Gennadij Gramberg schrieb für die Zeitung MK Estonia folgenden Kommentar.
Wenn es einen Streit über komplizierte Momente in der neueren Geschichte gibt, dann sagt man oft um Friedens Willen - überlasst das den Historikern und nicht den Politikern. Ich bin auch dieser Meinung. Doch als die Direktorin des Estnischen Museums für Geschichte Sirje Karis siegesgewiss berichtete, dass die Ausstellung über den "ruhmreichen" Kompatrioten, den Ideologen der national-sozialistischen Bewegung Alfred Rosenberg weiterhin im Museum ausgestellt sein wird, bekam ich Zweifel, ob unsere Historiker verstehen, welchen Geist sie aus der Flasche rauslassen und zu was solche "Objektivität" führen kann.
In der Geschichte des antiken Griechenlands gab es eine Episode als der König von Epirus Pyrrhus einen Sieg gegen die Römer erringen konnte, doch der Preis war so hoch, dass der Sieg einer Niederlage gleichkam. Als ein Pyrrhussieg kann man auch den Entschluss der Museumshistoriker werten, im wichtigsten historischen Museum des Landes den Namen von einem der abstossendsten nazistischen Verbrecher zu verewigen, der für die physische Vernichtung von Millionen unschuldiger Menschen in den okkupierten Ländern Osteuropas verantwortlich war. Das Museum klärt auf, dass der objektiven Wahrheit nach - Alfred Rosenberg in Estland geboren wurde und sogar mit einer Estin verheiratet war, er wurde weltberühmt, deswegen ist die Ausstellung über ihn gerechtfertigt und seine Nazi-Vergangenheit und Schuldigsprechung vor dem Nürnberger Tribunal werden auch erwähnt.
Ein fremder Flecken
Doch diese Erklärung sieht aus wie schreckliche Heuchelei. Der Nazi ist in eine Reihe mit ausserordentlichen Leuten Estlands gestellt worden, die wirklich ihr Land berühmt machten. Das ist der Antarktis-Forscher I.F. Krusenstern, Wissenschaftler K.von Ber, der Sänger G.Ots und andere. In diesem Ruhmesgebilde steht Rosenberg als ein fremder Flecken. Auf diesen Fakt versuchte die Leiterin der jüdischen Gemeinde Estlands Alla Jakobson die Aufmerksamkeit des Kultusministeriums, dem das Museum untersteht, zu lenken, doch das Ministerium schickte einen Brief an das Museum und dort schlug man spöttisch den Gemeindemitgliedern vor, hinzugehen und zu erklären, warum ihnen Rosenberg nicht gefällt. Als ob es den Nürnberger Prozess, wo die Mitbeteiligung des berühmten Kompatrioten zu der Barbarei des faschistischen Regimes und seine führende Rolle bei den Massenmorden und insbesondere beim Holocaust bewiesen wurde, nie gegeben hätte. Wenn die Historiker das nicht wissen, dann haben wir in Estland ernsthafte Probleme mit der Geschichtswissenschaft. Es macht auch traurig, dass nur Einzelne aus der estnischen politischen und intellektuellen Elite die Ausstellung kritisiert haben. Ich nenne den Mitglied des Riikogu (übrigens einen rechten Politiker) Marko Mihkelson und die Journalistin Imbi Paju.
Zarte Saat des Nazifilie
Einer meiner Bekannten war im Museum in der Nähe des Standes über Rosenberg in dem Moment als zwei ältere Deutsche es betrachteten. Da er Deutsch kann, hat er verstanden, dass die Touristen unangenehm erstaunt über den Fakt sind, dass in Estland Nazis verehrt werden und in ihren Aussagen zeigte sich unverdeckte Verwunderung, dass man hier derart wohlgefällig zu den nazistischen Kompatrioten sei. Als ich diese Erzählung hörte, dachte ich um wieviel effektiver die Denazifizierung Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurde. Bei uns allerdings fängt unter dem Mantel der Desowjetisierung die Saat der Nazifilie (Verehrung des Nazismus) aufzugehen. Die deutsche Okkupation interpretiert man als Befreiung vom sowjetischen Regime (in Viljandi feierte man sogar dieses Ereignis), in der Reihe "Gedächtnis Estlands" ("Eesti mälu"), die von der Zeitung "Eeste Päevaleht" herausgegeben wird, wurde das Buch des Schweden Karl Motander publiziert, der mit unversteckten Begeisterung über die faschistische okkupatorische Administration Estlands spricht. Jetzt hat das Historische Museum zusammen mit dem Gustav Adolph Gymnasium seinen Beitrag geleistet.
Schauen wir dieses Ereignis im Kontext der letzten Geschehnisse in Norwegen an. Es scheint ein ruhiges und glückseliges skandinavisches Land zu sein - und der Akt der Terrors mit blutigem Abschlachten in einem Jugendlager. Der Ausführende dachte, dass er einen Anstoss geben muss, um Europa von Nichtweissen zu reinigen. Jetzt sagen die Analysten, dass rechtsextreme Stimmung in Norwegen nicht plötzlich aufkam, sondern lange reiften. Und die Regierung schaute durch die Finger auf die Verbreitung von diesen Stimmungen. Sogar die russländischen Nazis wussten davon, dass ihre ideologischen Brüder in Norwegen nicht verfolgt werde, deswegen versuchte einer von ihnen dort sogar zu wohnen.
Das gefährliche Spiel der Historiker
Die Historiker aus dem Museum spielen ein gefährliches Spiel. Den nazistischen Verbrecher als berühmten Kompatrioten zeigend und eine schweigsame Unterstützung durch die Regierung bekommend, geben sie ein Signal, dass Nazismus gar nicht so schlecht sei, dass er für Estland nicht fremd sei, das ist gegen das Sowjetische und Russländische gerichtet sei und der Protest der Juden eine Kleinigkeit sei. Man hat sie bestialisch hier getötet, Säuglinge eingeschlossen, na und. Die Historiker interessiert es nicht. Und nicht nur die Historiker. Wie freudig haben die ehemaligen Geiseln - Fahrradtouristen - berichtet, dass sie beweisen konnten, dass sie keine Juden wären. Ihnen kam nicht in den Sinn, dass sie Zeugen desselben Szenarios wurden, als die Nazisten Juden jagten und sie vernichteten, nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit. Auf ihren Gesichtern war ein Lächeln der Freude und keine Empörung, dass Nazismus auch heute noch existiert, doch in islamischen Gewändern. Den Pyrrhussieg über den Protest der jüdischen Gemeinde heute feiernd, morgen kann die estnische Gesellschaft mit ihrem Breivik zusammenstossen, der die Idee der arischen Gemeinschaft und nazistischen Idealen verinnerlicht hat. Denn so kann man auch seinen Stand im Historischen Museum Estlands bekommen.