Freitag, September 02, 2011

Das weiße Band

Seit gestern (1. September 2011) tragen einige Leute in Estland weisse Bändchen auf ihrem Revers. Darunter sind Politiker wie Yana Toom, Mihhail Kõlvart, Mikhail Stalnuhhin und Journalistin Olejsa Lagaschina. Mit diesen Bändchen soll Protest gegen die estnische Bildungspolitik gezeigt werden. Ab ersten September gibt es offiziell keine russischen Gymnasien mehr in Estland, alle Gymnasien sind ab der 10. Klasse verpflichtet mind. 60% der Unterrichts auf Estnisch abzuhalten. Es gibt drei offizielle Ausnahmen, das deutsche Gymnasium in Tallinn und zwei Abendgymnasien für Erwachsene. Die Elternbeiräte von 16 Gymnasien haben beim Ministerium für Bildung beantragt, dass in Übereinstimmung mit der estnischen Verfassung die Elternbeiräte entscheiden können in welcher Sprache der Unterricht geführt wird. Doch die Entscheidung wird immer weiter hinausgezögert, als Termin wird jetzt Dezember genannt, was in der Zwischenzeit an diesen Schulen passieren wird, ist unklar.

Was wurden nicht alles für Argumente für und wider diese Reform angeführt. Auf der einen Seite ist es die Argumentation, dass man gute Sprachkompetenz braucht, um Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben, doch wird diese Bemühung konterkariert durch die Tatsache, dass wenn die Schüler den Unterrichtsstoff wegen schlechten Sprachkenntnissen nicht verstehen, dann werden ihre Leistungen entsprechend schlechter. Die Gegner der Reform haben nichts gegen Sprachunterricht an der Schule, sie haben nur was dagegen, wenn Fächer wie Mathematik auf Estnisch unterrichtet werden, denn wenn die Schüler die Begriffe nicht verstehen, dann können sie vielleicht am Ende der Schule gut Estnisch, aber schlecht Mathematik. Mit geeignetem Sprachunterricht wären gute Leistungen in beiden Fächern möglich.

Dann wären noch die Argumente von dem jetzigen Bildungsminister Aaviksoo, dass in anderen Ländern Emigranten auch in die Schulen mit der Landessprache gehen und vom Premierminister Ansip, dass kein Land auf dieser Welt Schulen für Minderheitensprachen finanziert, nur Estland ist so gütig. Dabei verschweigen die beiden Herren, dass Russen schon lange keine Emigranten in Estland sind, kaum ein Kind, das jetzt in der russisch-sprachigen Schule ist, ist nicht in Estland geboren worden, dasselbe gilt häufig auch für die Eltern. Die russischen Schulen haben hundertjährige Tradition in Estland. Und dem Argument mit der Sprache der Minderheit kann man entgegnen, dass in anderen Ländern, in denen 30% der Bevölkerung eine andere Sprache sprechen, diese Sprache längst den Status einer zweiten Landessprache geniesst, so dass es selbstverständlich Schulen gibt, die in dieser Sprache unterrichten.

Die Gegner der Reform befürchten, dass die Qualität der Bildung noch weiter sinken wird. Erstens wegen bereits erwähnten Schwierigkeiten, nicht nur den Unterrichtsstoff, sondern auch noch die Sprache zu lernen, zweitens wegen den fehlenden Unterrichtsmaterialien und vor allem der Lehrer, die den Lehrplan auf Estnisch in russischen Schulen unterrichten können. Den Gymnasien, die sich als nicht bereit für den Umstieg erklären, wird einfach mit Schliessung gedroht, angeblich gibt es viel zu viele Schulen und zu viele Lehrer.

Es hat sich eine Vereinigung gebildet, die sich "Russische Schule in Estland" nennt und vor allem von Andrej Lobov, einem in Finnland lebenden Hochschullehrer repräsentiert wird. Das Ziel der Vereinigung ist es auf juristischen Wege zu erreichen, dass das Bildungsministerium den Wunsch der Elternbeiräte akzeptiert und die Verfassung respektiert, in der festgelegt ist, dass die Sprache in der Schule nicht unbedingt die Landessprache sein muss. Doch es ist kaum anzunehmen, dass die Reform wieder zurückgenommen wird. Die rebellischen Schulen werden früher oder später auf Kurs gebracht oder geschlossen, so dass es bald kaum noch Absolventen geben wird, die die russische Sprache mündlich und schriftlich perfekt beherrschen.

Hier noch ein Video aus Lettland, wo die Regierung ähnliche Reformen schon vor Jahren beschlossen hat und auf erbitterten Widerstand von russischen Schülern gestossen ist.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Weisse Bändchen? Ist schon vergeben. Niemand zwingt Gymnasium zu besuchen!

Schirren hat gesagt…

Interessant ist, daß im 19. Jahrhundert ein ähnlicher Streit unter umgekehrten Vorzeichen stattfand. Unter Alexander III wurde 1887 das Russische als Unterrichtssprache an staatlichen Gymnasien vorgeschrieben, 1889 auch für die Privatschulen. Damals sollte die offizielle Sprache des Reiches das Deutsche ersetzen, dessen Gebrauch Peter d. Gr. und seine Nachfolger den russischen Ostseeprovinzen garantiert hatte. Parallel dazu gab es auch Bestrebungen esten und Deutsche zum Orthodoxen Glauben zu bekehren.Dieses Muster kehrt wohl immer wieder, zum Leidwesen der jeweils betroffenen.