Mittwoch, Juni 10, 2009

Wer ist Indrek Tarand?

Die Wahlen ins Europäische Parlament endeten mit einen dicken Überraschung. Den zweiten Platz nach Zentristen erreichte ein unabhängiger Kandidat Indrek Tarand. Sein Vorsprung war so hoch, dass er ausreichend Stimmen für zwei Sitze im Europaparlament hatte. Zugegeben, bisher war mir der Kandidat komplett unbekannt, das einzige was ich über ihn während des Wahlkampfes gelesen habe, war ein Streit während der TV-Übertragung der Debatten zwischen den unabhängigen Kandidaten, als er sich strikt weigerte neben Juri Zhuravljev Platz zu nehmen, weil er ein Teilnehmer der Bronzenen Nacht Krawalle war. Also stellte er die Tisch-Schilder um.

Nachdem auch die anderen Blogs herzlich wenig (1,2,3) zu berichten hatten und Wikipedia auch nur einige biografische Details enthält, habe ich mich in Archiven von rus.delfi.ee umgeschaut, was ich über Tarand finden kann. Dabei sind einige Details rausgekommen, die andere Quellen verschweigen. Nichts liegt mir ferner als schmutzige Wäsche zu waschen, aber vielleicht zeigen gerade diese Details, warum er gewählt wurde.

Die Suche gestaltete sich nicht einfach, weil es mindestens drei Tarands gibt, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, Andres Tarand (Vater von Indrek) ist ehemaliger Ministerpräsident (1994-1995) und derzeit noch Mitglied des Europäischen Parlaments. Ausserdem gibt es noch Kaarel Tarand (Bruder von Indrek), der vielzitierte Hauptredaktor der Zeitung Sirp. Indrek begann seine politische Karriere 1994 als Staatskanzler im Aussenministerium. Eines seinen Ziele war der Ausschuss Russlands aus dem G8 Verband. 2002 beschuldigte ihn seine Chefin Kristiina Ojuland, dass er im angetrunkenen Zustand sie als vene (russische) [zensiertes Wort] beschimpft hatte und sie tätlich angegriffen hat. Ausserdem war vom Autofahren im betrunkenen Zustand die Rede. Das führte zu fristlosen Kündigung. Pikanterweise sind Ojuland und Tarand jetzt Kollegen im Europ'ischen Parlament und werden vermutlich viel Zeit im selben Flugzeug verbringen. Die Kündigung hat gewitzten Tarand nicht erschüttert, er wurde in der Personalabteilung der estnischen Zentralbank angestellt und machte als Showmaster beim Fernsehen solche Karriere, dass er irgendwann vor die Wahl gestellt wurde, Bank oder TV. Er hat sich für TV entschieden, allerdings wurde er 2005 Direktor des Laidoner Museums, das dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Da passierte schon der nächste Skandal. Wieder angetrunken erschien Tarand zu einem Fussball-Spiel mit einem T-Shirt bekleidet, wo auf der Vorderseite die Aufschrift "Kommunisten in den Ofen" und auf der Rückseite ein Grossteil der politischen Elite Estlands (Saavisaar, Ansip, Rüütel, Rejljan) aufgezählt wurde. Dies war der offizielle Grund für den Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers Jõeruuts. Ab 2007 war Tarand Berater des georgischen Präsidents Saakashwilli.

Bei einem Interview zu seiner Aufstellung als unabhängiger Kandidat (est, russ) sagte er über seine politische Ausrichtung, dass er in einigen Fragen ohne Zweifel konservativ wäre, in anderen recht liberal, die Ideen der Sozialdemokratie sind ihm nicht fremd und er habe Achtung vor den Grünen. Der Wunsch in die Politik zu gehen erklärt er damit, dass es ihm nicht gefalle, wie die jetzigen Parteien sich mit der Politik beschäftigen würden.

Mehr ist über sein Programm nicht zu erfahren, ausser, dass er 40000 Kronen für den Wahlkampf verbraucht habe.

Aus allem obengeschriebenen kann man sagen, dass Tarand, ob bewusst oder nicht, Regeln befolgt ist, die nahezu von jedem Populisten angewendet werden, um Erfolg zu haben:

- Sei beliebig, lasse Dich nicht festnageln und sei wählbar für die Leute, die auf die Frage, was für Musik sie hören: "Alles was im Radio kommt" antworten, also common sense

- Besetze ein Thema, für das man maximale Zustimmung an den Stammtischen bekommt, in dem Fall strikte Ablehnung von Kommunismus, Russland und estländischen Russen

- Sei präsent in den Medien, gutes Aussehen, flotte Sprüche und persönliche Ausstrahlung schaden auch nicht

- Schimpfe auf die etablierten, verfetteten, korrupten und geldgeilen Parteien, die keine Ahnung haben und den kleinen Mann nicht verstehen

- Sorge für Skandale

- Sage immer Deine Meinung, auch Deinem Chef gegenüber ohne Rücksicht, entweder gehst Du oder Dein Chef, aber die Aufmerksamkeit ist Dir gewiss und damit verkörperst Du den Traum jeren, die schon immer mal dem Chef die Meinung sagen wollten

- Sei ein Lebemann, in dem Land mit dem höchsten Alkoholkonsum, vielen schnellen Autos und Verkehrstoten ist ein bisschen Trunkenheit am Steuer doch nichts Schlimmes

- Einflussreiche Verwandtschaft ist auch nicht zu verachten

Mit diesem Rezept ist Tarand zwar nicht in die Liga von Möllemann, Haider oder Wilders angekommen, aber wenn ich ihn mit jemandem aus Deutschland vergleichen würde, fällt mir die "schöne Landrätin" Gabriele Pauli ein. Auf ähnliche Art und Weise ist sie bekannt geworden und wäre Franken unabhängig, wäre sie auch im Europaparlament. Ich schätze von Indrek Tarand werden wir von einiges zu hören bekommen, wenn auch nicht unbedingt was positives.

Wer hat Tarand denn gewählt? Ich habe noch keine Wahlanalyse mit handfesten Zahlen gesehen, wer die Gruppe war, die Tarand ihre Stimme gegeben hat, deswegen bin ich hier auf Spekulationen angewiesen. Es handelte sich um eine Protestwahl und die Tarand-Wähler würden unter anderen Umständen ihre Stimmen Reformpartei oder der Partei von Mart Laar geben, doch momentan sind sie nur frustriert. Die Regierungskrise hat keinerlei Änderung in die Politik gebracht, die Parteiführungen sind verbraucht, Savisaar genauso wenig wählbar, wie Kohl nach 16 Jahren Regierungszeit. Tarand spielte auf dem Gefühlsklavier der Wähler genau die richtigen Noten, er ist nicht dogmatisch, sympatisch, nicht auf den Kopf gefallen, erreichte mit wenig Geld sehr viele Köpfe und Herzen, ist nicht parteien-verbunden und hat den Aussenseiterbonus. Das hat viele überzeugt. Mit dem Drive den der Mann jetzt hat, ist er ein Kandidat auf den Posten des Präsidenten der Estnischen Republik.

2 Kommentare:

Jens-Olaf hat gesagt…

Was mir noch fehlt, ist die Zeit als Abgesandter der Regierung in Narva in den 90ern. Dort hat Indrek Tarand bestimmt öfter Interviews gegeben. Ein diplomatischer Vortrag ist im Internet zu finden, aber darüberhinaus suche ich noch.

kloty hat gesagt…

Weiter als 2002 habe ich nicht gesucht, hat mir eigentlich schon gereicht, was ich gefunden habe.