Dienstag, Mai 05, 2009

Rezension des Filmes Aljoscha

am 24.04 fand in Wiesbaden im Rahmen des 9. goEast-Filmfestivals (Festival des osteuropäischen Films) die erste Deutschland-Vorführung des Filmes Aljoscha vom estnischen Regisseur Meelis Muhu. Der Film lief im Wettbewerb, wurde aber nicht prämiert.

Wie der Name schon vermuten lässt, erzählt der Dokumentarfilm die Geschichte des sowjetischen Denkmals des Kriegers-Befreiers im Stadtzentrum von Tallinn, der in der russisch-sprachigen Bevölkerung liebevoll Aljoscha genannt wird. Die Handlung beginnt im Jahr 1944, als die Rote Armee nach Estland einmarschiert. Was offiziell als Befreiung von den faschistischen Unterdrückern propagiert wird, verstehen viele Esten als erneute Okkupation. Jedes Jahr steht der Denkmal des Bronzenen Soldaten im Zentrum der Feier, was durch viele Archivaufnahmen dokumentiert wird. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1990 werden die Feierlichkeiten zuerst eingestellt, doch im Jahr 2005 organisiert die russisch-sprachige Gemeinde wieder Siegesfeier am Denkmal. Im Jahr 2006 kommt es während der Feier zu Handgreiflichkeiten zwischen den Russen und einigen estnischen Nationalisten, als sie versuchen mit der estnischen Fahne und Protesttransparenten zum Denkmal vorzudringen. Das war der Augenblick, als sich die estnisch-nationale Bewegung formierte, die lautstark die Wegräumung des Denkmals forderte, die dann auch in der Nacht vom 26-27. April durchgeführt wurde. Die Verlegung wurde von Massenunruhen und Krawallen begleitet. Das wiederaufgerichtete Denkmal steht am Soldatenfriedhof und zieht jedes Jahr am 9.Mai Tausende von Menschen an, die den Gefallenen und Veteranen Ehre erweisen wollen.

Der Film Muhus begleitet alle diese Ereignisse im Still einer Dokumentation. Die Kamera gleitet durch die Massen, ist mittendrin im Geschehen, ganz nah an den Hauptakteuren. Es werden kaum Fragen gestellt, die Interviewte erzählen selbst ihre Sichtweise, es gibt keine Kommentare aus dem Off. Der Zuschauer soll möglichst unbeeinflusst seine Meinung bilden können. Unabhängig welche Seite am Ende des Films eingenommen wird, wird eines deutlich: der Konflikt ist lange nicht gelöst, die Fronten bleiben verhärtet und Agressionspotential auf beiden Seiten ist nach wie vor hoch.

Abgesehen von den Archivaufnahmen, wird kaum über die politische Seite des Konflikts berichtet. Mit keinem Wort wird über die Reaktion Russlands berichtet, die Rolle der politischen Elite Estlands beim Schürren des Konflikts bleibt unerwähnt, die Gefangene des D-Terminals kommen nicht zu Wort, keine Statistik über Tote, Verletzte und Festgenomme wird eingeblendet. Nur kurz kann man die Armbinde mit der Aufschrift "Notchnoj Dozor" sehen. Von einer erschöpfenden Dokumentation über das Thema Bronzene Nächte kann man deswegen nicht sprechen, die Konzentration auf das wesentliche und die Methode die Bilder für sich sprechen zu lassen ist zweifellos interessant für jemandem, der sich mit dem Konflikt bislang nicht beschäftigt hat. Jemand, der die jüngste Geschichte Estlands aufmerksam verfolgt, kennt die meisten Aufnahmen schon, wenn auch nicht unbedingt in dieser Zusammenstellung und Intensität. Wenn man bedenkt, dass die singende Revolution weitgehend in Estland weitgehend unblutig verlaufen ist, versteht man, warum die Erinnerung an die Bronzenen Nächte noch lange in Gedächtnis aller Beteiligten bleiben wird, und selbst zwei Jahre nach den Unruhen kaum ein Artikel über die russisch-sprachige Minderheit ohne Erwähnung dieser Geschehnisse auskommt.

2 Kommentare:

Schirren hat gesagt…

Ich möchte mal hier die Frage in dem Raum werfen - was ist eigentlich "Antifaschismus"? Ich meine diese Organisationen, die sich selbst so nennen. Die überwiegende Mehrheit lehnt vermutlich den Nationalsozialismus in Theorie und Praxis ab, ohne sich selbst den Titel "Antifaschist" zuzulegen. Die, die das machen, wollen aus meiner Sicht damit unterstellen, daß ihre Opponenten alle samt "Faschisten" sind. "Antifaschist" ist sozusagen ein Synonym für "auf der richtigen Seite". Das ist ein Dreh, den schon die DRR und die Sowjetunion nicht ohne Erfolg angewendet haben. Das Resultat solcher schwarz/weiß Etikette ist leider eine Emotionalisierung der Debatte.

kloty hat gesagt…

Hallo Schirren,

wenn man die Bedeutung der Vorsilbe Anti richtig interpretiert, hast Du Recht, dass eigentlich es nur für duale Begriffe gedacht war, die keine dritte Möglichkeit offen lassen, siehe antialkoholisch (also ohne Alkohol), Antimaterie (dunkle Materie lassen wir mal aussen vor), Antiraucher, Antithesis, usw. Wenn man von sozialen Bewegungen und politischen Ansichten spricht (es gibt ja auch Antiamerikanismus, Antiglobalisierung, Antikapitalismus usw), möchte man mit der Vorsilbe Anti die Polarität betonen, die die jeweilige Bewegung zu der von ihr abgelehnten Denkweise einnimmt, also möglichst weit weg am entgegengesetzten Polen. Natürlich gibt es zwischen den Polen recht viel Platz, wo sich die übrige Bevölkerung bequem verteilen kann mit Affinität zu einem oder anderen Polen.

Ohne jetzt eine allgemein-gültige Definition geben zu wollen, ein Antifaschist ist für mich jemand, der nicht nur sich persönlich vom Gedanken des Faschismus distanziert, sondern auch Aktionen durchführt, die gegen die vermeintlichen oder tatsächlichen Träger des faschistischen Gedankenguts gerichtet sind. Diese Aktionen können aufklärerischen Art sein wie Publizistik, künstlerische Darbietungen oder auch Verhindern von neonazistischen Aufmärschen.