Mittwoch, April 27, 2011

Tere Eestimaa tell me how you doing

ein paar Kurzeindrücke vom letzten Estland-Besuch:

1. Air Baltic ist der grosse Gewinner, was Flugverkehr in Baltikum angeht. Gute Preise, pünktliche Flüge, grosse Auswahl an Zielen, was in sehr gut ausgebuchten Flügen sich niederschlägt. Was jetzt noch fehlt ist eine schnelle stündliche Zuganbindung Tallinn-Riga, denn das stundenlange Warten auf den Anschlussflug im überfüllten Flughafen von Riga (4 Mio. Fluggäste im Jahr) würde ich gerne vermeiden.

2. Wenn der Spruch stimmt, dass Wirtschaft zur Hälfte aus Zahlen und zur anderen Hälfte aus Psychologie besteht, dann ist die Krise noch voll da. Niemand, den ich gesprochen habe, hat den Eindruck erweckt, jetzt sei das Schlimmste überstanden, jetzt sehen wir zuversichtlich in die Zukunft. Die persönlichen Opfer, die jeder bringen musste, waren wohl zu hoch und noch zu spürbar, wie der Busfahrer, der 30% der Gehalts opfern musste, die Frisöse, die das Wort Urlaub vom Hörensagen kennt, Glamour auf der Strasse hat subjektiv erheblich abgenommen, der einzige Hummer, den ich gesehen habe, hatte ein weissrussisches Kennzeichen. Meine Bekannte erzählen mir auch von Schwierigkeiten einen Job zu finden, obwohl sie hochqualifizierte BWLer sind. Es bewegt sich aber einiges in der estnischen Wirtschaft, so ging die Werft der BLRT Gruppe pleite (ursprünglich bestand die BLRT Gruppe aus einer Werft), dann erklärte Luterma, die einstige Mutterfirma von Kalev bankrott, und dann verkaufte der reichste Este Tiit Vähi die Firma Silmet an die amerikanische Gesellschaft Molycorp. Silmet produziert Seltene Erden, die nach chinesischen Exportbeschränkungen ja wieder hoch im Kurs sind, aber seit wann gibt es Seltene Erden in Estland? Kommen sie normalerweise nicht im Gebirge vor?

3. Was die Einführung des Euro angeht, die Hauptsorge der Leute sind nicht die möglicherweise steigende Preise, das wird als so selbstverständlich hingenommen, dass sich darüber gar nicht zu diskutieren lohnt, nein, das Hauptproblem sind die Münzen. Die alten Leute, die mit den Münzen nicht umgehen können (gerade die alten Leute haben mehr Währungen in ihrem Leben gesehen, als die jungen), die Busfahrer, die säckeweise Münzen schleppen müssen (obwohl sie 2-3 Tickets pro Fahrt verkaufen), die Taxifahrer, die kein Rückgeld geben können… Auch geht das beliebte Spiel wieder los, bald wird es Produkt xy nicht mehr geben, kaufen wir möglichst viele Vorräte. Diesmal hat es Buchweizen getroffen, alle Regale mit Buchweizen sind leergeräumt worden.

4. Was es tatsächlich nicht gibt in Estland, das ist eine Sammlung von estnischen Volksmärchen auf Russisch, die ich einer Freundin schenken wollte. Die bekannteste Sammlung ist von Kreuzwald (derselbe, der den Kalev-Epos geschrieben hat), die letzte Ausgabe dieser Sammlung in russischen Sprache datiert auf 1989 und ist selbst in Antiquariat-Läden nicht zu finden. Nur als Vorschlag, damit die russischen Kinder auch dieselben Märchen kennen, wie die estnischen, vielleicht wäre das eine gute Idee wieder estnische Märchen auf Russisch aufzulegen?

5. Tallinn, Samstag Abend, Club Depeche Mode, der von Lonely Planet zu den 10 verrücktesten Clubs erklärt wurde (die anderen sind z.B. ein Unterwasserclub in Eilat unter dem Meeresspiegel des Roten Meeres und ein Herr der Ringe Club in Thailand, wo nur Zwerge arbeiten dürfen). Kann nicht behaupten, dass sonderlich viel los ist, hat vielleicht mit schlechtem Wetter und mit Ende der Saison zu tun. Hotel Olümpia sieht ganz schön dunkel aus, nur Hotel Viru scheint es ganz gut zu gehen. Auf karaokende und Tango tanzende Finnen ist da Verlass. Allerdings ist schon bald Sommer und es wird Tage geben, an denen 10.000 Kreuzfahrt-Touristen sich in die Innenstadt ergiessen werden. Zum Glück gibt es wieder sehr schöne Souvenirs zu kaufen, estnische Stickereien und Strickwaren. Von der europäischen Kulturhauptstadt hat man sehr wenig bemerkt. Wenn man nicht gezielt in der Touristeninformation nach Veranstaltungsheft fragte, würde man gar nicht erfahren, welchen ehrenvollen Titel Tallinn dieses Jahr trägt.

6. Ein paar Worte zu den Bauwerken, die im letzten Jahr errichtet wurden. Freiheitskreuz sieht vom Weiten ganz schön eindrucksvoll aus, doch aus der Nähe sieht man, wie zwischen den Glasplatten die Fugen schon aufgeplatzt sind. Neben mir stehen Sachverständige, die eine Mängelliste zusammenstellen. Einen Schock bekam ich, als ich das neue Shopping-Kultur? Center Solaris gesehen habe. Unter dem Wort "Bausünde" im Duden sollte das Foto dieses Gebäudes stehen. Komplett einfallsloses, in Europa und USA tausende Male vorhandenes Gebäude mit geschmackloser Leuchtreklame. Und dafür hat man Sakala abgerissen?



7. Ganz zufällig gerate ich ins Hinterhof des Estnischen Historischen Museums und sehe folgendes:





Lenin-Kopf sieht ganz schön ausserirdisch aus

Gleich daneben ist ein Friedhof für die deutsche Gefallenen im Zweiten Weltkrieg. Wurde schon 1998 errichtet, habe früher nicht hingeschafft. Sieht sehr schön und gepflegt aus, mit vielen Erklärungen wer hier wann gekämpft hat. Würde mir ähnliches für den Militärfriedhof wünschen, wo der Bronzene Soldat jetzt steht.

8. Noch ein paar Frühlingsbilder:





9. Eines abends gingen wir in Nationaltheater, um die Prokofjev-Oper "Die Liebe zu drei Orangen" sich anzuschauen. In meiner Einfalt dachte ich tatsächlich, dass die Oper in Originalsprache, also auf Russisch gesungen wird. Erst nachdem die Tickets gekauft wurden, klärte man mich auf, dass "Armastus kolme apelsini" tatsächlich auf Estnisch gesungen wird mit Obertiteln auf Estnisch und Englisch. Ist doch selbstverständlich in dem estnischen Nationaltheater! Doch warum wurden die Rollen der bösen Zauberin Fanta Magoria und der Köchin mit dem grossen Kochlöffel auf Russisch gesungen? Man weiss es nicht und kann nur Vermutung anstellen. Die Oper selbst war ganz passabel, nur der Kochlöffel hätte viel größer ausfallen dürfen.

10. Wusstet ihr dass:

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Hallo Kloty.

Da ich ebenso aus Estland komme, lese ich immer wieder sehr gerne Deinen Blog. Den Bricht fand ich sehr interessant, du findest immer etwas besonderes - Dinge auf die man nicht unbedingt aufmerksam wird. Das Foto mit den Schwänen ist grossartig, so habe ich das auch in Erinnerung:)

Grüsse aus Frankfurt

Jevgenija

kloty hat gesagt…

Hi Jevgenija,

freut mich sehr, dass Dir mein Blog gefaellt. Habe gerade festgestellt, dass man die Bilder gar nicht vergroessern kann, weil der Link falsch ist. Habe ich korrigiert, so dass Du jetzt auch die groessere Version von Schwanenbild geniessen kannst.

Viele Grüße nach Frankfurt aus Berlin/Muenchen.

kloty