Dienstag, Juni 02, 2009

Droht Estland Staatsbankrott?

noch vor 2 Wochen hätte ich nicht für möglich gehalten, dass Estland Staatsbankrott drohen könnte, doch nachdem der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip in einer Fernsehansprache den Staatsbankrott kategorisch ausgeschlossen hat, bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn haben sich bisher so ziemlich alle wirtschaft-betreffende Prognosen von Ansip ins Gegenteil verkehrt (Euro-Einführung 2007, Zugehörigkeit zu 5 reichsten Ländern Europas, Unwichtigkeit des Transits, Leugnen der Krise). Deswegen beschäftigt sich dieser Artikel mit dem Wesen eines Staatsbankrotts und dessen Folgen. Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, deswegen können einige Schlussfolgerungen und Erklärungen falsch sein, deswegen bitte ich die Leser ihre Kritik in den Kommentaren zu schreiben.

Was genau ist ein Staatsbankrott? Grob gesagt gibt es drei Aufgabenfelder, wo der Staat unbedingt seinen Verpflichtungen nachgehen muss, tut er das nicht, kann man von einem Staatsbankrott sprechen. Die ersten zwei Verpflichtungen ist die Auszahlung von Staatsbediensteten, die die staatlichen Aufgaben übernehmen und ausüben und die Versorgung von Rentnern und sozial Schwachen. Natürlich lassen sich viele von den Aufgaben privatisieren, doch im Ernstfall muss der Staat die privaten Firmen bezahlen, damit sie die Leistung erbringen und falls die private Renten- oder Arbeitslosenversicherung zahlungsunfähig sind, muss der Staat einspringen, um soziale Unruhen oder womöglich Hungerkatastrophen abzuwenden. Das dritte Aufgabenfeld ist die Bezahlung der Auslandsschulden, die oft in ausländischen Währung gewährt werden, so dass in diesem Fall der Staat kein Einfluss auf die Inflation dieser Währung hat. Am Beispiel von Argentinien oder Island hat man gesehen, was passiert, wenn ein Staat kein Geld zur Begleichung der Auslandsschulden hat, die Gläubiger verlangen die Auszahlung und werden oft von den Regierungen ihres Landes unterstützt, was zu diplomatischen Verwerfungen führt.

Wie ist das momentane Szenario in Estland? Nach dem Bruch der Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten verriet der designierte Finanzminister von der Volksunionpartei Aivar Sõerd den aktuellen Stand der Staatsfinanzen in Estland. Momentan verbrennt Estland eine-zwei Milliarde Kronen pro Monat mehr, als es einnimmt. Die fehlende Summe wird aus dem Stabilitätsfond entnommen, der in fetten Jahren vorausschauend angelegt wurde. Zu Beginn der Krise hatte der Fond 23 Mlrd. Kronen, inzwischen ist der Stand bei 10 Mlrd. Kronen. Wenn das Geld in diesem Tempo verbraucht wird, hätte Estland zum Jahresende ein Budgetdefizit von 15 Mldr. Kronen. Es wurden bereits 1,55 Mlrd Kronen aus der Pensionskasse entnommen (was ungefähr einem Drittel der Gesamtsumme entspricht), um die Löcher zu stopfen, was Schlimmes für die Zukunft der Rentenkasse erahnen lässt. Die Arbeitslosenkasse ist schon überschuldet, dabei wird befürchtet, dass das Schlimmste noch bevorsteht, wenn zum 1. Juni ein neuer Arbeitsschutzgesetz verabschiedet wird, der die Entlassungen erleichtert. Momentan ist die Auslandsverschuldung recht gering, doch hat Estland gerade ein Kredit in Höhe von 11 Mlrd. Kronen von der Europäischen Bank für Investitionen bekommen. Wie der Name der Bank besagt, sollte das Geld eigentlich für Investitionen in die Zukunft verwendet werden, doch lässt die verzweifelte Lage im Haushalt ahnen, für was dieses Geld ausgegeben wird.

Was wird denn passieren, falls die Budgetkürzungen und die Kredite nicht ausreichen und der Staat tatsächlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommen wird was im ungünstigsten Fall Ende des Jahres der Fall sein dürfte? Um die Staatsbedienstete und sozial Schwachen auszahlen zu können, kann der Staat die Notenpresse anwerfen, was zu einer Inflation und letztlich zum Abschied vom festen Wechselkurs zwischen Euro und Krone führen dürfte (so geschehen in Argentinien, als der feste Wechselkurs zwischen US-Dollar und Peso aufgehoben wurde). Als Reaktion wird die Bevölkerung versuchen die Ersparnisse zu retten und in andere Währungen tauschen, was aber nicht möglich ist, da der Staat keine Reserven in Fremdwährungen mehr hat. Das dürfte den Wertverfall der Krone rasant beschleunigen. Die Entwertung passiert nicht kontrolliert wie in den Nachbarländern Schweden und Russland, sondern rasant und weitaus schmerzvoller. Die Kreditlast der in fremden Währung aufgenommenen Privatkredite steigt an, so dass sie nicht mehr bedient werden können. Um die Staatsverschuldung abzahlen zu können, werden verbliebene Staatsbetriebe privatisiert und Staatsbeteiligungen verkauft, damit verliert der Staat die Kontrolle über die Leistungen und Preise der oft monopolistischen Betriebe.

Natürlich kommt wieder die unvermeidliche Frage: "Was tun?" Es hat schon nicht an vielen Ratschlägen gemangelt, die aus allen politischen und ideologischen Lagern kamen, deswegen präsentiere ich auch meine Vorschläge. Als erstes sollte man unbeschönigt die derzeitige Lage anschauen, um festzustellen zu was estnische Wirtschaft überhaupt noch in der Lage ist. Zuallererst betrachten wir die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Welche Industrie passt zu estnischen Arbeitskräften? Ganz sicher keine Schwerindustrie, die nach vielen Arbeitskräften verlangt und kapitalintensiv ist, estnischer Arbeitsmarkt braucht sofort eine Belebung, es gibt wenig Kapital und sehr gross ist der Markt nicht. Eine wissens-basierte Industrie, wie sie von estnischen Politikern erträumt wird, wird Estland auch nur am Rande haben, es fehlen gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Inland, viele gehen ins Ausland. Es gibt auch kaum Anreize für ausländische Facharbeitskräfte nach Estland einzuwandern, weder ökonomischer Natur, noch werden sie von der Bevölkerung erwartet und akzeptiert. Es bleiben drei Bereiche übrig, wo Estland noch mithalten kann, das wären Tourismus, Transit und Landwirtschaft. Mit Wodka und Zigarettentourismus ist Estland in den 90ern Jahren berühmt-berüchtigt geworden, mit demselben Wodka und Zigaretten wird sich Estland auch dieses Mal retten müssen. Natürlich träumt jedes Land von nachhaltigem Tourismus und verantwortungsbewussten Bildungsreisenden, doch der schnelle Euro ist damit nicht verdient. Deswegen muss Estland wieder für die skandinavische Entsprechung des deutschen Ballermann-Besuchers attraktiv werden. Also runter mit Alkohol- und Zigarettenakzisen, Abschaffung des Verbots des nächtlichen Alkoholverkaufs, günstige Übernachtungs- und Einkaufsmöglichkeiten (die nur mit der Entwertung der Währung möglich sind). Oder wie wäre es mit Legalisierung von leichten Drogen alá Holland? Tallinn als Amsterdam des Nordens? Sicher waren viele Esten froh, als der Proll-Tourismus abgenommen hat und die Briten ihre Junggesellenfeiern nicht mehr auf dem Rathausplatz gefeiert haben, doch haben diese Leute viel Fremdwährung nach Estland gebracht und gelassen. Was Transit angeht, Estland hat immer noch eine gute Verkehrsinfrastruktur, wie deutet sich an, dass die russischen Häfen nicht rechtzeitig fertig werden, so dass obwohl wegen der Wirtschaftskrise weniger Waren transportiert werden müssen, immer noch Bedarf besteht und mit dem Anziehen der Erdölpreise Russland bald wieder viel zu transportieren haben wird. Was dringend modernisiert werden müssen, sind die Eisenbahngleise und die Verkehrsanbindung an Russland. Deswegen sollte die Eisenbahn an einen verantwortungsvollen! Investor verkauft werden (hat eigentlich schon die DB AG angefragt?), der die Infrastruktur modernisiert. Und natürlich müssen die politischen Beziehungen mit Russland wieder aufgetaut werden, damit die faktische Blockade aufhört. Was die Landwirtschaft angeht, sollten wieder wenige, aber schlagkräftige Gemeinschaften entstehen, die zu konkurrenzfähigen Preisen zumindest den Binnenmarkt mit Nahrung versorgen können, was bei der Entwertung der Krone wichtig wird, damit wenigstens die Nahrungsmittel nicht teurer werden. Zusätzlich könnte mit der Landwirtschaft auch die Nutzung der alternative Energien entwickelt werden, was oft zusammenhängt (Biodiesel, bzw. Nutzung der Abfälle aus der Landwirtschaft für Strom- und/oder Wärmeerzeugung).

Ob diese Massnahmen ausreichen werden? Diese Frage kann ich ebensowenig beantworten wie alle anderen, die alternative Konzepte entwickeln. Eines ist jedoch sicher, falls es nicht schleunigst zu Entwicklung und Umsetzung von Alternativplänen kommt und der Übergang zu Euro als Währung als die einzige Rettungsmassnahme angepriesen wird (wobei immer noch nicht klar ist, vor was rettet der Euro eigentlich?), ist ein Staatsbankrott ein durchaus realistisches Szenario

7 Kommentare:

sonikrave hat gesagt…

exoredSehr guter Beitrag. Selbstverständlich gibt es noch weiter alternative Lösungen, worüber noch gestritten werden wird.

Auf lange Sicht muss Estland auch das Bildungssystem reformen (ausbauen um genau zu sein), um in der EU-typischen Wissensgesellschaft jemals Anschluss zu erlangen.

Müssen einige andere EU-Newcomer auch, nicht nur auf dem 'Baltikum', ganz nebenbei.


Die Aufrechterhaltung des EURO's soll wohl derzeit die vor allem schwedischen Banken stützen, damit derren vergebene Kredite in Estland noch einigermassen bedient werden können.

Mit der Abwertung der Krone könnte es allerdings schon schneller kommen, als sich manch zu denken wünschen.

Lettland hat bekanntlichermassen derzeit massive Liquiditätsprobleme, vor allem jetzt auch noch durch den massiven Aufkauf von LATS durch die lettische Zentralbank verursacht, wodruch laut BBN seit heute keine LATS mehr auf dem Währungsmarkt gehandelt werden, und wenn dann, zu Wechselkrusen von 150-250%.

Island und Argentinien hatten genau die selben Probleme, kurz bevor das Kind dann endgültig in den Brunnen gefallen war (sorry für die ausdrucksweise.)

Eine unmittelbare Abwertung der Krone wird also vor allem dadurch bestimmt sein, wann (und ob, wenn man diese These noch wagen kann) Lettland die Puste endgültig ausgehen wird, die Währung zu halten.

Von da an dürften es dann nur noch Tage, höchsten wochen bis zur Abwertung der Krone sein, wenn Estland sich den slben Leidensweg ersparen will und auf sinnlose Verbrennung auf dem Währungmsakrt sich ersparen will, was letztendlich alles nur noch verschlimmbessert.

Ich frage mich nur noch, ob die europäische Zentralbank, IWF etc., wirklich noch daran Glauben ob Währungsbwertungen auf dem 'Baltikum' noch relistisch verhindert werden können, und welcher Preis dafür von den Steuerzahlenden vor Ort zu zahlen sein wird?

Da ist Kredit-Default-Swap bei abwertenden Währungen wahrscheinlich mittel und vor allem längerfristig ein mildes Übel, gegenüber was den Ländern hier sonst noch blüht, alles nur um den EURO ausgerechnet JEZTZT einführen zu müssen.

Die Wettbewerbsfähigkeit wird dies auf jeden Fall auf längere Sicht versiegen lassen, von dem was noch übrig geblieben ist.

Mittlerweile scheinen sich auch die schwedischen Banken mit einer Notbremse durch Währungsabwettung zu frieden zu geben und die schmerzvollen, jedoch auf kurze Zeit massiven Kreditverluste hinzunehmen.

Bleibt nur noch ein grauer Schimmer übrig, der Sorgen macht:

In wiefern eine Abwertung einigermassen kontrolliertierbar Folgen haben wird, ist aufgrund der vielfältigen Problematik und der allgemeinen Wirtschaftslage auf globaler Ebene nur schwer berechenbar.

Kurz gesagt: Ein zunächst kontrolliertes Abschmieren der Währung kann sich auch zu einer nicht mehr kontrollierbaren Kettenreaktion entwickeln, welche weit über das 'Baltikum' seine Spuren hinterlassen könnte, als wir uns derzeit vorstellen können.

Das würde dann auch die EU destabilisieren, womit vielleicht auch die Frage zum Teil beantwortet ist, warum die EU trotz des viel zu hoch zu zahlenden Preises, welches auf dem Währungsmarkt verbrannt wird, immer noch bereit ist, die Währungen dieser Länder, vor allem jedoch Lettland derzeit, zu stützen und in die EURO-Zone zu übertagen.

Wer allerdigs schon bereit ist, Schrottwährungen und kaputtgesparte Staaten in die EURO-Zone aufzunehmen, sollte dann jedoch auch die Kriterien etwas lockern, denn so oder so wird die Aufnahme dieser Länder erstmal den EURO eher schaden, die Länder sind dann allerdings etwas weniger kaputt gespart.

sonikrave hat gesagt…

Sorry für die etwas verhunzte Rechtschreibung und etwas schwammige Formulierungen. Mein Zeit ist äusserst knapp derzeit.

Schirren hat gesagt…

In der Außendarstellung hat Estland doch immer die Themen Modernität und Innovation herausgestellt. Mir scheint aber, aus dem was ich von verschiedenen Seiten höre, dass es damit nicht so weit her ist. „e-stonia“ scheint mir vor allem ein Land von Nutzern neuer Technologien zu sein, weniger von Produzenten. Auch das Bildungssystem scheint mir nicht eben darauf angelegt zu sein, junge Menschen eine Karriere als Ingenieur nahe zu bringen. Wenn alle nur Banker oder Makler werden wollen, um sich an der Finanz- und an der damit einhergehenden Immobilienblase zu bereichern, dann ist das eine Taschenausgabe des amerikanischen Irrwegs und nicht der Weg in eine Wissens- und Innovationsgesellschaft. Die Esten sollten in Wissenschaft investieren (hätten das tun sollen) in Zukunftstechnologien, aber da ist offenbar nicht viel gelaufen. Oder liege ich da falsch?

kloty hat gesagt…

@sonikrave: Danke für Deine Beiträge, ich habe kein Problem mit der Rechtschreibung oder schwammigen Formulierungen, Hauptsache der Standpunkt ist klar.

@Schirren: Es ist nichts Falsches dabei ein Versuchslabor für neue Technologien zu sein, die man nicht selbst entwickelt hat. Einige Technologien wurden schon in Estland auf ihre Alltagstauglichkeit ausprobiert, bevor sie in grossen Staaten mit komplexeren Infrastruktur eingesetzt wurden. Das wäre auch ein Punkt, der estnischen Wirtschaft helfen würde, Einspaarmöglicheiten zu finden durch den Einsatz von neuen Technologien, die billig eingekauft werden können, da sie noch nicht völlig ausgereift sind und getestet werden müssen. Ich denke gerade an intelligente Stromnetze, die momentan in USA und Grossbritanien im kommen sind. Oder an Infrastruktur an Elektoautos, wie sie in Dänemark oder Israel angedacht ist.

Von E-stonia als Brand habe ich schon länger nichts mehr gehört, früher (also 2000-2003) war dieser Begriff mehr verbreitet und auch erlebbar. Ich weiss noch, wie erstaunt ich über die Verbreitung von Handies war, als ich nach längeren Abwesenheit nach Estland 1998 kam. In Deutschland hatte bei weitem nicht jeder ein Handy, in Estland war das Alltag. Bei meinen letzten Besuchen war nichts mehr, was mich sonderlich erstaunt hätte (ausser gigantomanischen Bauten vielleicht).

Schirren hat gesagt…

Ich meine auch nicht, daß es schlecht ist, neue Technologien früh anzuwenden oder gar vor der globalen Einführung auszuprobieren. Was ich sagen will ist, daß die Empfehlung angelsächsischer Gurus, nur noch auf Dienstleistungen und Finanzen zu setzten, ein Irrweg war. Ein Land muss auch selbst etwas hervorbringen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Falle Estlands kann das nicht Schwerindustrie sein. Singapur versucht seit Jahren, eine "wissensbasierte Gesellschaft" zu sein. Die stecken Millionen in Bildung und Forschung, laden internationale Firmen zu Kooperationen ein. Viele europäische Unternehmen haben dort Labors. Die Esten haben da - aus meiner Sicht - zu wenig getan, sondern lieber auf die Immobilienblase gesetzt.

sonikrave hat gesagt…

Tja, und gerade kommt auf BBN die Nachricht rein, dass 25% aller Kreditnehmer in Estland Probleme mit der Rückzahlung ihrer Kredite haben:

http://www.bbn.ee/Default2.aspx?ref=topread&ArticleID=f5df8501-8875-48ed-8ca0-e904320204e6

Wenn dies dazu führt, dass Banken kurz über lang 25% ihrer Kredite als Verluste hinnehmen müssen, dann ist eine Bank faktisch pleite.

Insofern geht es nicht nur um die Frage der Drohung eines Staatsbankrottes, aber auch darum, ob ein Bankenbankrott droht?

schirren hat gesagt…

http://www.balticbusinessnews.com/Default2.aspx?ArticleID=2cc42a1b-bb5f-4f52-bd60-3246ab8cc3ca

Ein interessanter Beitrag über Estlands Chancen, ein IT-Zentrum zu werden.