Seit wenigen Wochen tobt in Estland eine heftige Diskussion um die Zukunft der russisch-sprachigen Schulen. Anlass ist die ab dem nächsten Jahr kommende gesetzliche Verpflichtung aller russisch-sprachigen Gymnasien 60% der Fächer auf Estnisch anzubieten, was de facto eine Abschaffung des russisch-sprachigen Gymnasiums bedeutet, denn nach einer Regelung gilt eine Schule als estnisch-sprachig, wenn 60% der Fächer auf estnischen Sprache unterrichtet werden. Das Projekt ist ein Steckenpferd des estnischen Ministers für Bildung von der nationalistischen IRL Tõnis Lukas, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der russisch-sprachigen Schulen macht und sie am liebsten so schnell wie möglich abschaffen würde. Das Ziel die Bildung zu estnisieren wurde schon seit der Gründung der Estnischen Republik verfolgt, doch unter Lukas ist es dann soweit, dass es weder eine russisch-sprachige staatliche Hochschule noch russisch-sprachiges Gymnasium in Estland geben wird. Doch auch in anderen Schulen ist die Situation sehr ernst, die Sprachkomission (auch Sprachinquisition genannt) macht gerne Jagd auf russisch-sprachige Lehrer, die bei Nichtbestehen der Prüfung gekündigt werden, das Personal ist überaltert, Nachwuchs ist nicht in Sicht. Lehrerberuf ist schlecht bezahlt und unattraktiv.
Der Widerstand kommt in Form des Rates der Russischen Schulen, der am 25. September seine erste Sitzung hatte. Schon im Vorfeld wurde diese Konferenz vom Lukas als feindselig gegenüber dem estnischen Staat bezeichnet, trotz wiederholten Einladung hat sich kein Vertreter des Bildungsministeriums dort blicken lassen. Es kamen viele Eltern zu Wort, die beklagten, dass das Lernen der estnischen Sprache auf Kosten von anderen Lernfächern geht, vielleicht können die Kinder am Ende Estnisch, dafür lassen ihre Leistungen in anderen Fächern zu wünschen übrig. Viele Eltern geben ihre Kinder in estnischen Schulen mit dem Ergebnis, dass die Kinder beide Sprachen nicht richtig beherrschen, von estnischen Mitschülern häufig gehänselt werden und sich ihrer Eltern schämen, die in Geschichtsbüchern als Okkupanten bezeichnet werden.
Bei der Konferenz wurde ein Rat gewählt, 15 der Mitglieder sind selbst Eltern, 9 Leute bezeichnen sich als Interessenten. Die alten Bekannten Maksim Reva und Dmitrij Klenskij sind auch gewählt worden, was von der Vizebürgermeisterin in Tallinn Jaana Toom von der Zentrumspartei, die die Probleme der russischen Schulen kennt und der Konferenz aufgeschlossen steht, als negativ bewertet wurde, denn dadurch wird die gesamte Initiative politisiert und in Augen von Esten diskreditiert. Doch auch so wurden die Organisatoren Andrej Lobov und Oleg Nazmutdinov von Journalisten des estnischen Rundfunks als Projekt des Kremls beschimpft, was von Organisatoren entschieden zurückgewiesen wurde.
Bildungsminister Lukas konnte bei so viel Aktivität nicht abseits stehen und berief seinerseits ein Konsultationsrat, der aus Mitgliedern der russisch-sprachigen Gemeinde bestehen soll. An der ersten Sitzung nahmen 6 Leute teil, die Erwähnung der Namen von drei Teilnehmern lassen jeden Russen über die Schulter spucken und sich bekreuzigen, das sind Evgenij Krishtafovitch, Sergej Metlev und Eugen Zibulenko, das Trio Infernale der russisch-sprachigen Gemeinde, die keine Gelegenheit auslassen zu betonen, dass eine vollständige Assimilation und Aufgabe der eigenen Sprache und Kultur der einzige Weg für einen Russen ist, in Estland zu leben. Bezeichnenderweise hat die Mehrheit der Eingeladenen mit dem Hinweis auf Terminnot (nach dem Motto, ich weiss, dass ich an dem Tag mit irgendwas beschäftigt sein werde, ich weiss noch nicht mit was, aber beschäftigt werde ich ganz bestimmt sein) abgesagt. Vor kurzem hat Kristafovitch aufgerufen die private russisch-sprachige Hochschule für Wirtschaft in Tallinner Bezirk Kopli zu verbrennen. Zibulenko musste vor kurzem seinen Professortitel wieder abgeben, weil er nicht nachweisen konnte, auch eine einzige wissenschaftliche Publikation veröffentlicht zu haben. Andrej Lobov dagegen ist ein PhD und lehrt zur Zeit in Tampere an der Technischen Hochschule.
Es stehen Wahlen vor der Tür und das Thema wird auf jeden Fall ein Prüfstein für jede Partei. So wie der Bronzene Soldat die Gemüter vor der letzten Wahl erhitzte, so sind es diesmal die russischen Schulen. Also wird die Zukunft der Kinder zu politischem Schauspiel.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen