Portal baltija.eu publiziert eine Reihe von Dokumenten, die beweisen, dass das Verteidigungsministerium Estlands Organisationen wie die Vereinigung der Veteranen der Waffen-SS, die jedes Jahr in Sinimäe eine Versammlung der Veteranen der Waffen-SS veranstaltet, finanziell unterstützt. Das sind Kopien der Verträge, die zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Vorsitzenden der Vereinigung der Veteranen der Waffen-SS Heino Kerdu geschlossen wurden:
2009
2010
2011
Seitens des Verteidigungsministeriums gaben ihre Unterschrift für die Unterstützung der Vereinigung die Kanzler des Ministeriums Riho Terrase (2009), Lauri Tumm (2010) und Hellar Lille (2011).
Ausserdem wird die Vereinigung durch den Eesti Vabadusvõitlejate Abistamise Fond finanziert, der auch Verträge mit dem Ministerium für Verteidigung geschlossen hat:
Wie in den Verwendungsnachweisen nachzulesen ist, ging ein Teil des Geldes (2009 32.950 Kronen, 2010 29.000 Kronen) an die Eesti Leegioni Veteranide Virumaa Klubi, also an die Veteranen der 20. Division der Waffen-SS. Insgesamt verteilte der Fond 2009 750.928 Kronen und 2010 809.478 Kronen an die verschiedene Organisationen der ehemaligen Freiheitskämpfer.
2009
2010
Das Verteidigungsministerium hat inzwischen reagiert, der Presse-Sprecher Piter Kujmet behauptet, dass zwischen dem Verteidigungsministerium und der Veteranen-Vereinigung eine Absprache gibt, dass die Versammlung in Sinimäe nicht von den Geldern des Verteidigungsministeriums finanziert wird, allerdings gibt es kaum Kontrolle und in den Abrechungsberichten werden die Treffen auch regelmäßig erwähnt.
Bildet Euch Euere Meinung.
Samstag, Juli 30, 2011
Freitag, Juli 29, 2011
Archiv der Vereinigung der Veteranen der Waffen-SS
Ungeachtet der Ereignisse in Norwegen, wo ein Massenmörder seine faschistoide Wahnvorstellungen auslebte, findet auch dieses Jahr am 30.07 in Sinimäe in Nord-Osten Estlands ein Treffen der Veteranen der Waffen-SS und ihrer Verehrer statt. Es ist wieder ein Gegenmeeting von Notchnoj Dozor und anderen Organisationen geplant, allerdings haben die Altnazis ein so grosses Gelände für ihre Veranstaltung reserviert, damit sie garantiert unter sich bleiben und von den schwarz-weissen KZ-Roben der Protestierenden nichts mitbekommen werden. Der folgende Artikel wurde von Galina Sapozhnikova geschrieben, sie bekam Unterstützung von der Organization "Welt ohne Nazismus".
Der Archiv der Veteranen der Waffen-SS wurde veröffentlicht.
Wie der Korb mit den Papieren auf meinem Schreibtisch landete, kann ich nicht sagen. Noch. "Dank dem Mut der Leute, die unerkannt bleiben wollen", heisst es dann in den Zeitungen.
Der Mensch, dem diese Photos und Papiere gehörten, ist vor kurzem gestorben. Und die Koffer, die sein ganzes Leben enthielten, landeten auf der Müllhalde. Was da drin war? Der Archiv alles estnischen Organisationen der Veteranen der Waffen-SS.
Es stellte sich heraus, dass der estnische Opa, der ein Aktivist einer der 18! offiziell in Estland registrierten Organisationen der Veteranen war, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, für irgendwas alle diese Dokumente sammelte und kopierte, die ihm in die Hände kamen. Wahrscheinlich träumte er davon, dass die Geschichte des zweiten estnischen Staates, in dem diejenigen zu Helden wurden, die man in der zivilisierten Welt für Unmenschen halten würde, von nachfolgenden Generationen erforscht wird. Genau das tun wir.
Fehler im System
Dass der Archiv echt ist, wurde von Historikern zugleich bestätigt - die Protokolle der Sitzungen der Versammlungen der Veteranen und Photos von blonden Jungs in SS-Uniform sind ohne System gesammelt und genauso abgeheftet worden- Fälschungen würde man gewissenhafter anfertigen. Doch damit man die Unterlagen versteht, muss man das geschichtliche Konzept kennen, das in heutigem Estland für ein Dogma gehalten wird.
Also: Im Jahr 1940 wäre hier die erste Okkupation gewesen, die sowjetische, von der die Esten nur noch eine Erinnerung an Angst haben. Dann die deutsche, angenehm in jeder Beziehung - aus dieser Zeit erinnert man sich an die Konfekts, an die Erschiessungen will man sich irgendwarum nicht erinnern. Dann die zweite sowjetische Okkupation, die bis zum Jahr 1991 andauerte. Daraus folgt die Logik, die estnischen Veteranen der Wehrmacht als Helden darstellt - sie kämpften gegen Bolschewismus und für die Unabhängigkeit ihrer Heimat, nur in deutschen Uniformen. In allen offiziellen Dokumenten werden sie "Freiheitskämpfer" genannt.
Ein paar Details passen nicht in dieses Konzept, zum Beispiel, dass die Esten freiwillig zur SS gegangen sind, massenweise, zum Ende des Krieges 1944. Sie wussten wahrscheinlich über die jüdischen Ghettos und Gasöfen, sie sind trotzdem gegangen. Ihre erste Wahl könnte man einen Fehler nennen. Dass man 70 Jahre später diesen Fehler in Estland richtigstellen versucht, sagt, dass wir es hier mit einem System zu tun haben.
Blutgruppe auf der Schulter
Also, Archiv: Postkarten, mit Kinderschrift geschrieben ("Danke, dass ihr für die estnische Freiheit gekämpft habt"), ein Pack von Einladungen zu allen möglichen Versammlungen und Redenotizen, in denen folgendes steht: "Ich begrüße euch im Namen der Kameraden der 20. Division der SS! Uns verbindet der Kampf gegen den Bolschewismus während der Okkupation Estlands durch die Sowjetunion. Für unsere Division endete der Krieg in Tschechoslowakien, doch ein Großteil blieb in Estland, unter den Sowjets. Wir lebten weiter, doch nicht als verdiente Veteranen, doch als Faschisten, mit dem Blutgruppentattoo auf der Schulter. Die Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlaubte es den Kämpfern in der deutschen Armee eigene Organisationen zu erschaffen, Treffen abzuhalten, Erinnerungen zu publizieren. Trotz den Bemühungen aus dem Ausland, uns als Kriegsverbrecher anzuerkennen, hält uns die estnische Regierung für Leute, die für die estnische Freiheit gegen die sowjetische Okkupation kämpften. Wir stellen uns die Aufgabe die Geschichte der Division auferstehen zu lassen, unsere Rechte und Ziele zu verteidigen, für die wir gekämpft haben. Denn ausser uns wird es keiner tun." Hier irrt sich der Autor dieser Zeilen, der damalige Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS Karl Sirel: die estnischen Buchhandlungen sind auch ohne seine Hilfe vollgestopft mit ähnlichen Memoiren, denn das Thema SS wurde in Estland unerwartet zu einer der wichtigsten.
"Die Sache soll man bis zum EU-Eintritt lösen"
Sie haben wohl gedacht, dass die estnische Regierung sich dazu herablassend verhält, denkt, dass wäre ein Zeichen der Demenz? Durchaus nicht. Umgekehrt, alle drei letzten Premier-Minister trafen sich ganz offen mit den "Ehemaligen".
Den heutigen Verteidigungsminister Mart Laar, als er Vorsitzender der Regierung war, wollten die "Freiheitskämpfer" zwingen "eine Entschädigung für den Schaden von Russland, USA und Großbritannien für den Molotov-Ribbentrop und die Vereinbarung von Jalta zwischen Stalin - Roosevelt - Churchill zu verlangen". Laar war ehrlich: "Heute ist es unrealistisch Forderungen an USA oder Großbritannien zu stellen. Es gibt konkrete aussenpolitische Argumente, warum man es nicht tun sollte. Was die Entschädigung seitens Russland angeht: da prüfen wir".
Der nächste Premier, Juhan Parts, war auch gut dabei (aus dem Stenogramm seines Treffens mit den "Kämpfern" 2003):
"Parts: Ich habe keine Zeit, deswegen beantworte ich die nächsten drei Fragen schnell. Ein Memorial für die Kämpfer gegen die sowjetischen Armeen? Heino Kerde (der Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Grenadier Division der SS): Die Letten haben uns überholt. Ein imposantes Memorial. 11 000 Namen der Gefallenen in Granit. Wir haben nichts ähnliches. Parts: Heute diskutiert man in Europaparlament und in der Duma die Estland und Lettland-Frage. Enn Sarv (einer der Aktivisten der Organisation): Früher oder später sollte man Druck auf Europa ausüben, dass in der Realität unser Kampf 1944 ein zweiter Befreiungskrieg war, den wir verloren haben. Mit Faschismus gibt es nichts Gemeinsames… In der letzten Zeit hat man das Gefühl, dass wir diese Frage lösen können. Die Regierung, die das erreicht, wird die Dankbarkeit des gesamten estnischen Volkes verdienen. Parts: Die Sache sollte man bis zum Eintritt in EU lösen. Die Frage ist, wie man die nötige Anzahl der Stimmen im Parlament bekommt".
Zum Glück für die EU, wurde diese Frage nicht gelöst.
Und der heutige Premier Andrus Ansip, der Urheber des skandalösen Umzugs des Bronzenen Soldats, schrieb sogar den "Kämpfern" einen Brief (es war auch im Archiv): Ich möchte mich mit Euch treffen, um die Perspektiven für eine weitere Zusammenarbeit zu besprechen". Er macht aus seinen Treffen mit den "Ehemaligen" überhaupt kein Geheimnis. Diesen Winter hat er sich derart entspannt, dass er der Allgemeinheit mitteilte: "Ich bin euch dankbar, was ihr für das estnische Volk getan habt". Ich werde niemals müde zu erwähnen, dass zu Sowjetzeiten dieser Genosse in der Kommunistischen Partei gearbeitet hat.
Die Idee mit dem Umzug des Bronzenen Soldaten wurde wohl Ansip auch von den Ex-SS-Leuten eingeflüstert. Ihre erste Rede zu diesem Thema war schon 1996. Und ein Päckchen mit Fotos, die in verschiedenen Jahren am 9. Mai bei dem Denkmal von einem nicht gleichgültigen Photografen gemacht wurden, zeigt, dass die Situation um das Denkmal von den "Kämpfern" schon lange vor dem April 2007 beobachtet wurde.
Bonus fürs Leiden
Man muss sagen, dass nicht ohne die Hilfe der Regierung die "Ehemaligen" recht komfortables Leben führen. So hat das estnische Parlament 2005 ein Gesetz verabschiedet, laut dem ALLE Veteranen, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, als politisch repressierte anerkannt wurden! Sogar der einzige noch lebende estnischer Träger des Eisernen Ritterkreuzes Harald Nugiseks. Die Logik ist folgende: Warst du nach dem Krieg in Sibirien? Also hast du unter der Sowjetmacht gelitten, also bist du komplett rehabilitiert… Auf diese Weise haben sich die Listen der Repressierten, die Estland Anfang der 90-er der Welt präsentierte, um vom Genozid zu berichten, um 50 000 Leute vergrößert - durch die, die in der deutschen Armee dienten und laut dem Nürnberger Tribunal verurteilt wurden. Zählen wir mal nach: 1941 wurden ca. 10000 Esten deportiert, 1949 25 000. Doch in den Listen der Repressierten, die in Okkupationsmuseum hängen, sind es 87 000! Wie es aussieht zahlt man in Europa für die "Opfer des Kommunismus" proportional ihrer Anzahl…
Laut den Archivberichten haben die "Freiheitskämpfer" ihre Freude nicht versteckt: "In Parlament ist das Gesetz über die Repressierten durch das Okkupationsregime verabschiedet worden. Ganz besonders angenehm ist es, dass in diesem Gesetz Esten berücksichtigt werden, die in 20. Division SS mobilisiert wurden oder diejenigen, die freiwillig dorthin gegangen sind".
Diese "Annehmlichkeit" hatte, ausser dem moralischen, auch einen materiellen Gewinn. Laut dem Gesetz bekommen ALLE Repressierten eine erhöhte Rente. Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Tallinner Vereinigung der Freiheitskämpfer 2003: "Wir haben direkte Kontakte mit dem Ministerium für Soziales aufgebaut. Das Ergebnis war eine 10% Erhöhung der Rente. Die Krankenkassen und Sozialhilfebehörde gaben den Kämpfern erste Sanatoriumaufenthalte im Gesundheitszentrum "Seli". Der Zusatz zu den Renten (10%), die vom Verteidigungsministerium und Ministerium für Soziales gemacht wurden, sollte man bis 60% erhöhen, oder eine jährliche Prämie ausgeben." Das heisst die "Kämpfer" bekommen Boni von drei Seiten: vom Staat, weil sie durch stalinistisches Regime repressiert wurden, von den Ländern in deren Uniform sie kämpften (Deutschland und Finnland) und Zusatzleistungen von speziellen Fonds, dafür, dass sie auf der "richtigen" Seite gekämpft haben. Das ist für das Leiden. Heldentaten werden getrennt bewertet: im Archiv ist ein ganzes Pack der Fragebögen der Anwärter auf Staatsorden. Ich ziehe per Zufall ein Blatt heraus: Eldor Jaanisoo. In der Spalte "Verdienste" steht schwarz auf weiss: "Dienst in der 20. Division SS".
Ich war nicht faul und ging auf die Seite des Präsidenten (www.president.ee). So ist es, 2002 hat dieser Veteran einen Orden aus den Händen des Präsidenten der Estnischen Republik bekommen - ein Adlerkreuz der 5. Stufe!
Staatsbudget als Staatsgarantie
Den "Kämpfern" direkt zu helfen hatte der Staat zuerst etwas Angst. Deswegen wurde folgende Pyramide erbaut: Das Geld aus dem Staatshaushalt wurde auf die Konten von drei Fonds überwiesen - Hilfsfonds für die Repressierten, Hilfe für die "Kämpfer" und Fonds "Der Verehrung der Kämpfer für die Freiheit Estlands". Die Geldeingänge (aus den Ministerien der Verteidigung und der Justiz) waren ungleichmäßig, mal wurden 5 Mio. Kronen (320 000 Euro) überwiesen, mal 10 mal weniger. Die gesamtrepublikanische "Union der Kämpfer für die Freiheit Estlands" verteilte das Geld ehrlich unter den anderen Organisationen. Noch eine Struktur - die Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS - war ein Sonderfall. Einsehend, dass die Abkürzung SS überall auf der Welt, ausser in Estland einen schlechten Ruf hat, unterstreichte die Regierung, dass sie keinesfalls mit der Organisation der SS-Versammlungen in Sinimäe verbunden ist. Doch die Kontoauszüge, die unser SS-Opa gesammelt hat, sprechen eine andere Sprache: das Verteidigungsministerium Estlands überwies regelmäßig Geld genau auf das Konto der Vereinigung der 20. Division der SS!
Es sieht so aus, dass die Steuerzahler, ein Drittel derer aus den Leuten besteht, die eine komplett entgegengesetzte Sicht auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges haben - Russen, Weissrussen, Ukrainer - all die Jahre Versammlungen derer bezahlt haben, die sie besiegten.
Druzhba - Freundschaft
Das ist doch ein internationaler Skandal, sagen Sie, man sollte schleunigst darüber in Europa berichten!
Keine Sorge. Europa ist schon hier. Sie ist immer mit uns. Hier ist die Liste der deutschen Staatsbürger, die "Union der Kämpfer für die Freiheit" mit Ehrenabzeichen ehrte: persönliche Sponsoren Günter von Maidel und Heinz Peterson, aber auch ein gewisser Georg Diers, ein Vertreter der Vereinigung der Veteranen des Steiner Korps aus Deutschland, BEVOLLMÄCHTIGTER Estlands… Wie soll man das verstehen?
"Korps Steiner" zu dem die 20. Grenadier Division SS gehörte, führte die Blockade von Leningrad durch und wurde dann bei Narva zerschlagen. Doch sein Kommandeur, der Obergruppenführer Felix Steiner überlebte das Ende des Krieges, war in Gefangenschaft und hinterliess sogar Memoiren, dass die "grünen" (Waffen) Teile der SS - das sind sehr gute und friedliche SS, im Gegensatz zu den "schwarzen".
Wie es aussieht sind Ideen von Steiner nach wie vor lebendig, 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: ein ganzer Stapel von Zeitschriften, die in Deutschland herausgegeben wurden, wurden in der Wohnung des Bewahrers der SS-Geheimnisse aufbewahrt, sie beleuchten den Kampf der Veteranen um ihre Vergangenheit.
In den Briefen, die auf den Briefbögen der "Kriegskameradschaft ehemaliger europäischen Freiwilligen" gedruckt wurden, die der "estnische Bevollmächtigte" Georg Diers seinen estnischen "Kameraden" schickte, steht geschrieben, dass "diese Legionäre tapfer in der dritten europäischen Panzerdivision von General Steiner gekämpft haben und grosse Verluste davontrugen. Jetzt kann die Erinnerung an sie auf einem historischen Platz verewigt werden, die an unsere Kampfgenossen erinnert wird, die im Namen der Gerechtigkeit gefallen sind" (Die Rede ist über den Bau des Memorials, für das der Korps Steiners ein Drittel des Geldes überwiesen hat)
Einige Briefe zeigen den internationalen Charakter der ex-SS Organisationen: es stellt sich heraus, dass es ein Weltzentrum der Freiheitskämpfer gibt, das die aus Estland geflüchteten SS-Leute vereinigt, es wurde 1960 in New York registriert und vereinigte 17 verschiedene Vereinigungen: 2 in Australien, 9 in USA, 4 in Kanada, je eins in Schweden und Großbritannien. Die Programme dieser Organisationen durchzulesen ist nichts für die Leute mit schwachen Nerven. "Wir fordern, dass die Vertreter der slawischen Völker, die von Okkupanten nach Estland eingeführt wurden, rausgeschmissen werden" - schreiben in Übereinstimmung mit der Rassentheorie die Grossväter, die in einer besseren Welt lebten und sich auf dem Übergang in die ewigen Jagdgründe befanden.
Übersetzungsschwierigkeiten
In Australien leben Känguru, in Südafrika Pinguine, in Estland lebende SS-Leute. Die Population verkleinert sich natürlich, doch ist sie sehr kämpferisch. Unter der Mehrheit der Papiere aus diesem Archiv steht die Unterschrift von Heino Kerde, dem jetzigen Vorsitzenden der Vereinigung der Veteranen des 20. Grenadier Division der SS. Durch Zufall kennen wir uns - haben uns mehrmals während SS-Versammlungen getroffen. Ich fahre zu ihm auf die Insel Hiiumaa, mich auf einen Kampf vorbereitend, doch der Himmel selbst schickt mir auf meinem Weg freundliche Esten, solche, die wir immer geliebt haben - ruhig, arbeitsliebend, ausgeglichen. Alle, ohne Ausnahme, demonstrieren maximale Freundschaft zu Russland und Russen, so dass im Gehirn ein unlösbares Paradox entsteht: wie passt in ihren Köpfen die Sympathie zu uns und zum Dritten Reich? Und wie passt es in unsere Köpfe: absolute Liebe zu Estland als zu einem Land und hundertprozentiger Liebesentzug an den Staat, der die Geschichte bezahlt, die komplett verdreht ist? Im Zentrum der Hauptstadt der Insel , in der Stadt Kärdla, wächst wie ein Steinpilz der sowjetische steinerne Soldat "Kivi Jüri". Die Geschichte, warum man ihn nicht zusammen mit dem Tallinner Bronzenen Soldaten wegschaffte ist fast so irreal, wie das Leben von Heino Kerde, der als Freiwilliger in die 20. Division der SS ging, als er 16 Jahre alt war. Die Sache ist so, dass der SS-Mann Kerde den steinernen Soldaten Jüri gerettet hat. Als Inspektor der Gesellschaft für den Erhalt der Denkmäler machte er ein Vermerk, dass das Monument einen künstlerischen Wert darstellt. Hat sich der Meinung der Inselbewohner unterworfen, normale Leute hatten kein Problem mit dem steinernen Soldaten.
- Das heisst Sie hatten keine Gründe für persönliche Rache an den Russen?
- Für die Rache, nein. Doch dem Vater, einem ehemaligen Offizier der estnischen Armee, gab man keine Arbeit, ich denke das ist schon Repression. Er kam in die Rote Armee und kämpfte in Schützenkorps. Und bekam sogar den Roten-Stern-Orden.
- Das heisst ihr kämpftet gegeneinander?
- Woher sollte ich wissen, dass er dort war? Doch der Vater spielte keine Rolle, dass der Premier-Minister Jüri Uluots die Esten aufrief, die Heimat zu verteidigen, das war wichtig!
- Doch haben sie 1944 schon gewusst, wer Hitler ist. Wie konnten sie die Uniform der deutschen Armee anziehen?
- Die Deutschen haben menschlich besser gehandelt, als die Russen. Sie liessen uns die estnische Fahne, die Hymne und gaben das Wort, dass wenn wir bis zum Ende kämpfen würden, geben sie uns die Republik zurück. Die Russen haben das nicht getan.
- Ich wollte Sie schon immer fragen: Ihr wurden 1944 bei Sinimäe geschlagen, warum versammelt ihr euch ausgerechnet dort?
- Wir halten das nicht für eine Niederlage, weil wir die russischen Armeen aufhielten. Die Frontlinie stand drei Monate. Als die Roten Tallinn eingenommen haben, gingen fünf tausend nach Deutschland, zehn tausend blieben hier. Sie waren Optimisten, ich war unter ihnen. Ich wurde zum "Waldbruder". Dann haben die Freunde die Möglichkeit gefunden, Dokumente zu kaufen.
- Das heisst Sie haben keine Bestrafung durch die Sowjetmacht erfahren, weil Sie auf Seite des Feindes gekämpft haben?
- Ich war 17 Jahre alt - sie suchten nicht unter Jungen. Das Tattoo auf der Hand, wie bei allen in SS, wurde wegoperiert. Ich beendete das Polytechnikum, wurde zum Ingenieur, Leiter der staatlichen Baubehörde.
- Die Veteranen aus Deutschland helfen Ihnen?
- Früher haben sie viel geholfen. Jetzt fast gar nicht, weil es sie fast gar nicht mehr gibt. In den ersten Jahren haben wir vom Staat keine Mittel bekommen. Nur die deutschen Kameraden, mit denen wir gekämpft haben, haben was gegeben - mit diesem Geld fing die Organisation an.
- Beim letztjährigen Treffen der 20. Division der SS in Sinimäe gab es kein Militärorchester und keine Vertreter des Verteidigungsministeriums. Distanziert sich der Staat von Euch?
- Ach was. Ansip ist unser Mann! Dass er in der kommunistischen Partei war, merkt man fast gar nicht.
- Ist es unbedingt nötig, dass Eure Sache von der Jugend unterstützt wird?
- Natürlich. Als wir die Fahne der Veteranen der 20. Division der SS erhielten, dann sagte ich: Der letzte von uns übergibt sie ins Museum. Jetzt sage ich: Die Fahne muss man an Jugend übergeben!
Faschismus im Stil casual
Wahrscheinlich konnte ein 16-jähriger Junge kaum Hitler helfen, auch wenn er ihm vom ganzen Herzen Treue geschworen hat - wie es nur ein Kind kann. Opfer des Krieges - doch kein Held! Vor dem Hintergrund seiner 83 1/2 Jahre, war das halbe Jahr Dienst in der SS, nur eine Episode, doch die Impfung wirkt irgendwarum das ganze Leben. Wenn zu ihnen, wie er, es Vorwürfe geben kann, dann nicht für die Vergangenheit. Doch für die Gegenwart. In den letzten 20 Jahren wurde mit Hilfe von Heino Kerde und seinen Kameraden der Faschismus etwas allgegenwärtiges. Etwas zärtliches, leichtes, mit Humor: mal hängt man in Tartu eine Swastika vom Balkon mit der Unterschrift "Kunstwerk", mal bauen die Mitarbeiter des Tallinner Stadtmuseums einen Stand, der einem berühmten Landsmann, dem Begründer der Rassentheorie, Alfred Rosenberg gewidmet ist… Schon seit zwei Jahren steht im Zentrum der Hauptstadt das hässliche gläserne Kreuz der Freiheit, es ist mit demselben Symbol verziert, den die Soldaten der 20. Grenadier Division der SS auf dem Ärmel trugen: Sie durften nicht an den Hemdkragen die klassischen SS-Runen anhängen, da sie nicht genügend "arisch" waren. Im Archiv, der in Händen der "Komsomolskaja Pravda" ist, gibt es eine Postkarte, aus der folgt, dass der Freiheitskreuz, der den estnischen Haushalt mit 8,5 Mio. Euro belastet hat, tatsächlich fast eine genaue Kopie eines anderen Kreuzes ist, unter dem man hohe Offiziere Hitlers beerdigte… Es gibt keinen Zweifel, dass die estnische Gesellschaft auch das schlucken wird.
Doch warum rufen alle diese SS-Versammlungen, Bücher, Filme und Medaillen keine Reaktion bei niemandem hervor, ausser in Russland und in Israel?
Es gibt hier zwei Gründe: zuerst haben die US- und europäischen Diplomaten, die in der Spalte "Demokratie" bei Estland ein Häkchen gesetzt haben, keine Lust das Tagebuch zurückzublättern, sie sind schon längs irgendwohin nach Libyen geflogen, um dort Revolutionen zu machen und die Akte ist schon im Archiv. Zweitens gibt es auf der Welt kaum Spezialisten für so eine seltene Sprache wie Estnisch, deshalb kann niemand lesen, welche Erinnerung über den Krieg in Estland Mainstream wurde.
Die einzigen, die in der Lage sind das alles zu verstehen und zu übersetzen, das sind die lokalen Russen. Deswegen gibt es auch den Konflikt, er ist nicht ethnisch, doch es geht um die Weltanschauung. Und man sollte meinen er bleibt ewig, bis ein Vermittler aus der EU, z.B. Deutschland, erzählt nicht den Esten, vor was sie Stalin gerettet hat.
Estland ist von der Schande davongekommen, ein Land zu sein, das Hitler unterstützte und im Zweiten Weltkrieg verlor (als Folge gäbe es Entnazifizierung und Entschädigungszahlungen), doch der Preis war der Verlust der eigenen Selbstständigkeit. Doch wenn man betont, dass die damalige Wahl bewusst getroffen wurde, dann sollte man zu diesen Fragen zurückkehren.
Die Autorin dankt der internationalen Menschenrechtsorganisation "Welt ohne Nazismus"
Der Archiv der Veteranen der Waffen-SS wurde veröffentlicht.
Wie der Korb mit den Papieren auf meinem Schreibtisch landete, kann ich nicht sagen. Noch. "Dank dem Mut der Leute, die unerkannt bleiben wollen", heisst es dann in den Zeitungen.
Der Mensch, dem diese Photos und Papiere gehörten, ist vor kurzem gestorben. Und die Koffer, die sein ganzes Leben enthielten, landeten auf der Müllhalde. Was da drin war? Der Archiv alles estnischen Organisationen der Veteranen der Waffen-SS.
Es stellte sich heraus, dass der estnische Opa, der ein Aktivist einer der 18! offiziell in Estland registrierten Organisationen der Veteranen war, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, für irgendwas alle diese Dokumente sammelte und kopierte, die ihm in die Hände kamen. Wahrscheinlich träumte er davon, dass die Geschichte des zweiten estnischen Staates, in dem diejenigen zu Helden wurden, die man in der zivilisierten Welt für Unmenschen halten würde, von nachfolgenden Generationen erforscht wird. Genau das tun wir.
Fehler im System
Dass der Archiv echt ist, wurde von Historikern zugleich bestätigt - die Protokolle der Sitzungen der Versammlungen der Veteranen und Photos von blonden Jungs in SS-Uniform sind ohne System gesammelt und genauso abgeheftet worden- Fälschungen würde man gewissenhafter anfertigen. Doch damit man die Unterlagen versteht, muss man das geschichtliche Konzept kennen, das in heutigem Estland für ein Dogma gehalten wird.
Also: Im Jahr 1940 wäre hier die erste Okkupation gewesen, die sowjetische, von der die Esten nur noch eine Erinnerung an Angst haben. Dann die deutsche, angenehm in jeder Beziehung - aus dieser Zeit erinnert man sich an die Konfekts, an die Erschiessungen will man sich irgendwarum nicht erinnern. Dann die zweite sowjetische Okkupation, die bis zum Jahr 1991 andauerte. Daraus folgt die Logik, die estnischen Veteranen der Wehrmacht als Helden darstellt - sie kämpften gegen Bolschewismus und für die Unabhängigkeit ihrer Heimat, nur in deutschen Uniformen. In allen offiziellen Dokumenten werden sie "Freiheitskämpfer" genannt.
Ein paar Details passen nicht in dieses Konzept, zum Beispiel, dass die Esten freiwillig zur SS gegangen sind, massenweise, zum Ende des Krieges 1944. Sie wussten wahrscheinlich über die jüdischen Ghettos und Gasöfen, sie sind trotzdem gegangen. Ihre erste Wahl könnte man einen Fehler nennen. Dass man 70 Jahre später diesen Fehler in Estland richtigstellen versucht, sagt, dass wir es hier mit einem System zu tun haben.
Blutgruppe auf der Schulter
Also, Archiv: Postkarten, mit Kinderschrift geschrieben ("Danke, dass ihr für die estnische Freiheit gekämpft habt"), ein Pack von Einladungen zu allen möglichen Versammlungen und Redenotizen, in denen folgendes steht: "Ich begrüße euch im Namen der Kameraden der 20. Division der SS! Uns verbindet der Kampf gegen den Bolschewismus während der Okkupation Estlands durch die Sowjetunion. Für unsere Division endete der Krieg in Tschechoslowakien, doch ein Großteil blieb in Estland, unter den Sowjets. Wir lebten weiter, doch nicht als verdiente Veteranen, doch als Faschisten, mit dem Blutgruppentattoo auf der Schulter. Die Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlaubte es den Kämpfern in der deutschen Armee eigene Organisationen zu erschaffen, Treffen abzuhalten, Erinnerungen zu publizieren. Trotz den Bemühungen aus dem Ausland, uns als Kriegsverbrecher anzuerkennen, hält uns die estnische Regierung für Leute, die für die estnische Freiheit gegen die sowjetische Okkupation kämpften. Wir stellen uns die Aufgabe die Geschichte der Division auferstehen zu lassen, unsere Rechte und Ziele zu verteidigen, für die wir gekämpft haben. Denn ausser uns wird es keiner tun." Hier irrt sich der Autor dieser Zeilen, der damalige Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS Karl Sirel: die estnischen Buchhandlungen sind auch ohne seine Hilfe vollgestopft mit ähnlichen Memoiren, denn das Thema SS wurde in Estland unerwartet zu einer der wichtigsten.
"Die Sache soll man bis zum EU-Eintritt lösen"
Sie haben wohl gedacht, dass die estnische Regierung sich dazu herablassend verhält, denkt, dass wäre ein Zeichen der Demenz? Durchaus nicht. Umgekehrt, alle drei letzten Premier-Minister trafen sich ganz offen mit den "Ehemaligen".
Den heutigen Verteidigungsminister Mart Laar, als er Vorsitzender der Regierung war, wollten die "Freiheitskämpfer" zwingen "eine Entschädigung für den Schaden von Russland, USA und Großbritannien für den Molotov-Ribbentrop und die Vereinbarung von Jalta zwischen Stalin - Roosevelt - Churchill zu verlangen". Laar war ehrlich: "Heute ist es unrealistisch Forderungen an USA oder Großbritannien zu stellen. Es gibt konkrete aussenpolitische Argumente, warum man es nicht tun sollte. Was die Entschädigung seitens Russland angeht: da prüfen wir".
Der nächste Premier, Juhan Parts, war auch gut dabei (aus dem Stenogramm seines Treffens mit den "Kämpfern" 2003):
"Parts: Ich habe keine Zeit, deswegen beantworte ich die nächsten drei Fragen schnell. Ein Memorial für die Kämpfer gegen die sowjetischen Armeen? Heino Kerde (der Vorsitzende der Vereinigung der Veteranen der 20. Grenadier Division der SS): Die Letten haben uns überholt. Ein imposantes Memorial. 11 000 Namen der Gefallenen in Granit. Wir haben nichts ähnliches. Parts: Heute diskutiert man in Europaparlament und in der Duma die Estland und Lettland-Frage. Enn Sarv (einer der Aktivisten der Organisation): Früher oder später sollte man Druck auf Europa ausüben, dass in der Realität unser Kampf 1944 ein zweiter Befreiungskrieg war, den wir verloren haben. Mit Faschismus gibt es nichts Gemeinsames… In der letzten Zeit hat man das Gefühl, dass wir diese Frage lösen können. Die Regierung, die das erreicht, wird die Dankbarkeit des gesamten estnischen Volkes verdienen. Parts: Die Sache sollte man bis zum Eintritt in EU lösen. Die Frage ist, wie man die nötige Anzahl der Stimmen im Parlament bekommt".
Zum Glück für die EU, wurde diese Frage nicht gelöst.
Und der heutige Premier Andrus Ansip, der Urheber des skandalösen Umzugs des Bronzenen Soldats, schrieb sogar den "Kämpfern" einen Brief (es war auch im Archiv): Ich möchte mich mit Euch treffen, um die Perspektiven für eine weitere Zusammenarbeit zu besprechen". Er macht aus seinen Treffen mit den "Ehemaligen" überhaupt kein Geheimnis. Diesen Winter hat er sich derart entspannt, dass er der Allgemeinheit mitteilte: "Ich bin euch dankbar, was ihr für das estnische Volk getan habt". Ich werde niemals müde zu erwähnen, dass zu Sowjetzeiten dieser Genosse in der Kommunistischen Partei gearbeitet hat.
Die Idee mit dem Umzug des Bronzenen Soldaten wurde wohl Ansip auch von den Ex-SS-Leuten eingeflüstert. Ihre erste Rede zu diesem Thema war schon 1996. Und ein Päckchen mit Fotos, die in verschiedenen Jahren am 9. Mai bei dem Denkmal von einem nicht gleichgültigen Photografen gemacht wurden, zeigt, dass die Situation um das Denkmal von den "Kämpfern" schon lange vor dem April 2007 beobachtet wurde.
Bonus fürs Leiden
Man muss sagen, dass nicht ohne die Hilfe der Regierung die "Ehemaligen" recht komfortables Leben führen. So hat das estnische Parlament 2005 ein Gesetz verabschiedet, laut dem ALLE Veteranen, die auf Seite der Deutschen gekämpft haben, als politisch repressierte anerkannt wurden! Sogar der einzige noch lebende estnischer Träger des Eisernen Ritterkreuzes Harald Nugiseks. Die Logik ist folgende: Warst du nach dem Krieg in Sibirien? Also hast du unter der Sowjetmacht gelitten, also bist du komplett rehabilitiert… Auf diese Weise haben sich die Listen der Repressierten, die Estland Anfang der 90-er der Welt präsentierte, um vom Genozid zu berichten, um 50 000 Leute vergrößert - durch die, die in der deutschen Armee dienten und laut dem Nürnberger Tribunal verurteilt wurden. Zählen wir mal nach: 1941 wurden ca. 10000 Esten deportiert, 1949 25 000. Doch in den Listen der Repressierten, die in Okkupationsmuseum hängen, sind es 87 000! Wie es aussieht zahlt man in Europa für die "Opfer des Kommunismus" proportional ihrer Anzahl…
Laut den Archivberichten haben die "Freiheitskämpfer" ihre Freude nicht versteckt: "In Parlament ist das Gesetz über die Repressierten durch das Okkupationsregime verabschiedet worden. Ganz besonders angenehm ist es, dass in diesem Gesetz Esten berücksichtigt werden, die in 20. Division SS mobilisiert wurden oder diejenigen, die freiwillig dorthin gegangen sind".
Diese "Annehmlichkeit" hatte, ausser dem moralischen, auch einen materiellen Gewinn. Laut dem Gesetz bekommen ALLE Repressierten eine erhöhte Rente. Aus dem Bericht über die Tätigkeit der Tallinner Vereinigung der Freiheitskämpfer 2003: "Wir haben direkte Kontakte mit dem Ministerium für Soziales aufgebaut. Das Ergebnis war eine 10% Erhöhung der Rente. Die Krankenkassen und Sozialhilfebehörde gaben den Kämpfern erste Sanatoriumaufenthalte im Gesundheitszentrum "Seli". Der Zusatz zu den Renten (10%), die vom Verteidigungsministerium und Ministerium für Soziales gemacht wurden, sollte man bis 60% erhöhen, oder eine jährliche Prämie ausgeben." Das heisst die "Kämpfer" bekommen Boni von drei Seiten: vom Staat, weil sie durch stalinistisches Regime repressiert wurden, von den Ländern in deren Uniform sie kämpften (Deutschland und Finnland) und Zusatzleistungen von speziellen Fonds, dafür, dass sie auf der "richtigen" Seite gekämpft haben. Das ist für das Leiden. Heldentaten werden getrennt bewertet: im Archiv ist ein ganzes Pack der Fragebögen der Anwärter auf Staatsorden. Ich ziehe per Zufall ein Blatt heraus: Eldor Jaanisoo. In der Spalte "Verdienste" steht schwarz auf weiss: "Dienst in der 20. Division SS".
Ich war nicht faul und ging auf die Seite des Präsidenten (www.president.ee). So ist es, 2002 hat dieser Veteran einen Orden aus den Händen des Präsidenten der Estnischen Republik bekommen - ein Adlerkreuz der 5. Stufe!
Staatsbudget als Staatsgarantie
Den "Kämpfern" direkt zu helfen hatte der Staat zuerst etwas Angst. Deswegen wurde folgende Pyramide erbaut: Das Geld aus dem Staatshaushalt wurde auf die Konten von drei Fonds überwiesen - Hilfsfonds für die Repressierten, Hilfe für die "Kämpfer" und Fonds "Der Verehrung der Kämpfer für die Freiheit Estlands". Die Geldeingänge (aus den Ministerien der Verteidigung und der Justiz) waren ungleichmäßig, mal wurden 5 Mio. Kronen (320 000 Euro) überwiesen, mal 10 mal weniger. Die gesamtrepublikanische "Union der Kämpfer für die Freiheit Estlands" verteilte das Geld ehrlich unter den anderen Organisationen. Noch eine Struktur - die Vereinigung der Veteranen der 20. Division SS - war ein Sonderfall. Einsehend, dass die Abkürzung SS überall auf der Welt, ausser in Estland einen schlechten Ruf hat, unterstreichte die Regierung, dass sie keinesfalls mit der Organisation der SS-Versammlungen in Sinimäe verbunden ist. Doch die Kontoauszüge, die unser SS-Opa gesammelt hat, sprechen eine andere Sprache: das Verteidigungsministerium Estlands überwies regelmäßig Geld genau auf das Konto der Vereinigung der 20. Division der SS!
Es sieht so aus, dass die Steuerzahler, ein Drittel derer aus den Leuten besteht, die eine komplett entgegengesetzte Sicht auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges haben - Russen, Weissrussen, Ukrainer - all die Jahre Versammlungen derer bezahlt haben, die sie besiegten.
Druzhba - Freundschaft
Das ist doch ein internationaler Skandal, sagen Sie, man sollte schleunigst darüber in Europa berichten!
Keine Sorge. Europa ist schon hier. Sie ist immer mit uns. Hier ist die Liste der deutschen Staatsbürger, die "Union der Kämpfer für die Freiheit" mit Ehrenabzeichen ehrte: persönliche Sponsoren Günter von Maidel und Heinz Peterson, aber auch ein gewisser Georg Diers, ein Vertreter der Vereinigung der Veteranen des Steiner Korps aus Deutschland, BEVOLLMÄCHTIGTER Estlands… Wie soll man das verstehen?
"Korps Steiner" zu dem die 20. Grenadier Division SS gehörte, führte die Blockade von Leningrad durch und wurde dann bei Narva zerschlagen. Doch sein Kommandeur, der Obergruppenführer Felix Steiner überlebte das Ende des Krieges, war in Gefangenschaft und hinterliess sogar Memoiren, dass die "grünen" (Waffen) Teile der SS - das sind sehr gute und friedliche SS, im Gegensatz zu den "schwarzen".
Wie es aussieht sind Ideen von Steiner nach wie vor lebendig, 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: ein ganzer Stapel von Zeitschriften, die in Deutschland herausgegeben wurden, wurden in der Wohnung des Bewahrers der SS-Geheimnisse aufbewahrt, sie beleuchten den Kampf der Veteranen um ihre Vergangenheit.
In den Briefen, die auf den Briefbögen der "Kriegskameradschaft ehemaliger europäischen Freiwilligen" gedruckt wurden, die der "estnische Bevollmächtigte" Georg Diers seinen estnischen "Kameraden" schickte, steht geschrieben, dass "diese Legionäre tapfer in der dritten europäischen Panzerdivision von General Steiner gekämpft haben und grosse Verluste davontrugen. Jetzt kann die Erinnerung an sie auf einem historischen Platz verewigt werden, die an unsere Kampfgenossen erinnert wird, die im Namen der Gerechtigkeit gefallen sind" (Die Rede ist über den Bau des Memorials, für das der Korps Steiners ein Drittel des Geldes überwiesen hat)
Einige Briefe zeigen den internationalen Charakter der ex-SS Organisationen: es stellt sich heraus, dass es ein Weltzentrum der Freiheitskämpfer gibt, das die aus Estland geflüchteten SS-Leute vereinigt, es wurde 1960 in New York registriert und vereinigte 17 verschiedene Vereinigungen: 2 in Australien, 9 in USA, 4 in Kanada, je eins in Schweden und Großbritannien. Die Programme dieser Organisationen durchzulesen ist nichts für die Leute mit schwachen Nerven. "Wir fordern, dass die Vertreter der slawischen Völker, die von Okkupanten nach Estland eingeführt wurden, rausgeschmissen werden" - schreiben in Übereinstimmung mit der Rassentheorie die Grossväter, die in einer besseren Welt lebten und sich auf dem Übergang in die ewigen Jagdgründe befanden.
Übersetzungsschwierigkeiten
In Australien leben Känguru, in Südafrika Pinguine, in Estland lebende SS-Leute. Die Population verkleinert sich natürlich, doch ist sie sehr kämpferisch. Unter der Mehrheit der Papiere aus diesem Archiv steht die Unterschrift von Heino Kerde, dem jetzigen Vorsitzenden der Vereinigung der Veteranen des 20. Grenadier Division der SS. Durch Zufall kennen wir uns - haben uns mehrmals während SS-Versammlungen getroffen. Ich fahre zu ihm auf die Insel Hiiumaa, mich auf einen Kampf vorbereitend, doch der Himmel selbst schickt mir auf meinem Weg freundliche Esten, solche, die wir immer geliebt haben - ruhig, arbeitsliebend, ausgeglichen. Alle, ohne Ausnahme, demonstrieren maximale Freundschaft zu Russland und Russen, so dass im Gehirn ein unlösbares Paradox entsteht: wie passt in ihren Köpfen die Sympathie zu uns und zum Dritten Reich? Und wie passt es in unsere Köpfe: absolute Liebe zu Estland als zu einem Land und hundertprozentiger Liebesentzug an den Staat, der die Geschichte bezahlt, die komplett verdreht ist? Im Zentrum der Hauptstadt der Insel , in der Stadt Kärdla, wächst wie ein Steinpilz der sowjetische steinerne Soldat "Kivi Jüri". Die Geschichte, warum man ihn nicht zusammen mit dem Tallinner Bronzenen Soldaten wegschaffte ist fast so irreal, wie das Leben von Heino Kerde, der als Freiwilliger in die 20. Division der SS ging, als er 16 Jahre alt war. Die Sache ist so, dass der SS-Mann Kerde den steinernen Soldaten Jüri gerettet hat. Als Inspektor der Gesellschaft für den Erhalt der Denkmäler machte er ein Vermerk, dass das Monument einen künstlerischen Wert darstellt. Hat sich der Meinung der Inselbewohner unterworfen, normale Leute hatten kein Problem mit dem steinernen Soldaten.
- Das heisst Sie hatten keine Gründe für persönliche Rache an den Russen?
- Für die Rache, nein. Doch dem Vater, einem ehemaligen Offizier der estnischen Armee, gab man keine Arbeit, ich denke das ist schon Repression. Er kam in die Rote Armee und kämpfte in Schützenkorps. Und bekam sogar den Roten-Stern-Orden.
- Das heisst ihr kämpftet gegeneinander?
- Woher sollte ich wissen, dass er dort war? Doch der Vater spielte keine Rolle, dass der Premier-Minister Jüri Uluots die Esten aufrief, die Heimat zu verteidigen, das war wichtig!
- Doch haben sie 1944 schon gewusst, wer Hitler ist. Wie konnten sie die Uniform der deutschen Armee anziehen?
- Die Deutschen haben menschlich besser gehandelt, als die Russen. Sie liessen uns die estnische Fahne, die Hymne und gaben das Wort, dass wenn wir bis zum Ende kämpfen würden, geben sie uns die Republik zurück. Die Russen haben das nicht getan.
- Ich wollte Sie schon immer fragen: Ihr wurden 1944 bei Sinimäe geschlagen, warum versammelt ihr euch ausgerechnet dort?
- Wir halten das nicht für eine Niederlage, weil wir die russischen Armeen aufhielten. Die Frontlinie stand drei Monate. Als die Roten Tallinn eingenommen haben, gingen fünf tausend nach Deutschland, zehn tausend blieben hier. Sie waren Optimisten, ich war unter ihnen. Ich wurde zum "Waldbruder". Dann haben die Freunde die Möglichkeit gefunden, Dokumente zu kaufen.
- Das heisst Sie haben keine Bestrafung durch die Sowjetmacht erfahren, weil Sie auf Seite des Feindes gekämpft haben?
- Ich war 17 Jahre alt - sie suchten nicht unter Jungen. Das Tattoo auf der Hand, wie bei allen in SS, wurde wegoperiert. Ich beendete das Polytechnikum, wurde zum Ingenieur, Leiter der staatlichen Baubehörde.
- Die Veteranen aus Deutschland helfen Ihnen?
- Früher haben sie viel geholfen. Jetzt fast gar nicht, weil es sie fast gar nicht mehr gibt. In den ersten Jahren haben wir vom Staat keine Mittel bekommen. Nur die deutschen Kameraden, mit denen wir gekämpft haben, haben was gegeben - mit diesem Geld fing die Organisation an.
- Beim letztjährigen Treffen der 20. Division der SS in Sinimäe gab es kein Militärorchester und keine Vertreter des Verteidigungsministeriums. Distanziert sich der Staat von Euch?
- Ach was. Ansip ist unser Mann! Dass er in der kommunistischen Partei war, merkt man fast gar nicht.
- Ist es unbedingt nötig, dass Eure Sache von der Jugend unterstützt wird?
- Natürlich. Als wir die Fahne der Veteranen der 20. Division der SS erhielten, dann sagte ich: Der letzte von uns übergibt sie ins Museum. Jetzt sage ich: Die Fahne muss man an Jugend übergeben!
Faschismus im Stil casual
Wahrscheinlich konnte ein 16-jähriger Junge kaum Hitler helfen, auch wenn er ihm vom ganzen Herzen Treue geschworen hat - wie es nur ein Kind kann. Opfer des Krieges - doch kein Held! Vor dem Hintergrund seiner 83 1/2 Jahre, war das halbe Jahr Dienst in der SS, nur eine Episode, doch die Impfung wirkt irgendwarum das ganze Leben. Wenn zu ihnen, wie er, es Vorwürfe geben kann, dann nicht für die Vergangenheit. Doch für die Gegenwart. In den letzten 20 Jahren wurde mit Hilfe von Heino Kerde und seinen Kameraden der Faschismus etwas allgegenwärtiges. Etwas zärtliches, leichtes, mit Humor: mal hängt man in Tartu eine Swastika vom Balkon mit der Unterschrift "Kunstwerk", mal bauen die Mitarbeiter des Tallinner Stadtmuseums einen Stand, der einem berühmten Landsmann, dem Begründer der Rassentheorie, Alfred Rosenberg gewidmet ist… Schon seit zwei Jahren steht im Zentrum der Hauptstadt das hässliche gläserne Kreuz der Freiheit, es ist mit demselben Symbol verziert, den die Soldaten der 20. Grenadier Division der SS auf dem Ärmel trugen: Sie durften nicht an den Hemdkragen die klassischen SS-Runen anhängen, da sie nicht genügend "arisch" waren. Im Archiv, der in Händen der "Komsomolskaja Pravda" ist, gibt es eine Postkarte, aus der folgt, dass der Freiheitskreuz, der den estnischen Haushalt mit 8,5 Mio. Euro belastet hat, tatsächlich fast eine genaue Kopie eines anderen Kreuzes ist, unter dem man hohe Offiziere Hitlers beerdigte… Es gibt keinen Zweifel, dass die estnische Gesellschaft auch das schlucken wird.
Doch warum rufen alle diese SS-Versammlungen, Bücher, Filme und Medaillen keine Reaktion bei niemandem hervor, ausser in Russland und in Israel?
Es gibt hier zwei Gründe: zuerst haben die US- und europäischen Diplomaten, die in der Spalte "Demokratie" bei Estland ein Häkchen gesetzt haben, keine Lust das Tagebuch zurückzublättern, sie sind schon längs irgendwohin nach Libyen geflogen, um dort Revolutionen zu machen und die Akte ist schon im Archiv. Zweitens gibt es auf der Welt kaum Spezialisten für so eine seltene Sprache wie Estnisch, deshalb kann niemand lesen, welche Erinnerung über den Krieg in Estland Mainstream wurde.
Die einzigen, die in der Lage sind das alles zu verstehen und zu übersetzen, das sind die lokalen Russen. Deswegen gibt es auch den Konflikt, er ist nicht ethnisch, doch es geht um die Weltanschauung. Und man sollte meinen er bleibt ewig, bis ein Vermittler aus der EU, z.B. Deutschland, erzählt nicht den Esten, vor was sie Stalin gerettet hat.
Estland ist von der Schande davongekommen, ein Land zu sein, das Hitler unterstützte und im Zweiten Weltkrieg verlor (als Folge gäbe es Entnazifizierung und Entschädigungszahlungen), doch der Preis war der Verlust der eigenen Selbstständigkeit. Doch wenn man betont, dass die damalige Wahl bewusst getroffen wurde, dann sollte man zu diesen Fragen zurückkehren.
Die Autorin dankt der internationalen Menschenrechtsorganisation "Welt ohne Nazismus"
Dienstag, Juli 12, 2011
Ruhe in Frieden Klaus Dornemann
am 06.07 ist in Estland mein guter Freund Klaus Dornemann gestorben. Klaus war einer der interessantesten Leute, die ich jemals kennengelernt habe, er war sicherlich unbequem, streitlustig, hielt sich mit seiner Meinung nie hinterm Berg, aber genau durch diese Charakterzüge hat er viel in seinem Leben erreicht und viele Freunde und einige Feinde gewonnen.
Klaus-Georg Dornemann ist 1942 in Breslau geboren, die Familie flüchtete 1945 nach Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Der Vater war Militärpilot im 2. Weltkrieg, dass war wohl in DDR nicht gern gesehen, deswegen flüchtete die Familie ein zweites Mal 1953 nach Westen. 1956 kam der Vater zu der neugegründeten Bundeswehr und die Familie zog nach Borken/Westfalen. Nach den Schule trat Klaus als "vorzeitig Dienender" in die Bundeswehr ein, besuchte die Heeresoffizierschule II in Hamburg und erreichte den Dienstgrad Hauptmann. Er lernte und studierte Flugzeugbau, ging aber zurück zur Bundeswehr, wo er bei der Bundeswehrverwaltung gearbeitet hat. Am 30. Juli 1966 heiratet er Lydia und hat mir ihr zwei Söhne Christoph und Lukas.
Neben seinem Beruf organisierte Klaus 35 Jahre lang Ferienlager an der holländischen Insel Ameland und fünf internationale Jugendbegegnungen zur Völkerverständigung in ganz Europa. Er wurde vom Dienst freigestellt und leistete beim Roten Kreuz Hilfseinsätze in Uganda, Sudan, Libanon, Eritrea, Armenien, beim Malteser Hilfsdienst war er im Rahmen "Hilfe für Sowjetunion" beim Einsatz in der Ukraine, für die Johanniter war er in Sarajewo, Tuzla, Kosovo und Kroatien.
1992 arbeitete er beim Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit im Referat "Psychiatrische Versorgung", baute die psychiatrische Versorgung im Land auf. Daneben sammelte er Mittel für Projekte im Ausland, wie das Krankenhaus im Ruanda, oder das "offene Haus für Behinderte" in Kroatien, das das erste seiner Art war.
2002 wurde Klaus nach Estland versetzt, um mit dortigen Behörden und Wirtschaftsunternehmen öffentliche, wie wirtschaftliche Projekte zu versuchen. Unter anderem organisierte er dort kirchliche Freizeiten für Jugendliche und hatte ein Lehramt an der Tallinner Universität.
Ich hörte zum ersten Mal von Klaus 2007 nach den Bronzenen Nächten. Er war einer, der Opfer der estnischen Polizeikräfte, die in Terminal D beim Tallinner Fährhafen eingesperrt und misshandelt wurden. Am nächsten Tag veröffentlichte die finnische Zeitung Italehti Bilder von Klaus und seinem Sohn Lukas, die zu einem Symbol für die Willkür der estnischen Polizei wurden. Ich habe die Verwandte von Klaus in Deutschland ausfindig gemacht und schrieb ihm eine Mail. Er schickte mir seinen Artikel "Polizeigewahrsam", der auch veröffentlicht wurde und dem deutschsprachigen Europa zeigte, was in Estland wirklich geschehen war. Seit diesen Nächten engagierte sich Klaus für die russisch-sprachige Minderheit in Estland, aber auch für die Meinungsfreiheit und Demokratie in Estland. Er schrieb Briefe an alle wichtigen Amtsträger in Estland und im Ausland, gab unzählige Interviews. Ausserdem wurde er Mitglied von Notchnoj Dozor, der Organization, die den Bronzenen Soldaten beschützte. Er nahm an vielen Akten des Protestes teil und berichtete darüber.
Doch es gab nur wenige politische Amtsträger, die überhaupt reagierten. Eine davon war der damalige Mitglied des Europaparlaments Sahra Wagenknecht, die nach Estland kam, um sich den Verlauf des Gerichtsprozesses gegen die sogenannten Bronzenen Vier, Dimitrij Linter, Dmitrlk Klenskij, Maksim Reva und Mark Syrik sich anzuschauen. Klaus war bei jeder Verhandlung dabei und schickte mir seine Berichte, die ich dann veröffentlichte. Bei anderen Amtsträgern, besonders bei den estnischen, stiessen seine Anklagen auf taube Ohren. Die Untersuchungen der Gewaltexzesse der Polizei während der Bronzenen Nächte wurden eingestellt, da "nicht festgestellt werden konnte, wer denn auf die wehrlosen Gefangenen des Terminals D einprügelte". Doch ganz wurde Klaus und Notchnoj Dozor von den estnischen Behörden nicht vergessen. Die KAPO hatte immer ein Auge auf die Aktivitäten von Notchnoj Dozor, was Klaus einmal zur Bemerkung veranlasste: "Er fürchte weder Tod noch Teufel, aber von der estnischen Polizei und der estnischen Justiz habe ich Angst."
Politisch gesehen war Klaus nie ein Kommunist, was ihm manche vorgeworfen haben. Im Gegenteil, er sagte öfters, dass es die schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte Hitler, Stalin und Mao gewesen sind, in aufsteigender Reihenfolge. Sein Kampf war immer für das europäische Verständnis von Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte. Obwohl er oft genug Esten das fehlende Verständnis für diese Grundwerte vorwarf, ging er auch oft mit der russischen Minderheit hart ins Gericht und sagte ihnen offen, was sie seiner Meinung nach falsch machen. Mit seiner offenen und geradelinigen Art schuff er sich nicht nur Freunde, viele kamen mit dieser Art nicht klar. Doch wer sein Vertrauen gewonnen hat, konnte immer auf ihn zählen.
2009 habe ich Klaus persönlich kennengelernt. Wir haben uns an der Stelle verstanden und seitdem immer wenn ich nach Estland kam, war ich bei ihm eingeladen. Klaus hatte immer Projekte, Ideen, er war voller Tatendrang. Sein Traum war es in Estland ein Business aufzubauen, der hunderte Arbeitsplätze sichern würde, doch stiess er immer wieder auf Ignoranz und Unverständnis seitens Behörden und Investoren. So erklärte der Bürgermeister von Paldiski "seine Stadt bräuchte keine Arbeitsplätze". Ausserdem arbeitete er an zwei Büchern zur estnischen Sprache und Geschichte.
Das letzte Mal besuchte ich Klaus im Krankenhaus im März diesen Jahres. Er klagte, dass es ihm nicht so gut gehe, er bekam einen Bypass in seinem Bein, doch spüre er immer noch Schmerzen. Doch es war sein letzter Tag im Krankenhaus und er freute sich schon darauf, wieder zu seinen Projekten zurückkehren zu können. Als ich ihm ein Osterei mit Süssigkeiten ins Krankenhaus brachte, beschwerte er sich, dass kein Schnaps dort enthalten ist. Das war sein herzlicher Humor.
Die Nachricht von seinem Tod kam doch sehr unerwartet. Über eine Nachrichtenseite erfuhr ich, dass seine Freunde von Notchnoj Dozor, besonders Sergej Tydiyakov ihm den letzten Geleit geben werden, Klaus wird auf einem Tallinner Friedhof beerdigt sein.
Ruhe in Frieden, Klaus,
Klaus und Notchnoj Dozor
Bei einer Protestaktion in Terminal D
Nach den Bronzenen Nächten
Klaus Dornemann 1942 - 2011
Artikel von und über Klaus in diesem Blog:
Was geschah im Terminal D des Tallinner Hafens
Polizeigewahrsam
Was folgt auf Terminal D
Der Prozess
Aus dem Gerichtssaal
Jahrestag der Bronzenen Nächte
Bericht von Herr Dornemann über 26. April
Bericht zu Demonstration am 27.04
Ein Protestschreiben und eine Antwort
Freispruch
Februarreport von Hr. Dornemann
Russen und ihre Glaubwürdigkeit nach den Kommunalwahlen
Klaus-Georg Dornemann ist 1942 in Breslau geboren, die Familie flüchtete 1945 nach Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Der Vater war Militärpilot im 2. Weltkrieg, dass war wohl in DDR nicht gern gesehen, deswegen flüchtete die Familie ein zweites Mal 1953 nach Westen. 1956 kam der Vater zu der neugegründeten Bundeswehr und die Familie zog nach Borken/Westfalen. Nach den Schule trat Klaus als "vorzeitig Dienender" in die Bundeswehr ein, besuchte die Heeresoffizierschule II in Hamburg und erreichte den Dienstgrad Hauptmann. Er lernte und studierte Flugzeugbau, ging aber zurück zur Bundeswehr, wo er bei der Bundeswehrverwaltung gearbeitet hat. Am 30. Juli 1966 heiratet er Lydia und hat mir ihr zwei Söhne Christoph und Lukas.
Neben seinem Beruf organisierte Klaus 35 Jahre lang Ferienlager an der holländischen Insel Ameland und fünf internationale Jugendbegegnungen zur Völkerverständigung in ganz Europa. Er wurde vom Dienst freigestellt und leistete beim Roten Kreuz Hilfseinsätze in Uganda, Sudan, Libanon, Eritrea, Armenien, beim Malteser Hilfsdienst war er im Rahmen "Hilfe für Sowjetunion" beim Einsatz in der Ukraine, für die Johanniter war er in Sarajewo, Tuzla, Kosovo und Kroatien.
1992 arbeitete er beim Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit im Referat "Psychiatrische Versorgung", baute die psychiatrische Versorgung im Land auf. Daneben sammelte er Mittel für Projekte im Ausland, wie das Krankenhaus im Ruanda, oder das "offene Haus für Behinderte" in Kroatien, das das erste seiner Art war.
2002 wurde Klaus nach Estland versetzt, um mit dortigen Behörden und Wirtschaftsunternehmen öffentliche, wie wirtschaftliche Projekte zu versuchen. Unter anderem organisierte er dort kirchliche Freizeiten für Jugendliche und hatte ein Lehramt an der Tallinner Universität.
Ich hörte zum ersten Mal von Klaus 2007 nach den Bronzenen Nächten. Er war einer, der Opfer der estnischen Polizeikräfte, die in Terminal D beim Tallinner Fährhafen eingesperrt und misshandelt wurden. Am nächsten Tag veröffentlichte die finnische Zeitung Italehti Bilder von Klaus und seinem Sohn Lukas, die zu einem Symbol für die Willkür der estnischen Polizei wurden. Ich habe die Verwandte von Klaus in Deutschland ausfindig gemacht und schrieb ihm eine Mail. Er schickte mir seinen Artikel "Polizeigewahrsam", der auch veröffentlicht wurde und dem deutschsprachigen Europa zeigte, was in Estland wirklich geschehen war. Seit diesen Nächten engagierte sich Klaus für die russisch-sprachige Minderheit in Estland, aber auch für die Meinungsfreiheit und Demokratie in Estland. Er schrieb Briefe an alle wichtigen Amtsträger in Estland und im Ausland, gab unzählige Interviews. Ausserdem wurde er Mitglied von Notchnoj Dozor, der Organization, die den Bronzenen Soldaten beschützte. Er nahm an vielen Akten des Protestes teil und berichtete darüber.
Doch es gab nur wenige politische Amtsträger, die überhaupt reagierten. Eine davon war der damalige Mitglied des Europaparlaments Sahra Wagenknecht, die nach Estland kam, um sich den Verlauf des Gerichtsprozesses gegen die sogenannten Bronzenen Vier, Dimitrij Linter, Dmitrlk Klenskij, Maksim Reva und Mark Syrik sich anzuschauen. Klaus war bei jeder Verhandlung dabei und schickte mir seine Berichte, die ich dann veröffentlichte. Bei anderen Amtsträgern, besonders bei den estnischen, stiessen seine Anklagen auf taube Ohren. Die Untersuchungen der Gewaltexzesse der Polizei während der Bronzenen Nächte wurden eingestellt, da "nicht festgestellt werden konnte, wer denn auf die wehrlosen Gefangenen des Terminals D einprügelte". Doch ganz wurde Klaus und Notchnoj Dozor von den estnischen Behörden nicht vergessen. Die KAPO hatte immer ein Auge auf die Aktivitäten von Notchnoj Dozor, was Klaus einmal zur Bemerkung veranlasste: "Er fürchte weder Tod noch Teufel, aber von der estnischen Polizei und der estnischen Justiz habe ich Angst."
Politisch gesehen war Klaus nie ein Kommunist, was ihm manche vorgeworfen haben. Im Gegenteil, er sagte öfters, dass es die schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte Hitler, Stalin und Mao gewesen sind, in aufsteigender Reihenfolge. Sein Kampf war immer für das europäische Verständnis von Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte. Obwohl er oft genug Esten das fehlende Verständnis für diese Grundwerte vorwarf, ging er auch oft mit der russischen Minderheit hart ins Gericht und sagte ihnen offen, was sie seiner Meinung nach falsch machen. Mit seiner offenen und geradelinigen Art schuff er sich nicht nur Freunde, viele kamen mit dieser Art nicht klar. Doch wer sein Vertrauen gewonnen hat, konnte immer auf ihn zählen.
2009 habe ich Klaus persönlich kennengelernt. Wir haben uns an der Stelle verstanden und seitdem immer wenn ich nach Estland kam, war ich bei ihm eingeladen. Klaus hatte immer Projekte, Ideen, er war voller Tatendrang. Sein Traum war es in Estland ein Business aufzubauen, der hunderte Arbeitsplätze sichern würde, doch stiess er immer wieder auf Ignoranz und Unverständnis seitens Behörden und Investoren. So erklärte der Bürgermeister von Paldiski "seine Stadt bräuchte keine Arbeitsplätze". Ausserdem arbeitete er an zwei Büchern zur estnischen Sprache und Geschichte.
Das letzte Mal besuchte ich Klaus im Krankenhaus im März diesen Jahres. Er klagte, dass es ihm nicht so gut gehe, er bekam einen Bypass in seinem Bein, doch spüre er immer noch Schmerzen. Doch es war sein letzter Tag im Krankenhaus und er freute sich schon darauf, wieder zu seinen Projekten zurückkehren zu können. Als ich ihm ein Osterei mit Süssigkeiten ins Krankenhaus brachte, beschwerte er sich, dass kein Schnaps dort enthalten ist. Das war sein herzlicher Humor.
Die Nachricht von seinem Tod kam doch sehr unerwartet. Über eine Nachrichtenseite erfuhr ich, dass seine Freunde von Notchnoj Dozor, besonders Sergej Tydiyakov ihm den letzten Geleit geben werden, Klaus wird auf einem Tallinner Friedhof beerdigt sein.
Ruhe in Frieden, Klaus,
Klaus und Notchnoj Dozor
Bei einer Protestaktion in Terminal D
Nach den Bronzenen Nächten
Klaus Dornemann 1942 - 2011
Artikel von und über Klaus in diesem Blog:
Was geschah im Terminal D des Tallinner Hafens
Polizeigewahrsam
Was folgt auf Terminal D
Der Prozess
Aus dem Gerichtssaal
Jahrestag der Bronzenen Nächte
Bericht von Herr Dornemann über 26. April
Bericht zu Demonstration am 27.04
Ein Protestschreiben und eine Antwort
Freispruch
Februarreport von Hr. Dornemann
Russen und ihre Glaubwürdigkeit nach den Kommunalwahlen
Freitag, Juli 08, 2011
Feier zum 70-jährigen Beginn der Nazi-Okkupation Viljandis
Heute feierte eine Organisation namens Eesti Sõjameeste Sakala Ühing den Beginn der nazistischen Besatzung der Stadt Viljandi vor 70 Jahren. Das ist keine Trauerfeier, sondern ein freudiges Ereignis in der Stadtgeschichte. Als Begründung wird von der Organisatorin Jaanika Kressa aufgeführt, dass die Deutschen Estland von dem Regime rettete, das mehr als 10 000 Leute nach Sibirien geschickt hat. Die Zeitung Sakala berichtet über das Ereignis. Der Stadtrat, der von der nicht ganz alltäglichen Koalition aus IRL, Reformpartei und Zentristen beherrscht wird, hatte offenbar nichts dagegen.
Der Leiter des Stadtmuseums von Viljandi Jaak Pihlak sagte der Zeitung, dass für die Esten nach dem Beginn der deutschen Okkupation die Situation sich normalisierte. im Vergleich zu der sowjetischen Besatzung waren die Jahre unter der deutschen Besatzung viel angenehmer.
Etwas anderes schreibt dieselbe Zeitung Sakala im Jahr 2006: "Bevor die Juden ihr Leben verlieren sollten, mussten sie ihre Würde verlieren. Am 31. Juli hat der Stadtrat von Viljandi beschlossen, dass die Juden den Davidstern auf der rechten Brust tragen müssen, 5 cm gross. Die Aufsicht wurde von der Polizei und Polizeihelfern durchgeführt. Den Juden wurde verboten öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, auf den Fussgängersteigen zu gehen, öffentliche Plätze aufzusuchen und vieles andere mehr. Sofort nachdem die Deutschen ankamen, wurden die Polizisten und Freiwilligenverband (Omakaitse?) versammelt, alle Juden wurden verhaftet. Sie wurden in die Gefängniskammer des Polizeigebäudes und ins Gefängnis gesteckt. Die Räume waren mit Leuten überfüllt.
Die Männer wurden bald erschossen. Einer Nacht wurde allen Frauen und Kindern, manche hatten Babies, befohlen in Gefängnishof rauszugehen, wo ein LKW auf sie wartete. Den Gefangenen wurde befohlen Kleidung und Schuhe auszuziehen und Schmuck abzugeben. Das schlimmste erwartend, fingen die Gefangenen an um Hilfe zu rufen. Von Erniedrigungen der Wächter begleitet, hat sich der Todeszug auf den letzten Weg begeben. Das gemeinsame Grab war schon bereit.
Die Henker hatten genügend Mitgefühl, so dass die Mütter und Erwachsenen als erste getötet wurde, weil das Herz der Mutter nicht die Tötung des Kindes aushalten würde. Danach tötete man die Kinder. Da die Babies nicht stehen konnten, warf sie ein Henker in die Luft, der andere schon auf ihn.
Die jüdische Gemeinde Estlands hat scharfen Protest gegen die Feiererlichkeit ausgesprochen. Es ist ausgesprochen zynisch zu beurteilen, welcher Okkupationregime "besser" gewesen sei. Ausserdem wurde das Naziregime als verbrechering von einem internationalen Tribunal eingestuft.
Der Leiter des Stadtmuseums von Viljandi Jaak Pihlak sagte der Zeitung, dass für die Esten nach dem Beginn der deutschen Okkupation die Situation sich normalisierte. im Vergleich zu der sowjetischen Besatzung waren die Jahre unter der deutschen Besatzung viel angenehmer.
Etwas anderes schreibt dieselbe Zeitung Sakala im Jahr 2006: "Bevor die Juden ihr Leben verlieren sollten, mussten sie ihre Würde verlieren. Am 31. Juli hat der Stadtrat von Viljandi beschlossen, dass die Juden den Davidstern auf der rechten Brust tragen müssen, 5 cm gross. Die Aufsicht wurde von der Polizei und Polizeihelfern durchgeführt. Den Juden wurde verboten öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, auf den Fussgängersteigen zu gehen, öffentliche Plätze aufzusuchen und vieles andere mehr. Sofort nachdem die Deutschen ankamen, wurden die Polizisten und Freiwilligenverband (Omakaitse?) versammelt, alle Juden wurden verhaftet. Sie wurden in die Gefängniskammer des Polizeigebäudes und ins Gefängnis gesteckt. Die Räume waren mit Leuten überfüllt.
Die Männer wurden bald erschossen. Einer Nacht wurde allen Frauen und Kindern, manche hatten Babies, befohlen in Gefängnishof rauszugehen, wo ein LKW auf sie wartete. Den Gefangenen wurde befohlen Kleidung und Schuhe auszuziehen und Schmuck abzugeben. Das schlimmste erwartend, fingen die Gefangenen an um Hilfe zu rufen. Von Erniedrigungen der Wächter begleitet, hat sich der Todeszug auf den letzten Weg begeben. Das gemeinsame Grab war schon bereit.
Die Henker hatten genügend Mitgefühl, so dass die Mütter und Erwachsenen als erste getötet wurde, weil das Herz der Mutter nicht die Tötung des Kindes aushalten würde. Danach tötete man die Kinder. Da die Babies nicht stehen konnten, warf sie ein Henker in die Luft, der andere schon auf ihn.
Die jüdische Gemeinde Estlands hat scharfen Protest gegen die Feiererlichkeit ausgesprochen. Es ist ausgesprochen zynisch zu beurteilen, welcher Okkupationregime "besser" gewesen sei. Ausserdem wurde das Naziregime als verbrechering von einem internationalen Tribunal eingestuft.
Donnerstag, Juli 07, 2011
Über das Sängerfest in heutiger Form
Als eine Veranstaltung im Rahmen von Tallinn als europäische Kulturhauptstadt 2011 wurde das XI Sängerfest der Jugend ausgerichtet. Begeisterten Berichten von deutschen Bloggern (1, 2, 3) nach kamen zehntausende SängerInnen und ZuschauerInnen zusammen, um zusammen zu singen und zu feiern. Von ergreifenen Momenten wurde berichtet, einer Kommentatorin stiegen sogar die Tränen in die Augen vor Rührung, als das Lied Mis Maa See On? (Was für Land ist das?) von Chören und Zuschauern angestimmt wurde. Also Friede, Freude, Eierkuchen?
Einer Umfrage der russisch-sprachigen Seite des Nachrichtenportals Delfi zufolge interessierte sich eine verschwindend geringe Minderheit (42 von 324 Stimmen) der russisch-sprachigen Einwohnern Estlands für das Sängerfest, wobei es quasi vor den Türen der Russen-Hochburg Lasnamäe stattfand. Die am häufigsten angeklickte Begründung war: "Das ist ein Fest für die Esten - Russen sind da fehl am Platz". Eigentlich komisch, denn Russen haben nichts gegen volkstümliche Chorlieder und es gibt durchaus russische Chöre in Estland. Nur gilt schon seit Jahren die Regel, dass nur estnisch-sprachige Lieder gesungen werden dürfen, wenn russischer Chor auftreten möchte, bitte schön, aber nur auf Estnisch, selbst Finnisch oder Englisch sind nicht erlaubt. Es ist ein nationales Fest, gegründet, um die estnische Identität zu wahren, also sind alle anderen Kultureinflüsse unerwünscht. Es gab Zeiten, da war es noch anders, die heutige Muschel des Sängerfestes wurde 1957-1960 erbaut und der grosse Dirigent Gustav Ernesaks dirigierte "Mu isamaa on minu arm" für alle und alle sangen mit, Russen und Esten.
Das Sängerfest fand in Estland zum ersten Mal 1869 statt und trug zur nationalen Selbstbestimmung bei. Bei den ersten Festen waren die meisten Lieder finnisch oder deutsch, erst im 20. Jahrhundert waren genügend Lieder auf estnisch geschrieben, so dass die häufigste Sprache, in der die Lieder vorgetragen wurden, Estnisch war. Schaut man was in dieser Zeit in Deutschland passierte, so fällt einem das Hambacher Fest 1832 ein, wo die Studentenburschenschaften als liberal und progressiv wirketen, weil sie vereintes Deutschland, Freiheit und Demokratie forderten. Heute, da alle ihre Forderungen erfüllt wurden, gelten Studentenburschenschaften als progressiv, wenn sie Zivis als Mitglieder aufnehmen. Unter einem ähnlichen Winkel kann man auch das Sängerfest betrachten. War es im 19. Jahrhundert eine revolutionäre Forderung nach der estnischen Selbstbestimmung, eigener Kultur und Unabhängigkeit, so wirkt 20 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit die Beschränkung auf rein Estnische sehr rückwärtsgewandt. Wenn Chören aus estnischen Enklaven in Kanada singen dürfen und aus Helsinki und Kiew nicht, dann frage ich mich, was diese Veranstaltung überhaupt unter der Ägide der europäischen Kulturhauptstadt zu suchen hat. Europäer sind da nicht mehr als Zaungäste. Ganz besonders gilt dieser Vorwurf für ein Fest der Jugend. Die Botschaft ist, bleibt unter sich, Austausch mit Chören aus anderen Ländern und Kulturkreisen ist nicht erwünscht, alle sich bitte dem Sprachdiktat unterordnen. Und zwar nicht nur auf dem Fest, sondern auch in der Schule, in der Werbung (offene Frage warum Estnonian Air immer noch so heisst), in Massenmedien, beim Arzt, bei den Behörden usw. Schliesslich steht im ersten Satz der estnischen Verfassung, dass der estnische Staat die Erhaltung der estnischen Nation, der Sprache und der Kultur für Jahrhunderte als oberstes Ziel hat. Für europäischen Gedanken des Kulturaustausches, der Vielfältigkeit der Sprachen und der Völker ist da kein Platz mehr.
Einer Umfrage der russisch-sprachigen Seite des Nachrichtenportals Delfi zufolge interessierte sich eine verschwindend geringe Minderheit (42 von 324 Stimmen) der russisch-sprachigen Einwohnern Estlands für das Sängerfest, wobei es quasi vor den Türen der Russen-Hochburg Lasnamäe stattfand. Die am häufigsten angeklickte Begründung war: "Das ist ein Fest für die Esten - Russen sind da fehl am Platz". Eigentlich komisch, denn Russen haben nichts gegen volkstümliche Chorlieder und es gibt durchaus russische Chöre in Estland. Nur gilt schon seit Jahren die Regel, dass nur estnisch-sprachige Lieder gesungen werden dürfen, wenn russischer Chor auftreten möchte, bitte schön, aber nur auf Estnisch, selbst Finnisch oder Englisch sind nicht erlaubt. Es ist ein nationales Fest, gegründet, um die estnische Identität zu wahren, also sind alle anderen Kultureinflüsse unerwünscht. Es gab Zeiten, da war es noch anders, die heutige Muschel des Sängerfestes wurde 1957-1960 erbaut und der grosse Dirigent Gustav Ernesaks dirigierte "Mu isamaa on minu arm" für alle und alle sangen mit, Russen und Esten.
Das Sängerfest fand in Estland zum ersten Mal 1869 statt und trug zur nationalen Selbstbestimmung bei. Bei den ersten Festen waren die meisten Lieder finnisch oder deutsch, erst im 20. Jahrhundert waren genügend Lieder auf estnisch geschrieben, so dass die häufigste Sprache, in der die Lieder vorgetragen wurden, Estnisch war. Schaut man was in dieser Zeit in Deutschland passierte, so fällt einem das Hambacher Fest 1832 ein, wo die Studentenburschenschaften als liberal und progressiv wirketen, weil sie vereintes Deutschland, Freiheit und Demokratie forderten. Heute, da alle ihre Forderungen erfüllt wurden, gelten Studentenburschenschaften als progressiv, wenn sie Zivis als Mitglieder aufnehmen. Unter einem ähnlichen Winkel kann man auch das Sängerfest betrachten. War es im 19. Jahrhundert eine revolutionäre Forderung nach der estnischen Selbstbestimmung, eigener Kultur und Unabhängigkeit, so wirkt 20 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit die Beschränkung auf rein Estnische sehr rückwärtsgewandt. Wenn Chören aus estnischen Enklaven in Kanada singen dürfen und aus Helsinki und Kiew nicht, dann frage ich mich, was diese Veranstaltung überhaupt unter der Ägide der europäischen Kulturhauptstadt zu suchen hat. Europäer sind da nicht mehr als Zaungäste. Ganz besonders gilt dieser Vorwurf für ein Fest der Jugend. Die Botschaft ist, bleibt unter sich, Austausch mit Chören aus anderen Ländern und Kulturkreisen ist nicht erwünscht, alle sich bitte dem Sprachdiktat unterordnen. Und zwar nicht nur auf dem Fest, sondern auch in der Schule, in der Werbung (offene Frage warum Estnonian Air immer noch so heisst), in Massenmedien, beim Arzt, bei den Behörden usw. Schliesslich steht im ersten Satz der estnischen Verfassung, dass der estnische Staat die Erhaltung der estnischen Nation, der Sprache und der Kultur für Jahrhunderte als oberstes Ziel hat. Für europäischen Gedanken des Kulturaustausches, der Vielfältigkeit der Sprachen und der Völker ist da kein Platz mehr.
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