Mittwoch, Juli 22, 2009

Was für einen litauischen Russen gut ist, ist nicht so gut für den estnischen

Von Andrjus Kaluginas, BaltInfo
 
In der letzten Zeit spricht man in den baltischen Ländern viel über das Problem der Integration der russisch-sprachigen Bevölkerung in das Leben der Länder. In dieser Beziehung gibt es in allen drei Ländern gemeinsame Tendenzen, aber auch prinzipielle Unterschiede.

Der größte Level der Integration der russisch-sprachigen Bevölkerung in die lokale Umgebung ist in Litauen. Hier erzeugen die Russen, die sich um die Erhaltung ihrer kulturellen Identität sorgen, praktisch nie Gegensätze zu Litauern, ja öfters unterscheiden sie sich kaum von ihnen. In Lettland sind die Russen bereit zur Kooperation und offenem Dialog mit den Letten. Gleichzeitig kann man in Estland bei ihnen völlige Ablehnung, und teilweise offene Konfrontation mit Esten beobachten.

Russen in Litauen und Lettland nehmen vollwertig an dem Leben des Landes teil, wenn auch in unterschiedlichen Bereichen. In Estland ist der Level der Integration sehr niedrig. Das merkt man an den gesellschaftlichen Debatten und in alltäglichen Situationen. Eine typische Situation, die ich in Baltikum beobachtet habe: wenn auf der Strasse in Vilnus zu den zwei miteinander auf Russisch sprechenden ethnischen Russen ein Litauer dazustösst, wird das Gespräch fast immer ohne Probleme auf Litauisch weitergeführt. In ähnlichen Situation in Riga wird der Lette ins Russische wechseln und das Gespräch geht auf Russisch weiter.

In Tallinn ist die russische Sprache unter den Esten wenig verbreitet und zu den zwei auf Estnisch Sprechenden, wird ein ethnischer Russe eher überhaupt nicht dazustossen. Genauso wird ein Este russisch-sprechende Leute auf den Strassen von Narva nicht ansprechen. In diesem Sinne bezeichnend war die Situation, die ich in einem Bus St.Petersburg - Tallinn beobachtet habe. Unter den Reisenden war eine Ausflugsgruppe von Schülern aus Estland, die sich demonstrativ in zwei Lager aufgeteilt hatte - Russen und Esten. Den ganzen Weg lang haben die Jugendliche aus beiden "Clans" böse einander angemacht, jeder in seiner Sprache. Über einen gemeinsamen Austausch von Eindrücken aus Petersburg konnte keine Rede sein. Das heisst im normalen Leben in Lettland und Litauen betrachten sich die Russen und die titelgebende Nationen als Mitglieder einer Gemeinschaft. Das kann man über Estland nicht behaupten, hier gibt es nicht nur strikte Abgrenzung, sondern auch eine prinzipielle Opposition. Russen und Esten nennen einander "die" und verstecken ihre Ambitionen nicht, die teilweise zu Hochmut werden.

Die Mehrheit der ethnischen Russen in Estland lernt aus Prinzip weder die Staatssprache Estnisch, noch die Kommunikationssprache Englisch. Im Süd-Osten des Landes sind diese Sprachen kaum notwendig (dort leben fast nur Russen) und diese Region zu verlassen haben die Einwohner weder den Wunsch noch die Möglichkeit. Auf die Frage über die sprachlichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit der Esten, sagt man hier: "Das ist ihr Problem". Und Geschäfte treiben sie entweder zwischeneinander oder mit Russland.

Im gesellschaftlichen Zusammenleben ist der Level der Integration der russisch-sprachigen mit den titelgebenden Nationen in Lettland und Litauen auch recht hoch - im Gegensatz zu Estland. So gab es zum Beispiel in Riga und Vilnus während der Krawallen neben der Parlamentsgebäuden keine ethnischen Unterschiede. Die Leute haben gemeinsam ihre Unzufriedenheit mit der Sozial- und Wirtschaftspolitik ausgedrückt, denn: "Das geht uns alle an, das ist unsere Sache!" In Estland haben an den Protestaktionen während der "Bronzenen Nacht" ausschliesslich die Russen teilgenommen, ohne die Unterstützung durch die Esten. Auf den Strassen und von den Fernsehschirmen sagten die Esten: "Das ist nicht unsere Sache". 

Den Level der Integration der ethnischen Russen in das politische Leben der drei baltischen Länder haben die vor Kurzem durchgeführten Wahlen ins Europäische Parlament gezeigt. In Estland haben die Vereinigte Linke Partei und die Russische Partei Estlands, die die russische Wählerschaft vertreten haben, weniger als ein Prozent der Stimmen bekommen. Den "estnischen" Russen war es wiedermal nicht möglich sich untereinander abzusprechen und eine einzige Wahlliste aufzustellen. Und sich, auch nur zum Schein, mit einer estnischen Partei zu konsolidieren, darüber konnte keine Rede sein. Persönliche und parteiliche Ambitionen (die öfters zu gegenseitigen Ultimatums führten) nahmen überhand. So sind die Vertreter der russischen Gemeinde (mit der Ausnahme von einigen Leuten, die Mitglieder der estnischen Parteien sind) weder im lokalen, noch im europäischen Parlamenten vertreten. In der Zeit, in der die Russen wollen, dass man sie "nicht stört", bauen die Esten Dominierung in politischen und wirtschaftlichen Domänen aus.

In Lettland kann man umgekehrt über den "Triumph der Russen" bei den Wahlen in das Europäische Parlament sprechen. Nach Brüssel fahren gleich drei Kandidaten von zwei russisch-sprachigen Vereinigungen: "Harmoniezentrum" und "Für Menschenrechte in vereinigtem Lettland". Und bei den Wahlen in die Rigaer Duma hat die Vereinigung "Harmoniezentrum" die Führung übernommen, deren traditionelle Wählerschaft "Russische Letten" sind. Den Bürgermeisterposten von Riga wird der Vorsitzender der Vereinigung, ein ethnischer Russe Nil Uschakov einnehmen. Die Experten haben diese Tendenz als "der russische Umsturz in Lettland" bezeichnet.

In Litauen hat einen der Mandate ins Europäische Parlament der Vorsitzende der Arbeitspartei, ethnischer Russe Viktor Usspaskih bekommen. Doch hat dieser Politiker und Businessmen nichts mit der russischen Wählerschaft zu tun. Er spricht litauisch mit Akzent, versteckt seine russischen Wurzeln nicht und achtet die kulturellen Traditionen, doch positioniert er sich als "echter russischer Litauer". Diese Fakten zeigen nicht nur den Level der inneren Integration der Russen in das politische Leben ihrer Länder, doch auch den Level der inneren Konsolidierung.

In Lettland konnte die russische Wählerschaft sich für die Unterstützung ihrer Kandidaten vereinen und bedeutende Erfolge erzielen. In Estland ist der Level der Zersplitterung derart gross, dass selbst die Wahlen nicht die verschiedenen russischen Vereinigungen des Landes befrieden konnten. Und in Litauen gibt es nicht mal eine ernsthafte Partei oder politischen Figur, die die Interessen der russisch-sprachigen Bevölkerung vertreten würde. In Estland leben Russen und Esten in "parallelen Welten", deshalb gibt es zwischen ihnen keine politische Konkurrenz. Umgekehrt schafft die Tatsache, dass die Russen in ihrer Welt untereinander konkurrieren, die Zersplitterung der Gemeinde.

In Lettland leben die Russen und die Letten in einer sozial-politischen Gemeinschaft. Doch haben auch ethnische Russen hier viele Probleme, wie Ausbildung in russischen Sprache in den Schulen, Möglichkeiten einer Karriere, Erlangung der Staatsangehörigkeit usw. Sie begreifen, dass diese Probleme gelöst werden können, wenn man an dem politisch-sozialem Leben des Landes aktiv teilnimmt. Dabei reden in Privatgesprächen die "russischen Rigaer" öfters über die stille Diskriminierung zu ihnen. Für sie ist praktisch der Weg zum Beruf als Arzt, Feuerwehrmann, Polizist, Lehrer an einer Hochschule, Kindergärtnerin usw. versperrt. In Litauen ist der Level der Integration der Russen derartig hoch, dass sie keine Notwendigkeit in einer politischen Vereinigung sehen. Der Staat hat ihnen alle Möglichkeiten eingeräumt, um vollwertiger Mitglied in litauischen Gesellschaft zu werden - die "Nullvariante" (also ohne Vorbedingungen Anm. des Übersetzers) der Erlangung der Staatsbürgerschaft, Bewahrung der russischen Schulen, staatliche Unterstützung der gesellschaftlichen Vereinigungen, Loyalität der Massenmedien zu den Russen usw. Deswegen ziehen sie es vor nicht aus ihrer ethnischen Angehörigkeit zu wählen, sondern aus ideologischen Bevorzugungen.

Die Vorsitzende und Mitglieder der russischen Vereinigungen in Litauen beschweren sich oft über die Zersplitterung der "lokalen Russen" und "nicht adäquaten Blick" auf sie aus Russland. Auf die Frage wie sie die Nichtadäquität zeigt, antworten sie: "Wir fühlen uns nicht als entrechtetes Opfer". Sie bitten Russland nicht um Geld, um die Arbeit oder Aufnahme der Flüchtlinge - sie brauchen eher eine moralische Unterstützung. So wie eine vereinfachte Ausgabe des Visums (laut Statistik waren 40 Prozent der "litauischen Russen" noch nie in ihrer historischen Heimat), Hilfe bei der Organisation von Tourneen der Theater und Sänger aus Russland.

- Laden sie uns zu sich ein in Russland zu lernen, Berufspraxis zu bekommen. Seit offen nicht mit Wörtern, sondern mit Taten, - sagen heute litauischen Russen.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenn es solche Leute wie Klenski und Co. gibt, will man einfach mit den Russen nix zu tun, ist einfach so.

kloty hat gesagt…

Die Frage ist, ob man 300 000 Leute auf ein Dutzend Personen wie Klenski & Co reduziert. Dass Klenski ein Egoist ist, der niemanden neben sich duldet, ist schon laenger bekannt und ein Prozent der Stimmen, die er gesammelt hat, sollte man nicht ueberbewerten, auch wenn er das momentan tut.

Die Politik in Estland krankt daran, dass die meisten Aktoere schon so lange dabei sind, dass sie jegliche Glaubwuerdigkeit verloren haben, aber nicht abtreten wollen. Das gilt fuer Klenski und fuer Saavisaar und Laar und noch einige. Es kann sich nur was aendern, sobald frische Gedanken ausgesprochen werden und Gehoer finden.

Anonym hat gesagt…

Ich nochmals ...

Neue Personen und Richtungen wären gut.

Aber, wenn man in TV (die estnischen Sender) meistens nur Klenski und seine Bande sieht, scheint es ja, dass die die 300 000 vertreten.

ETV2 scheint dabei etwas besser da zu sein, da vermeidet man die Leute und Sendungen auf rus. zeigen auch andere russische Esten.

kloty hat gesagt…

Hallo Anonymous:

Eine Frage an Dich, wen meinst Du, wenn Du von Klenski und seiner Bande sprichst? Klenski hat nämlich keine Bande. Er spricht gerne von dem Spisok Klenskogo (also die Klenski-Liste), ich habe noch nie von einem anderen Mitglied der Liste gehört als Klenski selbst. Gerade propagiert Klenski eine neue Organisation, die bei Kommunalwahlen auftreten soll: Russkij Zentr. Auf die Nachfrage, wer denn sonst Mitglieder von Russkij Zentr ist, weigert er sich diese Frage konkret zu beantworten.

Wenn Du Notchnoj Dozor meinst, Klenski war nie ein Mitglied von Notchnoj Dozor, mehr noch, Notchnoj Dozor hat keine Wahlempfehlung zu den Europäischen Parlamentswahlen ausgegeben, obwohl es Klenski gerne gewollt hätte. Die drei anderen Angeklagten der Bronzenen Vier werden vermutlich lautstark protestieren, wenn man sie als Bande von Klenski bezeichnen würde.

Es ist also nicht so einfach, die russische Gemeinde ist zersplittert und Klenski ist dort nur ein Akteur unter vielen. Alle pauschal zu der Bande von Klenski anzurechnen, ist bequem, aber entspricht nicht den Tatsachen.

Schirren hat gesagt…

Sehr informativer Artikel, danke!

Anonym hat gesagt…

In der artikel steht dass die meistens-russische gemeinde in den Süd-Osten lebt, weil es eigentlich in Nord-Osten ist (meistens in Ida-Virumaa).

Es ist auch regional verschieden wie man zu anderen menschen (die fremder sind) anspricht. Ich habe beobachtet, dass in Tallinn fragt man erst im welche sprache der andere spricht, wenn es nötig ist mit fremder an zu sprechen.

Bewohner Ida-Virumaa und Narva sprechen meist nur Russisch. Öffentliche beamter müssen jedoch Estnisch sprechen (es gibt verschiedene stufen, also wie viel muss man Estnisch kennen um ein beamter zu werden); es gibt auch einige jüngere menschen, die Estnisch sprechen können (angeblich das resultat des integrationsprogrammes und schulunterrichts. Ich denke, aber, dass viele junge menschen entscheiden für sich selbst ob die mehr Estnisch lernen wollen oder nicht. Es ist wohl der ältere generation des regions die nur Russisch spricht. Meist ältere Esten können auch Russisch sprechen, es ist auch regional verschieden, wer und wie viel man andere sprachen sprechen kann.).

In Süd-Osten Estlands (wo das uni-stadt Tartu liegt) spricht man Estnisch und dass tun auch da lebende Russen.

Vieles hängt davon ab, welche gesetze in die drei länder sind.

So viel wie Ich weiss, dürfen in Lettland nur staatsbürger in allen wahlen teil nehmen. Dass geht auch für kommunalwahlen.

Jedoch in Estland dürfen auch "nichtbürger" in kommunalwahlen teil nehmen, aber nicht zur staatsparlament oder der EU-parlament.

Die partei in Estland die klarer als bevor sich jetzt als pro-Russisch positioniert hat ist die linke und populistische Zentrumspartei (Keskerakond). Trotz dem haben auch andere, weniger linke und liberale rechte parteien etnische Russen als mitglieder.

Im mitte Oktobers haben wir in Estland kommunalwahlen, wobei wird man sehen welche die resultaten sein werden für die grossen parteien und verschidene andere wahlkoalitionen und listen. Apropos wahlkoalitionen (valimisliit, pl. valimisliidud), ist es jetzt eine mode für viele grosspartei-mitgliedern sich in wahlkoalitionen zu verstecken.

Ich fühle auch nicht das die Estnische gesellschaft so kontrastvoll ist zugleich dem anderen Baltischen staaten.

Sorry for my broken German, though.

kloty hat gesagt…

Hallo Anonymous,

danke für Deine Ergänzungen. Dein Deutsch ist gar nicht so schlecht, ein paar Fehler, aber Übung macht den Meister :-).

Vika hat gesagt…

wie viele ethnische Russen in Litauen sprechen Litauisch?

Anonym hat gesagt…

Wer sich nach Jahrzehnten der BEsetzung immer noch als Herr aufspielt und kein Wort der Landessprache spricht ist selber schuld.