Samstag, Mai 17, 2014

Drastische Verringerung des Bildungsangebotes in russischen Sprache ist ein Grund für Proteste in der Ukraine

Am Montag erklärten die Donezkaja und Luganskaja Oblast aufgrund der Ergebnisse des am Sonntag durchgeführten Referendums ihre Unabhängigkeit. Die Proteste im Osten des Landes fingen nach dem Sturz des Präsidenten Viktor Janukowitsch an. Nach dem Sieg „Euromaidans“ hat die Rada (das ukrainische Parlament) als eines der ersten ein Gesetz verabschiedet, der die regionale Sprachen abschafft.

Die Trennungslinie

Die Besonderheit der Sprachsituation in der Ukraine besteht darin, dass ein bedeutender Teil ihrer Bürger, darunter auch der „titelgebenen“ ukrainischen Nationalität, aus einer Reihe von Gründen Schwierigkeiten damit hat, die russische Sprache als eine fremde, ausländische und nicht-staatliche Sprache aufzufassen. Für ein bedeutendes Teil der Bevölkerung ist die russische Sprache ihre Muttersprache, 30% der Bürger antworteten so während der Volkszählung im Jahr 2001.

Die Proteste des „Euromaidans“ waren unter den Losungen in der ukrainischen Sprache, „Antimaidan“ nur auf Russisch. Wenn man über die Aufspaltung der Ukraine sprechen soll, dann wohl entlang der Sprachgrenze, doch auch hier ist alles kompliziert. Am ehesten ist die Spaltung entlang der Linie verlaufen, auf der einen Seite diejenigen, die die russische Sprache als fremdländische Sprache einzustufen bereit sind und auf der anderen Seite diejenigen, die das nicht wollen. Die Beziehung zu der Sprache wurde zu einer Art Markierung, die das Land in den „Westen“ und „Osten“ teilt. In der Geschichte der Ukraine gab es schon mal etwas ähnliches, als die Religionszugehörigkeit die Orientierung auf Moskau oder Polen bestimmte.

Für den „Westen“ mit der vorherrschenden These „Ukraine ist nicht Russland“ ist die Beziehung zu der russischen Sprache wie zu einer fremden zu einem der Hauptinstrumente zum Aufbau und Festigung des unabhängigen Staates geworden. Es ist nur natürlich, dass solcher Umgang mit der Sprache im Endeffekt Protest und Widerstand des „Ostens“ hervorrief, der genau das nicht möchte, die russische Sprache als fremdländische anzuerkennen.

Am häufigsten wird man im Bildungssystem mit der Sprachproblematik konfrontiert. Im geschäftlichen, kulturellem, Massenmedien Bereichen ist die Situation nicht so klar ausgeprägt, hier, in der Ukraine herrscht realer Pluralismus. Kommunikation mit staatlichen Organen, wo man die ukrainische Sprache unbedingt braucht, wird im Leben der Mehrheit der Leute relativ selten gebraucht. Deswegen wird der häufigste und unvermeidliche Platz für Konflikte der Bildungsbereich sein. Es ist kein Zufall, dass die Hauptproteste des „russischen Frühlings“ sich auf diejenigen Regionen der Ukraine konzentrieren, wo nicht nur der prozentuale Anteil der Bevölkerung lebt, der die russische Sprache als die Muttersprache hat, sondern auch wo in den letzten 10 Jahren die schärfte „Ukrainisierung“ der Bevölkerung stattgefunden hat.

Donbass und Vakartschuk-Senior

Im Jahr 1987 gab es in der Ukrainischen SSR ausserhalb der Krim nur eine Hauptstadt einer Oblast, in der es überhaupt keine Schulen mit der ukrainischen Sprache als Unterrichtssprache gab, es war Donezk. In dörflichen Gebieten der Oblast war die Anzahl der Schulen mit der Unterrichtssprache ukrainisch und russisch ungefähr gleich viel.

In den ersten 10 Jahren der Unabhängigkeit änderte sich die Situation mit den Unterrichtssprachen sehr langsam. Im Jahr 2001 war die Anzahl der russischen Schulen in Donezkaja Oblast 41,6% von der Gesamtanzahl der Schulen. Laut der Volkszählung waren in dieser Oblast 57% der Leute Ukrainer, 38% waren Russen. Doch haben dabei mehr als 40% der Ukrainer ihre Muttersprache als Russisch angegeben. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung der Oblast war russisch-sprachig und die Situation mit der Unterrichtssprache entsprach diesem Muster.

Eine scharfe Änderung der sprachlichen Situation in den Schulen der Oblast fing nach 2004 an. Nach dem ersten „Maidan“ kam anstatt Janukowitsch, Viktor Yuschenko an die Macht. Dann ging die Ukrainisierung der Schulen in Donbass los.

Formell blieb die ukrainische Gesetzgebung unverändert, die Eltern haben das Recht selbstständig für ihre Kinder die Schule mit der ukrainischen oder russischen Unterrichtssprache auszuwählen. Doch die Umstellung der Unterrichtssprache einer Schule von einer auf die andere, die Vorbereitung der Lehrkräfte in der entsprechenden Sprache und andere Feinheiten, das liegt im Machtbereich der entsprechenden staatlichen Behörden für Bildungsfragen, die im Endergebnisse alle im Einflussbereich des Bildungsministeriums in Kiev liegen.

Die meiste Zeit während der Präsidentschaft Yuschenkos war Ivan Vakartschuk der Bildungsminister. Er ist der Vater des Sängers der populären Rock-Gruppe „Okean Elzy“ Svjatoslav Vakartschuk, eines Aktivisten der beiden „Maidans“. Ivan Vakartschuk ist der einzige der Bildungsminister, der seine Ausbildung und den Anfang der Karriere in Lviv hatten, er ist ein aktiver Teilnehmer der Regionalpolitik der West-Ukraine.

Gerade in den Jahren der Präsidentschaft Yuschenkos, startete Minister Vakartschuk den Prozess der beschleunigten Ukrainisierung der Schulen in den russisch-sprachigen Regionen der Ukraine. Wenn in 2004 in Donezkaja Oblast nur 26,6% der Schüler in den Schulen mit der ukrainischen Unterrichtssprache lernten, im Jahr 2012 waren es schon 48,4%, also fast 2x mehr. In 10 Jahren, von 2001 bis 2011 verringerte sich die Anzahl der russischen Schulen in Donezkaja Oblast von 518 auf 176, der Prozess der Verringerung beschleunigte sich genau nach dem Jahr 2004.

Im Donezk, wo Anfang der 90-er Jahre alle Schüler der Mittelschulen nur auf Russisch lernten, gab es im Jahr 2012 18 ukrainische Schulen, noch 63 Schulen wurden 2-sprachig, 70 Schulen blieben russisch. Jetzt lernt ein Drittel der Schüler der ausschliesslich russisch-sprachigen Stadt auf Ukrainisch.

In der Bergarbeiterstadt Makeevka, die an Donezk anschliesst, gab es nach dem Zerfall der Sowjetunion keine einzige ukrainische Schule. Jetzt sind es 68 von den insgesamt 72 Schulen.

Ähnliche Prozesse gab es auch in der Hochschulbildung. Noch im Jahr 2000 haben 75,5% der Studenten in russischen Sprache gelernt. Laut der Statistik in 2013 blieben es nur 37%.

Ukrainisierung von Kharkiv und Luhansk

Ähnliche Prozesse auf dem Gebiet der Bildung gab es in anderen Oblast der Ukraine, die an Donezk angrenzen. Im Jahr 1987 gab es in Kharkiv 156 russische Schulen, 2 ukrainische und 3 gemischte. Im Jahr 2006 sind in der Stadt nur 47 russisch-sprachige Schulen geblieben. In der Zeit von 1996 bis 2006 verringerte sich die Anzahl der russischen Schulen in Kharkiv-Oblast von 204 auf 137 und die Anzahl der Schüler, die in russischen Sprache unterrichtet werden, verringerte sich von 218 tausend auf 80 tausend, also dreimal weniger.

In Luhanskaja Oblast haben bei der Volkszählung 2001, 68,8% die russische Sprache, als die Muttersprache angegeben. Doch genau in diesem Jahr wurde auf ein Beschluss aus Kiev hin, in der Pädagogischen Hochschule von Luhansk die Ausbildung auf die ukrainische Sprache umgestellt, die russische Sprache wurde als Fremdsprache unterrichtet.

Wenn im Jahr 2005 29,5% der Schüler in Luhanskaja Oblast ihre Ausbildung auf Ukrainisch hatten, so waren im Jahr 2009 es schon 48,5%. Das bedeutet die Hälfte der Schüler der Luhanskaja Oblast lernen auf Ukrainisch, obwohl für zwei Drittel der Einwohner der Oblast russische Sprache ihre Muttersprache ist. Ein rapider Wachstum der ukrainischen Bildung und Schulen in der Oblast geschieht in nur wenigen Jahren.

Während des Zerfalls der UdSSR, im Herbst 1991, ist es genau die Unbestimmtheit der Zukunft der russischen Sprache, die die politische Aktivisten aus Donbass und aus dem gesamten Süd-Osten Ukraine dazu bewegte sich mehrere Male über die mögliche Trennung und Verlassen der „selbstständigen“ Ukraine zu äußern. Damals wurde die Situation mit der vom Verhovnij Sowjet schnell verabschiedeten „Deklaration der Rechte der Nationalitäten in der Ukraine“ vom 1. November 1991 entschärft. Im Artikel 3 dieser Deklaration wurde verkündet, dass „Der ukrainische Staat garantiert allen Völkern und nationalen Gruppen das Recht der freien Nutzung der Muttersprachen auf allen Gebieten des öffentlichen Zusammenlebens, inklusive der Bildung.“

Formell hat der offizielle Kiev diese Garantien niemals verletzt. Doch die reale Politik der ukrainischen Regierung in dem Bildungsbereich (besonders die Prozesse, die nach dem ersten „Maidan“ gestartet wurden, in den Jahren der Präsidentschaft Yuschenkos), führten zur rapiden Verringerung der Nutzung der russischen Sprache.

Im Endeffekt wurde diese Politik zu einem der Gründe der Proteste im Süd-Osten des Landes, der Sieg des zweiten „Maidans“ beunruhigte Donbass nicht nur wegen der Kämpfer mit Gesichtsmasken und Maschinengewehren, sondern auch wegen der Perspektiven der neuen Spirale der aufgezwungenen Ukrainisierung.

Übersetzung von rusplit.ru

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