Letzte Woche habe ich ein Vortrag über die russisch-estnischen Beziehungen vor gemischtem russisch-deutschen Publikum gehalten. Um zu erklären, was das für Leute waren, die sich für solche Themen interessieren, muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt ein Deutsch-Russisches-Forum in Berlin, eine NGO, die einen Austausch zwischen Deutschland und Russland auf allen möglichen Ebenen fördert, angefangen mit Nachwuchsjournalisten aus Russland, die für einige Wochen nach Deutschland kommen, um hier ein Praktikum bei deutschen Zeitungsredaktionen zu absolvieren, bis hin zu Petersburger Dialog, eine Initiative, die noch von Putin und Schröder ausgegangen ist, um Eliten der Länder zusammenzubringen. Der letzte Dialog war vor kurzem in Wiesbaden und man hatte nicht den Eindruck, als ob Putin und Merkel sich viel zu sagen hätten, aber das ist eine andere Geschichte. Eine der Massnahmen, die DRF organisiert, sind die sogenannten Young Leader Seminare, die Unternehmen, die das DRF sponsern, dürfen Young Leader nominieren, also junge, engagierte und vielversprechende Mitarbeiter, die Russisch sprechen, oder aus Russland kommen und diese Young Leader treffen sich dann regelmäßig in Deutschland oder in Russland, lernen aneinander kennen, es entsteht wiedermal ein Netzwerk. Und die Clubkonferenz ist der Ausdruck dieses Netzwerks, denn die ehemaligen Young Leader treffen sich immer noch einmal in Halbjahr in Russland und einmal in Halbjahr in Deutschland, unabhängig von Forum, tauschen sich aus und organisieren Vorträge, die grob was mit Thema Russland zu tun haben sollten. Warum ausgerechnet mir die Ehre zufiel einen Vortrag bei dieser Veranstaltung halten zu dürfen, bleibt mein kleines Geheimnis, aber über die Reaktion auf den Vortrag war ich doch etwas überrascht.
Erwartet habe ich eigentlich, dass sich vor allen die anwesenden Russen aufregen, denn ein Ziel des Vortrages war es zu zeigen, dass beide Seiten in Unrecht sind und die russischen Version der historischen Wahrheit auch nicht unbedingt mehr der Wirklichkeit entspricht, als die estnische. Doch aufgeregt haben sich vor allem die Deutschen, wobei die meisten der Meinung waren, dass es nicht sein kann dass in einem EU-Staat so was geschieht. Geschockt waren die meisten, als ich die Prozentzahlen der Staatenlosen in Estland auf Nachfrage hin genannt habe und die Aufschrift "Alien" auf ihren grauen Pässen. Es scheint wohl eine deutsche Grundüberzeugung zu sein, dass wenn ein Land in der EU ist, dort paradiesische Zustände für alle Minderheiten herrschen müssen (das war meiner Meinung nach die beste Szene in Film "Auf der anderen Seite" von Fatih Akin, als Hanna Schygulla die türkische Anarchistin zu überzeugen versucht, dass sobald Türkei in der EU ist, alle ihre politischen Forderungen erfüllt werden). Einige der Zuhörer haben zwar nicht verstanden, warum die Verlegung eines Denkmals solch heftige Reaktionen ausgelöst hat, kritisiert wurde Russland aber von niemandem. Wobei ich natürlich einwenden muss, dass das Publikum nicht unbedingt repräsentativ war, sondern doch recht russland-affin.
Auf jeden Fall war das eine interessante Erfahrung vor mir unbekannten Leuten einen Vortrag über ein mir nahegehendes Thema zu halten und einen guten Feedback zu erhalten.
Mittwoch, November 07, 2007
Ein Vortrag für die Clubkonferenz der (ehemaligen) Young Leader
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4 Kommentare:
Weniger als 10% haben kein EST Pass und die letzten wollen es ja garnicht mehr. Wo liegt das Problem?
Das Problem ist, dass 10% Staatenlosen in eigenem Land nicht als Problem betrachtet wird. Aus deutscher Sicht ist das nicht nachvollziehbar.
Ahah, Staatenlose in eigenem Land, das ist doch ein Witz.
Wie betroffend sind die Deutschen, dass irgendwo (was die meisten nichtmal auf der Karte finden) so was gibt?
Wie viele Staatenlose + ungekl. Herkunftsland haben, gibt es in GER?
Wie ich geschrieben habe, die Deutschen sind ueberzeugt, dass wenn ein Land in der EU ist, es gewissen Standarts folgen soll und gewisse Regeln erfuellen muss. Ob es eine Statistik gibt, wieviele Staatenlose in Deutschland gibt, weiss ich nicht, vor dem Hintergrund, dass der Auslaenderanteil in Deutschland 5% ist, ist der Anteil der Staatenlosen in Deutschland verschwindend gering. Wo sollen sie auch herkommen? Deutschland ist ein schlechtes Beispiel, in Zweifelsfall haben Leute deutsche Staatsangehoerigkeit bekommen, deren Vorfahren seit mehreren Jahrhunderten aus Deutschland ausgewandert sind (alle Deutsche aus Osteuropa und GUS) und wieder zurueckkamen.
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