Donnerstag, Juli 07, 2011

Über das Sängerfest in heutiger Form

Als eine Veranstaltung im Rahmen von Tallinn als europäische Kulturhauptstadt 2011 wurde das XI Sängerfest der Jugend ausgerichtet. Begeisterten Berichten von deutschen Bloggern (1, 2, 3) nach kamen zehntausende SängerInnen und ZuschauerInnen zusammen, um zusammen zu singen und zu feiern. Von ergreifenen Momenten wurde berichtet, einer Kommentatorin stiegen sogar die Tränen in die Augen vor Rührung, als das Lied Mis Maa See On? (Was für Land ist das?) von Chören und Zuschauern angestimmt wurde. Also Friede, Freude, Eierkuchen?

Einer Umfrage der russisch-sprachigen Seite des Nachrichtenportals Delfi zufolge interessierte sich eine verschwindend geringe Minderheit (42 von 324 Stimmen) der russisch-sprachigen Einwohnern Estlands für das Sängerfest, wobei es quasi vor den Türen der Russen-Hochburg Lasnamäe stattfand. Die am häufigsten angeklickte Begründung war: "Das ist ein Fest für die Esten - Russen sind da fehl am Platz". Eigentlich komisch, denn Russen haben nichts gegen volkstümliche Chorlieder und es gibt durchaus russische Chöre in Estland. Nur gilt schon seit Jahren die Regel, dass nur estnisch-sprachige Lieder gesungen werden dürfen, wenn russischer Chor auftreten möchte, bitte schön, aber nur auf Estnisch, selbst Finnisch oder Englisch sind nicht erlaubt. Es ist ein nationales Fest, gegründet, um die estnische Identität zu wahren, also sind alle anderen Kultureinflüsse unerwünscht. Es gab Zeiten, da war es noch anders, die heutige Muschel des Sängerfestes wurde 1957-1960 erbaut und der grosse Dirigent Gustav Ernesaks dirigierte "Mu isamaa on minu arm" für alle und alle sangen mit, Russen und Esten.

Das Sängerfest fand in Estland zum ersten Mal 1869 statt und trug zur nationalen Selbstbestimmung bei. Bei den ersten Festen waren die meisten Lieder finnisch oder deutsch, erst im 20. Jahrhundert waren genügend Lieder auf estnisch geschrieben, so dass die häufigste Sprache, in der die Lieder vorgetragen wurden, Estnisch war. Schaut man was in dieser Zeit in Deutschland passierte, so fällt einem das Hambacher Fest 1832 ein, wo die Studentenburschenschaften als liberal und progressiv wirketen, weil sie vereintes Deutschland, Freiheit und Demokratie forderten. Heute, da alle ihre Forderungen erfüllt wurden, gelten Studentenburschenschaften als progressiv, wenn sie Zivis als Mitglieder aufnehmen. Unter einem ähnlichen Winkel kann man auch das Sängerfest betrachten. War es im 19. Jahrhundert eine revolutionäre Forderung nach der estnischen Selbstbestimmung, eigener Kultur und Unabhängigkeit, so wirkt 20 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit die Beschränkung auf rein Estnische sehr rückwärtsgewandt. Wenn Chören aus estnischen Enklaven in Kanada singen dürfen und aus Helsinki und Kiew nicht, dann frage ich mich, was diese Veranstaltung überhaupt unter der Ägide der europäischen Kulturhauptstadt zu suchen hat. Europäer sind da nicht mehr als Zaungäste. Ganz besonders gilt dieser Vorwurf für ein Fest der Jugend. Die Botschaft ist, bleibt unter sich, Austausch mit Chören aus anderen Ländern und Kulturkreisen ist nicht erwünscht, alle sich bitte dem Sprachdiktat unterordnen. Und zwar nicht nur auf dem Fest, sondern auch in der Schule, in der Werbung (offene Frage warum Estnonian Air immer noch so heisst), in Massenmedien, beim Arzt, bei den Behörden usw. Schliesslich steht im ersten Satz der estnischen Verfassung, dass der estnische Staat die Erhaltung der estnischen Nation, der Sprache und der Kultur für Jahrhunderte als oberstes Ziel hat. Für europäischen Gedanken des Kulturaustausches, der Vielfältigkeit der Sprachen und der Völker ist da kein Platz mehr.

29 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mit Tallinn als europäische Kulturhauptstadt 2011 hat diese Veranstaltung nicht viel zu tun, Tallinn selber hat einfach nichts zu zeigen.

Jens-Olaf hat gesagt…

Kloty, ja und nein. Hier widerspricht sich was. Ja: Singen auf Estnisch.
Nein: Andere Chöre sind nicht erwünscht. Stimmt so nicht. Aber das hast du selber erwähnt. Also zum Beispiel die Chinesen beim diesjährigen Jugendfestival:
http://www.cnr.cn/newscenter/gnxw/201107/t20110704_508178029.shtml

@Anonymous
Ansichtssache. Siehe Chinesen.

kloty hat gesagt…

Hallo Jens-Olaf,

danke fuer Dein Kommentar. Wie gesagt, ich habe hier eine etwas andere Info ueber die Choere aus Kiew und Helsinki, aber es waere interessant zu erfahren in welchen Sprache das chinesische Chor gesungen hat. Laut der Uebersetzung der chinesischen Seite waren es chinesischen Lieder. Wurden sie uebersetzt?

Jens-Olaf hat gesagt…

Da bin ich leider überfragt. Denke mal, dass sie auf Estnisch gesungen haben.

zxc hat gesagt…

Wie stellt man dies überhaupt vor, dass mehr als 70000 Menschen schweigen und die 100 Russen auf Russisch singen?

kloty hat gesagt…

@zxc: Es gibt russische Lieder, da koennen sogar Deutsche mitsingen, wie Kalinka.

@Jens-Olaf: Chinesen, die auf Estnisch singen, wow!

zxc hat gesagt…

Und was soll das zeigen, dass die Deutschen Kalinka singen können?

Und verstehst den Sinn von Sängerfesten nicht.

kloty hat gesagt…

Das soll zeigen, dass es viele russische Lieder gibt, die so bekannt sind, dass auch Leute, die nicht unbedingt Russisch gut können, auch mitsingen können.

Dann erkläre mir bitte den Sinn des Sängerfestes.

zxc hat gesagt…

Da werden nur solche Lieder gesungen, welche man als Zuschauer mitsingen kann. Ich selber kennen keine rus. Lieder, welche est. Kinder singen können, nenne nur einen? Heute lernen nur wenige Russisch in der Schule, wie können Kinder, die kein Russisch gelernt haben auf Russisch singen? Kalinka kann man mit 70 000 Menschen bestimmt nicht singen.

Anonym hat gesagt…

Guten Abend!
Ich komme von der Stadtschreiberin-Seite hier herüber und komme mit der Kritik am rein estnisch gesungenen Sängerfest nicht ganz klar.
Aus Sicht eines Deutschen, der aufgrund der deutschen Geschichte sehr vorsichtig sein will mit Kritik an fremden Nationen, würde ich den Esten zunächst noch etwas Zeit einräumen, in der sie vielleicht politisch unkorrekt zuerst einmal estnisch denken und handeln.
Wenn ich an die Probleme denke, die Westdeutsche mit Ostdeutschen immer noch haben („Die Mauer im Kopf“ – nach genau so vielen wieder gesamtdeutschen Jahren wie freien Jahren in Estland) kann ich nachvollziehen, dass sich jemand noch schwer tut, russische Chöre mit russischen Liedern auf das estnische Sängerfest einzuladen. Natürlich wäre eine solche Einladung ein großes und gutes und wichtiges Zeichen in Richtung Zukunft, Völkerverständigung, Integration usw.
Trotz gemeinsamer jahrtausendelanger gemeinsamer Geschichte gibt es das o. g. Ost-West-Problem in Deutschland. Und da sollen die paar hunderttausend Esten nach weiß nicht wie viel Jahrhunderten Fremdherrschaft nicht erst einmal wieder vornehmlich an sich selber denken dürfen?
Ich traue mich wie gesagt nicht, das zu kritisieren. Der erhobene deutsche Zeigefinger ist kein gutes Markenzeichen.

kloty hat gesagt…

Hallo Italiano,

vielen Dank für Deinen Kommentar.

Es sind 20 Jahre vergangen, seit Estland unabhängig ist. Sollte man sich nicht langsam öffnen und nach der Welle des Patriotismus/Nationalismus das vielleicht sogar notwendig war, um wieder eine Nation zu werden und einen Staat zu gründen, anerkennen, dass Estland immer ein multinationaler Staat gewesen ist und schon immer andere Völker den estnischen Boden auch als ihre Heimat betrachtet haben?

Es handelt sich um ein Sängerfest der Jugend, also werden die Vorzeichen schon gestellt, wie es die nächsten 30-40 Jahre weitergehen soll.

Ich finde, dass man durchaus am modernen Deutschland ein Beispiel nehmen kann, wie man mit früheren Feinden umgeht, siehe z.B. die deutsch-französische Versöhnung. Oder was Toleranz gegenüber Minderheiten angeht, oder Karrieremöglichkeiten von Leuten mit Migrationshintergrund. Ist ein Cem Özdemir in Estland vorstellbar? Wenn Du schon über die Spaltung von Ost- und Westdeutschland sprichst, wir haben eine ostdeutsche Kanzlerin!

Den Weg, den Deutschland gegangen ist, haben die Esten und andere Balten noch vor sich, doch findet der Meinungsumschwung nicht mal bei der Jugend statt, in Deutschland haben die 68-er recht viel dafür getan, dass die heutige Gesellschaft den Nachkriegsmief abgeschüttelt hat, das war 23 Jahre nach dem Ende des Krieges, Estland ist jetzt im 20. Jahr, doch die Vorzeichen stehen eher schlecht, dass sich die Geschichte wiederholt.

Anonym hat gesagt…

Gern geschehen :)
Historisch gesehen sind 20 Jahre ein Wimpernschlag. Welch langes Leben haben so manche Konflikte auf dieser Welt. Aber natürlich sollte sich was bewegen. Nur wer "darf" die Esten drauf hinweisen? Sie müssen doch am besten selber drauf kommen - was ich mir durchaus vorstellen kann. Es gibt glaube ich - nur aus einem zugegeben sehr engen Erfahrungshorizont meinerseits heraus gemutmast - schon auch sehr viele Ansatätze, Strömungen, Menschen, die meine Vorstellung dazu unterstützen.
Das Sängerfest der Jugend organisieren wahrscheinlich Leute mit einem schon etwas längeren Erfahrungshorizont, oder?
Andererseit weiß ich von der Stadtschreiberin, dass es bald ein Festival geben wird, auf dem sehr wohl internationale Gruppen auftreten sollen(?), auch aus Russland.
Das mit der französich-deutschen Verständigung ist mir auch beim Schreiben meines ersten Beitrags schon durch den Kopf gegangen. Aber ich glaube, man kann die Situation überhaupt nicht vergleichen mit dem estnisch-russischen Verhältniss. Deutschland war keinesfalls / zu keiner Zeit vollständig durch Frankreich besetzt. Deutsche wurden auch nicht "einfach so" nach Französisch-Sibirien deportiert. Ja, es gab deutsche Kriegsgefangene in Frankreich, aber das ist wohl wirklich nicht vergleichbar.
Und zwanzig Jahre nach Kriegsende wäre Cem Özdemir auch noch nicht vorstellbar gewesen.
Zur (ostdeutschen) Kanzlerin sag ich jetzt mal nix ...
Vielleicht weiß ich zu wenig über die Esten, aber ich glaube (!) nicht, dass man sich da solche Sorgen zur Zukunft machen muss. Ich weiß (!) es nicht, aber die Frage wird mich in der Zukunft wohl beschäftigen.
Irgendwie beschäftigt mich auch die Tatsache, dass es ja "nur" 800.000 Esten sind. Hat man da nicht ein "Recht", stärker an sich zu denken, als wenn es 80 Mios sind, die einer Nation angehören?
Und gibt einem eine Geschichte der Unterdrückung - nicht nur durch Russland! - nicht auch ein "Recht"?
Die Beantwortung dieser Fragen interessiert mich, aber auf die Schnelle lässt sich das nicht lösen.

Albert Caspari hat gesagt…

Danke für die auf dieser Seite etwas intelligenter angestossene Diskussion! Es gibt ja auch die zu Zeiten Sowjet-Estlands von den Parteiideologen vorgeschriebene Pauschalisierung, die estnische Art der Sängerfeste sei schlicht "faschistisch".

Hier verstehe ich es so, dass etwas mehr "multikulti" gewünscht ist. Das erinnert mich an die Äußerung eines Angestellten der Deutschen Botschaft in Riga vom 1.5.2004, als Zehntausende Menschen in Riga stundenlang lettische Lieder sangen, Schlager, Volkslieder, alles durcheinander. "Sie hätten doch ein paar mehr europäische Lieder singen können!"

Nein, es ist doch schön, dass es zunächst mal auf jeden Fall einen Anlaß gibt, wo estnische Lieder gesungen werden - und zwar zum allergrößten Teil ohne Zwang, mit viel Freude am Singen, und an der Gemeinsamkeit (und an dieser schönen Sprache Estnisch!). Alle Generationen nebeneinander.

Ich bin mir nicht sicher, ob es besser wäre, was in Riga gemacht wird (zeitgleich zum lettischen Sängerfest): ein Sängerfest "der nationalen Minderheiten". Die Treffen sich dann in einer gesonderten Halle und einem Park. Eingeladene Gruppen - die Russen in Riga machen an diesem Tag weitgehend etwas anderes.
Estnisches Sängerfest - das sind eben doch Tage der Estinnen und Esten. Ich meinerseits bin sogar froh, dass nicht alles Englisch übersetzt oder sogar gesungen wird (vielleicht für Touristen per Iphone?). Und Gäste sind wirklich gern gesehen, soweit ich es selbst erlebt habe. Allerdings hören Sie dann eben nur zu, wenn sie nicht Estnisch singen können - und kämen selten auf die Idee, den Esten nun (wie zu Sowjetzeiten) ein ausgewogenes Maß an russischen Liedern vorschreiben zu wollen. Ich werde allerdings auch vermeiden, von Esten deutschsprachigen Gesang zu fordern, und - falls sie es doch einmal tun - dann auch die eventuell diskussionswürdigen Hintergründe mancher "Volkslieder" erläutern wollen, wenn sie aus dem Deutschen übernommen werden.

Sarah Jana Portner hat gesagt…

Hallo,
hier schreibt die Stadtschreiberin, um noch ein paar Gedanken zu ergänzen. Viel Wichtiges und Interessantes wurde ja schon gesagt und angesprochen.

Ich war am Abend des Sonntags vom Sängerfest noch am Strand, Baden, und kam mit einem Russen ins Gespräch, also einem Einwohner der Stadt, dessen Muttersprache Russisch ist. Freundlich fragte er mich, ob ich beim Sängerfest gewesen sei. Als ich bejahte, bedachte er mich mit der Bezeichnung „Molodez“. Wörtlich übersetzt in etwa „Prachtkerl“ heißt das Wort so viel wie „Gut gemacht!“. Da war ich seltsam berührt, denn natürlich war mein Gesprächspartner nicht beim Sängerfest gewesen und natürlich hatte ich „bemerkt“, dass das Fest eine komplett estnische Veranstaltung ist.

Aber ich habe nicht das Bedürfnis verspürt oder die Notwendigkeit gesehen, diese Tatsache zu kritisieren. Unter anderem liegt das an dem Gedanken, den so auch ich teile, dass 20 Jahre keine lange Zeit sind. (In der Tat, selbst in meiner Generation, die ja nicht mehr wirklich in einem geteilten Deutschland groß geworden ist, gibt es mitunter sehr wohl Vorbehalte, sich im jeweils anderen Teil Deutschlands niederzulassen, ob für Studium oder Job. Ganz zu schweigen von dem Unwissen, das so viele auch der jungen Leute zu „Osteuropa“ haben.)

Kloty, Du schreibst, dass das Sängerfest unter der Ägide der Kulturhauptstadt nichts zu suchen hat. Das sehe ich nicht so. Eine wikipedia-Recherche sagt mir, dass die Benennung von europäischen Kulturhauptstädten dazu beitragen soll, „den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen“. Ich denke, dass man das durch zwei Arten von Veranstaltungen erreichen kann: Durch Veranstaltungen, die wirklich einen interkulturellen Charakter haben, auf Versöhnung, Verständigung, ein Miteinander abzielen. Und durch Veranstaltungen, die das jeweilige Land bzw. die jeweilige Stadt und seine / ihre Kultur vorstellen, so dass die anderen Länder in Europa und die Gäste (auch „Zaungäste“) diese kennenlernen können. Wenn sich danach eine Diskussion anschließt, zum Beispiel so eine, wie wir sie nun im Netz führen, ist das umso besser. Dann wird nicht nur der „Reichtum des kulturellen Erbes herausgestellt“, sondern dann geht es schon in Richtung „besseres Verständnis ermöglichen“.

Am 20. August findet auf dem Sängerfestfeld ein großes kostenloses Konzert statt. Im englischsprachigen Programm wird die Veranstaltung als „Song of Freedom“ angekündigt. Denn am 20. August 1991, während des Augustputsches in Moskau, erklärte die verfassungsgebende Versammlung Estland für eigenständig und Estland erhielt faktisch die volle Unabhängigkeit. So wie es im Programm steht, sollen Pop- und Rockgruppen aus Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Schweden, Russland und Island auftreten. (Island hat die Unabhängigkeit Estlands als erstes Land anerkannt.) Vielleicht wird das ja ein Ereignis der ersten Kategorie, ein interkulturelles, versöhnendes?

kloty hat gesagt…

@Albatros, zxc und Italiano,

vielen Dank fuer Eueren langen Beitraege. Zu der Frage, ob die Deutschen die Esten auf auf etwas hinweisen duerfen:

1. Es sind nicht nur Deutsche, die an der estnischen Abschottung zu maekeln haben, es gibt auch Leute in Frankreich, in Finnland, in Israel, in Italien, manche davon Mitglieder des Europaparlaments, Rechtsanwaelte, hohe Beamte solcher Institutionen wie UNO und Europarat, die die estnische Minderheitenpolitik und Geschichtsverstaendnis teilweise scharfen Kritik aussetzten. Deutsche als langjaehrige Mitglieder der EU, die ja auch politische Einheit gemeint ist, duerften da (meiner Meinung nach) durchaus mitreden.

2. In diesem Blog werden haeufig die Stimmungen aus der Mitte der russisch-sprachigen Minderheit in Estland aufgegriffen. Ich habe sowohl Freunde und Bekannte dort, verfolge aber auch aufmerksam die russisch-sprachige Presse. Dieser Artikel bezieht sich auf eine Kolumne in rus.delfi.ee, wo die Autorin stellvertretend fuer andere Russen sich beleidigt fuehlt, weil sie zu diesem Fest nicht dazugehoert. Wie die Umfrage und die Kommentare zeigen, geht es den anderen Lesern genauso.

Zu dem Vorschlag zwei parallele aber getrennte Festivals durchzufuehren, meiner Meinung nach riecht es stark nach Abgrenzung. Vielleicht sollte man dieses Festival einfach umbennen, Saengerfest der estnischen Sprache, oder so was, denn was man momentan tut, man nimmt ein altes, ehrwuerdiges Fest zu dem frueher alle Einwohner Estlands eingeladen wurden, um in ihren Sprachen zu singen und konzentriert sich nur auf eine Sprache, so dass die Choere in Estland und ihre Gaeste, die in anderen Sprachen singen, nicht erwuenscht sind. Feine Art ist es sicherlich nicht.

An zxc: Integration ist eine Strasse mit zwei Richtungen. Vielleicht wuerde es auch den Esten nicht schaden, sich ein wenig mit der Kultur des 25% Bevoelkerungsanteils Estlands auseinanderzusetzen.

kloty hat gesagt…

Hallo Sarah,

danke fuer Deinen Beitrag. Bin auf Dein Bericht vom 20. August gespannt, wer alles an Zuschauern kommen wird. Gibt es schon eine Liste der Bands, die kommen werden?

zxc hat gesagt…

In April 2007 konnte man sehen, wie die rus. Kultur aussieht. So was vergisst die Jugend nicht, kann weg bleiben.

kloty hat gesagt…

Bezogen auf comment von zxc: Hat jemand von anderen Lesern dieses Blogs noch Fragen ueber die Xenophobie in Estland?

Anonym hat gesagt…

Hallo Kloty,

zu deiner letzten Frage:
Ja, habe ich - mehrere sogar:
Sind so "xenophob" wie vielleicht zxy es ist, eher die älteren, oder die jüngeren Eten? Eher die auf dem Land oder die in der Stadt? Eher die Intellektuellen uder das einfache Volk? Eher die Armen oder die Reichen?
Oder vor allem Die, die eigene und vielleicht nicht gerade gute Erfahrungen mit der Geschichte gemacht haben, oder inzwischen wohl eher deren Eltern oder Großeltern solche Geschichten erzählen / erzählt haben?
Und Xenophob nur bestimmten Fremden gegenüber, v. a gegenüber den Russen? Oder auch gegenüber anderen Nationalitäten - etwa den Finnen, oder den Deutschen gar?

Nein, du musst nicht alle Fragen beantworten :)

Zur Fage, ob die Deutschen "gute Ratschläge" erteilen sollen, habe ich persönlich eine sehr restriktive Meinung. Mehr als zum Sängerfest sollten sie sich jedenfalls Gedanken machen zu dem Thema, auf das du in deinem vorletzten Post (zu dieser SEHR merkwürdigen Feier in diesem Provinznest) hingewiesen hast.

Einen schönen Abend!

kloty hat gesagt…

Hallo Italiano,

sehr gute Fragen. Ich kenne keine estnische Untersuchung zum Thema Homophobie in der Gesellschaft. Meine rein subjektive Meinung ist, dass viele Juengere anfaellig fuer diese Stimmung sind. Viele Besucher des Waffen-SS Gedenktages sind erheblich juenger, als die Veteranen, das Video "Wie toete ich einen Russen" wurde von Jugendlichen gedreht, durch die Unkenntnis der russischen Sprache, der russischen Kultur ist Verstaendnis der Nachbarn und Toleranz ihnen gegenueber naturgemaess geringer.

Anonym hat gesagt…

Schönen Abend,

eine sehr interessante Diskussion.
Erstens wollte ich aber betonen, dass die Amtsprache in Estland estnisch ist und man deswegen auch in den Sängerfesten meistens in estnisch gesungen wird. Die Sängerfeste stammen, wie Sie schon sicherlich wissen, aus einem nationalen Kulturgefühl, die um 1869 begann, als Estland selbst noch nicht ein unabhängiger Staat war. Damals waren es gerade die estnische Sprache und Kultur, die es ermöglichten, dieses Fest zu veranstalten. In der Sowjetzeit mussten die Esten Lieder überfüllt von Propaganda singen, auch die wenigen Lieder, die keine Propaganda, sondern gerade dieses estnische Nationalgefühl äusserten, wurden verbannt.
Dann aber kam die Singende Revolution, eine Revolution, die durch estnische vaterländische Lieder geführt wurde und Estland wurde wiedervereinigt.
Jetzt sind 20 Jahre vorbei und man sollte schon zwischen der estnischen Minderheitenpolitik und dem Sängerfest unterscheiden, weil diese eigentlich zwei ganz unterschiedliche Aspekte sind.
Das Sängerfest dient immernoch dazu, dem estnischen kulturellen Nationalgefühl zu feiern, alle Freunde der estnischen Kulturkreis sind herzlich willkommen. Dabei will ich noch ergänzen, dass die chinesen tatsächlich in estnisch gesungen haben, da es ein festgelegtes Konzertprogramm gibt und sie sich getraut haben, mituzumachen. Sie haben das Programm gelernt, vorgesungen und waren dann qualifiziert, teilzunehmen. Alle russische Chöre, die bereit gewesen wären,den Konzertplan zu folgen, obwohl es aus estnischsprachige Lieder bestand, waren auch willkommen. Wenn Chinesen, die vorher kein estnisch gelernt haben das schafften, warum sollten dann die russischsprachige Menschen nicht, die in einem Land,dessen Amtsprache estnisch ist wohnen, nicht?
Es ist auch nicht ganz richtig, dass im Sängerfest gar keine andersprachige Lieder gesungen werden, auf dem Programm standen auch schon früher zum Beispiel englischsprachige oder finnischsprachige Lieder. Vorletztes Mal (2009 meine ich) gab es zwei Konzerttage, an einem Tag war das Programm sehr international, es wurden Auszüge zum Beispiel aus Tannhäuser oder Verdi´s Il trovatore, sowie Orff´s Tempus est iocundum und das alles in den originellen Sprachen gesungen. An dem anderen Tag wurden wieder meist vaterländische Lieder gesungen. Das Sängerfest ist wie ein Wiedervereinigungstag, ein Volksfest, ich stelle mir nicht vor, dass die Deutschen am 3. Oktober ausser die Nationalhymne auch zum Beispiel die türkische oder die französische Hymne singen würden, obwohl es eine Möglichkeit wäre, da unsere Welt ja hoffentlich nach einen vereinigten internationalen Weltstaat streben.

Anonym hat gesagt…

Das bedeutet aber nicht, dass die eigenen Kulturen auch vermischt oder sogar abgedrückt werden sollten. Um russische Kultur lebend zu halten gibt es in Estland auch viele verschiedene Möglichkeiten. Ich denke aber nicht, dass die russische Sprache und Kultur in solcher Weise vom Aussterben bedroht sind als der kleine estnische Kulturbereich, der immer mehr von äusseren, aus anderen Kulturbereichen kommende Neuigkeiten beeinflusst wird.
Und Gedanken in Lieder wie "Was für ein Land ist das" (nicht "Mein Vaterland ist meine Liebe", sondern "Mitleid ist hier gerostet, gerostet ist ein Herz ohne ein Schuldgefühl. Was für ein Land ist das, ist der Mensch hier wirklich nur brauchbar für Sklaverei?", Fragen, die in heutigen Estland ganz aktuell sind, da immer mehr Menschen auswandern, aber das ist ein ganz anderes Thema)
überschreiten ja meiner Meinung nach auch die sprachlichen Grenzen, denn alle Menschen, sowohl die Mehrheiten und Minderheiten, die in Estland wohnen, als auch alle Menschen der Welt können sich diese Frage stellen, was für ein Land das ist, woher es kommt und wonach es strebt. Deswegen ist das Sängerfest nicht nur eine Zeit der Feierlichkeiten, es wird auch kritisiert und mit einem analytischen Blick in die Vergangenheit geschaut.
Das alles ist aber nur das zweitwichtigste, wenn an einem Tag im Jahr wenigstens die Esten sich vereinigen können und wenn man wirklich da ist, und Hand zu Hand mit andere Menschen singt, nur singt, ja, meistens estnischprachige Lieder, aber Lieder, die vor allem über Liebe, Glück und das Wunder des Lebens sprechen, und sich dabei wohl fühlt, dann verschwindet plötzlich die Sprachebene und bildet einen viel stärkeren Bund, einen Bund aus menschlicher Kontakt, aus Musik, aus der Freude des Zusammenseins, egal aus welcher Kulturraum oder Staat man kommt.
Man muss nicht die deutsche Sprache beherrschen, um zu verstehen, welche Gefühle das Lied "Freiheit" weitergibt. Man muss nur wissen, worüber das Lied geht und was Freiheit bedeutet. Die wirklichen Emotionen kommen dann aus dem Zusammensein, egal, ob man chinesisch oder moldawisch oder estnisch ist.
Ob das Fest einigermaßen scheinheilig ist, wenn man den estnischen Alltag schaut und die Tatsache, dass das Fest nicht kostenlos für jeder ist, ja, ohne Frage, das Essen der Este ist doch eine andere Este wie man ja sagt und Estland als Staat hat noch sehr viele Entwicklungen vor sich, aber vielleicht ist ein Tag voll von fröhlichen Menschen, die nicht einander fressen wollen es wert.

kloty hat gesagt…

Hallo Anonymous,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Ein paar Punkte:

Du schreibst, dass die estnische Kultur und Sprache es waren, die ermöglicht haben am Anfang dieses Fest zu veranstalten. Das ist schlicht und einfach falsch. Auszug aus Wikipedia:

"Bereits im April 1877 waren die Noten für die 52 vorgesehenen Stücke gedruckt worden, allerdings kamen nicht alle zur Aufführung. Aufgeführt wurden erneut nur jeweils zwei estnische und finnische Lieder, die übrigen waren in deutscher Sprache. Noch gab es nicht genügend estnische Lieder, was sich in den kommenden Jahren aber ändern sollte.
Das III. Sängerfest 1880 wurde erstmals in Tallinn veranstaltet, allerdings erneut unter großem Argwohn der russischen Behörden. Das IV. Sängerfest 1891 fand in der Hochphase der Russifizierung Estlands statt. Es war offiziell dem zehnjährigen Thronjubiläum des russischen Zaren Alexander III. gewidmet. Von den 28 Stücken waren bereits dreizehn geistliche und neun weltliche Lieder estnische Kompositionen. 1894, beim V. Sängerfest in Tartu stammten von 32 Stücken fünfzehn aus estnischer Hand. Beim VI. Sängerfest 1896, das der Kaiserkrönung von Zar Nikolaus II. im selben Jahr gewidmet war, erklang erstmals zum Abschluss die spätere estnische Nationalhymne Mu isamaa, mu õnn ja rõõm und anschließend die russische Kaiserhymne."

Ich schreibe über Festival der Jugend. Ich denke gerade die Jugend sollte offen für fremde Einflüsse und tolerant anderen Kulturen gegenüber sein. Vor allem wenn die Träger der fremden Kultur quasi mit ihnen seite an seite leben.

Was das Aussterben der russischen Kultur und Sprache anbelangt, natürlich ist Russisch in Russland nicht bedroht, in Estland sehr wohl. Bei einer nationalen Minderheit darf es eigentlich keine Rolle spielen, ob es ein anderes Land gibt in dem diese Minderheit die Mehrheit darstellt. Nehmen wir die schwedische Minderheit in Finnland, oder die dänische Minderheit in Deutschland. Natürlich gibt es Dänemark und Schweden, aber trotzdem haben diese Minderheiten in Deutschland und Finnland Rechte und werden vom Aussterben geschützt. Russische Sprache wird in Estland mit aller Kraft verbannt, womit 30% der Bevölkerung ihre Muttersprache und ihre Kultur in den nächsten Generationen verlieren werden.

Es sind wohl russische Chöre mit estnischen Liedern aufgetreten, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass auf Veranstaltungen wie diesen, man nicht anerkennen möchte, dass Estland ein multikulturelles Land ist, ob es der nationalen Mehrheit gefällt oder nicht. Es ist aber Fakt und je mehr man diese Tatsache unterdrückt, desto dringender und sichtbarer werden die Probleme in der Gesellschaft.

Das Sängerfest ist zweifellos ein grosser Tag für die estnische Bevölkerung. Was ich möchte, dass es ein grosser Tag für die Einwohner Estlands wird.

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für alle interessante Meinungen! Ich als gebürtige Estin, Teilnehmerin an der Singenden Revolution und langjährige Chorsängerin in den besten Chören Estlands (u.a. Estonina Philharmonic Chamber Choir) definiere mich als Trägerin der Estnischen Kultur. Und meine Heute fast 10-jährige Lebenserfahrung in den Deutschprachigen Kulturraum lässt auch nachvollziehen warum Ausländische Besucher manchmal mit Unverständis zum Thema Laulupidu reagieren und mit dem Thema ganz unverbundene Stichwörte heben wie z.B. "politische korrektheit" oder "Singen auf Russisch", manche gehen sogar soweit das die eine Wiedergeburt gewisse Bewegung aus der 1930-er auf Wiedergeburt sehen glauben...
Als Jemand, der seit seiner Kindheit auf verschiedenste Ebenen mit der Chortradition Estlands Verbunden ist kann ich der Sinn des Laulupidus ganz Einfach erklären: es ist einzig das überleben und Weitergedeihen des Estnischen Kulturerbes. Es mag überraschen und fremd klingen, aber diese Aufgabe hat unsere Staat sogar laut unsere Verfassung. Wer nur ein wenig nachbeforscht hat, ist nicht mehr so überrascht denn er weiss wie es den anderem mehreren Finno-Ugrischen Sprachen in Ostseeraum gegangen ist, die ohen eigenen Staat blieben. Die sin d nämlich ausgestorben, letzte Beispel ist die Livische Sprache. Zugegeben, Verträter grossen Völkern ist es kaum nachvollziebar. Kultur hat aber alles mit der Sprache zu tun. Estland ist das einzige Land und Staat in der Welt wo Estnisch gesprochen wird, wo in dieser Sprache Zeitungen herausgegeben werden, wo in dieser Sprache höhere Ausbildung zugängig ist... und wo Regilaul seit 1000 Jahren weiterlebt. Das was in Frankreich logischerweiser auf Französisch läuft, was in Schweden auf Schwedisch läuft usw., läuft in Estland genauso nätürlicherweise suf Estnisch - noch, und nach eine Unterbrechung von fast 60 Jahren. Das der etnische Homogenität des Landes nicht mehr das gleiche ist wie während der ersten 20 Jahren des Estischen Republik 1918-1939 - damals waren es mehr als 80 % die Einheimischen und der Rest verschiedene etnische Minderheiten die übrigens anders als aderswo in Europa, volle Kulturautonomie geniessen durften - das ist der Resultat einer agressiver, sowjetischen Siedlungs- und Russifizierungspolitik der Sowjetischen Besatzunsjahren. Und diese Politik hat nicht zu folge das in Estland, besonderes mit Laulupidu, man sich des weiterleben von Russischer (oder Deutscher oder meinetwegen Chinesischer, selbst nicht Finnischer) Kultur kümmern sollte. Das schaffen die anderen Völker und Vertäter ihrer Kultur(kreis)en doch selber! (a propos, in Tänzerfest haben Gastgruppen aus Lettland und Russland ihre Tänze vorgeführt, und das ist keine Ausnahme an den Tänzerfest). Estnische Staat hat leider nicht andere Instrumente um das zu tun - sowie die Bundesrepublik z. B. Goethe Institut in fast allen Kontinenten hat. Kann sich Jemand vorstellen das in Goethe-Institut in Buenos Aires eines Tages Türkisch-Kurse angeboten werden, nur weil es die grosse Minderheit in Deutschland Heute in diese Sprache (un viele sogar NUR in diese Sprache) verständigen kann und weil es politisch korrekt ist? Laulupidu ist unsere Goethe Institut, mit viel kleineren Massstab und schon deshalb nur halb so "gefährlich" wie manche Ausländer es ausehen lassen wollen, geschweige denn die Tatsache wie klein ist eigentlich die etnische Estnische Bevölkerung (unter 1 Million Menschen).
An den letzetn Sängerfest haben mindestens 7 Besucherchöre teilgenommen (u.a. aus der Schweiz, Schweden und China), die die ganzer Repertoire auf estnisch einstudiert hatten. Sie haben sich genau wie die einheimischen Chöre, ein Jahr lang oder länger gründlich vorbereitet. Ich kann gar nicht zusammenzählen wie viele Estland-Russischen Chöre ich in den Umzug sah - und wie viele begeisterte und leuchtende Augen!

Anonym hat gesagt…

zu kloty: dieses alte Fest war nie ein Fest von aller Minderheiten damit die in ihre sprachen singen können. Das es in Anfangsjahren auf Deutsch und in sowjetischen Jahren auf Russisch gesungen wurde, war eine politische Entscheidung und nicht gerade das erste Wahl. Seit den Anfang v. Laulupidu-Tradition war es eine Manifestation von Selbsbestimmung eines Volkes der Jahrhundertelang in eigenem Land unterdruckt und misshandelt war. Du solltest vielleicht mehr über die hitergründe lesen - in deinem Kommentar fängst du ja nicht mal mit dem ersten Fest das in 1869 in Tartu stattfand, an sondern erst mit 1877.
Was es 2011 betrifft, war es gerade sehr tolerant und offen zu neuen Einflüsse: zum ersten Mal klangen auch Rock-Lieder, und das in Begleitung von reisegem Rock-Band! Zum ersten Mal waren Tanz- und Sängerfest beide in auf dem gleichen Platz gefeiert. 2011 war für allen, die sich darauf einliessen, eine integrierende und einschliessende Erfahrung, die Einblicke in unserer Kultur, Tradition und Wesen Bat. Es wird, wie immer, auf den Sängerfest, meistens über die schöne Heimat gesungen, fast wie Liebeslieder; aber auch Lieder gefüllt mit Selbstkrithik, Lieder die zurückschauen und die, die das Estnischsein feiern. Das Sängerfest findet selten genug statt um es wert schätzen zu können und um nicht fürchten zu müssen das daraus eine neue agressive Weltbewegeng stammen wird was den Dritten Weltkrieg auslöst oder was ähnliches. Russisch wird nicht verbannt in Estland, es ist schlicht und einfach nicht der Amtsprache und auch nicht die Sprache der Mehrheit - und so soll es auch bleiben.
Was es die xenophobie betrifft, sage ich nur gaz kurz - es hat mit der diametral verscheidenen Anschauungspunkte zu tun, was die Esten und die Russen auf das Thema Zweite Weltkrieg haben. Damit, das es für den Esten die Sowjetische Armee nicht die Befreier sondern die Besetzer waren und jeder Este die GEGEN der Rote Armee und für die Freiheit Estlands kämpfte, stoltz darüber ist. Damit, welche unglaubliche Repressionen die Esten unter Stalin schon in 1940 erlitten (Deportationen u.a. aufgrunde der Natinalität). Das kann natürlich eine politisch korrekte gesamteuropäische Standpunkt widersprächen, hat aber damit zu tun, das es für den meisten Osteuropäischen Ländern der letzte grosse Krieg moralisch noch nicht beendet ist weil den obengenannten Ländern eine offizielle Entschuldigung (nicht zu sprechen von einer Kompensation) von den Nachfolgern der Stalinisctischer Regime bis Heute ausfiel. Dies ist aber ein ganz anderes Thema, das man besser selber nachgeht, z. B. in dem Buch "Bloodlands: Europe Between Hitler and Stalin" von Timothy D. Snyder.
Einander zu verstehen, selbst auf den gleichen Kontinent, ist nicht immer sofort möglich. Aber man soll das Land respektieren wo man wohnt und mit der Krithik aufpassen über Länder, die nicht die eigene Heimat sind.
Danke für die Aufmerksamkeit.

Anonym hat gesagt…

kloty sagt:
Der Punkt ist, dass auf Veranstaltungen wie diesen, man nicht anerkennen möchte, dass Estland ein multikulturelles Land ist, ob es der nationalen Mehrheit gefällt oder nicht.

Da hast du von Anfang an etwas falche verstanden, denn Estnische Sängerfest ist nicht ein multikulturelle Veranstaltung, das war nie der Sinn der Sache.(Dafür gab es 1990 z.B. "Bridges of Song" wo man in verschiedensten Sprachen sang). Und selbst wenn es so wäre, kann doch keiner der sich ausserhalb dieser Tradition befindet, sagen wie es gemacht werden sollte. Es würde ja keiner der nicht mit der Tradition Hanukkah aufgewachsen ist, gehen und denen, die es seit Generationen feiern, vormachen wie es "eigentlich" gemacht werden sollte.

kloty hat gesagt…

Hallo Anonymous,

vielen Dank für Deine Mühe so einen langen Text in den Kommentar zu schreiben. Ich respektiere Deine Meinung und sehe ein, dass viele oder die meisten Esten dieselbe Meinung haben.

Aber zu jedem Fakt kann man zwei Meinungen haben, Leute in Estland wissen das ja am besten (Stichwort Okkupation vs. Befreiung). Deswegen kann man Laulupidu auch anders interpretieren. Laulupidu ist mit Abstand das größte und wichtigste Fest in Estland. Zu Zeiten der Sowjetunion haben auch Vertreter anderer Völker daran teilgenommen und in ihrer Sprache dort gesungen. Sie haben auch Estnisch gesungen, wenn Gustav Ernesaks sein Dirigentenstock zu Eestimaa on minu arm ansetzte, sangen alle auf Estnisch mit. Laulupidu ist das Aushängeschild Estlands und die Botschaft, dass Chöre des Landes, die in ihrer Muttersprache singen, nicht auftreten dürfen, ist recht eindeutig.

Jetzt zu dem oft vorgebrachtem Argument, Estland ist ein kleines Land, es gibt zu wenige Esten, estnische Kultur muss man beschützen. Nach 20 Jahren der Unabhängigkeit gibt es mehr Leute, die estnisch sprechen, oder weniger? Die demografischen Daten geben eine eindeutige Antwort und die Prognose ist noch düsterer. Vielleicht sollte man sich überlegen, wie man mehr Leute dazu bringt Estnisch zu lernen und zu sprechen. Und aus der eigenen Vergangenheit sollte man doch wissen, dass Lernen unter Zwang die schlechteste Methode ist jemandem was beizubringen. Viele Esten sond stolz darauf nicht Russisch gelernt zu haben, weil es als Zwangsunterricht wahrgenommen wurde. Nichts anderes ist heute andersrum zu beobachten. Am besten funktioniert doch das Lernen, wenn man Vorbilder hat, dass das harte Lernen am Ende genutzt hat. Also Zuckerbrot statt Peitsche. Momentan sehe ich aber nur die Peitsche. Welche Beispiele kann man für einen erfolgreichen Russen nennen, der aufgrund seiner Estnisch-Kenntnisse seinen Weg nach oben in der estnischen Gesellschaft gemacht hat? Abgesehen von ein paar Parlamentariern und Funktionären der Zentristen (die jetzt als Russenpartei beschimpft wird) fällt mir niemand ein. Selbst Leute, die besseren Esten sein wollen, als die Esten selbst, also Kristafovich und seine Open Republica sind unter den Esten nicht willkommen, oder wie sind sonst seine Wahlerfolge von 30 Stimmen zu erklären?

Also zurück zu Laulupidu. Wenn man die estnische Kultur, die estnische Sprache wirklich bewahren will, dann muss sie sich öffnen. Sicherlich ist ein Rocksong eine interessante Entwicklung, aber ich verstehe darunter was anderes. Beispiele für offene Kulturen, die ihre Eigentümlichkeit bewahrt haben, gibt es mehr als genug: Wer hätte gedacht, dass ein Fest für die Untertanen eines bayerischen Königs anlässlich einer Hochzeit zum bekanntesten Fest Deutschlands wird, zu dem Millionen von Besuchern aus dem Ausland anreisen? Stellen Sie sich vor, dass man dort nur auf bayerisch sein Bier bestellen müßte. Absurd? Oder St.Patricks Day, werden da Sprachkenntnisse derjenigen abgeprüft, die einen grünen Hut aufhaben? Es gibt viele weitere Beispiele für kulturelle Bräuche, die sich von etwas strikt nationalem zu internationalen Events wurden, weil sie sich öffneten. Und die Verweise auf ein chinesisches Chor sind sicherlich interessant, ob das reicht, um die estnische Kultur sehr bekannt zu machen ist eine Frage, die in 20-30 Jahren beantwortet werden kann. Doch was ist, wenn die Antwort negativ ist?

Unknown hat gesagt…

Ich hab den Text nicht gelesen, aber die Kommentare und würde gerne ber die ausländische Chöre etwas ergänzen ^.~ Da stand, dass auch chinesen dabei waren, das stimmt, aber nicht nur. Insgesamt waren im Jahr 2011 3 ausländische Chore, eine aus China, eine aus Kanada (glaube ich) und eine aus der Schweiz, wobei die aus Kanada eigentlich estnisch-stämmige waren. Ich möchte noc ergänzen, dass ausländische Chöre schon willkommen sind, jedoch müssen diese sich bewerben, indem man in estnisch gesungene Lieder einschickt. Wir hatten damals uns sehr viel Mühe gegeben und sogar einmal eine Estnin zu uns gebeten, die uns bei der Ausprache half.

Ich nehme an, dass es nicht daran liegt, dass ausländische Chöre gar nicht erwünscht sind, sondern dass es so viele Chöre gibt, die daran teilnehmen wollen, dass man die Prioritäten auf die heimischen Chöre setzt und denen, die auch die Mühe aufbringen, die estnischen Lieder mit viel Respekt gegenüber der Tradition zu lernen.

Tut mir leid, falls der Kommentar nicht passend ist...

kloty hat gesagt…

Hallo Nhung Nguyen, vielen Dank für Dein Kommentar. Wie ich schon weiter oben geschrieben habe, vielleicht sollte man das Sängerfestival umbenennen, etwa zu Sängerfestival der estnischen Sprache. Dann ist es eindeutig, was diejenigen erwartet, die die dort auftreten, Chöre, die nicht auf estnisch singen können/wollen, brauchen ihre Bewerbungen erst gar nicht abzuschicken. Dann könnte man auch darüber nachdenken noch ein Sängerfestival zu veranstalten, auf dem Chöre Estlands und Auslands eingeladen werden, unabhängig davon in welcher Sprache sie singen.