakten nicht gestimmt haben. Doch dieses Jahr entschied sich die KAPO für einen Rundumschlag:
1. Laut KAPO ist eines der Ziele des russländischen Geheimdienstes einen zur Russland loyalen Kandidaten aus Estland im Europaparlament zu installieren. Er soll dafür sorgen, dass die russische Sprache zur offiziellen EU-Sprache ernannt wird. Als Kandidat wird der Direktor des Informationszentrums zum Schutz der Menschenrechte Aleksej Semjonov genannt, der jedoch seine Teilnahme an der Wahlen längst abgesagt hat. In einer Stellungnahme bezeichnet Semjonov den Bericht als Frechheit vor allem weil diese Unterstellungen durch nichts belegt sind.
2. Russland möchte eine fünfte Kolonne in Estland etablieren. Dies wird durch die Politik des Kompatriotismus (russ. Соотечественики) verwirklicht, um die sich Russland verstärkt bemühen würde. Selbst innerhalb von Russland werden Diskussionen geführt, wie man einen Kompatrioten definiert, doch für KAPO scheint es schon festzustehen: Es sind alle Leute, die für die grossherrschaftliche Ideologie Russlands empfänglich seien und deswegen ausgenutzt und manipuliert werden können. Alle Vereinigungen, wie der Koordinationsrat der Kompatrioten in Estland, oder die teilweise aus der russländischen Staatskasse finanzierte Stiftung "Russische Welt" (russ. Русский Мир) werden per se als illoyal zum estnischen Staat hingestellt.
3. Die fünfte Kolonne finanziert sich über das estnische Business, sie soll sich an die Wirtschaftsvertreter gewendet haben, die finanzielle Interessen in Russland haben.
4. Russischer Geheimdienst soll Interesse an der estnischen Energiewirtschaft haben. So wird als konkretes Beispiel die Firma Greta Energy genannt, die Windenergieparks auf Hijumaa und Saaremaa baut. Die Firma ist zwar kanadisch, doch stammen die Gründer aus Russland und haben ein Office in Moskau. Das macht sie verdächtig.
5. Informationskrieg wird in Form von Gründung eines Presseclubs "Impressum" geführt, der regelmäßig Journalisten, Historiker und Wissenschaftler aus Russland zur Diskussion nach Tallinn einlädt. Auf diese Art und Weise wird der estnischen Presse mit russländischen Propaganda infiltriert. Die Hauptschuldige ist die Journalistin der Zeitung Komsomolskaja Pravda Galina Sapozhnikova, die diesen Club leitet. Frau Sapozhnikova kündigte an, wegen Verleumdung und Rufschädigung seitens der KAPO vors Gericht zu ziehen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Eingeladenen wie der Historiker Aleksandr Djukov, oder russische Kriegsreporter, die über Georgien-Krieg berichtet haben, andere Meinungen über heisse Themen haben, als die offizielle Politik in Estland, doch den Presseclub als staatsfeindlich hinzustellen, ist doch weit hergeholt.
6. Die KAPO warnt, dass die Lobbisten von Gazprom in Holland, Deutschland und Finnland aktiv sind, damit diese Partner-Länder, das kategorische estnische "Nein" zur Gaspipeline auf dem Grund der Ostsee umstimmen. Nur die tapfere KAPO hat den miesen Plan von Gazprom durchschaut und warnt die alte EU-Staaten vor zu viel Blauäugigkeit gegenüber Russland.
6. Immerhin wurde die Gefahr von Volksunruhen wie in Lettland oder in Litauen als gering eingeschätzt. Die Mentalität der Esten wäre anders als der Letten oder der Litauer und die Leute würden besser verstehen, dass die Situation ernst ist und durch Krawallen sich nichts ändern würde. Nichtsdestotrotz wurde vor kurzem ein Wasserwerfer angeschafft, da man vor zwei Jahren auf die Hilfe der lettischen Kollegen zurückgreifen musste.
Nach Meinung des Journalisten Aarne Rannamäe erlaubt die Jahresausgabe eine Einsicht in die wirklichen Ansichten der politischen Eliten Estlands. Es ist ein propagandistisches Werk, das eher für das Publikum ausserhalb Estlands bestimmt wäre. Während das Jahresbericht des Aussenministeriums maximal diplomatisch geschrieben ist, spricht das Jahresbericht des KAPO Klartext. Alle Behauptungen sind ohne Belege, die als Staatsgeheimnis qualifiziert werden.
Wenn solche Berichte tatsächlich die Meinung der politischen Elite Estlands widerspiegeln, dann muss man feststellen, dass auch zwei Jahre nach den Bronzenen Nächten Paranoia das Hauptgefühl ist, das sich einstellt, sobald man das Wort Russland ausspricht. Alles was Kontakte zu Russland oder zu dem nicht komplett-integriertem Teil russisch-sprachigen Bevölkerung herstellt, wird als Hand Moskaus verdammt und nach Möglichkeit zerschlagen.
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