Dieser Artikel ist im Moskauer Carnegie-Zentrum erschienen.
Die Propaganda in den russländischen Medien, wie wir sie kennen, hat sich im März-April 2014 endgültig formiert. Zwei Jahre später kann man feststellen; sie hat die Umwelt nicht verändert, darauf waren ihre Bemühungen gerichtet. Für den „angenommenen“ Westen, in dem die Kultur des Pluralismus existiert, blieb sogar die radikale Rhetorik nur eine „Meinung“, nicht mehr. In Russland führte die Propaganda während der Monopolisierung der Massenmedien, Fernsehens und Radios zu einem Seiteneffekt - der Beunruhigung der Bevölkerung.
Es gibt eine verbreitete Meinung, dass die Propagandamacher das alles „für Geld machen“, weil man „es ihnen gesagt hat“. Das ist bei Weitem nicht so. Ohne ihren selbstlosen Einsatz wäre der Effekt der Propaganda nicht so geschehen. Sie sind die Erhitzer der Emotionen, ständig erhöhen sie die Temperatur. Die Struktur der Propaganda erinnert an eine Pyramide ohne Spitze, auf dem höchsten Platz befinden sich die Adepten, die Meinungsbilder; dabei ist es eine kleine Abteilung von Fernseh- und Radiomoderatoren, als auch die permanenten Experten (40-50 Personen), die von einem Sender auf den anderen migrieren. Sie senden und formieren ein eigenartiges System der Werte - oder eher Antiwerte (denn Propaganda behauptet nicht nur eigene Werte, sondern verneint „die anderen“). Das sind Vertreter der humanitären Sphäre (Historiker, Philosophen, Künstler), als auch Politologen, die Institute, Zentren und Stiftungen in deren Namen die Wörter „Geopolitik“, „Forschung“ und „Analyse“ vorkommen, leiten.
Alle diese Leute eint die allgemeine Unzufriedenheit in Bezug auf die existierende Weltordnung. In einigen Fällen kann man über Hass auf die Welt sprechen. „Wir befinden uns so viele Jahre im Zustand des atomaren Gleichgewichts. Sagen Sie wird diese Waffe jemals eingesetzt?“ - interessiert sich regelmässig der Moderator auf dem Radiosender RSN bei dem Experten. In der Konstruktion dieser Frage liest sich der verdeckte Wunsch; ein Psychologe würde es den Wunsch nach Selbstvernichtung nennen, der sogar den Gefühl des Selbsterhalts überwindet.
Die Sprache mit zahlreichen Verwendung von Jargon („niederbückten“, „durchdrückten“, „wir haben sie erledigt“, „sollen sich abwischen“), archaische Vorstellungen über die Welt, die Verneinung der Moderne - es ist ein Gefühl als ob die letzten 20 Jahre diese Leute in einem lethargischen Traum verbrachten, sie sind von den globalen Veränderungen auf der Welt unberührt geblieben. Ihr Verhalten und ihre Sprache - das Ergebnis einer längeren Existenz in geschlossener, homogenen Umgebung, das Ergebnis eines „Silodenkens“ (eine Terminologie aus dem XIX Jahrhundert, die eine schwache Integration der Mikrogemeinschaft in die Umwelt bedeutet). Bis zum Jahr 2014 befanden sie sich in einem intellektuellen Vakuum - im Zustand des dostojewsken „Untergrundes“ oder sagen wir „Raucherzimmers“. Abgeschlossene Umwelt gebiert ein utopisches Einverständnis, belohnt und bewahrt die wahnsinnigsten Weltansichten. Gerechterweise muss man sagen, dass die Demokratie der 1990-er Jahre ihnen keine Kommunikationskanäle und Adaptionsmöglichkeiten zur Verfügung stellte. Dazu kam die totale Verarmung der sowjetischen intellektuellen Schicht in denselben 1990-ern; der Verlust des Einkommens, der sozialen Leistungen verwandelte in ihren Augen die Demokratie sehr schnell in die Schuldige aller ihrer Missstände (obwohl viele von ihnen sie in den 1980-ern begrüßten). Selbst als sie die Welt gesehen haben (fast alle von ihnen arbeiteten, machten Urlaub und lebten sogar lange im Westen), haben sie seine Werte nicht angenommen, verneinten sie. Beispielhaft ist ihr besonderer Hass auf den Begriff „Toleranz“: wahrscheinlich war sie, oder genauer gesagt ihr Fehlen, das Hindernis für die Integration in die „Welt“.
Die sowjetische Ideologie, die ihr Bewusstsein formierte (die Mehrheit der Fernsehexperten sind älter als 45 Jahre), stützte sich auf die marxistisch-leninistische Philosophie. In den 1980-er Jahren stellte sie ein System von Gegensätzen dar: mit Himmel und Hölle, mit hellen und dunklen Seiten, die dem Verständnis von Gut und Böse, Wahrheit und Lüge entsprachen. Doch das wichtigste war, es war ein widerspruchsfreies, durchdachtes, hermetisches Weltbild: da gab es keine Ungereimtheiten. Jeder Fakt oder Geschehen auf der Welt nahmen die dafür vorgesehene Positionen im Wertekoordinatensystem ein, mit Bezug auf das Ganze, mit einheitlicher Konzeption. Erinnern wir uns: selbst die Geschichte des antiken Griechenlands oder Roms in den sowjetischen Schulbüchern wurde von den Positionen des Klassenkampfes interpretiert. Die Ideologie stützte sich auf Internationalismus (der als Idee viel breiter als Nationalismus ist). Noch ein Vorteil der sowjetischen Ideologie war das Vorhandensein eines Bilds der Zukunft: jedes damalige „Heute“ wurde auf das kommunistische „Morgen“ projiziert. Das System wurde auch in der sprachlichen Hinsicht durchdacht, sie hat keine eigenen Inhalte geduldet. Für die Bezeichnung der Feinde gab es feste phraseologische Konstrukte, alle erinnern sich an „israelische Kriegstreiber“ oder der „aggressive Block NATO“. Das war die Grenze, hinter die ein politischer Kommentator nicht hinaus durfte. Die Begriffe „Faschisten“ oder „Junta“ wurden im Bezug auf die Feinde auch gebraucht, doch in bestimmten, fast terminologisch bestimmten Fällen - zum Beispiel im Bezug auf den Umsturz durch Pinochet oder den Ungarnaufstand 1956, nicht so emotional wie heutzutage.
Die heutige Ideologie, wie man sie auch nicht nennen und formulieren würde, hat nicht mal den hundertsten Teil von der strikten Konzeption: ganz zu schweigen von der philosophischen Basis und dem Bild der Zukunft. Die allgemeinen Vorgaben werden nur konturenhaft vorgegeben und betreffen nur das aktuelle Thema. Die inhaltlichen Leeren müssen die Propagandisten selbstständig ausfüllen, das ist der Hauptunterschied zwischen der sowjetischen und jetzigen Propaganda (diese Idee äusserte Maria Lipman). Jeder Propagandist versucht das System der Gegensätze manuell aufzubauen, er stellt aus Teilen der verschiedenen und sich widersprechenden Mythen eine eigene Konstruktion her. Die Rahmen des Staatsauftrags werden nach eigenem Gusto ausgefüllt: das ist eine Mischung aus sowjetischen und imperialen Mythen und Verschwörungstheorien, äusserst linken Gedanken mit äusserst rechten. Das ist das Ergebnis von „unsystematischem Lesen“, einer Populärbildung: es ist einfacher sich dessen bewusst zu werden, wenn man sich den Büchermarkt in den 1990-ern vorstellt, wo neben Kamasutra, ein Groschenheft und etwas unter dem Titel „Die geheime Waffe Amerikas. Wer zerstörte UdSSR“ stehen.
Die Widersprüchlichkeit der eigenen Konstruktionen wird mit Hilfe der Sprache aufgelöst, deswegen ist diese Sprache so aggressiv. Das Fehlen von durchdachtem Weltbild zwingt die Aufmerksamkeit auf die Sprache, die Emotionen zu lenken und nicht auf den Sinn. Deswegen ist die heutige Propaganda, im Gegensatz zu der sowjetischen, in erster Linie ein linguistischer Phänomen. Das ist in erster Linie ein sprachlicher Zirkus, Schaumschlägerei und Angeberei. Hate speech ist das einzige Mittel ideelle Leere zu füllen. Für die Journalisten der staatlichen Massenmedien ist die sprachliche Aggression die Kompensation für die Beschränkungen durch die Zensur.
Den Westen bestrafen, den Westen retten
Die Adepten der Propaganda sind vom gleichen psychologischen Typ - autoritär, „kraftmeierisch“. Doch ist ihr jetziger Militarismus hauptsächlich „emotional“, er ist nicht der Grund, sondern die Folge. Das ist die Reaktion auf den Verlust des einfachen, hermetischen Weltbildes. Nachdem man das die absolute Wahrheit (die sowjetische Ideologie) verloren hat, haben sie sich instinktiv dem Archaischen zugewandt und fanden als einen Wert der absoluten Wahrheit, einer Stütze - den Krieg. „Das Gute ist nur der Krieg“, so schrieb der Dichter Lev Losev. Ihre Sprache maskiert sich als „Gedenken an die Heldentaten“, doch tatsächlich klammern sie sich nur an den „Krieg an sich“, als psychologische Stütze. Ihr Militarismus ist eine nackte Schaumschlägerei, das Angeben mit der „Körpermasse“: „Wir können euch zertreten“, „wir können’s wiederholen“ (gemeint ist der Sieg über Nazideutschland, Anm. des Übersetzers). Doch wozu, aus welcher Motivation heraus?.. Es gibt keine Antwort. Das ist die Achillessehne der Propaganda: ihre Adepten haben tatsächlich gar keine Ideologie, ausser dem Wunsch „die Welt einfacher zu machen“, „so wie früher“ zurückzubringen und auch „es mal allen zeigen, damit sie es wissen“.
Im Falle der 20-30-jährigen Adepten der Propaganda, deren Adoleszenz in den 1990-ern Jahren passierte, hier arbeitet, so furchtbar es auch ist, derselbe Mechanismus der Kompensation: Das Fehlen der Sicherheit im heutigen Tag zwingt es sie die Stütze in der Vergangenheit zu suchen. Das Unwissen über die sowjetische Realität macht sie in ihren Augen umso anziehender: sie leben in der Vorstellung des „himmlischen UdSSR“, den sie nur in der schönen Verpackung der Filme und Serien kennen.
Das alles zusammen ist eine traumatische Reaktion auf die Überlegenheit des „Westens“ nach dem Zerfall des Ostblocks und das Entstehen der EU. Als auch das Unvermögen einen Sinn in einem „friedlichen Leben“ und Kapitalismus zu finden. Der Unwille diesen Fakt anzuerkennen, gebiert ein komplexes System der Selbstbeweihräucherung. Versuchen wir es zu rekonstruieren. [Der gemeine Propagandist, sich an das gemeine „Westen“ wendend]: „Ihr habt in der technischen Richtung irgendwas erreicht, das erkennen wir an. Doch ist Euere ganze Welt nur bis zum Antreffen der ersten richtigen Gefahr lebensfähig (es ist typisch, dass die „Gefahr“ in ihrer Vorstellung die „Lebensnormalität“ darstellt). Und dann seht ihr, dass wir besser an das Leben in der grausamen Welt angepasst sind. Und dann werdet ihr uns selbst um die Hilfe bitten, und dann werden wir selbstverständlich die Welt noch einmal retten“.
Im Kern dieser Konstruktion, liegt, wie wir sehen, nicht der Wunsch den „Westen zu bestrafen“, sondern umgekehrt der Wunsch ihn zu „retten“, um die Existenzberechtigung der Welt gegenüber zu beweisen und gleichzeitig das „Unvermögen des Westens“. Hier kommt ein eigenartiger Idealismus hervor, der Wunsch sich von der besten und nicht der schlechtesten Seite zu zeigen. Doch, wie es häufig mit idealen Konstruktionen der Fall ist, stimmen sie nicht mit der Wirklichkeit überein. Der „Westen“ und die „Welt“ möchten gar nicht in der Gefahrensituation leben (selbst wenn man die realen Gefahren berücksichtigt), sie möchten nicht „überleben“, „sich konzentrieren“, „mobilisieren“ und „gerettet werden“. Damit rufen sie Ärger hervor: denn sie erlauben es „uns“ nicht, unsere besten Eigenschaften zu zeigen. Daraus folgt eine künstliche Zuspitzung dieser Gefahr, daraus ergibt sich der ständige Gerede über den Krieg: Damit die gefährliche Situation sich materialisiert - damit man aus ihr auch „retten“ kann.
So hat sich die Propaganda selbst in eine Falle gelockt: Die Idee der Überlegenheit Russlands hängt direkt vom „Zerfall des Westens“ ab. Für die Bestätigung diesen Zerfalls und noch allgemeiner, den Zerfall der Demokratie, muss man ständig nach Beweisen suchen. Terror, Flüchtlinge oder einfach nur Schneefall im Staat Virginia werden zu „Beginn des Zerfalls der westlichen Zivilisation“ erklärt. Die Demokratie wird zu einer kindlichen Verirrung, temporärem geistigen Unvermögen der Menschheit erklärt, denn sie „stört“ mit ihrer „Schwäche“ unsere Reife, Tapferkeit und Durchhaltevermögen zu demonstrieren.
Dies ist das Ergebnis der Enttäuschung, vor allem in sich selbst und der Gemeinschaft, die es nicht schaffte, die Vorteile der Freiheit in den 1990-ern zu nutzen. Daraus wurde die Verneinung von Subjektivität, des individuellen politischen Willens, der Unglaube in die Selbstständigkeit der menschlichen Aktivitäten überhaupt. Das eigene Unvermögen erzeugte den Unglauben in die Subjektivität von anderen.
Geschichtskult und der neue Stalinkult
Wenn man keine gute Begründungen in der Moderne hat, sucht man sie in der Vergangenheit. Neben dem Krieg hat die „Geschichte“ einen ähnlichen Stellenwert (obgleich es ein verzweifelter Versuch ist, sich an etwas Festem abzustützen). Die Dauer und die Unveränderlichkeit der Geschichte ist ein selbstgenügsamer Argument: „wir sind älter, wir sind mehr - deswegen sind wir immer im Recht“. Der Unwille sich zu ändern ist auch selbstgenügsam. Die Trägheit, der Konservatismus, die Unbeweglichkeit der Gesellschaft werden als Vorteile deklariert und nicht als Nachteil.
In den 1990-ern standen die sowjetischen und imperialen Mythen im Widerspruch zueinander. Der Mythos über dem vorrevolutionären Russland wurde als Gegensatz zu dem Sowjetrussland dargestellt (wie in dem Film von Govoruchin „Das Russland, das wir verloren haben“). Dann geschah ihre Symbiose. Eigentlich ist es recht schwer „weiss“ und „rot“ miteinander zu verbinden. Doch eine dialektische Lösung wurde gefunden - durch den Ausschluss der Ethik als des Kriteriums bei der Bewertung des politischen Regimes. Wenn als höchster Wert nicht der Mensch, sondern der Staat erklärt wird, werden alle Opfer im Endeffekt gerechtfertigt.
Der neue Stalinkult entstand nicht zufällig (die Erwähnung seines Namens und Vatersnamens in den Reden der Propagandisten ist heutzutage ein sonderbarer Code, um zu erkennen, wer eigen und wer fremd ist), nicht aus Laune seiner Adepten wie Prochanov, doch aus ganz rationalen Gründen. Denn nur er ist die am besten sich eignende Figur für die dialektische Vereinigung der weissen und der roten Ideen. Laut dieser neuen Konstruktion hat „Lenin das Imperium zerstört“, Stalin hat es wiedererschaffen - als ein rotes Imperium. Stalin ist heute die Vereinigungsmenge des zaristischen Projektes und des sowjetischen. „Das Dienen dem Staat“ wird als die einzige Ethik anerkannt, alle anderen Ethiken sind zweitrangig. Hier sind die Worte des Patriarchen (6. November 2015, Auftritt bei der Eröffnung des Forums „Orthodoxes Russland“): „Die Erfolge des einen oder anderen Staatenlenkers, der an der Quelle des Wiedergeburts und der Modernisierung des Landes stand, kann man nicht anzweifeln, selbst wenn der Lenker durch Verbrechen sich hervortat.“ Verbrechen und ökonomische Erfolge werden demzufolge gleich bewertet. „Sonst hätten wir nicht gewonnen, sonst wäre die Industrialisierung unmöglich gewesen, ohne Opfer ginge es nicht, in der Politik gibt es keine Moral, damals hat man überall Leute erschossen“, so rechtfertigt man die Repressionen.
Der Monolog des verlassenen Ehemannes
Die Hauptthesis der Propaganda über die „ewige Konfrontation“ des Westens mit Russland stützt sich auf den Konservatismus des XIX Jahrhunderts im Geiste des Historikers Danilievski und das sowjetische Model „Konfrontation zweier Systeme“: daraus entstand die synthetisierte These: „Der Westen wollte uns schon immer vernichten, wir haben immer gegen den Westen gekämpft“. Es ist jetzt schwer daran zu glauben, aber in der Antiwestlichkeit spricht eher Eifersucht als Hass. Rekonstruieren wir wieder den inneren Monolog des Propagandisten. [Sich an das gemeine Europa wendend]: „Wir dachten, dass Du uns liebst, wir kauften Deine Autos und Häuser, wir verschwendeten Geld; und Du hast uns trotzdem nicht wertgeschätzt, hast uns verlassen, verraten“. Die Kränkung und der Wunsch zu Erniedrigen, Sarkasmus und Schadenfreude - das alles erinnert an die Sprache einen verlassenen Ehegatten, den Stil der neurussischen Trennungen der 1990er - 2000er, den Versuch sich an der Ehefrau mit Hilfe von administrativen Hebeln zu rächen. Jetzt ist in der Rolle der „Ehefrau“ der gesamte Westen.
In den zwanzig Jahren des dostojewsken Untergrunds haben die Leute aus diesen Kreisen einen wichtigen Bestandteil der neuen Welt verpasst: Die Kultur des Dialogs, Zusammenarbeit, Kommunikation als den wichtigsten Faktors der Moderne. Kommunikation, das ist nicht reden, so schreibt Habermas, sondern „auf den anderen warten“. Die Dialoge der Propagandisten in den Talkshows geben nur vor Dialoge zu sein: diese Rede mutet sich archaisch hauptsächlich deshalb an, weil deren Autoren es nicht vorhaben „zu reden“, nicht mal miteinander: sie wollen bestrafen, züchtigen mit Hilfe von Wörtern. Sie finden ein Dialog ist eine schändliche Tat, eine Schwäche, sie finden es unter ihrer Würde selbst den Versuch eine gemeinsame Sprache zu finden. Dort feiert heute der „Kult der Strasse“ fröhliche Urstände, den die Propagandisten sich selbst künstlich aneignen, um der allgemeinen Mode zu entsprechen. „Wir haben solche Schwächlinge, wie ich mich erinnere, auf der Strasse gejagt“ - so spricht der Politologe Satanowskij über die heutige Führung des ökonomischen Blocks, die man als die „fünfte Kolonne“ in dem Machtzirkel betrachtet. Das archaische Bewusstsein läßt keinen Gedanken an die Akzeptanz etwas anderen zu. Die Schadenfreude und Sarkasmus zum anderen ist das Ergebnis des verunglückten Versuchs in ein Dialog mit einem anderen zu treten. Doch auch auf der gegenüberliegenden Seite, in den engen Rahmen, die geblieben sind, ist die Fähigkeit sich zu öffnen nicht immer erkennbar, doch das ist ein anderes Thema.
Propaganda sieht deswegen so erschreckend archaisch, die Werte nicht nur der Nachkriegszeit, sondern der gesamten Ära der Aufklärung verneinend, aus, weil jeder Teilnehmer sie mit seinen eigenen, noch archaischeren Vorstellungen über die Welt füllt. Tatsächlich ist das kein Angriff, sondern Verteidigung, vor allem sich selbst, vor der Welt. Das ist das Ergebnis der aufgesparten, nicht gelösten ethischen und weltanschauenden Probleme des posttotalitären Bewusstseins. Ihre Phobien und Ängste teilen sie jetzt mit uns, in ihren endlosen Sendungen und Shows. Faktisch haben wir es mit unterbrechungsloser Offenbarung zu tun, gleichzeitig auf zehn Krankenbetten, jeden Tag, 24 Stunden lang. Propagandisten erzählen uns nicht über die anderen - Amerika und den Westen - sondern über sich selbst, sie machen uns mit ihren eigenen „Abgründen“ bekannt.
Ihre Rede ist ein unterbewusster Versuch zuerst ihre eigenen Dämonen auszutreiben. Unsere Beunruhigung ist zuallererst die Folge ihrer Unruhe. Aus dieser Sicht heraus sind es nicht wir, sondern sie, so paradoxal das auch heute klingen mag, die Opfer der Propaganda.
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