Dienstag, Januar 30, 2007

Die Geschichte vom Bronzenen Soldaten und viele andere

Die Geschichte vom Bronzenen Soldaten spielt im heutigen Estland. Da wahrscheinlich noch nicht allzuviele Leser in Estland waren, erzähle ich ein bisschen über das Land, um den nötigen Überblick zu verschaffen. Estland hat ungefähr die Größe von Niedersachsen, aber nur ca. 1.3 Mio. Einwohner. Die Geschichte hat es nicht gut gemeint mit dem kleinen Estland, das am Knotenpunkt vieler Verkehrswege liegt, nach Eroberung Estlands durch das Livonische Orden, der aus deutschen Rittern bestand, wurde Estland noch von Dänen (der Name der Hauptstadt Tallinn kommt von Tanni Linn, also dänische Stadt), Schweden und seit dem 21-jährigen Krieg (1700-1721) von den Russen beherrscht.

Erst nach der Russischen Revolution wurde 1918 die Estnische Republik aufgerufen, die jedoch schon 1939 im Folge des Molotov-Ribbentrop Paktes in die Sowjetunion eingegliedert wurde. Während des zweiten Weltkrieges wurde Estland von der Wehrmacht besetzt, es gab einige KZs auf dem estnischen Territorium, die estnische Abteilung der Waffen-SS bestand aus (20.000 Soldaten, wobei wohl recht viele Balten-Deutsche (die Nachfahren der Ritter des Deutschen Ordens) eingetreten sind, aber es gab auch viele Esten, die im Kommunismus das schlimmere Übel gesehen haben.

Nach dem Krieg gingen viele der Waffen-SS Mitglieder in die Wälder und führten bis Mitte der 50er Jahre einen Partisanenkampf gegen die sowjetische Armee. Unter Stalin kam es zu Massendeportationen der Esten nach Sibirien. Nach dem Ende des Stalin-Terrors war Estland eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Sowjetrepubliken. Es entstand ein grosser Bedarf an Arbeitskräften, so dass viele russisch-sprachige Arbeiter aus anderen Republiken nach Estland kamen. Die meisten kamen nach Narva (die drittgrößte Stadt im Osten Estlands) und Tallinn. Bis heute noch ist der Bevölkerungsanteil an Nichtesten in Ostestland ca 95%. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass erst seit dieser Zeit Russen in Estland wohnen. Wie gesagt, Estland war ein Teil des Russischen Reiches seit dem Anfang des 18.Jh. mit entsprechendem Bevölkerungsaustausch, es gibt sogar Siedlungen von so-genannten Starovery (eine sektiererische Abspaltung von der orthodoxen Kirche), die im 17.Jh am Peipus-See im Osten gegründet wurden.

Die estnische Unabhängigkeitsbewegung gründete sich ironischerweise in Maardu, einer Phosphormine, wo viele Russen in einer absolut gesundheitsschädigender Umgebung gearbeitet haben. Als der weitere Ausbau der Mine beschlossen werden sollte, kam es zu Protesten, die dann zur Bildung der estnischen Volksfront geführt haben und schliesslich zu so-genannter singender Revolution bei der die Bevölkerungen der drei baltischen Republiken ihren Unabhängigkeitswillen bekräftigt haben und sich von der zerfallenden Sowjetunion loslösten. Ab jetzt geht die modernere Geschichte los, die uns endlich zum Bronzenen Soldaten führen wird.

1989 sah die Situation in Estland folgendermassen aus: ca 450.000 Leute aus insgesamt 1.500.000 der Gesamtbevölkerung waren Nichtesten, die in seltenen Fällen die komplizierte estnische Sprache gesprochen haben und mit der estnischen Kultur wenig anfangen konnten. Allerdings lebten viele seit Jahrzehnten im Land, viele waren in Estland geboren, so dass sie nirgends hinkonnten. Die rechtskonservative Regierung unter Mart Laar wollte das Problem möglichst auf die harte Tour lösen. Es wurde beschlossen, dass nur diejenigen die estnische Staatsbürgerschaft erhalten werden, die vor 1940 in Estland gewohnt haben und deren Nachkommen. Auf die Art und Weise wurden 400.000 Leute staatenlos. Manche bekamen die russische Staatsangehörigkeit, viele blieben staatenlos mit dem so-genannten grauen Passport. Für diese Leute bedeutet es, dass sie kein Wahlrecht haben, keine Reisefreiheit, auch nicht in die EU-Länder, sie können nicht im Staatsdienst arbeiten. Es gibt zwar Einbürgerungsmöglichkeiten, die mit einer schwierigen Prüfung der estnischen Sprache und Einbürgerungstests verbunden sind. Das es auch anders geht, hat Litauen gezeigt, da haben alle Bürger des Landes die Staatsbürgerschaft bekommen, unabhängig davon, wie lange sie in dem Land gelebt haben. Erst seit diesem Jahr wurde auf den Druck des Europaparlaments ein Abkommen getroffen, dass die ständig in Estland lebende Besitzer des grauen Passes ohne Visum die EU Staaten besuchen dürfen.

Aber auch innerhalb des Landes fühlen sich die Russen als Bürger zweiter Klasse. Verschiedene Studien haben festgestellt, dass unter der russischen Bevölkerung höherer Anteil an Arbeitslosen, an AIDS-Kranken (Estland hat die in Europa zweithöchste Rate an AIDS-Kranken 1,1%), Alkoholikern, Drogensüchtigen, Gefängnisinsassen und Selbstmördern besteht als unter den Esten. Viele besonders Jüngere sehen keine Perspektive und wandern aus. Estland verliert pro Jahr ca. 0.6% an Bevölkerung, pro 1000 Menschen Bevölkerung wandern 3.2 Personen aus (neben Bulgarien und Georgien der höchste Wert in Europa). Diese Zahlen widersprechen komplett anderen Statistiken, die die ökonomische Entwicklung Estlands zeigen. Letztes Jahr betrug der Wirtschaftswachstum satte 10,8% (Spitzenreiter in EU), die Arbeitslosigkeit ist unter 5%, die Immobilienpreise wachsen weltweit! am schnellsten. Wirtschaftliche Probleme können es also kaum sein, die die Menschen aus dem Land treiben. Vielleicht eher eine staatliche Kommission zur Förderung der estnischen Sprache, die für die Abschaffung russischer Schulen eintritt, die durchgesetzt hat, dass Polizisten und Lehrer sich strengen Sprachprüfungen unterziehen müssen (was man noch verstehen kann). Was man nicht mehr verstehen kann ist die Forderung der Kommission an die privaten Firmen alle Taxifahrer zu entlassen, die schlecht Estnisch sprechen können (bei einer Stichkontrolle genügte jeder 10. Taxifahrer den Anforderungen). Dabei ist es jetzt schon absehbar, dass die Geschichte sich wiederholen wird und man wieder Gastarbeiter benötigt, sollte die Ökonomie so weiterwachsen. Aber es gibt keine Esten mehr auf der Welt. Und von Gastarbeitern wird man kaum Kenntnisse des Estnischen und der estnischen Geschichte verlangen dürfen. Wie dieses Dilemma zu lösen sein wird, weiss noch keiner.

Obwohl die Russen ca. 1/3 der Bevölkerung stellen, sind sie politisch unterrepräsentiert. Es gibt zwar russisch-sprachige Politiker in einigen Parteien, die aber nicht viel politisches Gewicht haben. Ein Projekt von dem man sich einiges verspricht ist die Gründung einer russischen Kulturautonomie. Aber selbst da melden sich kritische Stimmen, die sagen, dass das Minderheitenschutzgesetz, der die Einrichtung solcher Autonomien vorsieht, ist derart lax konstruiert, dass es mehr schaden könnte, als nutzen. Zum Beispiel wird keine verbindliche Zahl genannt an Mitteln, die der Staat für die Unterstützung der Autonomie zur Verfügung stellt, also im Zweifelsfall gar nichts. Und es ist ein zusätzliches Anreiz die russischen Schulen möglichst schnell zu schliessen mit dem Hinweis, dass die Autonomie die Schulen in Eigenregie führen und finanzieren soll.

Dieses Jahr finden in Estland Parlamentswahlen statt. Die rechts-konservativen und einfach rechten Parteien wollen aus der Opposition raus und haben einen recht einfachen und effektiven Plan entwickelt, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, der des Skandals, möglichst internationalen Ausmasses. Ausserdem soll eine Stimmung des Hasses auf beiden Seiten geschürt werden und jeder Russe endgültig begreifen, dass er hier als "Okkupant" gesehen wird und sich entsprechend fühlt. An einem der zentralen Plätze der Hauptstadt steht ein Denkmal dem Befreiersoldaten, dort sind auch die sterblichen Reste von sowjetischen Soldaten in einem Brudergrab beerdigt. Jedes Jahr am 9. Mai treffen sich dort die Veteranen und gedenken den Gefallenen. Den ideellen Wert dieses Denkmals kann man mit dem Denkmal dem sowjetischen Befreier in Berliner Treptow-Park vergleichbar. Jetzt wurde ein Gesetz "Zum Schutz der Soldatengräber" ins Parlament eingebracht, der die Grundlage liefert, dieses Denkmal abzureissen. Ein weiteres Gesetz wurde eingebracht, der die Benutzung von Symbolen sowohl des Dritten Reiches als auch der Sowjetunion unter Strafe stellt (also hat eine rote Fahne denselben Stellenwert wie Hakenkreuz). Und ein drittes Gesetz ist in Vorbereitung, der die Aufstellung von Denkmälern verhindern soll, die die Rassenkonflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen schüren können. Offiziell soll dieses Gesetz die Aufstellung eines Denkmals zum Gedenken an Peter I in Narva (wir erinnern uns 95% der Bevölkerung sind dort Russen) verhindern. Nur zur Information: Das schönste Tallinner Park mit einem Schloss, in dem sich die estnische Nationalgemäldegalerie und der Sitz des Präsidenten befindet, war ein Geschenk Peters I an seine Frau (vielleicht soll man das auch abreissen?). Die Gesetze wurden als Provokation gedacht und haben leider ihr Ziel erreicht. Russlands Politiker und Jugendorganisationen sind in helle Aufregung versetzt worden, einige bieten an, das Denkmal nach Russland zu überführen (Gedenken an die Gefallenen des 2. Weltkrieges ist in Russland heilig). Selbst wirtschaftliche Massnahmen wurden angedroht (darin ist Russland neuerdings Meister). Dabei wurden die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung komplett übersehen. Nachdem das Denkmal bereits zwei Mal geschändet wurde (mit Farbe in blau,schwarz, weiss übermalt) hat sich eine Nachtwache (benannt nach dem populären russischen Film) gebildet, die jede Nacht das Denkmal vor Vandalismus beschützt. Sollte Russland wirklich wirtschaftliche Sanktionen verhängen, werden die Nichesten endgültig zu den Pariern des Landes. Sollte es jedoch tatsächlich zu einer Räumung des Bronzenen Soldaten kommen, halte ich Massenunruhen nicht für ausgeschlossen. Das alles spielt in die Hände den Nationalisten, unter der Führung denselben Mart Laares, der keine Masseneinbürgerung wollte.

Deswegen rufe ich alle Antifaschisten Europas auf, ihre Blicke nach Estland zu richten, falls die Gesetze tatsächlich angenommen werden (und danach sieht es wohl aus). Sollte ein Termin feststehen, wann der Bronzene Soldat abgetragen wird, rufe ich zu Protesten vor den estnischen Botschaften auf, denn die Idee des antifaschistischen Kampfes ist viel höher zu bewerten als schmutzige Populismusspielchen der rechten Parteien. Nicht mal die NPD ist meines Wissens auf die Idee gekommen gegen den Memorial-Komplex im Treptow-Park zu protestieren. Was wir in unserem Haus nicht zulassen, sollten wir vor unserer Haustür genausowenig dulden.

16 Kommentare:

Jens-Olaf hat gesagt…

Kloty, du sprichst viele Themen an, über die seit langem gestritten wird zwischen Russland und Estland. Deshalb greife ich mir einen Satz heraus, der wichtig ist:
"Für diese Leute bedeutet es, dass sie kein Wahlrecht haben, keine Reisefreiheit, auch nicht in die EU-Länder, sie können nicht im Staatsdienst arbeiten."
Du schreibst in der Gegenwart. Etwa die Hälfte der ehemals Staatenlosen hat bereits den estnischen Pass. Und jedes Jahr wird diese Gruppe größer. Es klingt so als wäre dieser Schritt unmöglich. Und bei den verbliebenen sind nicht alle bereit die estnische Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Und ein kleiner Update:
Estonia had 125,799 stateless residents as of December 31, 2006.
Estonia's stateless residents to travel visa-free in EU
Stateless residents of Estonia, so-called gray passport owners, can travel without a visa in EU member countries from January 19, but not to Ireland and the United Kingdom.
http://www.finland.ee/netcomm/news/showarticle.asp?intNWSAID=59407&intIGID=43&LAN=EN&Thread=&intThreadPosition=2

Anonym hat gesagt…

Sehr nett,... ganz so dramatisch ist e aber nicht.

Wie jens-olaf schon schrieb, zum einen sind es nichtmehr so viele Staatenlose, zum Zweiten hatten sie auch zuvor die Freiheit zu reisen, brauchten dazu allerdings ein Visum (brauchst du auch, wenn du in die Emirate fliegen willst). Und der "graue Passport" ist nen grauer Pass (wenn möglich einsprachig!)

Das Abreißen von Denkmälern hat auch im Nachkriegsdeutschland durch die Russen Tradition. Nicht nur ein Denkmal Bismarcks oder dem Gedenken gefallener Soldaten des ersten WK wurde nach 45 gesprengt.

Die Mehrzahl der Esten kann ich verstehen, wenn Sie einen Groll gegen Russen (auch jetzt noch) hegen... zu Zeiten der UdssR wurden sie als zweite Klasse Menschen betrachtet.

Alles in allem muss ich dir aber Recht geben, der Abriss eines Denkmals ist in jedem Falle abzulehnen.

Anonym hat gesagt…

*off topic*
herzliche multiplikations geopardenforellen rennen grüße
sie großes schreib genie

einfach nur nett ;)
Im "heise" sinne

und auch noch ein schönes rest wochenende

Anonym hat gesagt…

Закон приняли. 44 за - 44 против. Женя.

Anonym hat gesagt…

Vorneweg zwei Dinge:
Ich habe nicht den ganzen Artikel gelesen, sondern nur die untersten Absätze (werde es bei Gelegenheit noch tun); ich weiss aber recht gut über Estland bescheid.
Und ich bin alles andere als politisch rechts stehend und habe guten Grund, Antifaschistin zu sein.

Trotzdem muss man sich auch über die estnische Sicht Gedanken machen:

Zitat: "also hat eine rote Fahne denselben Stellenwert wie Hakenkreuz" - es tönt vielleicht krass, aber für die meisten Esten ist tatsächlich eine Hammer-Sichel-Fahne schlimmer als ein Hakenkreuz. Aus deutscher Sicht ist dies unverständlich, ich weiss, ich selber habe auch Mühe damit, aber wenn man die estnische Geschichte ein bisschen kennt, versteht man schon warum: Estland wurde 1918 zum ersten Mal überhaupt (!) unabhängig, nachdem das Land, wo die Esten immer gelebt hatten, ein Jahrtausend lang von Deutschen, Russen, Dänen, Schweden und Polen besetzt gewesen war. 1940 wurde Estland nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der Sowjetunion besetzt und im Jahr darauf wurden zehntausende Esten nach Sibirien in Arbeitslager geschickt - viele kehrten nicht mehr zurück.
Verständlicherweise wurden die Deutschen danach als "Befreier" gesehen, zumal auch niemand etwas von den Konzentrationslagern und all dem wusste - es gab auch in Estland Konzentrationslager, aber meiner Erfahrung nach wissen das die meisten Esten bis heute nicht.
Als die Sowjetunion Estland vier Jahre später wieder besetzte, schickte sie in den Jahren bis zu Stalins Tod noch zwei mal Esten nach Sibirien. Fast jeder Este hat jemanden in der Familie, der oder die damals irgendwie verschwand, und die, die zurückkehrten, leben heute noch. Ich kenne eine junge Estin, die in Sibirien geboren wurde.
Estland blieb bis 1991 Teil der Sowjetunion, also haben alle Esten der Generation 25+ noch deutliche Erinnerungen an diese Zeiten (obwohl es später natürlich nicht mit den Zuständen in den Anfängen vergleichbar war).
Von diesem Standpunkt aus kann man es den Esten nicht verübeln, dass sie Sowjet- und Nazi-Symbole gleichsetzen. Ich persönlich finde dass durchaus berechtigt - Stalin war nicht weniger Schurke als Hitler.

"Russlands Politiker und Jugendorganisationen sind in helle Aufregung versetzt worden"
http://en.rian.ru/world/20061213/56878741.html
wenn das die "helle Aufregung" ist - das ist einfach nur schrecklich. Estnische Fahnen mit Hakenkreuzen bemalen und verbrennen, eine Puppe, die als estnischen Soldaten verkleidet ist, aufhängen... Es ist einfach nur respektlos vom schlimmsten.
Letztes Jahr, bei den Protesten und Fahnenverbrennungen in arabischen Ländern, ging ein Aufschrei durch die ganze Welt - aber so etwas kommt hier nicht in die Medien...

"Nachdem das Denkmal bereits zwei Mal geschändet wurde (mit Farbe in blau,schwarz, weiss übermalt)"
- ich weiss nicht, ob du erwähnt hast, dass blau-schwarz-weiss die estnischen Nationalfarben sind. Man kann es Denkmalschändung nennen, wenn ein Soldat, der (angeblich) auch für gefallene Esten steht, mit estnischen Farben bemalt wird, aber man kann es auch respektlos nennen, wenn Russen im heutigen unabhängigen Estland mit sowjetischen Fahnen vor diesem Denkmal demonstrieren. Das ist ungefähr so, wie wenn in Deutschland Leute mit Hakenkreuzfahnen herumlaufen würden (vgl. oben).

Und noch ganz allgemein: Patriotisch sein heisst in Estland noch lange nicht rechts sein, und es ist von daher überhaupt gar nicht mit Deutschland oder auch mit der Schweiz (ich bin Schweizerin) vergleichbar. Wenn man die estnische Geschichte anschaut, ist dies verständlich. Ich kenne keinen einzigen Esten, der nicht bis zu einem gewissen Grade patriotisch ist, und es ist dabei überhaupt kein "agressiver" Patriotismus. Sie würden nie sagen, sie seien "besser als andere" oder so - sie lieben einfach ihr Land.

Ich will damit nicht alles rechtfertigen, was estnische Politiker tun, wie Estland die russische Minderheit zum Teil behandelt und all das - ich bitte euch einfach, auch die estnische Sicht zu berücksichtigen. Es gibt keine endgültige Lösung für diesen Denkmalstreit, denke ich - dieser bronzene Soldat symbolisiert nicht für alle das gleiche. Die Esten sind keine Faschisten, nur weil sie in ihrer Haupstadt keine Statue wollen, die sie an ihre sowjetische Vergangenheit erinnern - und daran, dass Russland die "Besetzung", die Transporte nach Sibirien etc bis heute partout nicht zugibt.

kloty hat gesagt…

Hallo Naomi,

bitte lies den gesamten Artikel, sehr viele von Deinen Punkten habe ich bereits erwaehnt.

Das die Esten bis heute nicht wissen, dass es in Estland KZs gab, nehme ich keinem ab. Jeder in Estland weiss von der Existenz von Klooga, 30 km von Tallinn entfernt, wo mind. 2000 Menschen umgebracht wurden. Wenn Du eine ausgewogene Sicht der Ereignisse ueber dieser Zeit lesen willst: Hier ist ein Bericht der estnischen Historiker-Kommission. 

Meine Mutter wurde in Sibirien geboren, so what? Die Stalin-Zeit war fuer alle schrecklich und der Bronzene Soldat hat mit Stalin nichts zu tun. Kein Russe in Estland wuenscht sich die Stalin-Aera zurueck, jeder hat darunter gelitten. Es gibt auch ein Okkupation-Museum in Tallinn, dagegen hat niemand was, warum soll man was gegen das Andenken an die Toten des 2.Weltkrieges was haben? Man kann so patriotisch sein wie man will, aber man muss auch respektieren, dass manche Symbole fuer 30% der Bevoelkerung was anderes bedeuten. Mitten in Helsinki steht uebrigens steht uebrigens eine riesige Statue von Alexander II. Stoert sie irgend jemanden?

Ich liebe Estland auch, auch wenn ich nicht dort lebe. ich liebe ein tolerantes Estland, in dem alle akzeptiert sind, die dort leben. Ein Land das davon profitiert ein Bindeglied zwischen Westen und Osten zu sein, ein Land das seine Geschichte kennt und weiss, dass es kein schwarz-weiss gibt und nach vorne strebt, anstatt alte Grabenkaempfe auszufechten und immer wieder zeigt, dass ein grosser Teil der Bevoelkerung Buerger 2. Klasse sind. Noch vor ein paar Wochen habe ich ernsthaft gedacht, dass es dieses Estland tatsaechlich gibt. Jetzt bin ich nur noch fassungslos, was da gerade passiert.

Anonym hat gesagt…

Если ты еще не в курсе, президент не подписал закон. Теперь он должен пойти в правовую комиссию на доработку. Тем не менее, это означает, что судьбу Бронзового солдата будет решать уже следующий состав парламента. Так что, возможно, не все еще потеряно. Извини, что не по немецки - в лом .))) Женя

Anonym hat gesagt…

ok - du hast wohl recht, ich sollte nicht dinge kommentieren, die ich nicht gelesen habe.
trotzdem finde ich das ganze problem viel zu kompliziert um eindeutig darüber urteilen zu können. es gibt einfach zwei sichten des ganzen, und keine ist richtig oder falsch.

Anonym hat gesagt…

p.s. danke für den link zum bericht; kann ich gut gebrauchen, ich schreibe gerade eine arbeit zum thema.

Jens-Olaf hat gesagt…

Kloty, nur am Rande. Ein etwas abwägiger Gedanke, aber er läßt mich nicht los. Andere, ich weiss nicht mehr wo, haben darauf hiingewiesen: Brücke sein, bedeute der schwächste Teil zu sein. Eine Brücke kannst du immer in die Luft sprengen (das wurde nicht gesagt, o.k.). Aber die Metapher sitzt.

Anonym hat gesagt…

Kloty, Deine Sichtweise und Deine Art zu argumentieren entspricht in abgeschwächter Form dem, was in den russischen Medien zu lesen/hören ist. Rußland ist der Retter der Menschheit, alle Feinde Rußlands, vor allem Esten sind "Faschisten": Sieht man russische Nachrichtensendungen zum Thema, könnte man meinen, daß der Bronzesoldat durch ein Hitlerdenkmal ersetzt, und Führers Geburtstag zum Nationalfeiertag gemacht werden soll. Es ist schon komisch: Einerseits seid ihre Russen extrem empfindlich, wenn Eure eigene nationale Ehre, Kultur etc. angetastet wird, andererseits trampelt Ihr wie Elefanten auf dem Empfinden anderer Völker herum und wundert Euch noch, wenn denen das nicht gefällt. Sicher, die Esten übertreiben mit ihrem antirussischen Gehabe, Retourkutschen sind niemals guter Stil. Diese antirussische Politik erinnert mich im übrigen Fatal an die Politik des russischen Imperiums gegenüber den baltischen Provinzen am Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals versuchte man, die von Peter I zugesagte Autonomie in Fragen der Sprache, Religion, und innerer Verwaltung immer mehr zurückzudrängen und das Land gewaltsam zu russifizieren. Intoleranz und Gewalt reproduzieren sich offenbar und wenden sich irgendwann immer auch gegen die, die sie selbst anwenden.

Anonym hat gesagt…

Ich bin Estin und lebe seit Jahren in der Schweiz, und bin daher wohl auch nicht so eingenommen (gegenueber den Russen) wie viele andere Esten. Das letzte Jahr verbrachte ich in Estland, und auch mir erschien die Haltung vieler dort als extrem, obwohl hinter dem geschichtlichen Hintergrund auch vieles einleuchtet.

Die "Taxifahrerinitiative" empfinde ich sogar als gerecht, da ich mitte der 90er Jahre in Tallinn kein Taxi finden konnte, in dem der Fahrer mit mir estnisch geredet hätte, die Fahrer antworteten wie selbstverständlich auf russisch (und durch die lange Abwesenheit aus Estland rede ich kein Wort russisch). Ich empfand dies als Frechheit, was wohl auch jedem deutschen in Deutschland (oder in der Schweiz) in einer solchen Situation ergehen würde. Die russen, welche geblieben sind, haben vielfach die Praxis aus den UDSSR Zeiten weitergezogen, was in einem demokratischem estnischen Land natuerlich nicht mehr funktioniert.. Die Wahrung der estnischen Identität ist hinter dem geschichtlichem Hintergrund nachvollziehbar.

In Litauen und Lettland ist die Situation dahergehend besser, da diese zwei Länder sprachlich näher an Russland liegen. Baltikum kann man in vielen Fällen kulturell nicht miteinander vergleichen, in diesem sprachlichen Beispiel schon gar nicht.

naomi: woher kennst Du dieses Land so gut? Interessant, da ich ebenfalls (wieder) in der Schweiz lebe, und hier kaum jemanden getroffen habe, der ueberhaupt weiss, wo das Land liegt.

kloty hat gesagt…

Hallo schirren,

ich will nicht, dass Estland "Feind" Russlands wird. Ich will gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Laendern, die bis vor Kurzem auch tatsaechlich bestanden. Ich hoffe ich habe auch klar gemacht, dass ich auch die Politik Russlands verurteile, anstatt sich zurueckzuhalten sie haben den Koeder geschluckt und bestaetigen alle Vorurteile von beleidigten Nationalisten.

Was Estland angeht, waere eigentlich Europa in der Pflicht einem EU-Staat beizibrinden, was es heisst Minderheiten wuerdevoll zu behandeln. Warum klappt es in Finnland, in der Schweiz, in Deutschland (Daenen und Sorben), sogar in Litauen, aber nicht in Estland?

Anonym hat gesagt…

Hallo Kloty,

Danke für diene schnelle Antwort. Daß mit dem "Köder" ist richtig. Leider tappt Rußland immer wieder in diese Falle. Dabei ist doch klar, daß die sogenannte „Weltöffentlichkeit“ in solchen Fällen auf der Seite der Gegner Rußlands steht. Kleine, unterdrückte Völker gegen große, dominante – das ist gefundenes Fressen für alle Verfechter der Political Correctness. Schon Lenin wußte, daß der Nationalismus kleiner Völker „gut“, der großer Völker „böse“ ist. Leider wird dieses Thema hauptsächlich von Eingeweihten ernsthaft diskutiert, die in irgendeiner Weise einer Seite nahestehen.

Die EU sollte die Baltischen Staaten zu eine besseren Minderheitenpolitik und größerer Zurückhaltung gegenüber Rußland anhalten, Rußland sollte die Faschismuskeule im Schrank lassen und endlich akzeptieren, daß nicht alle Völker Rußland lieben und als Befreier ansehen. Aber das sind doch nur alles fromme Wünsche...

schirren

kloty hat gesagt…

Es sind 2 Punkte, warum Russland so ist, wie es ist:

Russland sieht sich von Feinden umgeben. Iran uebrigens auch, deswegen will es die Atombombe, aber das ist ein anderes Thema. Leider tut der Westen nichts, um diese Angst zu zersteuen, sondern fuehrt NATO-Truppen in Osteuropa ein und baut ein Raketenabwehrschild in den ehmaligen Warschauer Pakt Laendern. Dass dieser Schild kaum gegen Nordkorea oder Iran gerichtet ist, duerfte eigentlich klar sein.

Weiterhin hat Russland einen Minderwertigkeitskomplex und sieht sich nicht ernst genommen. Das Land hat Angst in Bedeutungslosigkeit abzurutschen (Stichwort Obervolta mit Atomraketen), und/oder erpressbar zu werden.

Das alles fuehrt zu solchen Auswuechsen, wie Schirinowski & Co, die versuchen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und immer beleidigt reagieren.

Einen Rezept dagegen weiss ich momentan auch nicht, vielleicht Russland in die NATO aufnehmen?? Dadurch werden zumindest die Aengste zerstreut.

Anonym hat gesagt…

annette:
ich habe letztes Jahr (05-06) in Estland (Rakvere) gelebt, ich war da Austauschschülerin... von daher interessiert mich natürlich alles, was damit zusammenhängt :-)
Wo lebst du denn in der Schweiz?