Dienstag, November 14, 2006

Sechste Woche England

1. Ich habe die englische Kleiderordnung immer noch nicht verstanden. Neben dem Unterschied zwischen casual Friday und dem Rest der Arbeitswoche gibt es noch feine Nuancen, ob man so fein angezogen ist, dass man einen Kunden erwartet, oder einen normalen Tag hat. Wenn man diese Grauzone nicht beachtet, wird man immer noch gefragt, warum man sich so verkleidet hat, obwohl man nicht viel anders aussieht wie sonst auch. Vieleicht ist es auch so, dass man am Montag am besten angekleidet kommt und das nimmt im Verlauf der Woche ab, aehnlich wie die Motivation.

2. Eine Sendng die unbedingt ins deutsche Fernsehen gehoert, nennt sich Look-a-Like, aehnlich wie "Vorsicht Kamera", aber hier veraeppeln Doppelgaenger von beruehmten Personen normale Leute. Wenn der Sven-Goran Persson (englischer Fussballnationaltrainer) vor Augen eines Hotelmitarbeiters einen Voodoo-Doktor bestellt und auch den Mitarbeiter bittet gegenerische Puppen mit Naegeln zu bearbeiten, bleibt kein Auge trocken. Oder wenn Camilla im Pub zum ersten Mal Eier und Wuerstchen kocht.

3. Eine weitere interessante Sendung ist Mashed Hits. Da werden ausschliesslich Musikvideos gezeigt, die aus Zusammenschnitt anderer beruehmter Hits entstanden. Für mich beinhalten diese Werke so viele Aussagen, dass ich sie zu einer neuen Kunstrichtung erklaere. Das ist weitaus mehr als ein Remix, in dem man ein Lied neu arrangiert, es ist mehr als Cover, weil man mit Originalinhalten arbeitet, die Kuenstler der Ursprungslieder ausdruecklich erwaehnt und mit deren Musikvideos arbeitet, es ist eher eine Kollage mit modernen Mitteln, eine Dekomposition und wieder Neuzusammenstellung, so dass aus mehreren alten vertrauten Quellen etwas vollkommen Neues entsteht. Es ist ein Crossover der extremen Form. Da werden Destiny's Child mit "Smelling like Teen Spirit" von Nirvana unterlegt, Madonna singt ihr "Ray of Light" zu Riffs von Sex Pistols, also Kombinationen, die eigentlich gar nicht gehen, sowohl musikalisch, als auch von dem, was die Musiker ursprünglich representiert haben. Die Ergebnisse klingen leicht schraeg, erreichen aber eine unheimliche Sound-Dichte. Und natürlich ist es eine offene Kriegserklaerung an die Rechteinhaber, denn zumindest am Anfang hat es die Remixer ueberhaupt nicht gekuemmert, wer nun die Rechte an dem Urspungsmaterial hat, die Ergebnisse wurden anonym im Internet veroeffentlicht. Allein die Idee, dass man eigentlich perfekte Ergebnisse als Ausgangsbasis fuer etwas Neues nehmen kann, widerspricht saemtlichen Copyright, Patent und Intellectual Property Bemuehungen der Industrie (darunter verstehe ich jegliche Industriezweige, die mit geistigen Inhalten arbeiten). Und es ist ein Statement an die Jugendkulturen der Vergangenheit. It's only music, stupid. Man kann alles in einen Topf schmeissen, Grunge und Latino, Gangsta-Rap und Indian-Dance, Punk und Pop, es ist egal, für was diese Musik ursprünglich stand, welche Bewegung sich damit identifiziert hat. In der Zeit der freien Informationsverbreitung und Kommunikation, dem unbeschränktem Zugang und Vervielfältigungsmöglichkeiten zu und von sämtlichen musikalischen Werken, die in digitaler Form veröffentlicht wurden, ist es nahezu sektiererisch sich nur einer Musikrichtung zu verpflichten, es lebe die Vielfalt der Meinungen und Stile, die einander nur bereichern koennen. Genau dasselbe ist auch dem Rest der Gesellschaft zu wünschen, nicht nur seine Meinung stur zu vertreten, sondern auch für andere Meinungen offen zu sein und aus einem Mix von Ideen etwas Neues, Besseres erschaffen. Ob unsere politische Form mit strikten Pateientrennung dafuer die geeignete Plattform darstellt, wage ich zu bezweifeln, aber das ist schon ein anderes Thema.

4. Heute war ich in Bournemouth am Meer. Ist ein sehr nettes Kurort mit schoenen Straenden und Cliffs über ihnen. Sehr suess sind die Standhauschen, das sind wirklich kleine aneinandergereihte Huetten natuerlich mit verschiedenfarbenen Tueren, in denen man sitzen kann und aufs Meer schauen. Sozusagen ein Strandkorb in XL. Sogar ausserhalb der Season ist da einiges an Leben, es gibt ein Nachtleben und gerade heute hat My Chemical Romance gespielt. Ich kenne zwar nicht so viel von ihnen, aber die letzte Single hat schon was Queen-aehnliches, sehr bombastisch und wird sicherlich eine Hymne fuer alle schwarz-angezogene HIM-liebende Leute. Ich haette eine Karte kaufen koennen, aber die Vernunft hat leider gesiegt, bin doch nach Bracknell zurueckgefahren.

5. Ebenso war heute der Remembrance Day oder der Poppy Day. Mit meiner Vermutung ueber den Gesellschaftszwang lag ich goldrichtig, habe heute in The Independent eine Diskussion ueber einen Nachrichtensprecher gelesen, der sich geweigert hat einen Poppy anzuheften. Und fuer die linke friedfertige Bevoelkerung gibt es die Mohnblume auch in weiss. Natuerlich gab es auch eine Uebertragung aus dem Albert-Hall, wo die zentralen Festivitaeten stattgefunden haben. Soviel Pathos habe ich zum letzten Mal in Kazan empfunden, als Putin dem russischen Volk ein froehes neues Jahr gewuenscht hat. Hier wurde nichts ausgelassen, Kinder von Soldaten waren da, Machete-schwingende Guptas, die Kriegstaenze aufgefuehrt haben, Militaerorchester, der Militarmusik mit Latino-Rhythmen kreutzte (Gewehr bei Fuss! Cocktail in die Hand!), der oberste Bischof der anglikanischen Kirche, der beinamputierte George-Cross Traeger, Einblendungen aus Irak und natuerlich die Koenigsfamilie, die mit militaerischen Ehren verabschiedet wurde. In Deutschland ist so was komplett undenkbar, die Frage, die sich stellt, braucht man das ueberhaupt, ich sage aber da: "Ja, eine Nation muss sich selbst feiern, um sich zu beweisen, dass man eine ist und das es gut ist zu ihr zu gehoeren und man bereit ist, was fuer sie zu opfern, muss ja nicht gleich das eigene Leben sein." Und wie noetig es Deutschland hat sich selbst zu feiern hat man ja waehrend der Fussballweltmeisterschaft gesehen, wo man ueber sich selbst gewundert hat und sich wuenschte, dass diese Stimmung nie vorbeigehen moege. Aber jeder Versuch aus Deutschland eine stolze Nation zu machen ist bisher klaeglich gescheitert. Man hat versucht die Truemmerfrauen und die Arbeiter der Aufbaujahre zur Helden zu stillisieren, die Weltmeister von 1956, man stellte Buecher zusammen, in denen genaustens aufgezaehlt wurde, warum man auf Deutschland stolz sein sollte, man hat versucht die Bevoelkerung mit den Helden der Gegenwart zu identifizieren ("Du bist Deutschland"), alles war nett gemeint, ist aber klaeglich gescheitert. Gescheitert am Widerstand der "kritischen" Presse, der "kritischen" linken Szene, an denen, die immer noch Angst vor der Wiederholung des Dritten Reiches haben. Es gibt sie aber, die Geschichte, auf die man sehr wohl stolz sein kann und auf die man sich beziehen kann, ohne gleich in die rechte Ecke abgeschoben zu werden, nur ist das keine deutsche Geschichte, sonderen Geschichte von Preussen, von Bayern, von Sachsen, von der Hansa und anderen Königreichen, Herzog- und Fürstentümern auf dem deutschen Gebiet. Zeugnisse dieser glorreichen Geschichte gibt es allerorten, das Problem ist, dass sich ein Württemberger nur bedingt mit August dem Starken von Sachsen identifizieren kann, genauso wenig wie ein Preusse jemals versteht, was die Bayern an Ludwig dem II so toll finden. Das fuehrt uns genau zu meinem Artkiel ueber die Aufspaltung Deutschlands.

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