12 Juli 2009
Efraim Zuroff, THE JERUSALEM POST
Obwohl es schwer zu glauben ist, ist es durchaus möglich, dass in einigen Jahren in Europa es keinen eigenen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts geben wird. Stattdessen werden die Europäer den 23. August im Kalender ankreiden als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nazismus und Kommunismus.
An diesem Tag wurde der Molotov-Ribbentrop Vertrag unterzeichnet - ein Nichtangriffspakt zwischen dem nazistischem Deutschland und der Sowjetunion, der den Weg zum Angriff auf Polen durch die beiden Länder eröffnet hat.
Wenn man das erhöhte Interesse zum Holocaust in den letzten 10 Jahren berücksichtigt, erscheint solch eine Vermutung nicht sehr wahrscheinlich. Doch eine Campagne zur Gleichstellung von Kommunismus und Nazismus nimmt erschreckende Ausmasse in Litauen, Lettland und Estland an, auch mit der Unterstützung der anderen Länder des postkommunistischen Lagers. Und diese Neuerung wird vielleicht nur eines der vielen widersprüchlichen Änderungen in der Sicht der Europäer auf die Vernichtung der jüdischen Gemeinde auf dem Kontinent sein.
Die größte Sorge ist eine andere: eine praktisch komplette Uninformiertheit und Apathie Israels und jüdischen Gemeinschaft als Antwort auf diese Campagne, ungeachtet dessen, dass sie schon im Laufe des letzten Jahrzehnts durchgeführt wurde und in der letzten Zeit sich ganz alarmierende Ergebnisse zeigen. Zum Beispiel hat letzte Woche die Parlamentarische Versammlung der OSZE auf einer Sitzung in Vilnus (Litauen) eine Resolution zur Installierung des 23. August als Gedenktag der Opfer des Kommunismus und Nazismus verabschiedet, dabei haben nur Russland und einige europäische Kommunisten "gegen" gestimmt.
Die Wahrheit besteht darin, dass schon vom Moment der Wiedererrichtung der Unabhängigkeit Baltikums an, sind wir zu etwas ähnlichem verdammt worden. Vom Jahr 1991 an haben wir auf den Treffen mit den Regierungen der baltischen Staaten gefordert die Tatsache anzuerkennen, dass Balten aktiv mit Nazisten zusammengewirkt und an den von Nazisten ausgeführten Verbrechen mitgewirkt haben, wir haben gefordert die örtlichen Nazisten - Kriegsverbrecher zu bestrafen und die Schulbücher umzuschreiben, so dass sie das obengenannte beinhalten würden. Doch haben unsere Gesprächspartner als Antwort jedes Mal den Fokus der Diskussion auf eigene Verluste während der Okkupationszeit und die Rolle der jüdischen Kommunisten an den sowjetischen Verbrechen ausgerichtet.
Deswegen ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass die Regierungen der baltischen Länder den Beschluss gefasst haben, Kommissionen zur Erforschung der Verbrechen gegen Baltikum in Jahren der Okkupation einzusetzen, sie beharrten, trotz der Proteste seitens des Wiesenthal-Zentrums und anderen Organisationen, an der gemeinsamen Erforschung der lokalen Verbrechen des Holocausts und der Verbrechen des Kommunismus.
Aus dieser Serie auch die regelmäßige Wiederholung der Behauptung durch die baltischen Leader über den genoziden Charakter der Verbrechen des Kommunismus, die historisch falsch ist. Ich werde niemals das Treffen mit Vitaus Landsbergis anfang der Neunziger in Vilnus vergessen - damals war er das Staatsoberhaupt - als er als Antwort auf das von mir geschenktes Buch über die Erforschung des Holocausts, mir ein anderes Buch geschenkt hat - über die massenhafte Aussiedlung der Litauer nach Sibirien, dabei sprach er darüber, als über "unseren Holocaust".
Dazu kommt das völlige Versagen Baltikums bei der Versuchen die Helfer zu Nazisten für ihre Verbrechen während des Krieges zu bestrafen, Versuch die Schuld für das Morden ausschliesslich auf die Deutschen und Österreicher umzulegen, Gründung der Museen des Holocausts und der Okkupation, wo die lokalen Verbrechen des Holocausts und die Zusammenarbeit mit Nazis völlig ignoriert werden. Das Bild wird klar.
Vor circa zwei Jahren, durch das völlige Versagen der EU, USA, Israels und Jüdischen Weltgemeinschaft in ihren Versuchen Baltikum zur Verantwortung für zahlreiche Fehler in Fragen zum Holocausts (Verfolgung, Restitution, Dokumentation usw.) zu ziehen, ermutigt, haben diese Regierungen eine Campagne zur Erschaffung einer offiziell anerkannten Symmetrie zwischen Kommunismus und Nazismus gestartet.
Der erste bedeutungsvolle Erfolg kam am 3. Juni 2008 - als Ergebnis der Konferenz "Europäisches Bewusstsein und Kommunismus" haben Vazlav Havel und anderen Mitglieder des Europäischen Parlaments die Prager Erklärung unterzeichnet. In diesem Dokument wird die Forderung gestellt, den 23. August als den offiziellen Gedenktag der Opfer des Nazismus und Kommunismus zu etablieren, "ähnlich dem, wie Europa die Opfer des Holocausts am 27. Januar gedenkt" und ein "Institut des Europäischen Gedächtnisses und Bewusstseins" zu erschaffen, der als Museum, Forschung- und Bildungszentrum auf dem Gebiet der obengenannten Verbrechen tätig sein soll.
Die Begründung für diese Beschlüsse spricht über "bedeutende Ähnlichkeiten zwischen Nazismus und Kommunismus" und warnt, dass Europa sich nicht vereinen könne, wenn es nicht ihre Geschichte vereint und Nazismus und Kommunismus als gemeinsames Erbe betrachtet".
Man kann mit den Opfern des Kommunismus mitfühlen und ihren Wunsch verstehen, sie als solche anzuerkennen. Doch ist die obenbeschriebene Begründung bei weitem nicht so harmlos - hier sieht man klar den Versuch Holocaust als einzigartige historische Tragödie umzuinterpretieren und es als relative Erscheinung darzustellen, die Aufmerksamkeit von breitangelegter Kollaboration und Zusammenarbeit der Balten mit den Nazisten abzulenken und völliges Versagen aller Regierungen von der Zeit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit an, eine adäquate Lösung der Fragen zu diesem Thema zu finden.
Am 23. September 2008 haben mehr als vierhundert Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Deklaration unterschrieben als Unterstützung zur Erklärung des 23. Augusts als "Gedenktag der Opfer des Nazismus und Kommunismus", am 2. April 2009 wurde eine Deklaration, die ähnlich der Prager Erklärung ist, vom Europäischen Parlament mit dem Abstimmungsergebnis 533-44 mit 33 Enthaltungen angenommen. Doch vor einem Monat, als ich die Frage den Mitgliedern des Israelischen Globalen Forums über Antisemitismus gestellt habe, ob sie über die Prager Erklärung was gehört haben, hat keiner eine positive Antwort gegeben.
Es wird klar, dass die Zeit gekommen ist, eine erhöhte Aufmerksamkeit dieser gefährlichen Campagne zu widmen, die hauptsächlich von Kräften in Litauen, Lettland und Estland durchgeführt wird, die darauf gerichtet ist, die Schuld für Holocaust von sich zu weisen und die Einzigartigkeit des historischen Ereignisses des Genozids an den Juden in der Periode des Zweiten Weltkriegs abzuerkennen. Sonst werden wir bald mit Verleugnung der zahlreichen wichtigsten Erkenntnisse des letzten Jahrzehnts auf dem Gebiet der Aufklärung und Achtung des Gedenkens der Opfer des Holocausts zu tun haben, und auch in den schweren Kampf gegen die neue verzerrte Geschichte des Zweiten Weltkriegs treten müssen.
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4 Kommentare:
In der Logik der unverschämten Identifikation der Sowjetunion mit Hitler-Deutschland müßte das öffentliche Gedenken etwa eines kommunistischen Angehörigen der Résistance, wie des von den Nazis ermordeten Guy Mollet, im Frankreich Sarkozys mit der Verherrlichung der Hitler-Kollaboration in Litauen, Lettland, Estland oder der Westukraine in eins gesetzt werden; das eine wie das andere wären "pro-totalitäre" Manifestationen. Mit vollem Recht wenden sich nicht nur Rußland, sondern auch Frankreich und Griechenland gegen geschichtsrevisionistische Ungeheuerlichkeiten wie die, daß ausgerechnet ein Staat wie Litauen, in dem vor einigen Monaten Ermittlungen gegen jüdische Partisanen eingeleitet wurden, auf einer Gleichstellung von Kommunisten und Nazis beharrt - und diese Art der Umdeutung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges (und von dessen Vorgeschichte) auch jenen europäischen Ländern zu oktroyieren trachtet, in deren Zivilgesellschaften in stärkerem Maße antinazistische Traditionen präsent sind. (http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3806:versuch-die-geschichte-umzuschreiben-gemeinsamer-gedenktag-fuer-die-opfer-des-stalinismus-und-nationalsozialismus&catid=174:geschichte&Itemid=241)
Ich glaube nicht, daß es Balten (oder Ukrainern) darum geht, den Holocaust zu relativieren. Sie wehren sich eher gegen die Logik "Faschismus ist das Böse schlechthin, Kommunismus ist das Gegenteil von Faschismus, ergo ist Kommunismus das Gute schlechthin." Nach dieser Logik sind alle im Namen den Kommunismus begangenen Verbrechen gar keine Verbrechen, sondern schlimmstenfalls notwendige Nebenwirkungen auf dem Weg ins Paradies. Darum kann es auch keine Opfer des Kommunismus geben, wer auf der Strecke bleibt, ist selbst schuld.
Kein Wunder, daß Linke in ganz Europa sich dagegen wehren, daß diese bequeme Sichtweise dekonstruiert wird. Auch Rußland, das zwar nicht mehr kommunistisch ist, aber sich ebenfalls als "antifaschistisch", und damit also als das absolut Gute positioniert, können solche Tendenzen nicht gefallen. Amüsant, daß eingefleischte russische Nationalisten, die sonst über den Holocaust nur spotten und die Antisemitismus als ihre Art von political correctness definieren, plötzlich gemeinsame Sache mit jüdischen Organisationen machen.
Die Art, wie einige ehemalige Sowjetrepubliken das Thema behandeln ist aber wirklich inadäquat. Nazi-Aktivitäten werden tolerieren oder gar zu gefördert. Das Gewäsch vom "Holodomor" als gezieltem Genozid an den Ukrainern ist hanebüchen. Deportation und Erschießungen sind Verbrechen, aber kein Genozid. Ebenso wenig übrigens wie die Angriffe der Georgier of die Osseten im letzten Krieg. Hier sind die Russen plötzlich wieder mit diesem Begriff bei der Hand, die eben noch bewiesen haben, warum die Deportation der Esten kein Genozid war.
Abee so ist das eben. Das eigene Leid wird ins Unermessliche gesteigert, das fremde verharmlost.
Hallo Schirren,
erstmal vielen Dank, dass Du hier als häufiger Kommentator Dich betätigst, da ich keine Statistiken führe, sind die Kommentare das einzige Indiz, dass jemanden mein Geschreibsel interessiert.
Nun zum Kommentar. Ich bin mir nicht sicher, ob die Relativierung von Holocausts doch eines der Ziele Ist. Im Artikel war ja ein Zitat von Landsbergis erwähnt, als er von "unserem Holocaust" gesprochen hat. Wie Du selbst bemerkst, wird das Wort "Genozid" auch arg überstrapaziert. Trotz aller Beteuerungen, dass man nur eine Entschuldigung von Russland erwartet und nicht auf finanzielle Entschädigungen aus ist, gibt es viel zu häufig Artikel über verschiedene Kommissionen, die den Schaden der Okkupation beziffern, und hier könnte Holocaust und das Wiedergutmachungsprogramm der BRD durchaus als Referenz dienen. Wobei ich nicht grundsätzlich gegen Entschädigungszahlungen bin, wenn sie direkt an die Opfer ausgezahlt werden und nicht im klammen Staatshaushalt verschwinden. Als Vorbild könnte da EVZ-Stiftung gelten, die die NS-Zwangsarbeiter direkt entschädigt hat. Allerdings bin ich dagegen, dass die alleinige Schuld Russland aufgeladen wird.
Mit Deinen Bemerkungen hinsichtlich der russischen Nationalisten stimme ich völlig überein.
Hallo Kloty,
viele sind es ja nicht, die sich überhaupt für Estland interessieren. Darum dürfte auch die Stammleserschaft dieses Blogs übersichtlich sein. Das liegt nicht an der Qualität Deiner Inhalte, sondern eher am Thema selbst. Das Land, um das es hier geht, ist klein, die Sprache den meisten von uns unverständlich. Das gesamte Baltikum liegt im Windschatten des öffentlichen Interesses, zumindest vom Westen aus gesehen. Darum können dort wohl auch manche Dinge passieren, die anderswo zu einem lauten Medienaufschrei führen würden. Wenn der FIA-Chef Max Mosley (ein Brite) sich mit Prostituierten in SS-Uniformen amüsiert, findet das einen größeren Widerhall, als wenn sich im Baltikum SS-Veteranen treffen.
Neonazi-Treffen gibt es überall, die Frage ist, wie steht der Staat, wie steht die Gesellschaft dazu? Distanzieren sich die Politiker, sehen sie weg, senden sie Grußworte oder nehmen sie gar teil?
Wer kann denn schon lesen, was in estnischen Büchern und Zeitungen, was auf estnischen Webseiten zu diesem Thema steht? Wer unterhält sich mit Esten, um mal rauszuhören, wie sie darüber denken?
Rußland hingegen steht immer am Pranger, hier arbeiten viele Korrespondenten, die nur darauf warten, wieder über einen fremdenfeindlichen, antisemitischen oder kriminellen Vorfall zu berichten (Reitschuster).
Russisch verstehen viele und alles, was in dieser Sprache gesagt wird, geht um die Welt, wenn es is Bild passt.
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