Sonntag, September 07, 2008

Ukraine - ein failed state?

Ukraine ist ein osteuropäischer Staat, bei dessen Erwähnung die meisten Westeuropäer wohl hilflos mit den Schultern zucken würden. Die Informationen, die den Westen erreichen, sind hoch widersprüchlich und ungeordnet, man hörte über die Orangene Revolution, über die Politikerin mit einer seltsamen Frisur, man kennt die Boxer-Brüder Klitschko, die Powersängerin Ruslana und andere Teilnehmerinnen des Eurovision Song Contests und las über den Gasstreit zwischen Ukraine und Russland, als die Gaslieferungen nach Deutschland für mehrere Tage unterbrochen wurden. Danach wird es schon kritisch, Ukraine liegt zwar am Schwarzen Meer und ist ein Urlauberparadies, der Akzent liegt eher an den Urlaubern aus dem Osten, als aus dem Westen, so dass nur wenige Westeuropäer sich über den Passtempel der ukrainischen Grenzkontrolle freuen können. In den Nachrichten kommt Ukraine recht selten vor, wohl auch aus dem Grund, weil die Reporter nicht wissen, wie sie die Nachrichten aufbereiten sollen, dass der Zuschauer in einer Minute versteht was da gerade passiert. Bei der Berichterstattung zu den letzten Parlamentswahlen erklärte der ARD-Reporter in der Tagesschau, dass er die politische Situation selbst nicht versteht.

Wenn man die Nachrichten über die Ukraine in den west- und osteuropäischen Medien genauer verfolgt und mit den Leuten spricht, die mehr darüber wissen, stellt man fest, dass Ukraine eher ein failed state ist, als ein Beitrittskandidat in die EU und die NATO.

Politik: Das Durcheinander der ukrainischen Politik, bei der sich die zwei "orangenen", eine "blaue", eine "rote" und eine "farblose" Partei ständig bekriegen und die Regierungschefin mit dem Präsidenten ständig im Clinch liegen, hat eine recht einfache Erklärung. Wie ein deutscher Anwalt, der viel in Ukraine tätig ist, ausdrückte: "Ukraine hat eine sehr freie Wirtschaft, es kann alles gekauft werden, ein Abgeordneter kostet eine Million Dollar. Als der Präsident Jutschschenko merkte, dass langsam der Regierungsblock die Mehrheit verliert, weil die "blaue" Partei der Regionen die Abgeordnete zusammenkauft, ordnete er Neuwahlen an". Auf die Gegenfrage, was passiert, wenn das neue Parlament auch zusammengekauft wird, zuckte der Anwalt nur mit den Schultern. Zweiter Motiv der politischen Kaste in Ukraine ist unheimlicher Populismus der Politiker. So gewann der Block der jetzigen Regierungschefin Julia Timoschenko die Wahlen mit dem Versprechen, alle Guthaben zu ersetzen, die die Bürger bei dem Zusammenbruch der Sberbank (ukrainischen Sparkasse) in den 90er Jahren verloren haben. Da es sich aufgrund der Inflation um nicht unerhebliche Beiträge handelt, kommt es einer Ausplünderung der chronisch klammen Staatskasse gleich. Himmelschreiender Unprofessionalism ist ein weiteres Markenzeichen der ukrainischen Politik. Youtube ist voll mit Videos von Prügeleien zwischen ranghohen Vertretern der Politik, oder deren peinlichen Auftritten. Die Begeisterung der Bevölkerung für die Politik hat nach der orangenen Revolution stark nachgelassen, in wichtigen Punkten unterscheidet sich die Meinung der führender Politiker von der öffentlichen. So unterstützt weniger als ein Drittel der Ukrainer den Beitritt der Ukraine in die NATO, bei militärischen Übungen des Bündnisses kommt es zu regelmäßigen Protesten und Demonstrationen mit Fahnenverbrennungen. Das war auch die offizielle Begründung bei dem letzten NATO-Gipfeltreffen in Budapest, warum Ukraine kein Status eines Beitrittkandidates eingeräumt werden konnte. Der Konfrontationskurs zu Russland wird von vielen besonders russisch-stämmigen Bewohnern (insbesondere auf der Halbinsel Krim) kritisch beobachtet.

Aussenpolitik: Die Aussenpolitik ist hauptsächlich durch den Streit mit Russland bestimmt. Einige Auswahl an kleinen und grossen Sticheleien:

- Schwarzmeerflotte; Die russische Flotte hat ihren traditionellen Militärhafen in Sevastopol, was Ukraine möglichst schnell ändern möchte. Bis der neue Hafen in Noworossijsk fertig wird, bleibt es ein Zankapfel. Während des Georgien-Konfliktes versuchte Jutschschenko Regelungen einzuführen, um den Einsatz von russischen Kriegsschiffen zu verhindern, doch erfolglos.

- Religion; Jutschschenko betreibt die Abspaltung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche von der Russischen. Es wird das Misstrauen zwischen den Konstantinopoler und den Moskauer Patriarchen ausgenutzt, so dass der Besuch des ersteren in Kiew als Unterstützung des Abspaltungversuches interpretiert wurde.

- Massenhafte Waffenlieferung an Georgien; Seit 2005 (also Amtsantritt Jutschschenkos) lieferte Ukraine 98 Panzer T-72, gepanzerte Fahrzeuge, Hubschrauber, Haubitzen und Flugabwehrraketen. Da stellt sich die berechtigte Frage, wer die Lieferungen bezahlt hat, denn Georgien mit einem BIP von $3,91 Mrd. konnte sich unmöglich das alles leisten. Also entweder hat Ukraine aus politischen Zielen Georgien verbilligt bewaffnet oder war der Auftraggeber jemand ganz anders und die Ukraine hat trotzdem geliefert.

Wirtschaft: Diejenigen, die Russland Oligarchie vorwerfen, haben sehr wenig Vorstellung wie die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Ukraine aussehen. Sieben der reichsten Männer Osteuropas (ohne Russland) kommen aus der Ukraine, ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung wird von den Kohlenschächten und Stahlhütten Rinat Achmetovs erbracht. Die Rechtsunsicherheit in der Ukraine ist sehr hoch, jüngste Geschichte kennt Enteignungen seitens der Regierung, so dass keine ausländische Firma größere Investitionen in der Ukraine tätigen möchte. Ein weiterer Punkt ist die unklare Energieversorgung, denn durch schwellenden Streit mit Russland (genauer gesagt mit Gasprom) sind Energieabschaltungen jederzeit möglich. Mit einer schönen Regelmäßigkeit gibt es Verhandlungen auf hohen politischen Ebene um die Gaslieferungen, jedesmal wird die Ukraine beschuldigt den Preis nicht bezahlt zu haben und jedesmal gibt Ukraine nach und lässt sich einen höheren Preis durchdrücken. Doch ernsthafte Alternativen, wie Atomkraftwerke, alternative Energielieferanten oder massenhafter Einsatz von regenerativen Energien scheitert an hohen Investitionskosten, Streit mit den Partnern oder schlichtem Unvermögen. Die momentane Hoffnung sind Probebohrungen im Schwarzen Meer die geologischen Formationen des Schelfs sind angeblich erfolgsversprechend. Der Streit mit Russland ist auch noch deswegen kritisch, weil viele Rüstungswerke der früheren Sowjetunion in der Ukraine sind, so dass sie im russischen Auftrag weiterproduzieren. Der russische Ministerpräsident Putin drohte schon, dass falls die Ukraine in die NATO eintreten sollte, diese Unternehmen aus der Ukraine keine Aufträge mehr bekommen werden.

Geschichtsverständnis: Die ukrainische Geschichte war immer engstens mit der russischen Geschichte verbunden. Jetzt wird versucht den ukrainischen Faktor in der gemeinsamen Geschichte zu betonen, so wird momentan ein Film gedreht, wo behauptet wird, dass die Verteidigung Sevastopols während des russisch-türkischen Krieges 1854, alleine der Verdienst der Ukrainer gewesen ist. Doch weitaus schwerwiegender ist der Vorwurf des "Golodomors" ("Hungersterbens"), den Jutschschenko und ukrainische Nationalisten als das Genozid am ukrainischen Volk zu verkaufen versuchen und eine Entschuldigung Russlands als juristisches Nachfolgeland fordern. Golodomor geschah 1932, als tatsächlich mehrere Millionen Bauern (die genaue Zahlen gehen auseinander) eines Hungertods starben. Die Ursachen waren Missernte und verfehlte Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung, als alle Lebensmittellieferungen in die Städte gehen sollten (wohl um dort Unruhen zu vermeiden), so dass die Bauern nichts für sich übrighatten. Die Kollektivierung in Kolchosen hat auch zu Misswirtschaft auf dem Land selbst geführt, so dass ein Teil der Ernte auf diese Art und Weise verloren ging. Teile der Ukraine haben tatsächlich am meisten gelitten, doch haben zum Beispiel die ukrainisch-deutschen Dörfer nicht an aussergewöhnlichen Hungersnot gelitten, andererseits verhungerten auch einige Millionen Bauern in Russland selbst. Daraus eine gezieltes Genozid an den Ukrainern herzuleiten bedarf einer Menge an Phantasie und Unverfrorenheit. Die Heroisierung der Ukrainischen Befreiungsarmee unter Kommando von Stephan Bandera ist sogar noch mehr umstritten, als die Erinnerung an die SS in baltischen Ländern, denn die UBA hat nachweislich bei den Judensäuberungen eine grosse Rolle gespielt und an den blutigen Vertreibungen der polnischen Minderheit in der Westukraine teilgenommen.

Bevölkerung: Ukraine verliert jedes Jahr 0.6% der Bevölkerung aufgrund von hoher Sterblichkeit, niedriger Geburtenrate und Auswanderung. Sehr viele Gastarbeiter verlassen das Land, um Geld in Russland oder EU zu verdienen (erinnern wir uns an die naturgeilen Ukrainerinnen Michel Friedmans). Die Prognosen sind sehr düster, bis 2030 wird Ukraine schätzungsweise mehr als 18% der Bevölkerung verlieren.

Die aktuelle politische Krise (mehr dazu bei Spiegelfechter), bei der die Partei Jutschschenkos "Unsere Ukraine" und Julia Timoschenkos "Bündnis Julia Timoschenkos" (sic!), die eigentlich koalieren, einander bekriegen, wird am meisten von Präsidentenamtchef Viktor Baloga befeuert, der die Weigerung Timoschenkos Russland wegen der Georgien-Krise zu verurteilen (wohl wegen der nächsten Gaspreisverhandlungen) als Landesverrat interpretierte und drohte entsprechende Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft einzureichen. Gleichzeitig klagte er, dass sein Leben in Gefahr sei und Timoschenko seine Ermordung plane. Das Parlament hat seine Entlassung beantragt. Gleichzeitig berichtet die russische oppositionelle Novaya Gazeta, dass Jutschschenko den Befehl gegeben habe die innere Sicherheitskräfte in Bereitschaft versetzt hat, so dass befürchtet wird, dass es zu einem bewaffneten Konflikt kommen könnte.

Eine Frage an den Leser, kann so ein Land wirklich bald der EU und der NATO beitreten?

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