Samstag, Juli 03, 2010

Die Entführung der Arctic Sea Teil II

folgenden Artikel ist nur mit Vorsicht zu lesen, es kann auch ein Spielchen der russischen Geheimdienste sein, die ihrem Gegenpart in die Suppe spucken wollen.

Die Beichte eines baltischen Korsaren

Im Zuge der Veröffentlichung des Gerichtsbeschlusses des Moskauer Stadtgerichts bezüglich eines Teilnehmers des Raubüberfalls auf das Transportschiff Arctic Sea wurden sensationelle Informationen verbreitet, die wie es scheint etwas Licht auf diese geheimnisvolle Geschichte werfen. Der lettische Staatsbürger Dmitrij Savin hat zugegeben, dass er der Organisator des Piraterieaktes gewesen sei und nannte als Hintermann den ehemaligen Chef des estnischen Geheimdienstes Eric Kross.

Die Angaben des Beschuldigten wurden vom Staatsanwalt vorgelesen, wobei es wie es aussieht nicht nur für die im Saal anwesende Journalisten eine Überraschung war, sondern auch für den Beschuldigten selbst. In seinem letzten Wort hat Savin sich beschwert, dass seine Geständnisse veröffentlicht wurden, denn seine Familie wurde bereits bedroht, um ihn vor zu viel Gesprächigkeit zu warnen.

Falls in seinen Angaben auch nur ein Körnchen Wahrheit steckt, dann sind seine Befürchtungen nicht umsonst. Der Hintermann des Verbrechens ist, wie es aussieht, der Geschäftsmann Eric Kross, der 10 Jahre lang den estnischen Geheimdienst geleitet hat und der bis jetzt Kontakte zu Spezialeinheiten aufbewahrt hat.

Laut Savin waren sie mit Kross Partner bei einem Geschäft, der aufgrund der Wirtschaftskrise unrentabel wurde. Um seine finanzielle Angelegenheiten zu verbessert hat der ehemalige Aufklärer vorgeschlagen, sich an den somalischen Piraten zu orientieren und irgendein Schiff zu übernehmen, um dann Lösegeld dafür zu verlangen.
 
Die Vorbereitung des Verbrechens, laut Savin, fing im Oktober 2008 an. Der Beschuldigte gab zu, dass er faktisch der Organisator des Überfalls war, denn er hat die künftige Seeräuber ausgewählt, vorbereitet und hatte die Kontakte mit dem Hintermann.

Insgesamt wurden sieben Leute auserwählt, an die folgende Forderungen gestellt wurden: kriminelle Vergangenheit, Abenteuerlust, nicht älter als 44, gute physische Verfassung und keine Vorstrafe für Mord.

Savin unterstreicht, dass Kross persönlich die Auswahl der Gruppe bestätigte. Seine eigene Beteiligung erklärt der Beschuldigte mit persönlichen psychischen Problemen, die er nach dem Tod seiner Mutter hatte. Er gab an, dass er ein Abenteuer gebraucht hätte, um sich zu vergessen, als er verstanden hätte, dass es zu weit ging, war es schon zu spät, einen Weg zurück gab es nicht.
 
Vom ersten Schritten der künftigen Korsaren und ihren Organisators an wurden sie vom Pech verfolgt. Zuerst war der Plan ein Schiff in Atlantik zu kapern, irgendwo an einer oft befahrenen Route bei Portugal. Doch dann stellte sich heraus, dass von den künftigen Piraten nur einer Erfahrung auf dem See hätte, alle anderen waren Landratten, die ein Überfall auf offener See überfordert hätte.
 
Es wurde beschlossen die Operation näher am Zuhause durchzuführen, im Baltikum. Derweilen hat Savin seine Untergebene trainiert. Es erklärte ihnen, wie man ein Schiff entert, wie man mit der Schiffsbesatzung umgeht und wie man klaren Kopf behält falls etwas Aussergewöhnliches auf dem Bord des Schiffs geschehen sollte. Die Teilnehmer hatten sogar ein drei-tägiges Training auf einer Basis der estnischen Armee in der Nähe von Tallinn. Doch, laut Savin, musste er ein passendes Ziel suchen, was den Neulingen nicht zu gross wäre. Deswegen wurde die Arctic Sea im letzten Moment ausgewählt. Das Schiff hatte niedrige Schiffswände und hat sich nicht durch Schnelligkeit ausgezeichnet.
 
Der Überfall lief glatt. In der Nacht waren die Piraten, die in schwarze Overalls mit der Aufschrift "Polizei" gekleidet waren,  aufs Schiff geklettert und haben die 15 Mann der Mannschaft in ihre Kabinen gesperrt. Doch hat sich bald rausgestellt, dass sie vergessen hätten das Handy dem Kapitän wegzunehmen, mit dessen Hilfe er den Besitzer des Schiffes über den Überfall benachrichtigte.

Es blieb nicht ganz klar, warum dieser Umstand von der Gruppe als ein Rückschlag gewertet wurde, denn sie hätten sich sowieso mit den Eigentümern des Schiffs in Verbindung setzen müssen um das Lösegeld zu verlangen. Doch folgt aus den Angaben Savins, dass im Falle der vorherigen Entdeckung der Ziele des Überfalls, Kross eine schnelle Evakuierung aller Piraten hätte organisieren müssen. Doch hat er das aus unbekannten Gründen nicht gemacht, was die neugebackenen Piraten in unbequeme Lage versetzt hätte.
 
Savin beklagte sich, dass er die Leitung der Operation in seine Hände hat nehmen und sich aus dem Baltikum in den Atlantischen Ozean durchschlagen müssen. Als Vorsichtsmassnahme wurde der Name des Schiffs zwei Mal geändert, einmal auf den Namen eines kubanischen Schiffes, das andere Mal eines koreanischen.
 
Der Beschuldigte gab auch zu, dass er die Verhandlungen über die Lösegeldzahlung in Höhe von ein einhalb Millionen Dollar hat führen müssen. Doch sie blieben ohne Ergebnis, weder der Schiffsbesitzer, noch die Versicherung wollten das Geld zahlen.
 
Jedem der Piraten wurde im Erfolgsfall eine Prämie von 20 000 Euro versprochen und Savin als Organisator sollte 200 000 Euro bekommen. Der Beschuldigte sagte auch, dass ihm noch zwei Personen geholfen hätten, sein Freund und Klassenkamerad und heute ein deutscher Geschäftsmann Sergej Demtschenko und der in Estland lebende israelischer Staatsbürger Aleksej Kerzbur, der die Route des Schiffs koordiniert hatte.
 
Schon im Golf von Biskay, als die Piraten erfuhren, dass alle Sicherheitskräfte in Europa in Alarmbereitschaft wegen eines vermutlichen Überfalls auf ein Schiff versetzt wurden, haben sie die Erkennungssysteme abgeschaltet, über die sie erkannt werden hätten können. Wie Savin berichtete gab es verschiedene Vorschläge, wie man hätte verfahren können: zuerst wollten die Piraten das Schiff versenken, danach es auf eine Sandbank in der Nähe von Guinea setzen.
 
Als die Avanturisten verstanden haben, dass sie kein Geld bekommen werden, fing Chaos und Unruhe an. Laut Savin, konnte er seine Untergebene nicht mehr kontrollieren, die Alkohol zu trinken anfingen. Als Gipfel der Pechsträhne hat der letzte Plan der Evakuierung auch nicht funktioniert: Demtschenko, der ein Schiff an den Cabo Verdschen Inseln mieten sollte, damit die Piraten das Schiff hätten verlassen können, hat ihnen mitgeteilt, dass er nichts passendes finden konnte.
 
Schliesslich nach einer einmonatigen Reise wurde das vermisste Schiff 300 Meilen in südlichen Richtung von Cabo Verde von russischen Eskadrielle gefunden. Die Schiffsbesatzung, die aus 15 Seemännern aus Arkhangelsk bestand, wurde befreit, die Piraten wurden verhaftet und nach Russland übergestellt.

In seinem letzten Wort hat Savin gebeten, ihn nicht zu streng zu bestrafen, da aufgrund seiner Initiative die Schiffsbesatzung drei Mal täglich zu Essen bekam und medizinische Versorgung sichergestellt wurden. Auch hätte er den Piraten befohlen Gummigeschosse zu verwenden, um mögliche Opfer zu vermeiden.
 
Das Gericht hat Savin zu sieben Jahren Strafkolonie für Piraterie verurteilt, wobei sowohl der Verurteilte, als auch seine Anwälte mit dem Urteil zufrieden sind und es nicht anfechten werden.
 
Trotz der logischen und glaubwürdigen Version, die von Savin erzählt wurde, bleiben im Fall des Überfalls auf die "Arctic Sea" viele Fragen offen. Das Schiff, das mit Holz beladen von Finnland nach Algier unterwegs war, wurde am 24. Juli 2009 in den neutralen Gewässern in der Nähe von Schweden überfallen. Das Schiff gehörte einer finnischen Firma, lief unter maltesischen Flagge und war in Russland versichert.
 
In der Presse gab es Vermutungen, dass die Geschichte mit der "Arctic Sea" kein einfaches Kriminalfall wäre, sondern eine Operation der Geheimdienste mit dem Ziel bestimmte Ware, evtl. Waffen unbemerkt zu liefern. Es gab Meinungen, dass es russische Raketen für Iran oder Syrien sein könnten und der Misserfolg der Operation von Mossad hervorgerufen wurde.
 
Auch wurde nicht ausgeschlossen, dass auf dem Schiff Drogen oder andere verbotene Ware sein könnte und hinter dem Transport ein internationaler Verbrechersyndikat stehen könnte. Und laut der dritten Version könnte der Überfall auf das Schiff mit einem Streit der Besitzer zu tun haben, jemand hat bei jemandem Schulden eingefordert und zwar auch eine nicht ganz legale Art und Weise.
 
Savin hat in seinem Geständnis anerkannt, dass er keine Dokumente hat, um die Beteiligung zum Überfall des früheren Chefs des estnischen Geheimdienstes nachzuweisen, auch bezweifelt er, dass ein einhalb Millionen Dollar, wie die Lösegeldforderung für "Arctic Sea" bewertet wurde, eine bedeutende Summe für Kross darstellen würden.
 
Interessanterweise wurde über die Biografie Savins während der Verhandlung viel weniger gesprochen, also über die Biografie von Kross. Über den Organisator weiss man nur, dass er lettischer Staatsbürger ist und dass in offiziellen Dokumenten sein Nachname auf die lettische Weise "Savins" geschrieben wird. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, wohnt in Tallinn und war irgendwann mal Direktor einer Reederei.
 
Viel ausführlicher hat der Staatsanwalt über den vermeintlichen Hintermann gesprochen. Eric Kross wurde 1967 geboren. Sein Vater ist der bekannte estnischer Schriftsteller Jahn Kross, der sogar für Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Ausser der Spionage-Vergangenheit des Hintermanns wurde im Gericht besonders hervorgehoben, dass er historische Studien betreibt und eine Studie über die "Waldbrüder" herausgegeben hätte - den estnischen nationalistischen Partisanen, die gegen den Sowjetregime gekämpft hätten und in der offiziellen russischen Geschichte als Banditen und Hitlers Helfer tituliert werden.
 
In den 1990-er Jahren wurde Kross der Leiter des Informationsbüros bei dem Präsidialamt Estlands, die die Koordinierung der Tätigkeit der nationalen Geheimdienste betrieb. Man sagt, dass dieser Posten Kross nur einnehmen konnte, weil sein Vater gute Beziehungen zu dem ersten Präsidenten des unabhängigen Estlands Lennart Meri gehabt habe.
 
Im Jahr 2000 musste Kross zurücktreten, nachdem aufgedeckt wurde, dass er eigene Ausgaben mit Dienstkreditkarte bezahlt hatte. Im Laufe des Jahres arbeitete er als Berater des Präsidenten Meri, doch musste er den Posten wegen eines Skandals bei der Privatisierung der estnischen Eisenbahn, verlassen. Nachdem er den Staatsdienst verlassen hat, fing Kross Business an. Laut Savin hat der frühere Chef des Geheimdienstes "an verschiedenen Projekten, die mit Öl und Gas zu tun hat teilgenommen, er baute auch Pensionen", das Geld vom Verkauf wollte er in eine Reederei stecken.
 
Kross behauptet, dass sein Business komplett in anderen Bereichen liegen würde. Er behauptet, dass er Berater der georgischen Regierung in Fragen der Sicherheit war und bereitete dieses Land auf den NATO-Beitritt vor. Dies, laut Meinung Kross' erklärt das Interesse zu seiner Person seitens der russländischen Sicherheitskräfte. Klarerweise verneinte der Este sämtliche Beschuldigungen über die Teilnahme an Überfall, doch gab er zu, dass er Savin kennen würde, er hat ihm ein Raum für ein Office vermietet.
 
Die Unschuld von Kross hat auch die estnische Staatsanwaltschaft erklärt. Ihr Vertreter unterstrich, dass im Rahmen der Aufklärung des Überfalls auf "Arctic Sea", die parallel mit Russland eine internationale Gruppe von Experten aus Finnland, Malta, Schweden, Lettland und Estland durchführt, wurden die Kontakte Savins überprüft und es wurden keine Beweise gefunden, die die Beteiligung Kross' zu diesem Verbrechen belegen würden.
 
Bisher wurde ausser Savin für den Überfall auf "Arctic Sea" nur der Russe Andrej Lunev verurteilt, der auch einen Deal mit der Staatsanwaltschaft geschlossen hätte und fünf Jahre Strafkolonie bekam. Andere sechs Beteiligte bleiben in der Haft und weigern sich ihre Schuld anzuerkennen. Das ist der estnische Staatsbürger Evgenij Mironov, der Russe Dmitirj Bartenev, lettischer Staatsbürger Vitalij Lepin und staatenlose Personen Aleksej Buleev, Igor Borisov und Aleksej Andrjuschin.  
 
Sie alle bleiben bei ihrem Standpunkt, den sie bei ihrer Verhaftung erklärten: sie sind Mitglieder einer ökologischen Organisation, haben Monitoring der Umwelt in der Ostsee gemacht, in ihrem Boot gab es kein Treibstoff mehr und sie mussten auf die "Arctic Sea" evakuiert werden, wo sie wegen nicht von ihnen abhängigen Umständen geblieben sind.

Was die Glaubwürdigkeit der Theorie, die von Savin erzählt wurde, angeht, hat die russländische Staatsanwaltschaft versprochen, sie zu überprüfen. Es ist bemerkenswert, dass nach der Verlesung des Urteils weder die Vertreter der Staatsanwaltschaft noch die Anwälte sich bereit erklärt haben die Verlautbarungen des Beschuldigten der Presse zu kommentieren.  

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