Samstag, Mai 28, 2011

Ein bisschen Demographie

Artikel aus Djen za Dnjem: Immer mehr Leute verlassen Estland

Im Jahr 2010 emigrierten aus Estland 5924 Personen, es immigrierten 2810 Personen. Im Vergleich zu 2009 ist die Emigration gewachsen, die Immigration gesunken. Unter den Migranten (innerhalb des Landes, als auch ausserhalb) waren die meisten Leute im Alter zwischen 20-30.

Im Jahr 2010 immigrierten in das Land 2484 Personen weniger, als emigrierten. Im Vergleich zu 2009 verliessen Estland 636 Personen mehr, es kamen 1074 Personen weniger. Seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit war die Emigration höher als Immigration, berichtet das Statistikamt.

60% der Migranten in das Land waren Männer. Bei den Ausreisenden waren etwas mehr Frauen als Männer.

Unter den Ankommenden waren etwas mehr als die Hälfte estnische Staatsbürger, bei den Ausreisenden mehr als 90%.

Die meisten Immigranten waren aus Finnland, Russland, Ukraine und Großbritannien. Diese Länder waren auch die Hauptanziehungspunkte, wohin die Leute ausreisten. Dazu zählen kann man auch Deutschland, Irland und USA.

Die innere Migration, oder mit anderen Worten Wohnwechsel innerhalb Estlands, der über die Kreisbezirksgrenzen hinausgeht, blieb auf den Niveau von 2009. Ausserhalb der Gemeinde, der Stadt oder des Kreisbezirkes haben 37500 Personen ihren Wohnort gewechselt.

Tallinn war die vorderste Stadt in der Rangliste des positiven Migrationssaldos (in die Stadt kamen mehr, als weggingen, die Bevölkerung wuchs um 2353 Personen), danach folgen die Kreisbezirke Harku und Rae.

Das höchste negative Migrationssaldo (aus der Stadt zogen mehr Einwohner weg, als ankamen) hatten Tartu und Pärnu.

Die Richtung der inneren Migration sind nach wie vor die Vorstädte, von dort zieht man in die nächsten Kreisbezirke weg.

Die Hauptrichtung der Migration ist Tallinn, dessen Migrationssaldo schon mehrere Jahre hintereinander positiv ist, aufgrund der Leute, die aus dem ganzen Land kommen.

Unter den Migranten (innerhalb des Landes, als auch ausserhalb) waren am meisten Leute im Alter zwischen 20-30.

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Laut The World Factbook wenn man den Vergleich zu anderen Ländern zieht, belegt Estland mit -3,31 Migranten / 1000 Menschen den 179 Platz (in Europa hinter Armenien, Albanien, Gibraltar und Georgien), wenn man allerdings die Bevölkerungsabnahme sich anschaut, dann ist Estland mit -0.641% auf dem 6. Platz weltweit, in Europa ist nur Bulgarien weiter "vorne". Bei der Sterberate ist Estland mit 13,55 Toten / 1000 Menschen weltweit auf Platz 20, zwar hinter Russland, das auf dem 5. Platz sich befindet, aber dennoch recht weit vorne.

Dennoch wird die Diskussion um demographischen Folgen für das Land viel entspannter geführt als in Deutschland, dem -0.21% Bevölkerungsabnahme / Jahr dieses Jahr prognostiziert wird. Während in Deutschland der Abbau von Infrastruktur auf dem Land, Bevölkerungsschwund in den meisten Gemeinden und Städten und Überalterung der Bevölkerung ein Riesenthema ist, unternimmt Estland sehr wenig, um den Bevölkerungsrückgang zu stoppen. Zugegeben ist die Regelung des Kindergeldes sehr gut, die Mütter bekommen 1,5 Jahre ihr letztes Gehalt, falls sie in dieser Zeit ein weiteres Kind bekommen, wird die Weiterzahlung entsprechend verlängert. Doch wie in den meisten Ländern stellt sich auch hier heraus, dass die Höhe des Kindergeldes mit der Geburtsrate höchstens kurzfristig korreliert. Zuwanderung ist nur von gebürtigen Esten erwünscht, es gibt einen Fonds, der Auslandsesten ermutigt nach Estland zu kommen, doch sehr viel Erfolg kann ihm bisher nicht bescheinigt werden. Gastarbeiter werden nur widerwillig eingeladen, zu gross ist die Angst, dass sie auch bleiben und die Sprache nicht lernen. Estland belegte auch europaweit den letzten Platz, was die Anzahl der gewährten Asylanträgen angeht. Der neue Innenminister Vaher sagt auch offen, dass die meisten Asylbewerber nur dem besseren Leben nachjagen und aus wirtschaftlichen Gründen nach Estland kommen.

Was den Abbau von Infrastruktur angeht, so droht das Bildungsministerium offen, dass die Anzahl der Gymnasien mittelfristig auf ein Drittel, also von 210 auf 70 zusammengestrichen wird, momentan ist es keine Seltenheit, dass nur eine Klasse pro Jahrgangsstufe zusammenkommt, was viel zu wenig ist. Diese Drohung tauchte im Zusammenhang mit der Umstellung der russisch-sprachigen Gymnasien im neuen Schuljahr auf mehrheitlich estnische Sprache. Falls Gymnasien protestieren, können sie ganz einfach unter die Anzahl der zu schliessenden Gymnasien fallen. Die medizinische Versorgung auf dem Land ist eher schlecht, aber die Leute waren schon immer gewohnt bei größeren gesundheitlichen Problemen in die größere Stadt zu fahren. Was die Bankfilialen angeht, so gibt es Bankbusse, die Dörfer besuchen, anderenfalls müssen die Leute auch weiten Weg auf sich nehmen, um an das Geld zu kommen.

Einige Esten sagen auch offen, dass 1.2 Mio. Bevölkerung in Estland zu viel ist. Um den Platz richtig nutzen zu können, reichen auch 800.000. Zum Vergleich, in gleichgrossen Niederlanden leben knapp 17 Mio. Menschen. Interessanterweise ist es genau die Zahl der Esten in Estland, also falls alle anderen Nationalitäten emigrieren, ist die gewünschte Bevölkerungszahl erreicht.

Wie schon DZD-Artikel beschreibt, ziehen immer mehr Menschen nach Tallinn, besonders stark ist die Zuwanderung aus dem Osten, also russisch-sprachige Minderheit, die in Narva und Kohtla-Järve Arbeit verlor und in Hoffnung auf Arbeitsplätze in die Hauptstadt zieht. Tallinn ist zu 50% russisch-sprachig, das Verhältnis wird eher zu Ungunsten von Esten sich weiterentwickeln, weil viele Esten in die Vororte umziehen und damit aus der Statistik rausfallen, während die russisch-sprachige Bevölkerung in die (verhältnismäßig) billige Plattenbauten zieht. Savisaar mit den Zentristen wird noch lange Zeit Bürgermeister von Tallinn bleiben, Rückhalt ist ihm hier gesichert.

Dieses Jahr findet in Estland wie überall in Europa eine Volkszählung statt. Womöglich wird die Zahl der Ausgewanderten nach oben korrigiert werden müssen, denn viele melden sich gar nicht ab. Es bleibt abzuwarten, ob die anziehende Konjunktur die Leute eher zum Bleiben bewegt, oder die jetzt offenen Arbeitsmärkte in Westeuropa noch mehr Leute zum Ausreisen bewegen werden.

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