Samstag, April 14, 2012

Und jährlich grüßt das Murmeltier

Das estnische Murmeltier hat auch den Beinamen "Jahrbuch der KAPO", also Jahresbericht des estnischen Verfassungsschutzes. Jedes Jahr am 12. April wird diese Lektüre veröffentlicht, und in schöner Tradition finden sich alte Bekannte, die damit als Feinde Estlands gelten, auf den Seiten dieser Postille wieder. Informationsagentur Regnum schreibt voller Stolz, dass sie ein Rekord aufgestellt hat, acht Jahre hintereinander wird die Nachrichtenagentur schon als Feind Estlands vorgestellt. Für manche andere war die Erfahrung als Feind Estlands vorgestellt zu werden eine Premiere, doch darüber etwas später.

Delfi hat die Erwähnten übersichtlich in einer Tabelle vorgestellt, in Klammern meine Kommentare:

- Karen Drambjan (griff letztes Jahr das Verteidigungsministerium an, posthum Feind Estlands)
- "vaterländische" Politik Russlands (also jeder, der Russland als Vaterland ansieht und insbesondere einer der zahlreichen Landsmannschaften angehört = Feind Estlands)
- Agentur "Rossotrudnitchestvo" (ist mir kein Begriff)
- das russische Außenministerium, der russische Aussenminister Sergej Lavrov, die russische Botschaft in Estland, der russische Botschafter in Estland Jurij Merzljakov (alles Feinde Estlands, immerhin wurden weder Putin oder Medvedev erwähnt)
- Koordinationsrat der russländischen Landsmannschaften Estlands (russischer Landsmann = Feind Estlands)
- russländische GONGOs also Government-Organized Non-Governmental Organizations (weiter unten gibt es Beispiele)
- NGO "Russische Schule Estlands" (Verteidiger des Unterrichts in russischen Sprache = Feinde Estlands)
- Mitglied des estnischen Parlaments Yana Toom (eine der aktivsten Unterstützer der russischen Schule in Estland, also siehe oben)
- Informationszentrum für Menschenrechte und Vadim Poleschuk (der Leiter des Zentrums Aleksej Semjonov hat sich noch letztes Jahr gefreut, endlich nicht mehr erwähnt zu werden, tja, Aleskej, zu früh gefreut, das wachsame Auge des estnischen Staates ist scharf wie nie zuvor auf Dich gerichtet)
- Mitglied des estnischen Parlaments Mihhail Stalnuhhin (stellt immer unbequeme Fragen und versucht mit seinem intelligentem Gequatsche die Regierung bloßzustellen)
- stellvertretender Bürgermeister Tallinns Mihhail Kõlvart (warum Mihhail auf der Liste Premiere feiern durfte, wird später besprochen)
- "Notchnoj Dozor" und sein Vorsitzender Sergej Tchaulin (Stammplatz muss besetzt sein)
- die Hauptstadtzeitung "Stolica" (es kommen hauptsächlich die Kritiker der Regierung zu Wort, also Feinde Estlands)
- russländischer Diplomat Jurij Zvetkov (Historiker, traf sich mit Mihhail Kõlvart und bekam von ihm ein Schulbuch zur Geschichte Estlands als Geschenk, ist als Verrat der Staatsgeheimnisse gegenüber einer feindlich gesinnten Macht zu betrachten = Feind Estlands)
- der informative Einfluss Russlands (also jegliche Information, die aus Russland kommt, ist per definitionem feindlich für Estland)
- der Kreml (jetzt als Gebäude, oder sind die Bewohner gemeint?)
- die Umbettung des Bronzenen Soldaten (sorry, aber das habt ihr euch selbst eingebrockt)
- der Grosse Vaterländische Krieg (ist zwar seit 67 Jahren vorbei, aber wohl noch nicht für alle)
- Molotov-Ribbentrop Vertrag (da müsste IA Regnum blass vor Neid werden, unterzeichnet vor 73 Jahren und immer noch Feind Estlands)
- UdSSR (existiert seit 22 Jahren nicht mehr, aber die Methoden leben in KAPO nach wie vor)
- die Sendung "Grani nedeli" im russländischen Sender RTVi (habe ich nicht gesehen)
- Das Erste Kanal (noch ein russländischer Sender)
- der Moderator des Ersten Kanals und Mitglied der Abgeordnetenkammer Russlands Maksim Shevtchenko (sieht sich als Freund Estlands, empfiehlt den Staatenlosen die estnische Staatsbürgerschaft zu bekommen und für ihre Rechte zu kämpfen. Soviel Gutmenschentum von einem Russen macht verdächtig, also vorsichtshalber = Feind Estlands)
- MGIMO Institut für Auslandsbeziehungen (hier werden die zukünftigen Diplomaten Russlands vorbereitet, alles heranwachsende Feinde Estlands)
- Direktor des Russländisch-Baltischen Zentrums des Instituts für Soziologie bei der Russländischen Akademie der Wissenschaften Renald Simonjan (Direktor eines Instituts mit so einem langen Namen muss einfach Feind Estlands sein)
- Organization "Welt ohne Nazismus" (wagte die Treffen der Veteranen der Waffen-SS in Sinimäe zu kritisieren = Feind Estlands)
- Leiter der Organization "Welt ohne Nazismus" Boris Spiegel (Leiter der Organization, die es wagte die Treffen der Veteranen der Waffen-SS in Sinimäe zu kritisieren = Oberster Feind Estlands)
- Mitglied des Vorstandes der Organization "Welt ohne Nazismus" aus Estland Andrej Zarenkov (Mitglied des Vorstandes der Organization, die es wagte die Treffen der Veteranen der Waffen-SS in Sinimäe zu kritisieren = Vasall des Obersten Feindes Estlands)
- Mitglieder des Rates dieser Organization Dmitrij Linter und Maksim Reva (Mitglieder des Rates der Organization … )
- Nachrichtenagentur Regnum und der Hauptredakteur Modest Kolerov (sind mächtig stolz auf ihr Titel, aber gegenüber dem Molotov-Ribbentrop Vertrag sind sie Frischlinge)
- "Molodoje Slovo" (übersetzt "jugendliches Wort", also Slang, unverständlich für die altverdiente KAPO-Mitarbeiter, deswegen Feind Estlands)
- NGO "Vmeste" (übersetzt "Zusammen", Esten und Russen zusammen? Wie kann das sein? Das geht doch nicht! -> Feind Estlands)
- Nachrichtenportal baltija.eu (meine tägliche Lektüre, also bin ich auch Feind Estlands?)
- der russländische Sender NTV (nicht mit dem deutschen NTV zu verwechseln, sonst gibt es Probleme mit dem EU und NATO-Partner)
- Die Stiftung "Russkij Mir" (unterstützt landmannschaftliche Projekte in vielen Ländern der Welt, in der Welt willkommen, in Estland ein Feind)
- Die Gortchakov-Stiftung (fragt mal die Mitglieder des "Welt ohne Nazismus" wie hoch die Chancen sind Geld für ein AntiFa-Projekt von diesem Fond zu bekommen, eigentlich sollte dieser Fond zu Estlands Freunden gezählt werden)
- Kanal RT und der Reporter Aleksej Yaroshewskij (so, jetzt haben wir alle beisammen)

Ich denke auch ohne meine Kommentare wird klar, wie absurd diese Zusammenstellung ist. Doch eins darf man nicht vergessen, hinter diesem Pamphlet steht ein Geheimdienst mit hunderten von Mitarbeitern und natürlich geheimgehaltenen Budget. Die Personen, die in dieser Liste vorkommen und im Ausland leben, haben wenig zu befürchten, doch die Leute, die in Estland leben, müssen mit Video-, Audio-, und Photoüberwachung, Einladungen zu Unterredung mit KAPO-Mitarbeitern, Durchsuchungen, grundlosen Kontrollen an den Grenzen, Veröffentlichung ihrer privaten Kommunikation und ihres Vorstrafenregisters in Massenmedien, Anzapfen ihres Mobilgerätes und somit Tracking ihres Standortes, Verlust des Arbeitsplatzes, Auflösung von Verträgen mit staatlichen Firmen und andere Gängelungen rechnen. All das ist schon vorgekommen, darüber wurde in diesem Blog schon berichtet. Viele, wie Maksim Reva, Dmitrij Linter, Alexander Korobov sind ins Ausland ausgewandert, weil sie den ständigen Druck nicht ausgehalten haben, andere wie Oleg Besedin haben sich zurückgezogen, weil sie Konsequenzen für ihre private und berufliche Zukunft gefürchtet haben.

Besonders tragisch und absurd sind die Angriffe auf Mihhail Kõlvart, den stellvertretenden Bürgermeister Tallinns, der sich für den Erhalt des russisch-sprachigen Gymnasiums in Tallinn einsetzt. Die Photos im Jahrbuch zeigen ihn im Sportsaal bei Tae-Kwon-Do Übungen. Die Bildunterschrift lautet: Die Übergabe eines Geschichtsbuches an den Diplomaten eines anderen Landes ist kein Verbrechen, doch es kommen unbeantwortete Fragen hoch. Auf die Nachfrage, was konkret Kõlvart vorgeworfen wird, sagte Martin Arpo, ein Repräsentant der KAPO: "Wir beschreiben seine Tätigkeiten, die keine Verbrechen und keine Rechtübertritte sind, doch über welche die Öffentlichkeit, wie wir denken, bescheid wissen muss, denn der Hintergrund dieser Tätigkeiten ist nicht klar. Diese Tätigkeiten sind im Rahmen der Verfassung, deswegen beschuldigen wir ihn in nichts".

Es gibt ein einfaches Wort für das was KAPO mit Mihhail und anderen Mitgliedern der Liste macht: ein staatlich subventionierter, uneinklagbarer RUFMORD.

Facebook-Vorschläge für Jahrbuch 2012:



Der Präsident Zimbabves Mugabe könnte auf den Premier-Minister Estlands Andrus Ansip einwirken und ihn führen



Der Einkauf Mihhail Kõlvarts von defitären Eiern ist kein Verbrechen, doch es kommen unbeantwortete Fragen hoch

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