Samstag, Januar 19, 2008

Der Prozess

Letzte Woche hat der bedeutendste Gerichtsprozess in der gesamten Geschichte des unabhängigen Estlands begonnen, der nicht nur innerhalb von Estland aufmerksam verfolgt wird, sondern auch im Ausland einiges an Aufsehen erregt. Entsprechend berichten Helsinki Sanomat, Reuters, BBC und Le Monde darüber. Angeklagt werden Dmitrij Klenskij, Maksim Reva, Dimitrij Linter und Mark Syrik. Sie werden beschuldigt gegen den Artikel 238 des Estnischen Gesetzbuches verstossen zu haben, indem sie am 26-28 April 2007 in Tallinn Massenunruhen organisiert haben sollen. Zur Erinnerung: An diesen Tagen wurde das Monument den gefallenen Soldaten der Roten Armee aus dem Zentrum der Stadt Tallinn auf ein Militärfriedhof verfrachtet, die Art und Weise wie dies geschah und die Ereignisse im Vorfeld bedeuteten ein Affront gegenüber der russisch-sprachigen Bevölkerung in Estland. Die friedlichen Proteste sind nach dem harten Durchgreifen der Polizei in Massenunruhen ausgeartet, wobei auch Geschäfte und Bars geplündert, Autos umgestossen und Fensterscheiben eingeworfen wurden. Es entstand massiver wirtschaftlicher Schaden. Die Frage, die das Gericht klären soll ist nun, ob die Massenunruhen spontan entstanden waren oder von Rädelsführern organisiert wurden und ob die Beschuldigten diese Rädelsführer waren. Es ist nicht die erste Gerichtsverhandlung über die Geschehnisse am Tõnismägi, doch gingen alle anderen Verhandlungen gegen Randalierer und Plünderer, die man dingfest machen und entsprechende Beteiligung nachweisen konnte, von den jetzigen Angeklagten war nur Maksim Reva unmittelbar am Ort der Geschehnisse, alle anderen waren nicht vor Ort.

Die Angeklagten plädierten erwartungsgemäß auf Unschuldig. Darauf wurde eine 44 Seiten starke Anklageschrift vorgelesen aus der klar wurde, dass die Geheimpolizei KAPO schon seit einem Jahr sämtliche Kommunikation der Angeklagten überwachte. Entsprechend bestand die Anklageschrift aus dem verwerteten Material wobei jede Mühe gemacht wurde die einzelnen Phrasen zu Gunsten der Anklage umzudeuten. Zum Beispiel wird Maksim Reva zur Last gelegt, dass er am 26.04 um 6 Uhr morgens an 68 Empfänger folgende SMS geschickt hat: "Auf Tõnismägi wird rund ums Denkmal eine Absperrung aufgestellt. Dozor." Acht Empfänger waren Mitglieder des "Notschnoj Dozor", andere Empfänger waren Mitglieder des estnischen Parlaments, Europarlaments, Journalisten und andere bekannte Persönlichkeiten. Ab 7 Uhr veröffentlichten die ersten Newssites die Meldung. Nach dem Vorlesen der Anklage haben die Angeklagten zu Protokoll gegeben, dass sie zwar die Anklageschrift verstanden haben, aber nicht wegen was man sie eigentlich beschuldigt.

Am 28. Januar wird die Verhandlung fortgesetzt. Beide Seiten haben viele Zeugen eingeladen, so dass es bis zum Urteil einige Zeit vergehen dürfte. Es gibt ein Livejournal, wo die Angeklagten auf Russisch ihre Version der Verhandlung wiedergeben.

Ich habe in der Zwischenzeit noch eine Mail von Herr Dornemann bekommen, derjenige deutsche Staatsbürger, der in Terminal D mit seinem Sohn von der Polizei brutal zusammengeschlagen wurde und dessen Briefe ich hier schon veröffentlicht habe. Hier sind einige Auszüge:

.... nun wird es mal wieder Zeit, daß ich Sie über den Stand der Dinge informieren muß. Die Dinge haben ihren Lauf  fortgesetzt, das heißt, mittlerweile hat ja der Gerichtsprozess gegen die  "Rädelsführer" hier begonnen, und ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, daß die Justiz in Uganda nicht schlechter ist. Mein neuestes Motto für Estland ist : Ich fürchte weder Tod noch Teufel,  aber vor der estnischen Polizei und der estnischen Justiz habe ich Angst. Vor der Polizei, weil sie willkürlich handelt und die Justiz in Ihren Urteilen ist völlig abhängig von den Vorgaben der Behörden. Sie werden verstehen, wie traurig es mitanzusehen ist solch ein Tun in einem europäischen, vermeintlich demokratischen  Staat.

Meine/unsere Aktionen haben mittlerweile ziemlichen Staub aufgewirbelt, zudem ich auch selbst im Gerichtsgebäude mehr als zehn  Fernseh- und Radiointerviews gegeben habe und auch weitere Einladungen in den nächsten Tagen dazu habe.


So verhandele ich auch gerade mit einigen EU Abgeordneten aus Deutschland und aus Lettland über eine Beobachterrolle zu den Weiterverhandlungen am 28. Jan hier bei Gericht.
Wie Sie sehen gebe ich keine Ruhe, wenn auch deutsche Medien sich lieber in chinesischen oder russischen Problemen ergehen, als diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. So hat der Spiegel eindeutig erklärt, das ist für ihn uninteressant.
Mein Freund Karl Krugmann und ich, wir beide sind also weiterhin  in Sachen Freiheit aktiv, immer in Angst vor der estnischen Polizei, die ja schon einmal mir ihre Skrupellosigkeit deutlich gemacht  hat...

5 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

freut mich diesen blog zu kennen, kann mich also hier auf dem laufenden halten...auch wenn ich in estland lebe muss ich gestehen vom prozessauftakt nichts mitbekommen zu haben...na, wär wohl doch mal angebracht wenigstens eine der lokalen sprachen zu lernen...;-)

Anonym hat gesagt…

"Es gibt ein Livejournal, wo die Angeklagten auf Russisch ihre Version der Verhandlung wiedergeben."

Vorsicht bei solchen verbreiteten Informationen im Livejornal!

Livejournal gehört dem Putin nahestehendem Öl Oligarchen Alexander Mamut über SUP, was nicht mal von Ruslan Paushu bestritten wird: "Mr. Rykov is pro-Kremlin. Mamut and Sup are pro-Kremlin. The social networks are all being bought by pro-Kremlin people" 1)


1) http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2007/10/27/AR2007102701384_2.html

Anonym hat gesagt…

""You watch the first channel or the second channel and you can only see good things happening in Russia," said Andrei Osipov, the 26-year-old editor of the Web site of Nashi"

Eigentlich wollte ich mich gar nicht weiter politisch dazu äussern und vom Thema ablenken, aber bei solchen Kommentaren spuckt mir buchstäblich das Bier aus dem Mund auf die Tastatur.

Ja, die schöne saubere russische Welt, in der es kein Mord und Totschlag gibt.

Hallo Nashi, ich weiss, ihr seit noch Jung, aber so was glaubt ihr doch nicht im Ernst, oder?

Ich hab da mal so einen Tipp, wie schon andere Regime ihr Volk begeistern konnten:

Mit Seifenopern.

kloty hat gesagt…

Hallo Sonikrave,

ich denke Du wolltest den letzten Kommentar zu einem anderen Artikel schreiben, wie auch immer. Das Problem wird sein, dass Naschi diesen Aufruf nicht lesen werden, wozu denn Deutsch lernen, wenn man nie nach Deutschland kommt? Wie gesagt, ich mag die Ideologie der Naschi auch nicht. Allerdings sie auf eine Stufe mit Diktatoren wie Lukaschenko oder bekannten Drogenhändlern zu stellen und die Einreise in die gesamte EU zu verwehren, ist doch zu viel. Wie ein Freund von mir mal sagte, eigentlich müßte jeder Naschi-Mitglied ein paar Tage in Europa verbringen, um zu begreifen, was für ein Blödsinn über Europa ihm erzählt wird. Ich meine wenn Bayern, jedem Fussballfan des abstiegbedrohten Clubs, der am Marienplatz "Zieht den Bayern die Lederhose aus" gröllt die Einreise verwehren würde, wäre das doch auch übertrieben, oder?

Anonym hat gesagt…

Hallo Kloty,

da muss ich mich entschuldigen, offenbar hab ich mich hier am Artikel geirrt.

Es ging mir hier weniger um die politische Aursichtung der Nashi, sondern viel mehr um die unkritische Aussage über die russische Medienwirklichkeit.