Samstag, Mai 19, 2012

Estland, Deine Steuern

zuletzt beschäftigten sich einige Artikeln in der estnischen Presse mit den Steuern in Estland. Basierend auf Daten aus diesen Artikeln möchte ich ein paar Gedanken zu diesem Thema loswerden. bbn.ee liefert einige interessante Daten wie die estnischen Steuern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aussehen:

- 43% des gesamten Steueraufkommens bezieht Estland aus den Konsumsteuern, also z.B. der Mehrwertsteuer, die in Estland 20% beträgt. Das ist der siebthöchster Wert in der EU, weiter vorne sind Länder wie Bulgarien, Ungarn, Litauen und Polen. Am anderen Ende der Skala stehen Deutschland und Belgien, Finnland belegt den fünften Platz von hinten. Der EU-Durchschnitt liegt bei 33%.

- Weitere Finanzplanungen der Regierung beinhalten Erhöhung der Konsumsteuern, so soll Alkohol innerhalb der nächsten vier Jahren um jeweils 5% mehr besteuert werden, gleichzeitig fällt die direkte Besteuerung, also Sozialversicherungen und Lohnsteuer von 32,9% auf 32,3%. Zur Erinnerung, in Estland ist Flat-Tax, es gibt keine progressive Besteuerung der Löhne und Gehälter.

Laut stolitsa.ee wurden seit dem Anfang der Wirtschaftskrise 2008 die Verbrauchssteuern drastisch erhöht. So erhöhte sich die Steuer für den Treibstoff (Benzin, Diesel) auf 36%, die Mehrwertsteuer kommt noch dazu. Die Steuern auf Flugbenzin erhöhten sich 2012 von 71,58 EUR auf 422,77 EUR pro 1000 Liter. Strom wird mit 4,47 EUR für eine Megawattstunde besteuert. Die Mehrwertsteuer für Heizung erhöhte sich 2009 von 5% auf 20%. Erdgas wird mit 23,45 EUR für 1000 Kubikmeter besteuert + MwSt.

- Die Ausnahmen für niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Kultur und Sportveranstaltungen, Bücher und Hotelübernachtungen wurden gestrichen und betragen statt 5% die üblichen 20%.

Was sind die Auswirkungen solcher Steuerpolitik? Zum einen werden die Waren automatisch teuerer, was eine erhöhte Inflation verursacht. So wuchsen die Preise laut dem Statistikamt in den letzten 10 Jahren um 49%. Mit 4,3% Inflation in April 2012 ist Estland Spitzenreiter in der EURO-Zone, in der EU ist nur Ungarn mit 5,6% vornedran. Hohe Inflation bedeutet, dass einkommensschwache Haushalte, die es in Estland zuhauf gibt, 20% der Haushalte sind unter der Armutsgrenze, haben also weniger als 280 EUR/Monat Nettoeinkommen, noch mehr sparen müssen. Teuere Waren schrecken auch mittelfristig Touristen ab und sorgen für niedrigeren Konsum, falls die Löhne nicht angepasst werden. Deswegen in einem freien Markt müssen die indirekten Steuern sehr genau austariert werden, denn niedrigerer Konsum wegen höheren Preise sorgt für weniger Steuereinnahmen. Der estnische Markt ist jedoch nur teilweise frei, da wichtige Waren, wie Wasser, Elektrizität, Heizung von Firmen zur Verfügung gestellt werden, die Monopolstellung haben. Bei manchen von ihnen ist der Staat der alleinige Eigentümer, kann also bestimmen, wieviel Gewinn ausgeschüttet werden muss, so dass damit zumindest indirekt die Preise für solche unverzichtbare Güter vom Staat bestimmt werden. Die Preise für überlebenswichtige Güter werden also über den staatliche Verfügung über das Kapital der Monopolisten und ihre Besteuerung vom Staat diktiert.

Andererseits geht der globale Trend zu höheren Verbrauchssteuern und niedrigeren Lohnsteuern. Manche Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens wie Götz Werner gehen soweit und fordern eine komplette Abschaffung der Besteuerung von Arbeit und nur eine Besteuerung des Konsums. Aus der Sicht des Umweltschutzes und der Ressourceneinsparungen macht Konsumbesteuerung definitiv Sinn. Durch den Wegfall der Lohnsteuer werden die Arbeitskosten mehr den Billiglohnländern angeglichen, durch höhere Produktivität und Qualität werden die in Hochlohnländern produzierten Waren noch konkurrenzfähiger. Was Estland jedoch von der Vision von Leuten wie Götz Werner trennt ist die absolut unzureichende soziale Absicherung. Das bedingungslose Grundeinkommen sieht vor, dass die Menschen, die keine bezahlte Arbeit haben, ein würdiges Leben nur mit dem Grundeinkommen bestreiten können. Das ist in Estland, wo ein Arbeitsloser 67 EUR / Monat bekommt, definitiv nicht der Fall.

Die Frage ist, ob Estland ein guter Kandidat für Experimente alá bedingungsloses Grundeinkommen wäre. Zum einen muss ein grundsätzliches Wechsel in dem Bewusstsein der Bevölkerung stattfinden. Die vielfach vorherrschende Meinung ist noch, dass nur "Faule und Dumme" keine Arbeit bekommen. Der Wert der unbezahlten Arbeit, die ja ein wesentlicher Bestandteil des bedingungsloses Grundeinkommens ist, wird nicht geschätzt. Dann müsste eine Berechnung stattfinden, um wieviel die Konsumsteuern und das Grundeinkommen erhöht werden müssten, um einerseits das faire bedingungslose Grundeinkommen für alle finanzieren zu können, andererseits durch erhöhte Preise von Artikeln den ganzen Effekt nicht wieder zunichtemachen. Falls die Preise zu hoch sind, dann werden die Einwohner Estlands in anderen Ländern einkaufen, wie sie schon heute in Russland, aber auch in Schweden tun, somit werden die Steuereinnahmen versiegen. Eine andere Frage wäre, wie gross ist der Effekt, dass die Lohnsteuer und die Sozialsteuern komplett wegfallen, so dass die Arbeitskosten sehr günstig werden, so dass viele Firmen sich in Estland ansiedeln. Arbeitskosten ist nur ein Faktor bei der Standortsuche, die Verfügbarkeit von qualifizierten Personal und verfügbare Logistik wären unter anderem Faktoren, bei denen Estland aufgrund der Auswanderungswelle, alternden Bevölkerung und geografischen Lage nicht gut dasteht.

Es wäre auf jeden Fall interessant das Szenario mit Estland als einem Kandidaten für bedingungsloses Grundeinkommen zumindest gedanklich durchzuspielen, denn mit dem jetzigen Steuersystem ist es eh schon näher dran, als beispielsweise Deutschland.

Keine Kommentare: