Im heutigen Artikel geht es um die Zukunft. Und zwar um die Frage, wie die künftige Versorgung Estlands mit Energie aussehen wird. Fragen wie diese können nicht kurzfristig gelöst werden und heute geht schon eine lebhafte Diskussion woraus der Strom hergestellt wird, den man 2010-2015 in Estland aus der Steckdose beziehen kann. Natürlich hat diese Frage neben der wirtschaftlichen und technologischen auch eine politische Komponente, wenn es schon nicht gelingt unabhängig die gesamte Energie selbst produzieren zu können, dann müssen die Lieferanten verlässlich sein und die Preise und Liefermengen einigermassen vorhersagbar.
Die heutige Situation sieht folgendermassen aus: Kohtla-Järve hat ein Kraftwerk, das Ölschiefer (der einzige fossile Energieträger in Estland abgesehen von Holz und Torf) zur Energieerzeugung verbrennt. Dieses Kraftwerk ist übrigens das größte der Welt, das mit Ölschiefer arbeitet. Ölschieferverbrennung ist nicht gerade die sauberste Art Energie zu erzeugen, es hat hohen Schwefelgehalt, das wenn es nicht gefiltert wird zum saueren Regen beiträgt, ausserdem fallen viele Gesteinsreste an, die mit Erdöl kontaminiert sind und deswegen schwer zu entsorgen sind (in Kohtla-Järve hat man eine Tugend aus der Not gemacht und die Gesteinshalden für Snowboarder freigeben). Estland hat sich der EU gegenüber verpflichtet bis zum 31. Dezember 2015 Ausstoss von Schwefeldioxid einzustellen. Andere Kraftwerke arbeiten mit Erdöl und Steinkohle, die aus Russland importiert wird. Ausserdem ist Estland an aus den 70er Jahren stammenden Netz angeschlossen, das Russland, die baltischen Länder, Kaliningrad, Ukraine und Weissrussland miteinander verbindet. Einer der wichtigsten Energieerzeuger in diesem Netz ist der Atommeiler in Ingalina, Litauen. Dieser Meiler, der baugleich mit dem Reaktor in Tschernobyl ist, wird aber auch auf der Druck der EU bis zum Jahr 2009 abgeschaltet.
Somit stehen Estland und die anderen baltischen Länder von einem grossen Problem: Produktion von eigenem Strom, der zumindest auf Verbrennung von eigenen fossilen Energieträgern basiert, ist nicht möglich. Versorgung aus Russland ist politisch unerwünscht und kann instabil werden. Der größte Atommeiler geht demnächst vom Netz. Was tun?
Die alternativen Energiequellen ist momentan ein heiss diskutiertes Thema in EU, also schauen wir zuerst an, welche alternativen Energiequellen Estland anzapfen könnte:
- Solarenergie: Die Ausbeute der Solarzellen ist noch zu gering und die Zellen zu teuer, um daraus wirtschaftlich sinnvoll Strom produzieren zu können. Ausserdem liegt Estland viel zu weit in Norden und hat eine zu geringe Anzahl von Sonnentagen, so dass der Nutzungspotenzial noch niedriger wird
- Hydroenergie: Estland hat sehr viel Wasser, das aber kaum nutzbar für die Erzeugung von Energie sich eignet. Die Flüsse sind viel zu klein und wasserarm, mit zu geringem Gefälle um Wasserkraftwerke darauf bauen zu können. Gezeitenkraftwerke sind nicht möglich, da die Ostsee keine Gezeiten hat, Wellenkraftwerke sind auch nicht realisierbar
- Geothermalenergie: Habe keine Informationen, ob in Estland schon Probebohrungen stattgefunden haben, um diese Art von Energie nutzbar machen zu können.
- Windenergie: Estland befindet sich am Meer, wo die Winde recht stabil sind. In der Tat ist die Windenergie momentan die, die von allen anderen alternativen Energien am meisten genutzt wird (im Gebiet um Paldiski und Ostsaaremaa). Allerdings sind es keine Windparks, die weit im Meer stehen, sondern vereinzelte Masten, die Proteste der Bevölkerung wegen Schattenwurf und Lärm hervorrufen (die Diskussionen dieser Art kennt man auch in Deutschland zu genüge). Zur industriellen Nutzung der Windenergie muss allerdings auch das Netz umgebaut werden mit Zwischenspeichern, die die Spitzenlasten abfangen, Transformatoren und Akkumulatoren, was alles recht teuer ist. Allerdings räume ich der Windenergie in Estland recht grosse Zukunft ein.
- Bioenergie: Darunter verstehe ich sowohl die Erzeugung von Ethanol und Biodiesel aus Raps und anderen Pflanzen, als auch Erzeugung von Biogas aus biologischen Abfällen. Aus meiner Sicht ist das die größte Chance für Estland, denn viele Agrarflächen liegen momentan brach, weil sich der Anbau von anderen Kulturpflanzen nicht rentiert. Mit der entsprechenden Förderungen ist es durchaus möglich dies zu ändern, denn Flächen für Anbau von Pflanzen, aus denen Biodiesel gemacht wird, kann man nie genug haben. Was passieren kann, wenn der Anbau energiereichen Pflanzen gefördert wird, kann man in Mexiko sehen, wo die Bauern aus Mais lieber Ethanol für Autos erzeugen, als ihn zur Essenherstellung verkaufen, was bereits zu Protesten unter den Armen geführt hat.
Doch ist es kaum möglich sämtlichen Energiebedarf nur durch Windenergie und Biodiesel zu decken, deswegen muss Estland sich nach anderen Möglichkeiten umschauen, wie der Energiebedarf gedeckt werden kann. Es werden komplett fantastische Ideen vorgeschlagen, wie die Errichtung eines Atomkraftwerks unter Wasser (russisch hier, estnisch hier), oder aber auch die Errichtung eines Atomkraftwerks in Litauen, quasi als Ersatz von Ingalina. Die Errichtung eines gemeinsamen Kraftwerks wird auf höchster Ebene diskutiert, aber es gibt auch schon Streit über die Beteiligung der einzelnen Länder. Ursprünglich (Ende 2006) sollte jedes baltische Land zu einem Drittel beteiligt werden. Doch dann erklärte Polen (das ähnliche Probleme mit eigener Energieversorgung hat), dass es beteiligt werden möchte. Anstatt die Beteiligung auf 25% für jeden zu senken, verabschiedete der litauische Sejm ein Gesetz nach dem die Mindestbeteiligung Litauens 34% betragen muss, so dass alle anderen Partner je 22% bekommen werden. Ende Juli beanspruchte Polen 1000-1200 Megawatt der erzeugten Energie für sich. Nach den heutigen Plänen sollte das Kraftwerk 3200 Megawatt erzeugen, so dass für Estland und Lettland nur noch ein Drittel übrig bleiben würde. Und als krönender Abschluss überlegt Lettland laut, ob es nicht ein eigenes Kraftwerk bauen sollte, dass mit Gas befeuert wird, von der Leistung mindestens dem projektiertem AKW ebenbürtig ist, ungefähr ein Drittel kostet (die AKW-Kosten werden auf 3 Mrd. EUR geschätzt) und schneller gebaut werden kann als die veranschlagten 6 Jahren Bauzeit des Reaktors in Ingalina. Die grosse Frage ist natürlich woher der Gas kommen soll. Die Antwort: aus der Nordeuropäischen Gaspipeline, die eine Verzweigung nach Lettland bekommen soll, um auch die grossen unterirdischen Gaslagerstätten in Litauen als Zwischenspeicher nutzen zu können. Während estnischer Premierminister bis heute sich weigert den Vorsitzenden der Gesellschaft Nordstream, die für der Bau der Pipeline zuständig ist, Gerhard Schröder zu empfangen, überlegen die Letten schon wie sie sich ein Stück vom Kuchen sichern können. Und auch in Estland gibt es laute Diskussionen über die Beteiligung an dem grossen und riskantem Projekt AKW. Die Grünen im Parlament haben eine ausserordentliche Sitzung einberufen, um zu klären, ob der Premierminister überhaupt befugt ist, ohne Einverständnis des Parlaments Verträge über die Nutzung der ausländischen Atomenergie zu unterschreiben. Ausserdem verlangen sie eine Energiekommission einzusetzen, die sich den Problemen der Energieversorgung Estlands widmen soll.
Man darf also noch sehr gespannt sein, was für Strom aus einer estnischen Steckdose im Jahr 2013 fliessen wird.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen