Samstag, Juli 26, 2008

Petition

Aufruf der Initiative zur Unterschriftensammlung für die Petition an das EU Petitionsausschuss zur Gewährung des Stimmrechts den Staatenlosen Estlands bei den Wahlen ins Europäische Parlament

In einem Jahr werden in der Europäischen Union Parlamentswahlen stattfinden.
Wir meinen, dass die Situation in Estland, wo die Staatenlose kein Recht haben an den Wahlen ins Europäische Parlament teilzunehmen, einen langfristigen Mangel an Demokratie erzeugt und die Verletzung des Demokratierechts manifestiert, das das fundamentale Recht der Europäischen Union ist.

Wir bitten das Petitionsausschuss gemeinsam mit den anderen Ausschüssen des Europäischen Parlaments eine Voruntersuchung durchzuführen und den Behörden Estlands zu empfehlen, Staatenlose zu der Wahl des Europäischen Parlaments zuzulassen.

Wir schlagen vor, allen, die unsere Initiative unterstützen, ihre Unterschriften unter die Petition zu setzen, und so ihre Rechte wahrzunehmen, sich an das höchste gesetzgebende Organ der Europäischen Union zu wenden, deren Einwohner wir sind.

Zur informativen Unterstützung unserer Initiative wurde die Seite www.negr.pri.ee erschaffen (Start vom 26.06.08), wo man den vollen Text der Petition durchlesen kann.

Im Europäischen Parlament wird unsere Initiative von dem MEP aus Lettland Tatjana Zhdanok unterstützt.

Wir rufen zivilgesellschaftliche und politische Organisationen auf, denen die Entwicklung der Demokratie in Estland und der Schicksal der mehr als 100 000 Staatenlosen der Estnischen Republik, die Estland als ihre Heimat betrachten, nicht gleichgültig sind, unsere Initiative zu unterstützen.

Maksim Reva
Dmitrij Linter
Petr Puschkarnij

Petition: Stimmrecht für Personen in Estland, die unbestimmte Staatsbürgerschaft haben, für die Europaparlament-Wahlen

Einführung

Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Estnischen Republik, wurde nur Personen, die vor dem zweiten Weltkrieg die Staatsbürgerschaft der Estnischen Republik hatten und deren Nachkommen die estnische Staatsbürgerschaft zugestanden, währenddessen allen anderen ständigen Einwohnern Estlands dies verweigert wurde. Laut dem Gesetz über die Staatsbürgerschaft, können Personen, die während der Sowjetzeit in Estland sich niedergelassen haben und ihr Nachkommen, die Staatsbürgerschaft nur durch Naturalisierung (Einbürgerung) erlangen (Prüfung der Kenntnisse der estnischen Sprache und der Verfassung). Im übrigen Fall bleiben sie Personen mit unbestimmter Staatsbürgerschaft.

Naturalisierung war nicht in der Lage das Problem der Staatenlosigkeit in Estland zu lösen. Zum 1. Januar 2008 haben 116217 Personen unbestimmte Staatsbürgerschaft (8.8% der gesamten Bevölkerung).

Europaparlamentswahlen

Artikel 19 (2) des Vertrages über die Gründung der Europäischen Union (im weiteren VEU) sieht vor, dass der Bürger der Europäischen Union, der in einem Mitgliedsland der EU wohnt, ohne dass er dessen Staatsbürger ist, das Recht hat seine Stimme abzugeben und seine Kandidatur zur Wahl ins Europäische Parlament zu stellen auf gleicher Grundlage wie die Bürger jenen Staates. Die Bürgerschaft in EU wird im Artikel 17 des VEU begründet.

VEU hindert auch nicht die Mitgliedsländer neben den eigenen Bürgern und den anderen EU-Bürgern, die auf ihrem Territorium leben, auch bestimmten Personen Stimm- und Wahlrecht zu gewähren, die enge Kontakte mit diesem Land haben. Momentan überlässt die Legislative der EU es den Mitgliedsländern den Personenkreis zu bestimmen, die das Recht haben zu wählen und gewählt zu werden in Übereinstimmung mit dem Gesetz der EU (siehe Spain vs. United Kingdom, Case C-145/04, 12 September 2006, para.78). Deshalb soll die Rechtslage der EU berücksichtigt werden, bei der Regulierung der Frage über den Zugang zu den Wahlen ins Europäische Parlament.

Die EU-Richtlinie 2000/43/EU vom 29 Juni 2000, die das Gleichbehandlungsprinzip unabhängig von der Rasse oder ethnischen Herkunft einfordert, ist nicht anwendbar. Die EU-Richtlinie 2000/43/EU bestimmt nicht an und für sich das Prinzip der Gleichbehandlung. In Übereinstimmung mit dem Artikel 1, ist das einzige Ziel der Richtlinie ist "eine gemeinsame Struktur zum Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft zu erschaffen". Die Herkunft des Prinzips an sich, das die Grundlage des Verbotes dieser Formen der Diskriminierung legt, sind verschiedene internationale Übereinkommen und Verfassungen der Mitgliedsstaaten, wie es aus den Punkten 2-3 der Präambel der Richtlinie hervorgeht. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft sollte deswegen als gemeinsamer Prinzip der Gesetzgebung der EU betrachtet werden (siehe. mutatis mutandis, Mangold, Case C-144/04, 22 November 2005, para.74-75). Die Mitgliedsländer sind mit der Menschenrechtskonvention der Europäischen Union (einschliesslich der Nichtdiskriminierung) jedesmal verbunden, wenn sie im Rechtsrahmen der EU tätig sind; sie müssen dieses Prinzip in Übereinstimmung mit dem Artikel 6(1) des VEU beachten.

Das Prinzip der Nichtdiskriminierung ist in verschiedenen internationalen Übereinkommen klar festgelegt. Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht anwendbar, da dieser Prinzip in ihrem Kontext nur in Verbindung mit Rechten und Freiheiten, die in dieser Konvention festgelegt werden, anzuwenden ist; das Recht auf freie Wahlen ist nur für die Wahl der Legislative limitiert. Trotzdem garantiert der Artikel 26 der Internationalen Konvention über zivilgesellschaftliche und politische Rechte die Gleichheit vor der Gesetz. Der Artikel 26 verbietet nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierung (die "das Ziel oder das Ergebnis" betrifft - CCPR General Comment No.18, 10 November 1989, para.7).

Personen mit unbestimmter Staatsbürgerschaft gehören fast vollzählig zu ethnischen Minderheiten. Deswegen stellt eine an sich neutrale Forderung (Staatsbürgerschaft) Personen mit nichtestnischem ethischen Hintergrund in besonders ungleiche Lage. Solche Ungleichbehandlung ist nicht angemessen. Bei der Festsetzung der Anzahl der MEPs aus Estland wurde die Zahl der gesamten Bevölkerung angenommen, inklusive der Personen mit unbestimmter Staatsangehörigkeit.

Unsere Position

Wir meinen, dass die Situation in Estland, wo Personen mit unbestimmter Staatsbürgerschaft kein Recht haben an den Wahlen des Europaparlaments teilzunehmen, einen langfristigen Mangel an Demokratie erzeugt und die Verletzung des Demokratierechts manifestiert, das das fundamentale Recht der Europäischen Union ist, das mit dem Artikel 6(1) des VEU festgelegt wurde. Da eine offensichtliche Gefahr vorhanden ist, dass dieses Prinzip verletzt wird, sollte ein Verfahren in Übereinstimmung mit dem Artikel 7 des VEU eröffnet werden.

Wir bitten das Petitionsausschuss gemeinsam mit den anderen Ausschüssen des Europäischen Parlaments eine Voruntersuchung durchzuführen und den Behörden Estlands zu empfehlen, Staatenlose zu der Wahl des Europäischen Parlaments zuzulassen.

Die Unterschriftslisten können hier runtergeladen werden.

Mittwoch, Juli 02, 2008

Das Fenster der Möglichkeiten ist wieder zu

Vor ungefähr einem Jahr schrieb ich in meinem Vortrag, dass nur wenn Putin und eine Reihe estnischer Politiker nicht mehr an der Spitze sind, erst dann ist eine Verständigung zwischen Russland und Estland möglich. Putin beschäftigt sich jetzt mit tagtäglichen Problemen des Landes, während es an Medwedew liegt, die Beziehungen zum Ausland zu gestalten, so dass gewisse Hoffnung aufkeimte, dass ein Politikwechsel eintreten könnte. Leider haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt.

Letzten Samstag fand im Anschluss auf den EU-Russland Gipfeltreffen in sibirischen Chanty-Manijsk das 5. Treffen der finno-ugrischen Völker statt, von denen eine satte Mehrheit in Russland lebt. Als ausländische Gäste waren die finnische Präsidentin Tarja Halonen, der ungarische Präsident Laszlo Solyom und der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves eingeladen. Jeder der Gäste unterhielt sich jeweils eine Stunde mit dem neuen russischen Präsidenten, für die Esten war das das erste Spitzentreffen seit 14 Jahren. Das Treffen mit der finnischen Präsidentin soll sehr herzlich verlaufen sein, Tarja Halonen lud Medwedew auf ein Musikfestival ein, worauf der Liebhaber der harten Rockmusik am liebsten gleich gefahren wäre. Gespräch mit Ilves lief laut dem Berater des Präsidenten Sergej Prichodko in einer wesentlich kühleren Atmosphäre ab, das Hauptanliegen von Medwedew war die Unterzeichnung des Grenzvertrags (zur Erinnerung, der Vertrag wurde von beiden Präsidenten unterschrieben und von dem estnischen Parlament zwar ratifiziert, aber mit einer Präambel ausgestattet in der auf den Frieden von Tartu Bezug genommen wurde, der Estland größere Gebiete zuspricht, was der Anlass für die russische Duma war, den Vertrag nicht zu ratifizieren, seitdem liegt es auf Eis), während Ilves dazu aufrief, die harte Rhetorik auf beiden Seiten zu unterdrücken, worauf Medwedew erwidert haben soll, dass ein Teil der "harten Rhetorik" vom estnischen Präsidenten selbst kommt.

Die Rede des Präsidenten Ilves bei der Eröffnung des Kongresses war als einzige auf Englisch gehalten worden, weil angeblich kein Übersetzer aufzutreiben war. In seiner Rede kamen folgende Sätze vor: "Freiheit und Demokratie war unsere Wahl vor 150 Jahren, als nicht mal Poeten über einen unabhängigen Staat geträumt haben. Viele finno-ugrischen Völker haben diese Wahl noch nicht gemacht". "Hier, auf der Erde der Chanty-Mantier, das jenseits der östlichen geografischen Grenze Europas liegt, ist es etwas sonderbar über Europa, Europäische Union und europäische Werte zu reden". Ausserdem machte er Werbung für den "aufgespannten Regenschirm der EU, der wo sonst nirgends einen Schutz der Sprachvielfalt bietet." Desweiteren fragte er sich "Wie man alle finno-ugrischen Sprachen unter den Schutz der EU stellen kann, um sie zu schützen und zu entwickeln?"

Die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma Konstantin Kosatschjov, der schon immer als scharfer Estland-Kritiker aufgefallen war, machte das was russische Politiker immer gerne machen, wenn sie den Westen kritisieren wollen, er sprach von doppelten Standards, ein Trick, der bei Russen eigentlich immer funktioniert sowohl nach Innen, als auch nach Aussen. Kosatschjov zog eine Parallele zwischen dem Überfall auf den Vorsitzenden der Allrussischen Bewegung der Mari-Völker Vladimir Kozlov 2005, als das Europaparlament von Russland rasche Aufklärung forderte und den Vorfall als Diskriminierung darstellte und den Unruhen während der Bronzenen Nächte in Tallinn mit einem toten und vielen verletzten russischen Staatsangehörigen, als das Europaparlament stillgehalten hat. Das war zuviel für die estnische Delegation, die demonstrativ während der Rede den Saal verliess.

Was danach geschah interpretiert jede Seite anders. Der Applaus der verbliebenen Teilnehmer sehen sowohl Ilves, als auch Kosatschev als Unterstützung jeweils ihrer Position, das spätere Verlassen des Saales von ungarischen und finnischen Delegation interpretieren die einen als Unterstützung für die Esten, die anderen sagen, die Delegationen mussten ihren Flug erwischen. In Estland wird der Eklat natürlich politisch ausgeschlachtet, der Aussenminister Paet, dessen Job es eigentlich sein sollte, das Geschehene in diplomatische Worte zu verpacken, erklärt, dass Medwedew keine Autorität für die Duma darstellt, da sie die geforderte Abrüstung in Rhetorik nicht mitmacht. Die russischen Wortführer in Estland unterstellen, dass der Skandal geplant war, die Frage stellt sich nur von wessen Seite. Die meisten Kommentatoren sind der Ansicht, dass Ilves richtig gehandelt hat, auch wenn Kosatschev wesentlich rangniedriger ist, als der Präsident.

Auch abgesehen von diesen Ereignissen tun sich immer neue Gräben zwischen den beiden Staaten auf. Seit vergangenen Woche dürfen alle Staatenlosen Lettlands und Estlands ohne Visa nach Russland einreisen, sind also bessergestellt, als Staatsbürger der beiden baltischen Staaten. Es ist klar, dass dies die weitere Einbürgerung der Staatenlosen erheblich verlangsamen wird. Ausserdem gibt es in Russland Pläne einen "Kompatrioten-Ausweis" nach Vorbild Polens einzuführen. Der Inhaber eines solchen Ausweises kann auch Staatsbürger eines anderen Staates sein, sollte Russisch sprechen können und allgemein die russische Kultur und Traditionen vergegenwärtigen. Als Dank kann er ohne Visum nach Russland einreisen, bekommt dort automatisch Arbeitsgenehmigung und hat zahlreiche Vergünstigungen, die ein Ausländer in Russland sonst nicht hat. Es dürfte klar sein, dass sämtliche Nachbarn Russlands wegen der Spaltung ihrer mit Mühe und Not integrierter Bevölkerung nicht glücklich sein werden.

Wie die russländische Zeitung "Kommersant" schreibt: "Das Fenster der Möglichkeiten, das sich mit der Reise des estnischen Präsidenten eröffnet hat, scheint fest zugenagelt zu sein."