Samstag, Dezember 29, 2007

Anatomie eines Gerüchts

ich hätte nie gedacht, dass ich ein Bericht der estnischen Sicherheitsabteilung der Polizei (KaPo) übersetzen werde, allerdings werden dort ganz gut die Ereignisse zusammengefasst, die Ende November in Estland stattgefunden haben. Das Bericht wurde auf Delfi veröffentlicht.

In Zusammenhang mit der Währungspanik, die in Estland stattgefunden hat, als die Leute die Währungumtauschpunkte leerräumten und krankhaft Kronen getauscht haben, hat die Sicherheitsabteilung der Polizei eine Meldung rausgegeben in der der Ereignisverlauf beschrieben und das Verhalten der Leute bewertet wird.

Die Diskussion um das Thema der möglichen Entwertung der estnischen Krone fing bei den Massenmedien Anfang 2007 an, in Zusammenhang mit der erwarteten Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Einen zusätzlichen Anstoss für die Diskussion war die Panik, die in Februar in Lettland stattfand, die mit dem Verkauf der Nationalwährung zu tun hatte.

In der größten lettischen Zeitung Diena wurde ein Artikel des Wissenschaftlers Morten Hansen publiziert, der über das Thema des Entwertung des Lats nachdachte. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Thema auch diskutiert, aber nicht so gründlich. Vermutlich wurde die Panik vor allem durch das Unwissen und Angst verursacht, das geschickt von Spekulanten ausgenutzt wurde, heisst es in der Mitteilung, die von der Kommissarin der Sicherheitsabteilung der Polizei Irina Mikson rausgegeben wurde.

Vor dem Hintergrund der Panik und Überhitzung der Wirtschaft, hat die Regierung Lettlands ein Programm zur Bekämpfung der Inflation verabschiedet. Nach der sogenannten Februarpanik, haben sich die Bewohner Lettlands ruhiger verhalten und kamen nicht in Versuchung Lats zu tauschen.

Das Thema der Entwertung der Krone wurde in estnischen Massenmedien noch einige Zeit nach den Geschehnissen in Lettland diskutiert, wurde dann begraben. Wiederholt wurde sie im Herbst diesen Jahres diskutiert, aktiv in der zweiten Oktoberhälfte, wegen der Bewertung der Banken, Firmen für Währungsumtausch und internationaler Finanzorganisationen im Zusammenhang mit der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und der Prognose über die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Baltikums.

Die Eskalation der Geschehnisse fing wahrscheinlich mit der am 9. November 2007 in den Massenmedien veröffentlichten Nachricht an, laut der die ausländische Analysten eine Entwertung der Krone für möglich halten.

Am Abend diesen Tages hat auf dem russisch-sprachigen Business-Portal Arif der Benutzer Dimon einen Eintrag über die in Kürze bevorstehende Entwertung der Krone veröffentlicht. Der Benutzer hat angemerkt, dass es ein "Business-Training" wäre, dessen Ziel Informationen über das Verhalten in einer ähnlichen Situation in Realität zu sammeln sei. Business-Training war nur für die Benutzer des Portals gedacht, die Lösungsvorschläge für die theoretische Situation anbieten sollten.

In der Zeit des Business-Trainings war auf dem Business-Portal keine konkrete Meldung über die reale Entwertung der Krone erschienen. Eine einzige ernsthafte Anmerkung auf diesem Portal gab am 24.11.2007 der Benutzer Craftsman, der behauptete, dass die Entwertung der Krone am 26. November stattfinden wird. Die Quelle der Information gab er nicht an.
Zusätzlich zu dem obenbeschriebenen hat die (estnische Zeitung) Äripäev am 12. November eine Meldung der finnischen Zeitung Kauppalehti veröffentlicht, dass Spekulanten die schwächelnde estnische Krone attackieren würden.

Trotz der mehrmaligen Behauptungen der Regierung und Finanzorganisationen Estlands, haben sich Spekulationen zu dem Thema fortgesetzt, den entscheidenden Stoss zu einem aktiven Kronentausch gaben Meldungen, die am 20-21 November veröffentlicht wurden, dass in der Europäischen Zentralbank die Idee immer populärer wird die baltischen Währungen zu entwerten (vor allem Lettlands). Diese Information bestätigten auch die Experten des sich in London befindenden Citigroup Global Markets.

Am 20. November 2007 fingen die Kommentatoren des russischen Delfi an, Informationen über die mögliche Entwertung der Krone und mit ihr verbundenen Gefahren zu verbreiten. Um die Wahrheit zu sagen, haben diese Meldungen kein grosses Echo im Forum gefunden. Alle mögliche Nachrichten, Entwertung der Krone betreffend, haben auch russisch-sprachige Medien und einzelne russländische Nachrichtenagenturen übergeben.

25.11.2007 um 21.30 erschien die Nachricht um die baldige Entwertung der estnischen Krone auf der Homepage eines Einwohners von Tallinn in dessen Bekanntenkreis sich auch Aktivisten des "Notchnoj Dozor" befinden. Eine Stunde später erschien die Nachricht um die Entwertung der Krone auf dem Portal des "Notchnoj Dozor". Die Aktivisten des "Notchnoj Dozor" haben die Information verbreitet, wohlwissend, dass sie falsch ist - berichtet die Pressemeldung der Sicherheitsabteilung der Polizei.

Einige Einwohner Estlands haben wohl bis heute nicht verstanden, dass sie in einer unabhängigen demokratischen Estnischen Republik wohnen, in der Gesetze gelten, die diese Leute beschützen.
Es gibt Leute, die keinen Unterschied zwischen der Meinungen der unabhängigen Massenmedien iim Zusammenhang mit der Verlangsamung des Wachstums und offiziellen Mitteilungen der staatlichen Einrichtungen, die das Finanzsystem des Staates steuern, sehen. Es gibt einen Unterschied im Gang der Gedanken und Beziehungen, das nicht von der Nationalität abhängt. Jeder muss selbst entscheiden, wem zu vertrauen ist, den Gerüchten oder offiziellen Mitteilungen.
Die Geschehnisse in Estland erinnern in ihrer Struktur an die Panik, die in Lettland in Februar stattgefunden hat, als nach den Artikeln in Massenmedien (Grundsteinlegung), Gerüchte über die Entwertung über SMS verbreitet wurden. Der Unterschied ist nur in den Verbreitungskanälen der Panik.

Die Sicherheitsabteilung der Polizei beobachtet die Geschehnisse in der Gesellschaft, die die innere Sicherheit gefährden könnten, behauptet die KaPo. KaPo hat Kenntnis von Leuten, die an der Verbreitung der Falschinformation über die Entwertung der estnischen Krone teilnahmen. Personen und Organisationen, die die Situation in ihren Interessen ausnutzten, oder auszunutzen versuchten, werden weiterhin in Aufmerksamkeitsfokus der KaPo bleiben. (Übersetzungsende)

Einige Anmerkungen meinerseits. Nachdem sich die Gerüchte um die Entwertung der Krone als unwahr rausgestellt haben, verfassten englischsprachige estnische Blogger hämische Artikel über die dummen Russen, die einem Gerücht aufgesessen sind, und an denen die Besitzer der Währungsstuben jetzt doppelt verdient haben. Nachdem ich mich seit Monaten im russischen Informationsraum befinde, kann ich die Schwierigkeiten nachvollziehen eine offizielle Information von der freien Meinungsäusserung zu unterscheiden. Offizielle Information wird in Behörden-Estnisch verbreitet, es liegt an den Massenmedien, sie zu übersetzen und ununterscheidbar zwischen die freie Meinungsäußerungen zu platzieren.

Eine Rolle spielt auch die Glaubwürdigkeit der Regierung, die sich seit den Bronzenen Nächten auf absoluten Tiefpunkt befindet. Wie zu sowjetischen Zeiten, als Witze der Art kursierten, dass man nur dann die Wahrheit erfährt, wenn man das Gegenteil von den TASS-Meldungen annimmt, werden alle Quellen als wahr erachtet, die kritisch der Regierung gegenüberstehen. Zeitungen wie Vesti Dnja, Den za Dnjem oder Molodjezh Estnonii und russländische Zeitungen berichten hauptsächlich negativ über die Entwicklungen in Estland. Estnische Politik sendet quasi jeden Tag widersprüchliche Signale an die Presse, so dass sich der Leser in einem Status befindet, wie er von Michael Moore Fahrenheit 911 beschrieben wurde. Von allen Seiten bekommt er Alarmsignale und weiss nicht wem er trauen und wie er sich absichern soll. Am selben Tag vergleicht Mart Laar Putin mit Hitler und der estnische Aussenminister wundert sich, warum Russland und Estland keine gute Nachbarn sind. Die EZB sorgt sich über die Inflation in Estland und Andrus Ansip berichtet, dass der starke Euro, Wegbleiben der russischen Touristen und Wegfall des Transits kein Einfluss auf die estnische Wirtschaft haben. Der Wirtschaftsminister fährt nach China, um Werbung für den chinesischen Transit zu machen und gleichzeitig erscheint Mart Laar in einer Falun-Gong-Zeitung, um für die Demokratie in China zu werben. In so einer Stimmung reicht ein kleiner Funke, um Aktionen auszulösen, die zu unüberlegten Handlungen verführen und gewissenlose Meinungsführer und Medienmanipulatoren können dies schamlos auszunutzen.

13 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Eine Rolle spielt auch die Glaubwürdigkeit der Regierung, die sich seit den Bronzenen Nächten auf absoluten Tiefpunkt befindet"
Das hängt von der Nationalität ab.

kloty hat gesagt…

Hallo Franz,

das mit Nationalität stimmt natürlich. Was ich nicht ganz verstehe, warum die Esten der Regierung noch vertrauen.

1. Verschiebung der auf 2007 versprochenen Euro-Einführung auf unbestimmte Zeit ist Fakt
2. Kürzung der Arbeitsplätze wegen Wegfall des Transits ist Fakt
3. Eine hohe Inflation ist Fakt
4. Platzen von Immobilienblase ist Fakt
5. Überschuldung der Privathaushalte ist Fakt

Anyway, ich wünsche Dir head uud aastad.

Anonym hat gesagt…

"head uud aastad"
E, sitzen!

Anonym hat gesagt…

in Tiefpunkt befindet? Kein von den letzten Regierungen war so poplär.

1. Esten wollen es auch nicht so schnell haben
2. So ein kleiner Zahl von Arbeitsplätzen ist es, ist nicht mal erwähens wert
3. Dies ist logisch und man wusste es vor, mit dem Einkommen steigt auch die Inflation
4. Wurde mal Zeit dass es aufhört, dies war doch schon ein Witz
5. Ist die Regierung schuld, dass die Menschen so viel auf Kredit kaufen?

Anonym hat gesagt…

Naja, vieles ist in Estland nach Nationalitätsprinzip gespaltet. Ist das toll? In meinen Augen überhaupt nicht, eher traurig. Wie kann man stolz darauf sein, wie kann man bloß froh darüber sein? Franz, kannst Du mir das erklären?

Die estnischsprachigen Mitbürger lassen sich für die heutige Regierung vor Allem aus einem Grund begeistern: Die tolle Regierung hat ja diesen Scheißrussen endlich mal gezeigt. Peinlich, peinlich ohne Ende, nur bloß nicht für die Leute, die diese Art der Politik als positiv einstufen

Irina

Anonym hat gesagt…

Ich bin darauf nicht stolz. Ich konstatiere nur die Fakten. Es ist irrführend und falsch zu schreiben, das Glaubwürdigkeit der Regierung auf absoluten Tiefpunkt befindet. Die Russen sind in unserem Land nur eine Minderheit. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die Regierung.

kloty hat gesagt…

Zu Anonymous:

Es heisst setzen, nicht sitzen. Estnisch und Deutsch sind beides schwere Sprachen

Ich weiss, dass Du mir in allem widersprechen willst, aber dabei widersprichst Du Dir auch selbst. Zuerst schreibst Du, dass die Esten kein Euro wollen. Der einzige Grund, warum man kein Euro haben möchte, ist es doch weil man die Kontrolle über seine Nationalwährung behalten möchte, um die Wirtschaft damit steuern zu können. Genau das passiert aber nicht. Die Immobilienblase und die darauffolgende Überschuldung hätten vermieden werden können, wenn der Zinssatz der estnischen Notenbank, zu dem sie Krone an die Banken abgibt höher gewesen wäre, so dass die Kredite an Personen teuerer wären. Dann hätte sich so eine Spekulationsblase gar nicht gebildet. Weiterhin wäre ein Verbot der SMS-Kredite auch möglich. Es gibt auch eine Reihe von Inflationsbekämpfungsmechanismen, die in Lettland und Litauen, aber nicht in Estland eingesetzt werden. Die Gehälter steigen vielleicht, aber erstens macht es die estnische Produkte und Dienstleistungen teuerer und zweitens betrifft es nicht Rentner, Familien und sozial Schwache, deren Einkommen nicht so schnell steigt, wie die Inflation. Deswegen erwarte ich schon, dass im Jahr 2008 die Unzufriedenheit mit der estnischen Regierung auch bei den Esten steigen wird.

Unknown hat gesagt…

Ich bin seit drei Jahren in Estland und behaupte etwas von diesem kleinem Land und den Esten verstanden zu haben.
Die Esten sind sicherlich garnicht so unzufrieden mit der Regierung. Aber das liegt eher daran das Esten eher generel unpolitisch sind, zumindestens sollte man das Interesse an Politik unter den Esten nicht überschätzen.
Ich arbeite mit Esten und habe auch estnische Freunde und das Thema Politik kommt eher selten auf (Innenpolitik muss ich dazu sagen).

kloty hat gesagt…

Hallo Thomas,

da hast Du sicher recht, es deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, dass die Leute in Estland sich für die Politik kaum interessiert haben. Bei der russisch-sprachigen Minderheit hat sich das aber letztes Jahr geändert. Vielleicht beruhigt sich die Stimmung auch wieder, nur kann kaum jemand abschätzen wie lange es dauern wird.

Anonym hat gesagt…

Das Kindergeld in Estland: 300 Kronen. 19 Euro pro Monat.

"head uud aastad" den mit der Regierung zufriedenen estnischen Eltern... Oder, in anderen Wörter, "prewed, medwed".

kloty hat gesagt…

preved medved ist ab sofort exclusiv fuer den naechsten russischen Praesidenten Medwedew reserviert. Er hat Haare auf dem Kopf also muss er es werden :-)

Anonym hat gesagt…

"5. Ist die Regierung schuld, dass die Menschen so viel auf Kredit kaufen?"

Die estnische Regierung könnte ja einfach mal SMSLaen und wie die anderen heissen, verbieten oder zumindest Jugendliche davor schützen und nicht noch die Eintreibung der Zinsen für die Anbieter vereinfachen.

So wird jedenfalls neben den derzeitigen schwachen Wirtschaftwachstum, durch die Überschuldung der Bevölkerung, die Kaufkraft noch mehr abgeschwächt, weil die Leute nur noch Zinsen zurückbezahlen, aber kein Geld mehr für Konsum haben.

Anonym hat gesagt…

"Einige Einwohner Estlands haben wohl bis heute nicht verstanden, dass sie in einer unabhängigen demokratischen Estnischen Republik wohnen, in der Gesetze gelten, die diese Leute beschützen."

Das Problem liegt einfach daran, dass das System der politischen Entscheidungsfälle in der EU und den meisten EU-Ländern mittlerweile so dermassen verkommen ist, dass es nicht mehr dazu in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen zu fällen. Die parlamentarischen Demokratien sind ganz einfach nicht mehr in der Lage dazu, rationale sachliche Entscheidungen zu fällen, in Abwägung zu verfassungsmässigen Grundsätzen und de facto finden halt in Estland (als auch Deutschland) die inhaltlichen Vorarbeiten in den Minesterien statt und die werden halt politisch gesteuert und werden entpsrechend durchgewunken. Punkt.