Dienstag, Januar 29, 2008

Causa Naschi

Über die russländische Jugendorganisation Nashi (auch unter dem Namen Putinjugend
bekannt) habe ich schon einiges geschrieben. Gegründet wurde diese Organisation als in Russland die Furcht von einer orangenen Revolution alá Ukraine und Georgien umherging, quasi als Massnahme um die Jugend in eine staatstreue Organisation einzuspannen. Bis April letzten Jahres waren Naschi hauptsächlich in Russland bekannt, wo sie vor allem mit Aktionen wie Proteste von Aufführungen von "ketzerischen" Theaterstücken aufgefallen sind, und sich als Gegengewicht zu Limonovs Nationalbolschewiken und den Nesoglasnye positionierten. Doch dann fanden die "Unsrigen" ein Thema, mit dem sie sich auch im Ausland schlagartig Bekanntschaft verschafften und zwar die Wegräumung des Bronzenen Soldaten in Tallinn. Naschi haben sich zu Bewahrern des kollektiven russischen Gedächtnisses des ruhmreichen Sieges gegen die Faschisten erklärt, schalteten ihre Webseite mit dem Antlitz des Bronzenen Soldaten auch weltweit frei und blockierten die Zufahrt zur estnischen Botschaft in Russland, was ihnen weltweite Aufmerksamkeit sicherte, aber auch das Ereignis selbst in den Schatten stellte und die Proteste in Estland komplett diskreditierte. Doch der Auftritt als die Macht, mit der man in Russland künftig rechnen muss ist geglückt, also versucht man auf derselben Schiene weiterzumachen. Es wurde eine Deklaration verfasst nach der Naschi eine ständige Mahnwache am Tõnismägi einrichten möchten und alles daran setzen ihre "Pflicht" zu erfüllen.

Ein seltsames Katz-und-Maus Spiel fing daraufhin an. An der russländisch-estnischen Grenze werden regelmäßig alle jungen
Grenzüberquerer etwa nicht nach Drogen durchsucht, sondern danach, ob sie ein tarnfarbenes Regencape und eine sowjetische Soldatenmütze dabei haben, damit sie sich nicht als lebendes Denkmal im Zentrum von Tallinn aufstellen können. Den bekannten Naschi-Kommissaren wird das Visum verweigert, worauf der Kommissar Konstantin Goloskov einen Hungerstreik vor der estnischen Botschaft in Moskau medienwirksam austrug (und natürlich kein Visum bekam).

Das alles kann man als nichtbeteiligter Europäer als ganz lustig empfinden, dieses Jahr änderte sich die Lage und das Problem wurde gesamteuropäisch. Denn mit dem Eintritt Estlands in Schengen-Raum wurden alle Personen, denen die Einreise in Estland verweigert wird (und das sind ca. 2000) automatisch auf die gesamteuropäische Black-List gesetzt, das bedeutet, dass Naschi mit einer Terrororganisation gleichzusetzen sind und niemand von ihnen nach Europa einreisen darf. Mehreren Kommissaren wurden schon Visum nach Spanien oder Finnland verweigert, derselbe Konstantin Goloskov wurde in Litauen wegen illegaler Grenzübertretung verhaftet. Daraufhin gab es lautstarke Proteste vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Moskau.

Diese Massnahmen sind gesamteuropäisch gesehen ausgesprochen kurzsichtig. Denn es gibt eine Art von Politik in der Russland sehr erfolgreich ist und zwar die Politik des Spiegelhaltens, die Vorführung des Westens oder einfacher gesagt, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Vielleicht hat es Putin während seiner Geheimdienstzeit schon mit dem Austausch der aufgeflogenen Agenten praktiziert, wenn eine Seite einen des Landes verweist, antwortet die Gegenseite genauso. Aktuelle Beispiele sind der zarte Hinweis Putins auf die Behandlung der G8-Demonstranten, als er von Frau Merkel auf die brutale Auflösung der Nesoglasnye Marsches angesprochen wurde. Es ist auch die Nichtauslieferung von mutmaßlichen Litvinenko-Mörders Lugovoi an die britische Justiz, genauso, wie Großbritannien in Russland verurteilten Berezowski nicht ausliefert. Es ist der Austritt aus dem KSZE-Vertrag als Reaktion auf die Stationierung der US-Raketenabwehr in Osteuropa, es ist die Drohung der Unabhängigkeitserklärung von Transnistrien, Abchasiens und Südossetiens, falls Kosovo unabhängig werden sollte. Eine (nicht ganz ernste) Zusammenstellung von was im Westen alles geschieht und in Russland nicht stattfindet ist hier. Und genauso ein Präzedenzfall wird gerade mit Visumverweigerung an Naschi geschaffen. Schon droht der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Auslandsbeziehungen Konstantin Kosatschev, dass Moskau die Einreise von Bürger der Schengen-Länder einschränken kann. Nach seinen Worten wurden die Naschi-Mitglieder nur aufgrund ihrer politischen Überzeugung der Möglichkeit beschnitten in eine Reihe der europäischen Länder einzureisen, weil einem Mitgliedsland ihr ziviles Engagement nicht gefallen hat. So zwingt man Russland die Einreise von Personen einzuschränken, die sich für die russländische Opposition oder gegen Tschetschenien-Krieg engagiert haben. Und spätestens hier ist es Schluss mit lustig.

Denn eins muss man zur Kenntnis nehmen, Vertreter von Naschi werden ganz sicher Kariere im russländischen Staat machen, ob es uns gefällt oder nicht. Und ganz sicher werden sie nicht vergessen, wie Europa mit ihnen während ihrer Jugend umgegangen ist und sie zu Terroristen und Feinden erklärt hat. Momentan diktiert Estland das Verhältnis der künftigen russischen Elite zu restlichen Europa und keiner scheint Einspruch zu erheben. Wenn man einem Naschi-Mitglied quasi automatisch die Einreisegenehmigung nach Europa entzieht, hat er/sie keine Chance eigenes Bild von Europa zu machen und wird später sicher nicht für gute Beziehungen zwischen Russland und Europa eintreten, die sowohl für Russland als auch für Europa nur von Vorteil sind. Europäische Union sollte von daher genau anschauen wer auf den Blacklist der Mitgliedsländer landet und vor allem weswegen.

PS: Die estnischen Black-Lists funktionieren auch innerhalb von Schengen. So werden zur Zeit mit Vorliebe Mitglieder des Lettischen Antifaschistischen Komitees, die der Gerichtsverhandlung um die "Organisatoren" der April-Unruhen beisitzen möchten, als unerwünschte Personen angehalten (wobei sich die Frage stellt, wie man sie so schnell ermittelt, denn Grenzkontrollen existieren ja nicht mehr) und zurück nach Lettland geschickt.

Samstag, Januar 19, 2008

Der Prozess

Letzte Woche hat der bedeutendste Gerichtsprozess in der gesamten Geschichte des unabhängigen Estlands begonnen, der nicht nur innerhalb von Estland aufmerksam verfolgt wird, sondern auch im Ausland einiges an Aufsehen erregt. Entsprechend berichten Helsinki Sanomat, Reuters, BBC und Le Monde darüber. Angeklagt werden Dmitrij Klenskij, Maksim Reva, Dimitrij Linter und Mark Syrik. Sie werden beschuldigt gegen den Artikel 238 des Estnischen Gesetzbuches verstossen zu haben, indem sie am 26-28 April 2007 in Tallinn Massenunruhen organisiert haben sollen. Zur Erinnerung: An diesen Tagen wurde das Monument den gefallenen Soldaten der Roten Armee aus dem Zentrum der Stadt Tallinn auf ein Militärfriedhof verfrachtet, die Art und Weise wie dies geschah und die Ereignisse im Vorfeld bedeuteten ein Affront gegenüber der russisch-sprachigen Bevölkerung in Estland. Die friedlichen Proteste sind nach dem harten Durchgreifen der Polizei in Massenunruhen ausgeartet, wobei auch Geschäfte und Bars geplündert, Autos umgestossen und Fensterscheiben eingeworfen wurden. Es entstand massiver wirtschaftlicher Schaden. Die Frage, die das Gericht klären soll ist nun, ob die Massenunruhen spontan entstanden waren oder von Rädelsführern organisiert wurden und ob die Beschuldigten diese Rädelsführer waren. Es ist nicht die erste Gerichtsverhandlung über die Geschehnisse am Tõnismägi, doch gingen alle anderen Verhandlungen gegen Randalierer und Plünderer, die man dingfest machen und entsprechende Beteiligung nachweisen konnte, von den jetzigen Angeklagten war nur Maksim Reva unmittelbar am Ort der Geschehnisse, alle anderen waren nicht vor Ort.

Die Angeklagten plädierten erwartungsgemäß auf Unschuldig. Darauf wurde eine 44 Seiten starke Anklageschrift vorgelesen aus der klar wurde, dass die Geheimpolizei KAPO schon seit einem Jahr sämtliche Kommunikation der Angeklagten überwachte. Entsprechend bestand die Anklageschrift aus dem verwerteten Material wobei jede Mühe gemacht wurde die einzelnen Phrasen zu Gunsten der Anklage umzudeuten. Zum Beispiel wird Maksim Reva zur Last gelegt, dass er am 26.04 um 6 Uhr morgens an 68 Empfänger folgende SMS geschickt hat: "Auf Tõnismägi wird rund ums Denkmal eine Absperrung aufgestellt. Dozor." Acht Empfänger waren Mitglieder des "Notschnoj Dozor", andere Empfänger waren Mitglieder des estnischen Parlaments, Europarlaments, Journalisten und andere bekannte Persönlichkeiten. Ab 7 Uhr veröffentlichten die ersten Newssites die Meldung. Nach dem Vorlesen der Anklage haben die Angeklagten zu Protokoll gegeben, dass sie zwar die Anklageschrift verstanden haben, aber nicht wegen was man sie eigentlich beschuldigt.

Am 28. Januar wird die Verhandlung fortgesetzt. Beide Seiten haben viele Zeugen eingeladen, so dass es bis zum Urteil einige Zeit vergehen dürfte. Es gibt ein Livejournal, wo die Angeklagten auf Russisch ihre Version der Verhandlung wiedergeben.

Ich habe in der Zwischenzeit noch eine Mail von Herr Dornemann bekommen, derjenige deutsche Staatsbürger, der in Terminal D mit seinem Sohn von der Polizei brutal zusammengeschlagen wurde und dessen Briefe ich hier schon veröffentlicht habe. Hier sind einige Auszüge:

.... nun wird es mal wieder Zeit, daß ich Sie über den Stand der Dinge informieren muß. Die Dinge haben ihren Lauf  fortgesetzt, das heißt, mittlerweile hat ja der Gerichtsprozess gegen die  "Rädelsführer" hier begonnen, und ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, daß die Justiz in Uganda nicht schlechter ist. Mein neuestes Motto für Estland ist : Ich fürchte weder Tod noch Teufel,  aber vor der estnischen Polizei und der estnischen Justiz habe ich Angst. Vor der Polizei, weil sie willkürlich handelt und die Justiz in Ihren Urteilen ist völlig abhängig von den Vorgaben der Behörden. Sie werden verstehen, wie traurig es mitanzusehen ist solch ein Tun in einem europäischen, vermeintlich demokratischen  Staat.

Meine/unsere Aktionen haben mittlerweile ziemlichen Staub aufgewirbelt, zudem ich auch selbst im Gerichtsgebäude mehr als zehn  Fernseh- und Radiointerviews gegeben habe und auch weitere Einladungen in den nächsten Tagen dazu habe.


So verhandele ich auch gerade mit einigen EU Abgeordneten aus Deutschland und aus Lettland über eine Beobachterrolle zu den Weiterverhandlungen am 28. Jan hier bei Gericht.
Wie Sie sehen gebe ich keine Ruhe, wenn auch deutsche Medien sich lieber in chinesischen oder russischen Problemen ergehen, als diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. So hat der Spiegel eindeutig erklärt, das ist für ihn uninteressant.
Mein Freund Karl Krugmann und ich, wir beide sind also weiterhin  in Sachen Freiheit aktiv, immer in Angst vor der estnischen Polizei, die ja schon einmal mir ihre Skrupellosigkeit deutlich gemacht  hat...