Montag, März 25, 2013

Für uns ist der Staat ein Club der Milliardäre

Der folgende Artikel ist eine Übersetzung folgenden Artikels

Der Haushalt Estlands ist derart von EU-Beihilfen abhängig, dass in mehreren Bereichen nichts aus dem lokalen Budget bezahlt wird, behauptet der Mitglied des Rates der Bank Estlands, der Ökonome Urmas Varblane.

Was bedeutet Abhängigkeit von EU-Beihilfen? Abhängigkeit von Beihilfen ist eine Krankheit, dabei ist eine Krankheit von der wir am Anfang nicht verstehen, dass wir angesteckt sind. Wie zeigt sich das? Wenn wir Finanzhilfe bekommen, dann denken wir, dass wir für dieses Geld irgendetwas besonderes machen werden, was wir im anderen Fall nicht getan hätten. Doch dann denken wir, sollten wir das Geld nicht für irgendwelche Ausgaben verwenden und damit fängt alles an.

Im Dokument über die Nutzung der EU Mittel in den Jahren 2014-2020, das von der Regierung im November besprochen wurde ist es genauso gesagt, dass dieses Geld man als Mittel betrachten sollte, um eine Möglichkeit zu haben ernsthafte Veränderungen durchzuführen.

Was passiert denn tatsächlich? Die heutigen Investitionen in öffentlichen Sektor werden zu 75-90% durch die verschiedene EU-Beihilfen, als auch durch den Quotenverkauf des CO2-Ausstosses getätigt, also nicht durch unsere Steuer.

Wenn man davon ausgeht, dass das estnische Haushalt aus 100% besteht, dann sind 76% davon durch Gesetze verplant, Pensionen, Gehälter, andere Ausgaben, die von Gesetzen verursacht sind. Frei verhandelbar sind 24%, darüber kann Parlament beraten. In den letzten Jahren war der Anteil der EU-Beihilfen im estnischen Haushalt 16-18%.

Man kann sich einfach ausrechnen: Wenn der Anteil der eigenen Steuermittel im Haushalt 82% beträgt und für die Einhaltung der Gesetze 76% benötigt werden, dann, gäbe es keine EU-Beihilfen, wären die frei verfügbaren Haushaltsmittel nur 6%.

Mit anderen Worten, wenn wir keine finanziellen Beihilfen durch die EU hätten, könnte der Sprecher der Riigikogu beim Parlament fragen: „Gelten in Estland Gesetze?“ „Sie gelten“ – würde das Parlament antworten, dann würde der Sprecher sagen: „Das Haushalt ist angenommen, wir können nach Hause gehen“.

Wir müssen uns bewusst machen, dass in der Realität unser Land ständig in der Situation ist, dass wir unsere Ausgaben nicht durch die Steuereinkünfte decken können. Und das geschieht schon seit mehreren Jahren. Wir schaffen es die EU-Beihilfen für Aufgaben auszugeben, wo sie früher nicht notwendig war.

In den letzten sieben Jahren wurden in Estland tausende Arbeitsplätze geschaffen, die mit EU-Beihilfen zu tun haben. Wir haben einen neuen Wirtschaftszweig geschaffen in dem zehntausende von Leuten beschäftigt sind und dessen Umsatz bis zu einer Milliarde EUR/Jahr beträgt. Wenn es ein perpetuum mobile wäre, dann könnte man sagen, es ist alles ausgezeichnet, andere machen es genauso.

Doch die Prozesse innerhalb der EU zeigen, dass es nicht ewig andauern kann.

Doch es ist absehbar, dass dieser Mechanismus die nächsten sieben Jahre gültig sein wird?

Ja, dieser Prozess wird stärker. Die finanzielle Beihilfe der EU wuchs jedes Jahr und es wuchs ihr Anteil im Landeshaushalt. Schauen Sie mal, Estland hat sich fast schon von Investitionen durch eigene Steuermittel sich verabschiedet: Strassen und Schulen, Skischanze in Tehvandi, die Sporthalle des englischen Colleges, das neue Gebäude des Chemielehrstuhls der Tartuer Universität – das alles ist mit den EU-Beihilfen bezahlt worden. Und das sind nur Einzelbeispiele.

Für das Estnische Nationalmuseum haben wir keine EU-Mittel bekommen

Das ist nur deshalb, weil wir es zu bunt getrieben haben, wir haben versucht Europa zu betrügen und die Schatzkammer unserer Kultur als touristisches Objekt zu verkaufen. Manchmal versuchen wir unsere Bauernschläue zu nutzen in der Hoffnung dass andere aus Dummheit oder Nicht-zu-Ende-Denkens das nicht durchschauen werden.

Estland in Europa ist ein Land, das mehr bekommt, als es gibt. Doch warum sollen andere Länder uns was geben? Wir reden hier über die Solidarität und davon, dass Europa stark sein soll, die reichen Länder sollen armen helfen. Was Europa auch tatsächlich tut.

Erinnern Sie sich was es für Diskussionen gab, als die Frage über den Beitrag Estlands in Stabilitätsfond EMS gestellt wurde? Wir haben sofort über die Solidarität und die Finanzhilfe vergessen, die wir mehrere Jahre hintereinander bekommen haben. Während der Schuldenkrise war es seltsam Gerede darüber zu lesen, dass die faulen Europäer auf die Rechnung der arbeitsliebenden Esten leben würden, dabei bekamen wir jeden Jahr von den „faulen“ Europäern Beihilfen in der Höhe von fast einer Milliarde Euro.

Die Strukturfonds der EU haben bis jetzt Estland sehr geholfen. In der Periode der Krise betrug die Finanzhilfe der EU 5% des Bruttosozialprodukts. Als im Jahr 2009 die Steuereinkünfte der Regierung trotz der Steuererhöhung bis auf 400 Mio. EUR gesunken sind, bekamen wir zusätzlich 360 Mln EUR EU-Beihilfen, das heisst die Hilfe der EU deckte den Fehlbetrag der Steuereinkünfte. Das wichtigste Mittel der Bekämpfung der Krise war die finanzielle Hilfe, die wir aus dem EU-Haushalt bekommen haben. Ohne diese Hilfe wäre der Niedergang noch mehr bemerkbar.

Andere europäischen Länder geben uns ständig finanzielle Hilfen, wir ihnen nicht. Zum Beispiel ohne die Agrarbeihilfen der EU würde unsere Agrarwirtschaft wahrscheinlich komplett verschwinden.

Vor dem Beitritt in die EU habe ich eine Untersuchung der Preise durchgeführt, schon damals war es klar in welcher ungleichen Lage unsere Bauern sich befinden. Heute sagen wir noch, wie ungleich unsere Lage in der Agrarwirtschaft in Vergleich mit anderen Ländern ist. Doch dank den EU-Beihilfen hat sie sich deutlich gebessert.

Die Landwirtschaft Estlands steht auf den Füßen durch die Hilfen der EU. Zum Beispiel nehmen wir bei der Erzeugung der Milch die obersten Positionen ein. Zu der Sowjetzeit waren 4000 kg Milch von einer Kuh ein Wunder, heute beträgt die Produktivität 7600 kg und wir halten es für eine Selbstverständlichkeit.

Die Agrarbeihilfen werden bis zum Jahr 2020 wachsen.

Das ist eindeutig ein Gebiet bei der aus der Sicht der gleichen Bedingungen des Wettbewerbs die Beihilfen wachsen müssen.

Doch die Entwicklung kann auch den anderen Weg gehen – den Weg der Kürzung der Beihilfen in allen Ländern der EU, in dem Fall würden die estnischen Erzeuger die gleichen Möglichkeiten bekommen. Leider geht man auf diesem Weg nur sehr langsam voran.

Manches wird doch gemacht. So wird man in Europa bald die Quotierung der Milcherzeugung abgeschafft, es wird keine Vorschriften mehr geben, wieviel Milch man erzeugen darf und für welche Beihilfen und das wird mehr Wettbewerb auf der Grundlage der Effektivität geben.

Für ist das von Vorteil. Es gibt die Hoffnung, dass im Ergebnis wir den Umfang der Erzeugung wie zu Sowjetzeiten wiederherstellen können, 1,2 Mio. Tonnen Milch / Jahr, heute wird er durch die Quote auf ca. 700 000 Tonnen / Jahr begrenzt.

Das wäre wunderbar, doch Sie sagen, dass wir in die Abhängigkeit der Beihilfen geraten, dabei sind wir eines der ärmsten Länder der EU. Was soll man machen, die Hilfe ablehnen, die uns die reichen Länder der EU geben?

Tatsächlich beträgt der Level unseres Einkommens ca. 70% des EU-Mittels und durch die EU-Beihilfen konnte Estland bedeutende Ergebnisse erreichen. Man kann auch sagen, dass Estland sehr erfolgreich das Geld der EU-Strukturfonds benutzte, schloss Verträge ab und zahlte aus. Doch hat diese Medaille eine Kehrseite über die viel seltener geredet wird.

Wenn bei der Erstellung des estnischen Haushaltes wir ständig fast 20% der zusätzlichen Einnahmen im Haushalt berücksichtigen, dann entsteht die Illusion, dass keine Veränderungen notwendig sind. Wir lassen alles wie es ist und reden über neue Geldflüsse. Tatsächlich sind viele Probleme nicht gelöst oder aufgeschoben.

Doch am schmerzlichsten ist, dass man nicht mal die Notwendigkeit der Veränderungen diskutieren möchte. Wir brauchen eine inhaltsvolle Diskussion über die strategische Entwicklung des Landes, doch zum Beispiel der Fond der Entwicklung Estlands macht kein Monitoring der Zukunftsforschung mehr, weil er das für unnötig hält.

Das offensichtlichste Beispiel dessen, zu was Verzögerung führen kann, zeigt sich bei der Staats- und Verwaltungsreform. Wir behandeln unser Staat wie ein Club der Milliardäre. Tatsächlich können wir es uns nicht leisten.

Das kann man nur mit europäischen Geldern. Als Beispiel für die Ablehnung der Veränderung (und der Diskussion darüber) kann man auch die Frage über die Basis der Einkünfte unseren Staates nehmen.

Wenn wir ständig europäische Infusionen bekommen, können wir darüber reden, dass man in Estland nicht die Frage der Besteuerung diskutieren muss, dass bei uns alles in Butter ist. Doch das Finanzministerium weiß ausgezeichnet, dass die jetzige Besteuerung keine Einkünfte garantiert, dass der Staatshaushalt ohne Beihilfen ausgeglichen ist. Die Frage ist nicht, wie diese oder jede Steuer ist, sondern können wir die Entwicklung des Staates auch weiterhin garantieren.

Noch ein Problem besteht darin, dass eine große Anzahl der speziell qualifizierten Kräfte sowohl im öffentlichen, als auch in privatem Sektor die Anträge über die Hilfe aus dem Ausland stellt, Berichte schreibt und die Verwendung der Mittel überwacht. Wenn in so einem kleinen Land wie Estland tausende Leute sich nur mit Beihilfen beschäftigen, ist es sehr ernst.

Wir lieben es zu sagen, dass in der Periode der Krise im öffentlichen Sektor die Anzahl der Arbeitskräfte beschränkt wurde und er effektiver wurde. Doch wenn man auf die Zahlen des Statistikamtes schaut, dann sieht man, dass in den letzten vier Jahren in den lokalen Verwaltungen nochmal 4700 Arbeitsplätze geschaffen wurden, in der Staatsverwaltung blieben die Zahlen auf dem vorigen Level. Ich werde es nicht behaupten, doch es ist offensichtlich, dass eine große Zahl der neuen Arbeitsplätze wegen verschiedenen Projekte mit den EU-Beihilfen verbunden sind.

Die Schemen der Beihilfen, die immer weitverzweigter werden, geben dem privaten Sektor ein Signal, dass man auch ohne den Markterfolg leben kann, die Beihilfen reichen aus. Nach der Bewertung der privaten Banken werden immer häufiger Anträge über Kredite von Firmen und Unternehmern gestellt, deren Business-Pläne sich ausschließlich auf den Empfang der Beihilfen richten, ohne die Beihilfen kann ihr Geschäft sich nicht entwickeln.

Doch das Hauptproblem ist mit der Beziehung zu der Finanzhilfe verbunden, sie wird als irgendwelches fremdes Geld betrachtet und es wird nicht als nötig erwiesen sie effektiv zu nutzen. Genauso hat man das Entwenden des Staatseigentums in der Sowjetzeit betrachtet.

Welche Kommune verhält sich richtig – diejenige, die ein Antrag stellt und EU-Beihilfen bekommen möchte, um eine Schule und ein Kulturhaus zu renovieren, oder die, die nichts macht und die Schule zerfallen lässt?

Ich beschuldige nicht die lokalen Kommunen, dafür, dass sie sich so verhalten, sie handeln im Rahmen der gültigen Regeln. Sie befinden sich in der Situation, wenn jeder alleine für sich handeln muss, und versucht die Probleme mit EU-Mitteln zu lösen. Erst jetzt fängt das Bild klarer zu werden, wie viel unnötige Investitionen getätigt wurden.

Solche Beschlüsse über Investitionen sollte man auf dem Level des Amtsbezirkes tun, oder noch besser zusammen mit 3-4 Amtsbezirken und nicht auf dem Level der Kommunen mit einer Bevölkerung von ein paar hundert Leuten.

Was sollte man tun, um die Situation zu ändern?

Wir müssen zur Estland zurückkehren, die ausschließlich auf eigene Mittel sich verlässt. Ein Staat, dessen 16% des Haushaltes von der finanziellen Hilfe aus dem Ausland abhängt, kann nicht als wirtschaftlich ausgewogen gelten. Wenn man das ganze Geld, dass wir in den letzten Jahren in Form von Beihilfen bekommen haben zusammenzählt und sie als Kredit geben würde, dann würden unsere Auslandsschulden nicht 10, sondern ca. 35% des BSP betragen, mit Zinsen sogar mehr.

Wir müssen eine Strategie des Exits aus der Abhängigkeit von den Beihilfen entwickeln. Wenn es bei uns eine Abhängigkeit gibt, dann sollte es auch einen Plan geben, wie wir sie loswerden können und was wir tun sollen, um in sieben-acht Jahren sagen zu können: Wir können unser Haushalt auch ohne die EU-Gelder ausgleichen.

Politiker mögen keine langfristige Perspektiven, begrenzen sich in der Regel mit einem vierjährigen Wahlzyklus. Das wichtigste ist es, wieder Wahlen zu gewinnen. Das was im Jahr 2018 oder 2020 sein wird, interessiert sie nur in dem Maße, wie sie den EU-Direktiven entsprechen.

Und neues Geld wird verbraten, um den Leuten zu sagen: was heult ihr denn, schaut, wie gut es ist in Estland zu leben! Und sagen, dass Estland das Land in der EU mit der besten Finanzdisziplin ist.

Tatsächlich ist es nicht so, denn gäbe es kein EU-Geld, betrüge der Haushaltsdefizit 16 und mehr Prozent des Haushalts. In diesem Fall würden wir wahrscheinlich nicht so viele EU-Mittel verbrauchen und würden unsere Ausgaben beschneiden. Doch das Leben wäre in Estland ganz anders. Wir wundern uns, dass die Leute mit ihrem Leben unzufrieden sind und das Land verlassen. Gäbe es keine EU-Mittel, würde das Problem noch viel schärfer sein.

Aus Ihrer Sicht, welcher Anteil der EU-Beihilfen wurde nicht umsonst ausgegeben und welcher wurde einfach verpulvert oder für Projekte ausgegeben, die wir nicht aus eigener Kraft weiterführen können?

Auf diese Frage ist es schwierig eine Antwort zu geben, denn diese Art von Untersuchungen wurden nicht durchgeführt, in jedem Fall werden sie subjektiv sein. Ungefähr 20% der Summe, die für die Landwirtschaft vorgesehen war, konnte die Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors steigern.

Nicht das ganze Geld wurde vernünftig ausgegeben. Doch ein Großteil wurde nicht umsonst ausgegeben. Ein bedeutender Teil wurde in Strassen und große Infrastrukturobjekte investiert. Diese Ausgaben sind gerechtfertigt, die Frage ist nur können wir sie auch unterhalten. Wenn unsere Einnahmen in solcher Geschwindigkeit wachsen wie jetzt, dann wird es schwierig sein Geld dafür zu finden.

Nehmen wir zum Beispiel die Uni von Tartu, jedes Jahr wird dort ein neues Gebäude in Betrieb genommen. Jetzt liefern sich die Universitäten ein Wettbewerb, wer vorne ist und das passiert durch die EU-Mittel. Es soll die Zeit kommen, wenn alle diese Investitionen im Interesse unserer Wirtschaft anfangen zu arbeiten. Und die Politiker sollten sich Gedanken machen, wie sie auf diese Universitäte Druck ausüben können, damit diese Gebäude Geld bringen würden und die Firmen diese wunderbare Einrichtungen nutzen könnten.

Zurück zu Ihrer Frage schätze ich, dass zwei Drittel der EU-Gelder nicht für umsonst verbraucht wurden, sie wurden tatsächlich dafür benutzt unser Wohlstand zu steigern. Ein Drittel der Gelder wurde aus dem Fenster geworfen.

Nichtsdestotrotz gibt es in Estland nicht wenige Leute, die kein Wohlstand spüren.

Immer will man etwas Grösseres. Schon im Jahr 2006 war es klar, dass die Regierung, die an die Macht kam, für lange bleiben wird. Dank dem riesigen Fluss der europäischen Gelder kann man allen Kritikern den Mund zustopfen und das Leben im Land bedeutend verbessern. Heute haben wir offensichtlich ein Stadium erreicht, wo es nicht mehr klar ist, warum die Unzufriedenheit der Leute wächst. Es gibt immer mehr Geld, aber die Leute sind trotzdem unzufrieden. Eine Ursache sollte man darin suchen, dass bei uns freie Bewegung der Arbeitskraft realisiert wurde. Wenn in den anderen Ländern bessere Möglichkeiten sich anbieten, dann verlassen die Unzufriedenen und die nach Veränderung suchenden Estland.

Ich möchte positiv enden: Wir müssen anerkennen, dass es ein solches Problem, wie die Abhängigkeit von den EU-Beihilfen gibt, und schon jetzt sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man daraus kommt. Der erste Schritt auf diesem Weg sollte sein, wenn wir zu denken anfangen, wie wir die 5,8 Mlrd. Euro ausgeben werden, die die Steuerzahler aus anderen Ländern uns in den Jahren 2014-2020 geben werden.

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