Bis zum 31. Dezember sind zwar noch ein paar Tage, doch nutze ich jetzt schon die Zeit, um zurückzuschauen auf das vergangene Jahr und einige Gedanken über das nächste Jahr loszuwerden.
Das schlimmste weltpolitische Ereignis diese Jahr war für mich nicht die Finanzkrise (über sie etwas später), sondern der Georgien-Krieg im August. Wieder (wie im April 2007) sass ich nächtelang vor dem Rechner und versuchte die wenigen Informationen aus dem Konfliktgebiet zusammenzutragen. In deutschen Medien war nur der Spiegelfechter einigermassen objektiv, die restlichen Medien schwankten innerhalb von wenigen Tagen von einem Extrem ins andere, wer der Angreifer war, wieviele Tote es gab, wer der Schuldige sei. Augenzeugenberichte gab es kaum zu lesen, deswegen habe ich beschlossen diesen Blog zu übersetzen, weil ich ihn immer noch für authentisch halte. Ich weiss allerdings bis heute nicht, wer das Mädchen ist, das diesen Blog geschrieben hat, warum sie nicht mehr schreibt und was aus ihr geworden ist. Dieser Krieg vertiefte noch mehr den Graben zwischen unterschiedlichen Nationalitäten in Estland, die Schuldfrage wird gegensätzlich beantwortet und die Paranoia vor erstarktem Russland und Schutzbedürfnis durch die NATO sind noch mehr gestiegen.
Was passierte noch so alles? Viele Artikel gab es zum Thema Notchnoj Dozor und Prozess gegen Dimitrij Klenskij, Maksim Reva, Dimitrij Linter und Mark Syrik. Im Januar wird das Urteil erwartet, es wird mit Strafen auf Bewährung gerechnet. Angesichts dessen, was für Strafen befürchtet wurden (mehrjährige Gefängnisaufenthalte) könnte man erleichtert aufatmen, doch andererseits bedeuten Bewährungsstrafen, dass keine politische Aktivitäten seitens der vier Angeklagten geduldet werden und da Klenskij seine Kandidatur für die Europaparlamentswahl für das nächste Jahr erklärt hat, bin ich mir recht sicher, dass es eine Regelung geben wird, nach der Vorbestrafte sich nicht zur Wahl stellen dürfen, so dass Klenskij als Kandidat ausgeschaltet wird. Deswegen erwarte ich eine Anfechtung des Gerichtsurteils bis zum Europäischen Gerichtshof, so dass es noch viele Artikel zu diesem Thema geben wird.
Einiges habe ich über die Rechte der Staatenlosen in Estland geschrieben. Nach recht hoffnungsvollen Fortschritten letztes Jahr, wie die Aufhebung der Reisebeschränkungen in Schengen-Staaten, gab es dieses Jahr kaum Bewegung. Die Zahl der Anträge für die estnische Staatsbürgerschaft ist gesunken, die Zahl der Anträge für die russländische Staatsbürgerschaft ist gestiegen, doch das bewegt sich auf einem Niveau, dass das Problem der Staatenlosigkeit noch sehr lange geben wird. Deswegen versucht eine Initiative, dass den Staatenlosen Wahlrecht für das Europaparlament eingestanden wird, doch habe ich meine Zweifel, ob es nächstes Jahr schon soweit sein wird.
Jetzt endlich ein paar Worte zu der Finanzkrise. Nach Jahren von zweistelligem Wirtschaftswachstum, nach dem Höhenflug der Immobilienpreise, nach traumhaft niedrigen Arbeitslosigkeit, nach Investitionen aus dem Ausland in Hülle und Fülle, nach billigen Krediten, nach der Hauptstadt der Hummers gab es eine harte Landung. Estland war das erste Land in der EU mit einem negativen BIP-Wachstum im zweiten Quartal, die Arbeitslosigkeit hat sich verdoppelt, die Immobilienpreise so gefallen, dass manche Hypotheken nicht mehr gedeckt sind und der Haushalt für das nächste Jahr besteht aus mehr Löchern als Substanz. Ganz Europa feilt an Konjunkturpaketen, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Ganz Europa? Nein, im Nord-Osten gibt es ein kleines, aber stolzes Land dessen Regierung so von Ideen Milton Friedmans überzeugt ist (der Vorsitzende der Isamaa-Partei Mart Laar hat zugegeben, dass bevor er Ministerpräsident des Landes wurde, das einzige Wirtschaftsbuch, dass er gelesen hat, von Friedman war), dass selbst in Zeiten der Krise neoliberale Ideen als die beste Arznei für das Land gesehen werden. Anstatt wichtige Industriezweige zu verstaatlichen und mit staatlichen Krediten aufzupäppeln, wird allen Ernstes vorgeschlagen sämtliche Unternehmen im Staatsbesitz (Eisenbahn, Post, Energieerzeugung) zu privatisieren. Anstatt Arbeiter vor Arbeitslosigkeit zu schützen, werden Arbeitsschutz-Gesetze gelockert, es wird immer noch über hochqualifizierte Arbeitsplätze fantasiert, die in Estland entstehen sollen, gleichzeitig werden Ausgaben für Bildung auf gleichem niedrigen Niveau gehalten (1,1% des BIPs, der europäische Wert ist 1,84%, in Schweden ist der Wert 3,73%) und die Einwanderungsbestimmungen für gebildete Arbeitnehmer aus dem Ausland werden nicht gelockert. Es ist anzunehmen, dass ein Politikwechsel nur mit einem Regierungswechsel eingehen kann, doch ist eine Regierungsbildung ohne die Beteiligung von den Parteien, die den Schlamassel ermöglicht haben nicht möglich und nach Neuwahlen sieht es momentan nicht aus.
Nächstes Jahr wird in Estland trotzdem gewählt, es gibt Wahlen in Europaparlament (was in Deutschland momentan komplett untergeht) und Kommunalwahlen. Befürchtungen werden laut, dass wieder die russophobe Karte von den Nationalisten ausgespielt wird, allerdings sehe ich momentan nicht, wie sie aussehen könnte (abgesehen von lockeren Sprüchen von Verteidigungsminister Aviksoo, dass die Gefahr besteht, dass 1/5 der estnischen Bevölkerung erschossen oder nach Sibirien abtransportiert werden). Es gibt gar nicht mehr viele Möglichkeiten, um Russland zu provozieren, oder die russisch-sprachige Bevölkerung auf die Barrikaden zu treiben, aber an Fantasie hat es den Wahlkämpfern noch nie gefehlt.
Zum Schluss möchte ich den Lesern und Kommentatoren danken, die mein Geschreibsel sich angetan haben. Besonders hervorheben möchte ich Knut Albers, Klaus Dornemann, Karl Krugmann, Maksim Reva und Dr. Axel Reetz (auch wenn er bestimmt nicht in einer Zeile mit Herr Dornemann und Reva sich sehen möchte), vielen Dank für Euere Einsendungen, Kommentare, Ideen. Ich hoffe, dass nächstes Jahr ein besseres wird, als 2008 und der Abschlussartikel für 2009 weniger dunkel ausfällt als dieser Bericht.
Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2009
Euer kloty
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