Heute geschah genau das, was schon vor einiger Zeit sich abgezeichnet hat. Mehrere Aktivisten von Notchnoj Dozor haben die Organisation verlassen, die de facto damit nicht mehr existiert.
Schon bei meinem letzten Besuch in Estland vor einem Jahr war es klar, dass es zwei Lager innerhalb von Notchnoj Dozor gibt, auf der einen Seite stehen Maks Reva und Dmitrij Linter, die weit über Estland Bekanntheit erlangt haben und Notchnoj Dozor als Organisation brauchen, in deren Namen sie auftreten können und die andere Gruppe, die Notchnoj Dozor als Graswurzelbewegung sieht, die nicht mal Vorstand braucht und sich auf kleinere Aktionen, wie Protestveranstaltungen, Veteranenhilfe und Bewahrung der russischen Sprache, Kultur und Glaubens sich beschränkt. Mit Politik wollte diese Gruppe nichts zu tun haben. Zwischen den beiden Gruppen kam es schon damals zu gewaltigen Spannungen.
Letzten Monat haben sich Reva und Linter durchgesetzt und führten Vorstandswahlen durch, bei denen Linter zum Vorsitzenden der nichtkommerziellen Organisation Notchnoj Dozor gewählt wurde. Das war ein Lebenszeichen seit langer Zeit, danach protestierte Maks Reva im Namen der Organisation gegen die Verleihung von Ehrenabzeichen der Estnischen Republik an Personen, die während des Zweiten Weltkrieges Mitglieder der Waffen-SS waren und heute, am 10. Februar, kam es dann zu Bruch innerhalb des Vorstandes.
Es wurde ein offener Brief veröffentlicht in dem andere Vorstandsmitglieder Linter und Reva vorwerfen, dass sie nicht autorisierte Interviews geben, kein Bericht über ihre Aktionen und Kontakte mit anderen Organisationen abgeben und die Satzung der Organisation ignorieren. Unter anderem wird Linter vorgeworfen, dass er in einem Interview "von einem Kampf auf den Strassen, Massenmedien und vor Gerichten" gesprochen hat, ohne andere Mitglieder nach ihrer Meinung zu fragen. Deswegen werden solche Mitglieder wie die Pressesprecherin Larisa Neschadimova, Peter Puschkarnyj, Sergej Tydyjakov und andere Vorstandsmitglieder Notchnoj Dozor verlassen. Damit ist die Organisation de facto tot.
Notchnoj Dozor hat sich recht unorganisiert zusammengefunden, weil die Leute nicht mehr anders konnten, als aufzustehen um ihr Recht auf unverfälschte Geschichte, ihre Würde, ihre Erinnerung zu verteidigen. Jeder, der den Bronzenen Soldaten nachts bewacht hat, zählte sich zum Mitglied der Organisation, niemand wollte als eine politische Kraft auftreten, das einzige Ziel war die Schändung des Bronzenen Soldaten durch die estnische Regierung zu verhindern. Nach dem Tod von Wladimir Studnezkij, einen Photografen, der als Führer der Bewegung akzeptiert war, gab es keine Persönlichkeit mehr, die aufgrund der natürlichen Autorität und Selbstaufopferung es geschafft hätte uneingeschränkte Zustimmung aller Mitglieder zu bekommen. Zudem war Notchnoj Dozor das neue Hassobjekt der estnischen Bevölkerung, eine radikale Kraft, die die nichtassimilierten Russen repräsentierte und deutlich die Missstände in Estlands Integrationspolitik benannte. Es gab Druck seitens der KAPO, viele Mitglieder wurden eingeschüchtert und trennten sich von der Organisation. Doch das Ende kam nicht wegen dem Druck von aussen, sondern wegen dem Richtungstreit im Inneren.
Was kommt nach Notchnoj Dozor? Nach den bitteren Niederlagen bei den Europawahlen und Kommunalwahlen sind die Parteien, die exklusiv die russisch-sprachige Bevölkerung repräsentieren, quasi nichtexistent, evtl. bei den Parlamentswahlen melden sie sich wieder, doch dürfen bei diesen Wahlen die nichtestnischen Bürger nicht wählen, so dass die Chancen in Parlament zu kommen äusserst gering sein dürften. Dmitrij Klenski, der als egomanischer Einzelkandidat sich immer wieder aufstellt, hat auch jede Unterstützung in der Bevölkerung verloren. Eine Kulturautonomie wird es unter dieser Regierung definitiv nicht geben, selbst wenn die etwas russenfreundlichere Zentristenpartei an die Macht kommen sollte, ist es fraglich, ob es die Autonomie dann geben wird. Einige Organisationen, die von Russland finanziert werden, sind betont apolitisch und kümmern sich um die russländischen Bürger, wobei dort der Tenor ist, dass man nach Russland umziehen solle, es gibt ja einige Regierungsprogramme von der russländischen Seite, die aber in Estland nicht wirklich populär sind. Von den Zuständen wie in Lettland, wo mehrere Parteien, die explizit Interessen der russisch-sprachigen Bevölkerung vertreten im Parlament vertreten sind, den Bürgermeister der Hauptstadt stellen und mehrere Vertreter in Europaparlament entsenden, ist Estland sehr weit entfernt.
Mittwoch, Februar 10, 2010
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