Freitag, April 05, 2019

Der Massenmörder pendelte eine Woche zwischen Estland und Lettland

Weswegen kam der neuseeländische Terrorist?


Der Massenmörder Brenton Tarrant zeigt eine rassistische Geste im Gerichtssaal.
Photo: Mark Mitchell/Afp/Scanpix

Der kaltblütige Mörder von 50 Leuten in Neuseeland, Terrorist Brenton Tarrant kam im Dezember nach Estland. Zwei Tage vor der Attacke teilte er in sozialen Netzen Verschwörungstheorien über Estland, auch erwähnt er die Esten in seinem „Manifest“, schreibt Postimees.

Tarrant äußerte sich mehrmals über Estland und Lettland. Zum Beispiel hat er weniger als zwei Tage vor dem Blutbad einen propagandistischen Artikel des White Genocide Projects geteilt, in der er behauptete, dass die US-Botschaft in Estland, die Esten manipulieren würde, damit sie Multikulturalism annehmen würden. An gleichen Tag teilte er ein Video vom Sängerfest in Lettland und schrieb: „Das wollen sie vernichten“.


Zwei Tage vor dem Angriff veröffentlichte der Terrorist in sozialen Netzen ein propagandistisches Artikel über Estland.
PHOTO: Kuvatõmmis

Estland erwähnte Tarrant auch in seinem „Manifest“, in der er ein aktives Interesse zu den Geschehnissen in Europa zeigte.

„Ein Marokkaner kann kein Este sein, so wie ein Este kein Marokkaner sein kann“, schrieb er.

Später ist bekannt geworden, dass sein Interesse an Estland nicht platonischer Natur was, im Dezember letzten Jahres kam er ins Land.

Was machte er hier?

Das österreichische Innenministerium und die estnische Polizei bestätigten, dass Tarrant aus Österreich nach Estland, am 4. Dezember letzten Jahres hingeflogen ist.

Laut der Information von Postimees leihte er sich in Estland ein Auto, mit dem er einen Tag später nach Lettland fuhr.

Aus Lettland nach Estland kehrte er nach zwei Tagen, am 8. Dezember zurück. Zwei Tage später, am 10. Dezember, machte sich Tarrant wieder nach Riga auf, diesmal mit dem Bus.

Dass der neuseeländische Schütze tatsächlich in Lettland gewesen ist, wurde den Journalisten von Postimees auch von staatlichen Sicherheitsdiensten Lettlands bestätigt.

Die Sicherheitspolizei Estlands (KAPO, Anmerkung des Übersetzers), die die Tätigkeit von Extremisten beobachtet, kann nichts über den Besuch Tarrants nach Estland sagen. In Sicherheitskreisen behauptet man, dass die Polizei nicht genügend Daten über seine Tätigkeiten im Land hat.

Der Pressesprecher der Sicherheitspolizei Estlands bemerkte, dass es keine Gründe gibt zu glauben, dass Tarrant ein erhöhtes Interesse zu Estland hatte.

Es ist momentan auch unklar, ob der Terrorist sich mit jemanden in Estland getroffen hat und was konkret er hier machte.

Laut der Information der Postimees verbrachte er in baltischen Ländern ca. eine Woche.

Ihn haben verstärkt die Geschehnisse in Europa interessiert. Damals, im Dezember, war in Westeuropa eines der meistdiskutierten Fragen der Migrationspakt der UNO.

Österreich und Estland haben gemeinsam, dass der Konflikt der Meinungen bezüglich diesen Paktes, bestimmte Unruhen in beiden Ländern hervorgerufen hat.

Das besondere Ereignis, das während des Aufenthalts Tarrant in Estland stattgefunden hat, war die Demonstration am 9. Dezember in Tallinn am Vabaduseväljak gegen den Migrationspakt der UNO.

Was verbindet noch Estland, Tarrant und Österreich?

Ultrarechte Gruppierungen haben in ganz Europa enge Kontakte miteinander. Sie unterstützen sich gegenseitig, treffen sich, organisieren Demonstrationen, um sich gegenseitig zu unterstützen und treten auf denselben Konferenzen auf.

Am Mittwoch berichtete die BBC, dass österreichische Ermittler Durchsuchung im Haus des lokalen Anführers der rechtsradikalen Gruppierung IBÖ (Identitäre Bewegung Österreichs) Martin Sellner durchgeführt haben, weil er eine Spende in Höhe von 1500 EUR bekommen hat, die mit dem Terroristen Tarrant in Verbindung gestanden ist. Der Bundeskanzler Sebastian Kurz merkte an, dass gleichzeitig untersucht wird, ob IBÖ eine terroristische Organisation sei. Auf die Spende wurde man aufmerksam, weil sie viel höher als sonstige Spenden gewesen war. Martin Sellner selbst sagte der Associated Press, dass er danach mit Tarrant einige Emails ausgetauscht hat, dabei ist es geblieben. Eine Verbindung mit den Angriffen auf die Moschee in Christchurch bestreitet Sellner.

IBÖ und das estnische „Blaues Erwachen“

Die Organisation von Sellner ist eine der Zellen des sogenannten Identitären Bewegung. Identitäre Bewegung ist eine ultrarechte Bewegung, die die Idee der ethnisch reiner Nationalstaaten propagandiert.

In Estland werden solche Ideen von dem Jugendflügel der Estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE) - „Blaues Erwachen“ verbreitet. Sowohl dort, als auch in IBÖ sind die Mitglieder hauptsächlich junge Leute, die für die Verbreitung ihrer Ideen soziale Netzwerke und Mems-Kampagnen benutzt. Als im Sommer letzten Jahres „Blaues Erwachen“ eine Demonstration vor der britischen Botschaft organisierte, war einer der Gründe die Ausweisung von Sellner und seiner Freundin Brittany Pettbon aus Großbritannien. Der Anführer des „Blauen Erwachens“, der jetzt ins Riigikogu gewählte Ruuben Kaalep, nennt sich einen europäischen Identitären. Das steht schwarz auf weiß im im letzten Jahr veröffentlichten englischsprachigen 500-seitigen Buch „Die Identitäre Bewegung. Eine Bewegung gegen die Globalisierung und Islam“.

„Es ist ausserordentlich wichtig ein Europäer zu sein, im Rahmen der heutigen demographischen Krise, der sich alle europäischen Nationen gegenüberstehen. Wir können nur dagegen kämpfen, wenn alle europäischen Nationalisten miteinander kooperieren werden“, sagte Kaalep dem Buchautor. Ausserdem war Kaalep Teilnehmer und trat auf Konferenzen in Schweden, die der Idee der Identitären Bewegung gewidmet waren auf.

Im denselben Buch wird das Wort Dutzenden Identitären gegeben. Unter ihnen auch Martin Sellner, einer der bekanntesten Vertretern der Bewegung in Europa.

„Mit Martin Sellner haben wir uns nicht getroffen“, antwortete gestern auf schriftliche Anfrage Postimees Ruuben Kaalep. „Doch sympathisieren wir den nationalistischen Jugendbewegungen in Westeuropa“.

Unter den gemeinsamen Freunden von Sellner und Kaalep in Facebook ist das junge Stern der ukrainischen Ultrarechten Olena Semenjaka, die schon mehrmals auf den Konferenzen des „Blauen Erwachens“ aufgetreten ist. Das letzte Mal trat sie in Tallinn auf der Konferenz „Ethnofutur“ Ende Februar auf. Auf der Konferenz traten Vertreter von mehreren Ländern auf, im Zentrum der Diskussionen stand die Weltordnung, die die Stammvölker begünstigt.

Wir können bestätigen, dass nichts auf eine direkte Verbindung zwischen den estnischen Nationalisten und Tarrant hinweist, im „Blauen Erwachen“ bestätigte man uns, dass der neuseeländische Schütze kein Kontakt mit ihnen gesucht hat. „Dieser Mensch hatte niemals Kontakte zum „Blauen Erwachen“ und er hat unsere Tätigkeit nie unterstützt“, schrieb gestern uns Ruuben Kaalep. „Ich kann bestätigen, dass ich nicht den geringsten Anhalt habe, dass er jemals mit irgendeinem Mitglied des „Blauen Erwachens“ Kontakt hatte“.


Account von Brenton Tarrant in sozialen Netzwerken
PHOTO: Kuvatõmmis

Möglicherweise zeigt alles darauf, dass der mit der Zeit sich immer mehr radikalisierender Tarrant sich selbst für europäische Nationalisten interessierte.

Junge Mitglieder EKRE machen sich mit australischen Faschismus bekannt


Drei Tage nach dem terroristischen Angriff warb „Blaues Erwachen“ für seine Veranstaltung mit einem wenigverbreiteten Mem, der von Brenton Tarrant benutzt war.
PHOTO: Kuvatõmmis

Eine Woche nach dem terroristischen Angriff in Neuseeland, am 22 März, gab es im Tartuer Office von EKRE eine interessante Veranstaltung: die Jugend aus dem „Blauen Erwachen“ organisierte einen Vorlesungsabend, in dem es um die „australische Kultur“ ging.

Die Seite der Konferenz des „Blauen Erwachens“ in Facebook hat man mit dem Mem „australian shitposter“ verschönert, den auch in den sozialen Netzwerken der Terrorist Tarrant nutzte. Das ist ein recht wenigverbreitetes Bild, es wurde vor allem von australischen Altright benutzt, und auch schon vor mehreren Jahren.

Das Mem wurde berühmt nach dem terroristischen Angriff in Neuseeland, es war das Profilbild Tarrants in sozialen Netzwerken und die Illustration zu dem Forumpost, wo vor dem Angriff gewarnt wurde.

Auf dem Event des „Blauen Erwachens“ wurde das Essay von P.R. Stevenson „Foundations of Culture in Australia“ über den australischen Nationalismus und der Identität der weissen Bevölkerung vorgelesen. Stevenson war ein bekannter australischer Antisemit und Propagandist von Faschismus.

Warum beschlossen die jungen Teilnehmer des „Blauen Erwachens“ eine Woche nach dem Angriff, der von einem australischen Rechtsradikalen verübt wurde, so ein Event zu veranstalten und es auf solche Weise zu bebildern?

Im „Blauen Erwachen“ behauptet man, dass die Veranstaltung keinesfalls mit dem Angriff in Verbindung stünde. „Das, was in Neuseeland geschehen ist, ist schrecklich. Wir entschlossen verurteilen es“, sagte einer der Redner auf der Veranstaltung, ein junger Mitglied der EKRE Remi Sebastian Kits.

„Es ist so, dass einer unserer neuen Mitglieder vor kurzem dieses Werk gelesen hat und hat beschlossen mit einem Vortrag aufzutreten. Es war nichts weiteres“, sagte er.

Kits behauptete, dass Aufzeigen solcher Parallelen für ihn eine Überraschung war, zu der Veranstaltung bereitete man sich seit einem Monat vor.

Doch öffentlich verfügbare Daten zeigen, dass das Photo der Veranstaltung drei Tage nach dem Angriff auf Facebook veröffentlicht wurde.

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