Letztes Wochenende fanden in Estland die Kommunalwahlen statt. Die Ergebnisse für die ersten drei Parteien sehen estlandweit wie folgt aus: 31,5% Zentristen, Reformpartei 16,7%, IRL 13,9%. Doch natürlich ist der Hauptgewinn die Mehrheit im Stadtrat von Tallinn. Da sieht es folgendermassen aus: Zentristen 54%, Reformpartei 17%, IRL 15%, Sozialdemokraten 10%. Zum Vergleich noch Ergebnisse aus mehrheitlich russisch-sprachigen Narva: Zentristen 77%, "Neue Narva" 8%, "Petersplatz" 6%, Block von Jüri Mischin 5%. Estnisch-sprachige Tartu sieht folgendermassen aus: Reformisten 31%, IRL 24%, Zentristen 17%, Sozialdemokraten 16%, Volksunion 5%. Es wurden zwei Rekorde aufgestellt, eine sehr hohe Wahlbeteiligung von 60% und Edgar Savisaar, der in Lasnamäe sich aufgestellt hat, bekam 38 978 Stimmen.
Aus diesen Zahlen wird klar, dass der russisch-sprachige Wähler die Wahlen ganz massgeblich beeinflusst hat. Zur Erinnerung, bei den Kommunalwahlen dürfen alle Einwohner des Landes wählen also auch russländische Staatsbürger und Staatenlose. Im Vorfeld der Wahlen wurde von den rechten Parteien versucht, genau diese Befürchtung in Wahlpropaganda umzumünzen, nach dem Motto, die Fremdlinge bestimmen wer der nächste Präsident des Landes werden wird, denn der Sieger bei diesen Wahlen wird als heisser Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr gehandelt. Savisaar hat seine Kandidatur tatsächlich nicht ausgeschlossen, doch dazu später mehr.
Bevor wir uns näher mit den Auswirkungen des Sieges der Zentristen beschäftigen, noch ein paar Worte zu den mono-ethnischen russischen Parteien. In Tallinn sind zwei Blöcke angetreten, das "Russische Linke Bündnis - Unsere Stadt", das in Tallinn 0,2% der Stimmen bekommen hat, doch in Maardu und Kallaste die Mehrheit erhalten bzw. gewinnen konnte und die "Klenski Liste - Russisches Zentrum" unter Führung von Dmitri Klenski, die 1,2% der Stimmen bekommen hat. Für seine Liste hat Klenski in Eiltempo die im Zusammenhang mit den Bronzenen Nächten mehr oder weniger bekannte Leute, wie Maksim Demidov, Larissa Neschadimova, Klaus Dornemann, Mark Syrik und andere zusammengetrommelt, manche Spötter sprachen schon von hitlerschen Volksfront, jeder der imstande ist ein Gewehr zu halten, solle antreten (wurde von besonders ironiebefreiten Leuten nicht verstanden), das Wahlprogramm war sehr gemeinschaftorientiert, wobei ich bezweifle, dass viele Wähler das Wahlprogramm überhaupt zu lesen bekamen. Die Befürchtungen, dass diese Bündnisse wertvolle Prozente der Stimmen den Zentristen abjagen könnten, haben sich überhaupt nicht bewahrheitet, ein russischer Bürgermeister in Tallinn alá Riga ist absolut unvorstellbar.
Doch nun zu den Auswirkungen der Wahlen auf die politische Landschaft Estlands. Mart Laar hat schon im Interview angekündigt, sich mehr um die russisch-sprachige Wählerschaft zu kümmern. Wie er das machen möchte bleibt rätselhaft, den Laar gilt als einer der größten Russland-Feinde und Georgien-Freunde, was bei der russisch-sprachigen Bevölkerung keine Sympatie-Punkte einbringt. Die Zentristen haben dagegen ein strategisches Bündnis mit "Einiges Russland" geschlossen, Savisaar besuchte medienwirksam Moskau und traf sich mit dem Bürgermeister Luzhkov. Doch gleichzeitig ist diese Stärke der Zentrums-Partei ihre größte Schwäche. Wie man an den Ergebnissen in Tartu sieht, fühlen sich viele Esten verpflichtet, alleine deswegen die Reformpartei oder IRL zu wählen, um die Herrschaft der Zentristen zu verhindern, denn diese Partei wird in Zusammenhang mit Russland und russisch-sprachigen Wählern und Politikern gebracht, die angeblich die Macht in der Partei an sich reissen könnten. Kaum eine andere Partei möchte mit Zentristen koalieren. Deswegen bietet die Zentrumspartei trotz möglicher Alleinregierung im Tallinner Stadtrat eine Koalition den Sozialdemokraten an, um im Riikogu bei den nächsten Wahlen eine Koalitionsmöglichkeit zu haben. Die Strategie ist riskant für beide Parteien, denn der Vorsitzende der Sozialdemokraten Jüri Pihl ist bei der russisch-sprachigen Wählerschaft sehr unbeliebt, da er einerseits einer der Hauptverantwortlichen der Polizeibrutalität während der Bronzenen Nächte gewesen war, und andererseits es hartnäckige Gerüchte gibt, dass "Onkel Jüri" während der Sowjetzeit sehr eng mit KGB gearbeitet haben soll (Die Esten scheint dieser Umstand nicht sonderlich zu stören). Andererseits könnten die Sozialdemokraten einen Teil ihrer Wählerschaft verlieren, die nicht will, dass durch sie die Zentristen an die Macht in Estnischen Republik kommen. Doch eine andere Variante ist kaum möglich, eine Wiederholung der Koalition zwischen Reformpartei und Zentristen scheint nicht möglich, da die Vorstellungen über die Wirtschaft und Soziales in Zeit der Krise komplett entgegengesetzt sind. Die Grünen und die Volksunion scheinen zu schwach, um als Koalitionspartner sich anzubieten.
Eine andere Stärke der Zentrumspartei, die gleichzeitig die grosse Schwäche ist, das ist Edgar Savisaar, Verkörperung des Maskottchens der Partei, eines Nashorns, seit bald 20 Jahren der Vorsitzende der Partei, dagegen erscheint selbst Helmut Kohl als frischer Jüngling. Savisaar ist zwar der erfahrenste Politiker Estlands, doch eine Erneuerung der Partei ist dringend nötig. Savisaar ist aber der populärster Politiker und die Seele der Partei. Bei allen Wahlen ist er der Spitzenkandidat, ob es Wahlen in Europäisches Parlament sind, oder in Riikogu, oder jetzt bei den Kommunalwahlen oder demnächst wohl bei den Präsidentschaftswahlen. Einige Wählerschichten, insbesondere Rentner wählen nicht die Zentristen, sie wählen Savisaar. Deswegen sollte Savisaar wirklich Präsident werden, kann er sich nicht mehr für andere Wahlen aufstellen, deswegen ist die Gefahr, dass Zentristen führerlos werden und untergehen. Dasselbe kann passieren, falls er altersbedingt abtritt. Wie nach Ära Kohl in der CDU, wird es grosse Turbulenzen geben und es ist nicht klar, ob die Partei dem gewachsen ist. Es wäre sehr ratsam für ihn, bereits jetzt die Übergabe vorzubereiten, was ich mir aufgrund seines übergrossen Egos (das eigentlich allen estnischen Spitzenkandidaten eigen ist) nicht vorstellen kann.
Wie geht es weiter in Estland? Ich bezweifle stark, dass das Wahlergebnis viel an der Politik von Riikogu ändern wird. Die Minderheitsregierung aus Reformpartei und IRL wird sich von dem Erstarken der Zentristen kaum beeindrucken lassen. Recht wahrscheinlich kommen jetzt nach den Wahlen unangenehme Wahrheiten auf den Tisch, was die estnische Wirtschaft, Staatshaushalt, EURO-Einführung und weitere Sparmassnahmen angeht. Der Ministerpräsident Andrus Ansip hat schon durchblicken lassen, dass er niemals die EURO-Einführung zum Jahr 2011 versprochen hatte, er versprach lediglich alles dafür zu unternehmen, dass der EURO 2011 eingeführt wird, das es nicht geklappt hat, hängt nicht von ihm ab. Nicht, dass dieser Spruch besonders unerwartet kam, er wird lediglich die Sammlung ähnlicher Ansip-Sprüche vervollständigen. Die Sparmassnahmen und der Haushalt 2010 werden wahrscheinlich mit Hilfe von Grünen durchgebracht. Vorgezogene Parlamentswahlen erwarte ich nicht, aus obenerwähnten Gründen, wird Zentrumspartei nicht in der Lage sein, ein Misstrauensvotum durchzubringen, um die Regierung aufzulösen und Neuwahlen zu erzwingen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Savisaar ist ja Russe.
Kommentar veröffentlichen