Freitag, Oktober 18, 2013

Estland - ein orthodoxes Land?

Übersetzung von baltija.eu

Viele estnische Politiker und Einwohner haben Schwierigkeiten in der orthodoxen Kirche eine religiöse und keine gesellschaftliche oder politische Organisation zu sehen. Der Grund ist banal: Wer glaubt denn heutzutage an Gott? Laut der letzten Volkszählung, die vor einem Jahr durchgeführt wurde, zählen sich weniger als ein Drittel der Bevölkerung zu Gläubigen. Doch es gab eine wichtige Nuance: Bei den Esten war jeder fünfte gläubig und fast die Hälfte von ihnen war älter als 70. Ein gläubiger Este ist eine quasi verschwindende soziale Art. Dagegen haben sich unter den Russen ungefähr die Hälfte als gläubig bezeichnet und die Religiosität hat sich recht gleich unter allen Altersstufen verteilt.

Traditionell ist die Mehrheit der gläubigen Esten Anhänger lutherischen Glaubens, bei den Russen sind es Orthodoxen. Lutheranism gilt als die dominierende Religion Estlands. Doch es ist nicht mehr der Fall. Während des letzten Jahrzehnts wurde ohne jegliche Beihilfe vom Staat die Orthodoxie zur führenden Religion in Estland. Laut den Daten der Volkszählung bezeichnen sich mehr als die Hälfte der Gläubigen als orthodox, zum Lutheranismus bekennt sich nur ein Drittel. Trotz der Verringerung der Gesamtbevölkerung, wächst die orthodoxe Gemeinde. Mehr noch, spürbar ist die Anzahl der der orthodoxen Esten gewachsen, die Hälfte von ihnen wohnt in der Hauptstadt und Umgebung. Die Anzahl der Lutheraner hat sich dagegen katastrophal verringert.

Der estnische Teil der Gesellschaft wird immer apathischer zur Religion, darin hat sie die Mehrheit der westlichen Länder überholt. In der russischen Gemeinde hingegen, dauert die religiöse Renaissance fort, die auch die jüngste Mitglieder berührt hat. Für die Russen ist die Orthodoxie sowohl als Element des nationalen Selbstbewusstseins, als auch als die Quelle der traditionellen Lebenswerte wichtig. Im postsowjetischen Estland wurde eine Reihe von religiösen Festen zu staatlichen Feiertagen gemacht. Vor einigen Jahren gab es eine gesellschaftliche Diskussion, ob man orthodoxes Weihnachten zu einem Feiertag machen soll. Sie wurde mit einem interessanten Beschuss beendet: zu lutherischen Weihnachten hat man ein Feiertag hinzugefügt. Für diejenigen, die Weihnachten als Höhepunkt von Weihnachtsausverkäufen ansehen, ist das eine natürliche Position. Und findet das Ministerium für Bildung und Wissenschaft nichts dabei, die Schule nach den Neujahrsfeiertagen genau am Tag der orthodoxen Weihnachten anzufangen. Das Lieblingsargument der Regierung lautet so: "Wir haben viele Religionen, allen kann man es nicht recht machen". Mit der Berücksichtigung der Daten der letzten Volkszählung sieht diese Erklärung schwach aus. Doch ist es interessant: wann wird die estnische Regierung mutig genug sein die neuen demographischen Realitäten anzuerkennen?

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Von meiner Seite kann ich hinzufügen, dass die Orthodoxie tatsächlich die einzige Kraft zu sein scheint, die die meisten Russen ist Estland vereinigt. Zur Eröffnung von orthodoxen Kirchen kommen zehntausende von Gläubigern zusammen, zu Demonstrationen zu solchen Themen, wie die Verteidigung der russisch-sprachigen Schulbildung kommen wenige dutzend Aktivisten. Die russische orthodoxe Kirche, die Moskauer Patriarchat unterstellt ist, ist bisher kaum politisch in Erscheinung getreten. Allerdings war das ein Skandal, als der Moskauer Patriarch Kyril I nach Estland kam und der estnische Präsident Ilves keine Zeit hatte sich mit ihm zu treffen, wogegen er sich ausführlich mit dem Konstantinopoler Patriarchen Bartholomeos I, dem die Estnische Orthodoxe Kirche unterstellt ist, getroffen hat. Aber dieses Verhalten ist man von Ilves schon gewohnt.

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