Freitag, Mai 30, 2008

Und noch eine Gerichtsverhandlung

Nach den ausführlichen Berichten zu der Gerichtsverhandlungen über die Mitglieder des Notchnoj Dozor und der abgelehnten Verhandlung über die Misshandelten vom Terminal D gibt es noch eine Gerichtsverhandlung, die in Estland und Russland die Gemüter erhitzt. Der Angeklagte heisst Arnold Meri, er wird beschuldigt bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein.

Arnold Meri ist am 1 Juli 1919 in Tallinn geboren. Er ist verwandt mit dem zweiten Präsidenten der Estnischen Republik Lennart Meri, was versinnbildlicht, wie zerrissen die estnische Gesellschaft war und immer noch ist. Während Arnold Meri 1940 in die Kommunistische Partei eintritt, wird die Familie von Lennart Meri 1941 nach Sibirien deportiert. 1941 wird Arnold Meri als Mitglied des estnischen Schützenkorps bei den Kämpfen rund ums belagerte Leningrad wegen besonderer Tapferkeit die höchste Auszeichnung Held der Sowjetunion verliehen, er ist heute der einzige noch lebende Este, der diese Auszeichnung hat. Nach dem Krieg macht Arnold Meri Parteikarriere, wobei 1951 ihm sämtliche Auszeichnungen aberkannt wurden. 1956 werden ihm alle Auszeichnungen wieder zurückgeben. Er wird der Vorsitzende der estnischen Gemeinschaft für Freundschaft und kulturellen Verbindungen mit ausländischen Staaten. 1989 wird er pensioniert, beteiligt sich aber nach wie vor am politischen Leben des Landes. So wird er Vorsitzender des estnischen Antifaschistischen Komitees, nimmt an Veteranentreffen teil und hält sich mit seiner Meinung über die jetzige Regierung und politischen Stimmung im Land nicht zurück.

1995 begannen erste Untersuchungen über die Deportation von Zivilisten von der Insel Hiiumaa nach Sibirien, bei denen auch Meri figurierte. Er selbst erzählte schon 1987 einer estnischen Zeitung über seine Beteiligung und zwar als Beobachter. Am 25 März 1949 wurden 251 Zivilisten festgenommen und nach Paldiski übergesetzt, von wo sie nach Sibirien geschickt wurden. Nur 17% der Personen waren physisch kräftige Männer, die eine Gefahr für den estnischen Staat darstellen konnten, es gab viele Kinder. Meri war zu diesem Zeitpunkt Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Estlands und der erste Sekretär des estnischen Zentralkomitees des Komsomol. Nach seinen Worten wurde er als Spezialbeauftragter nach Hiiumaa geschickt, um die Angestellte der Sicherheitsdienste zu beobachten, ob sie, die die Deportation durchführten, keine "Gesetze" damaliger Zeit übertreten würden; so musste jeder Deportierte genügend Zeit zum Sammeln bekommen, jede Familie durfte bis zu 500 kg persönliches mitnehmen. Laut Meri verlangte er die Liste der Deportieren einsehen zu dürfen, doch bekam er sie nicht. Daraufhin berichtete er nach Tallinn, dass er jede Verantwortung von sich weist. Dies wurde ihm wohl übelgenommen, so dass er in Ungnade fiel, worauf ihm seine sämtliche Auszeichnungen weggenommen wurden. Einzig seine Stellung als Held der Sowjetunion hat ihm womöglich das Leben gerettet, wobei er freiwillig seiner Verbannung zuvorkam und bis 1960 nach Altai übersiedelte.

Erst im Mai dieses Jahres fand auf Hiiumaa die erste Gerichtsverhandlung statt. Meri, der dieses Jahr 89 Jahre alt wird, ist fast taub, zu 75% blind, ausserdem hat er Lungenkrebs. Bei der Verhandlung gab er an, dass er die Anschuldigung versteht, doch nicht akzeptiert. Nach der Vorlesung der Anklage wurde die Sitzung unterbrochen, damit Mediziner die Verhandlungstauglichkeit Arnold Meris untersuchen können. Von ihnen hängt es ab, ob die Verhandlungen fortgesetzt werden können.

Als scharfer Kritiker des Prozesses ist Russland aufgetreten. Putins Pressesekretär Dimitrij Peskov hofft, dass aus humanitären Gründen, in Berücksichtigung des Alters des Angeklagten, er nicht vors Gericht gestellt wird. Das russische Aussenministerium bezeichnet den Prozess als "schandhaftes Gericht" und "unsauberes Unterfangen". Die estnische Regierung wird "der Verfolgung und Diskreditierung der Veteranen des 2. Weltkrieges" beschuldigt.

Warum reagiert Russland so heftig? Der Sieg über Nazi-Deutschland ist in Russland bis heute heilig, deswegen sind auch alle Personen, die zu dem Sieg betrugen, über jeden Verdacht erhaben und werden verehrt, besonders wenn es Helden der Sowjetunion sind. In einer populären Talkshow wurde die Frage gestellt, kann man einen Helden der Sowjetunion überhaupt vors Gericht stellen? Allein diese Tatsache wird als Provokation empfunden.

Meine Meinung dazu ist, dass ein Held der Sowjetunion selbstverständlich kein Heiliger ist und durchaus Verbrechen gegen Menschlichkeit begehen kann, zudem die Taten, um die es hier geht, erst nach dem Krieg begangen wurden und haben mit seiner Auszeichnung nichts zu tun. In mehreren Artikeln habe ich gefordert, dass alle diejenigen, die sich an den Verbrechen gegen Menschlichkeit beteiligt haben, auch zur Verantwortung gezogen werden. Dass solche Verbrechen nicht verjähren beweist das Zentrum von Simon Wiesenthal, der heute noch nach Nazi-Verbrechern fahndet.

Allerdings muss ich einige Fragen stellen. Warum wurde Arnold Meri erst jetzt vors Gericht gestellt, 12 Jahre nach der ersten Anklage, in einem Gesundheitszustand, der ein Abschluss des Verfahrens in Frage stellt? Wesentlich neue Fakten sind nach seiner Quasi-Selbstanzeige 1987 nicht aufgetaucht. Warum also gerade jetzt? Im Gegensatz zu den Nazis, die von Simon Wiesenthal gejagt wurden, hat er sich nie versteckt, nie den Namen geändert, seine Beteiligung eingeräumt. Die zweite Frage ist, warum ausgerechnet Arnold Meri? Er hat niemanden eigenhändig getötet, hat auch kein Befehl gegeben, hat die Liste der Deportierten nicht erstellt. Sollte seine Version der Geschichte zutreffen, dann kann man ihn vielleicht der Beihilfe beschuldigen, wobei selbst das schwer sein dürfte. Gab es niemanden, den man direkt beschuldigen kann, den Ersteller der Liste der Deportierten, derjenige, der sie unterschrieben hat, den Kommandierenden der Operation "Priboj"?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Meri als unbequemer Gegner der jetzigen Regierung aus dem Weg geräumt werden sollte. Gericht hat bis zum letzten Moment gewartet, denn selbst wenn ein Urteil auf schuldig lautet und Arnold Meri den kurzen Rest seines Lebens hinter Gitter verbringen muss, er definitiv keine Zeit haben wird, vor einem internationalen Gericht zu klagen und womöglich auch noch Recht zu bekommen. Die Politik der Nadelstiche gegenüber Russland wird erfolgreich fortgesetzt, wobei immer betont wird, dass das Verhältnis zum grossen Nachbarn gut ist und wenn nicht, dann ist es definitiv Schuld Russlands. Die russisch-sprachige Minderheit verliert eine ihrer Führungs- und Identifikationsfiguren.

Es bleibt also dabei, obwohl ich dieses Gericht grundsätzlich für richtig und notwendig halte, um die Verbrechen in der Geschichte Estlands aufzuklären, bleibt ein Beigeschmack übrig, dass sehr viel aktuelle Politik in diese Verhandlung involviert ist.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hiiumaa, Hijumaa stammt aus einem Witz.

Lenin Orden hat er für nichts bekommen, selber hat er nie an dem Schlacht gekämpft und war nicht mal da. Er war nur ideal für diese Auszeichnung.

Wie er mit rus. vs. est. Medien umgehet und was er da sagt, zeigt nur, dass er "irgendwo" lügt.

kloty hat gesagt…

an zzzz: Hiiumaa habe ich korrigiert, danke fuer den Hinweis.

Hast Du fuer Deine Anschuldigungen irgendein Beweis, oder ist das die gleiche Quelle, wie bei Andrus Ansip, als er von Marodeuren, Vergewaltigern und Säufern sprach, die angeblich am Tõnismägi liegen sollen?

Anonym hat gesagt…

Georg Loog war der, der es verdient hat, aber der war politisch nicht schluckbar für ein Held im Kreml.

http://paber.ekspress.ee/viewdoc/E7F0515E26F89501C2256E59003E633E

Es gibt keinen richtigen est. Sowjet Held.

Schau mal ins Wiki, da gibt es verschiedene Links

Anonym hat gesagt…

Sry ging nicht durch, such mal in google

Kangelased ja muinasjutukangelased

Anonym hat gesagt…

"er ist heute der einzige noch lebende Este, der diese Auszeichnung hat"
Seine Mutter war eine Russin und seine Muttersprache ist auch Russisch.