Bei dem letzten Veteranentreffen der Waffen-SS auf Sinimäe kamen schon die ersten Gerüchte auf, dass der Verteidigungsminister Mart Laar plant die Veteranen der Waffen-SS oder allgemein estnische Soldaten, die deutsche Uniformen im zweiten Weltkrieg getragen haben, zu Kämpfern für die Freiheit Estlands zu erklären. Die Veteranen sagten, dass wenn "unser" Mart sich einer Sache angenommen hat, dann wird er sie auch zu Ende bringen.
Am 27. Dezember 2011 zeigte delfi.ee einen Artikel, dass ein entsprechendes Gesetz in Vorbereitung sei und im Frühling dem Parlament und der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Ein ähnliches Gesetz wollte man schon 2005 durchs Parlament schleusen, doch die Regierung vertagte es. Am 30. März 2006 hat das Justizministerium befunden, dass dieses Gesetz für Unruhen in estnischen Zivilgesellschaft sorgen könnte, die auf verschiedenen Seiten gekämpft hat. Auch der Versuch im Jahr 2010 das Gesetz zu verabschieden ist gescheitert. Doch jetzt ist die Verabschiedung eines solchen Gesetzes ein Teil des Koalitionsvertrages zwischen IRL und der Reformpartei: "Unterstützen wir diejenigen, die für die Unabhängigkeit Estlands gekämpft hat mit dem Beschluss des Riigikogu (also des Parlaments)"
Am 03. Januar 2011 veröffentlichte die englische Zeitung DailyMail einen Artikel über das Vorhaben. Interessanterweise wurde der Artikel recht bald wieder von der Webseite runtergenommen, es finden sich aber noch einige Verweise auf die Existenz dieses Artikels auf der Webseite. Glücklicherweise wurde der Text kopiert und kann hier in voller Länge gelesen werden. Warum der Text runtergenommen wurde, kann man nur spekulieren, DailyMail gibt keine Kommentare ab.
Am 12. Januar veröffentlichten auch die deutschen Zeitungen umfangreiche Artikel zu dem Thema, die sich sehr kritisch mit dem Vorhaben der estnischen Regierung auseinandersetzen. Da wird von der Auferstehung der braunen Ungeheuer gesprochen und Blinder Ehrung der Waffen-SS, auch die grünen Politiker protestieren scharf. Selbst die konservative Welt glänzt mit Fakten, die ich bisher in der westeuropäischen Presse vermisst habe. In der Haaretz wurde ein Artikel von Efraim Zuroff veröffentlicht, in dem er aufruft nicht die Schuldigen zu rehabilitieren.
Dem Verteidigungsministerium wurde es schliesslich zu bunt und am 5. Januar 2012 wurde ein Artikel auf den Seiten des Verteidigungsministeriums veröffentlicht, der die erschienen Presseberichte richtigstellen soll. Das ist eine gute Zusammenstellung der Geschichtsbetrachtung in Estland, deswegen lohnt es sich genauer angeschaut zu werden:
Regarding the article “Laar intends to recognize men who fought in German uniform officially as freedom fighters” published in the Estonian online newsportal Delfi on December 27th 2011, the Estonian Ministry of Defence would like to make the following statement.
The government of the Republic of Estonia has not drafted nor will it draft something as absurd as a bill that would allow for honours to be given to Nazi collaborators.
The government of Estonia has given a task to the Ministry of Defence to prepare a bill to give recognition to persons who have fought for the restoration of the independence of Estonia. The fight against Nazi and Soviet totalitarian regimes was also a part of the Estonian fight for freedom and the decision of the government to honour the struggle for the restoration of Estonian independence is a natural and unequivocal choice. A number of member states of the European Union have approved similar bills to honour their resistance fighters. The exact wording of the bill will be drafted by spring of this year.
Gab es also noch eine dritte Gruppe von Menschen, die weder für in der deutschen, noch in der Roten Armee für die Unabhängigkeit Estlands gekämpft haben?
In addition, the Estonian Ministry of Defence would like to emphasize the following.
Estonia has been terrorized by the regimes of Nazi Germany and communist Soviet Union. The Republic of Estonia has officially condemned the atrocities and crimes of Nazism and Communism and has the intention to continue this policy. Estonia is pleased to notice that the same principles have been followed in Europe. The European Parliament has decided to condemn the crimes of the Communist regime along with the crimes of the Nazi regime.
In 1939 the Soviet Union and Nazi Germany concluded the Molotov-Ribbentrop Pact, the secret protocols of which divided Central and Eastern Europe into respective spheres of influence. The same year Germany launched the Second World War with its attack on Poland and the Soviet Union started to fulfil its role by invading Poland from the east, at the same time concentrating large forces on the borders of the three Baltic States and Finland. The Soviet Union occupied Estonia along with Latvia and Lithuania in 1940.
The Soviet occupation was followed by Estonia’s occupation by Nazi Germany in July 1941. In September 1944 Estonia was again occupied by the Soviet Union. Estonia regained its independence in 1991. For the most part Estonians were forcedly mobilised by the totalitarian regimes that occupied Estonia what is against international law. Direct human losses during the Soviet and Nazi German occupations reached 180 000, which is 17.5 per cent of the nation’s population, and 90 000 of these people were killed.
Interessant ist der Satz über "forcedly mobilised". Was die Esten in der Roten Armee angeht, ich kann mich nicht daran erinnern, dass z.B. Arnold Meri gezwungen war in der Roten Armee zu dienen. Und wenn jemand gezwungen wird in Waffen-SS zu dienen, warum zieht man 70 Jahre später immer noch mit Stolz seine Uniform an, zeigt seine Orden und lässt sich verehren? Nach einem Treffen der Selbsthilfegruppe der Anonymen Waffen-SS Veteranen sieht das Treffen auf Sinimäe nicht aus. Unklar ist der letzte Satz, direct human losses waren 180 000 und 50% davon wurden getötet. Erstens, was passierte mit den anderen 50% und zweitens von wem wurden die anderen 50% getötet? Und natürlich wurde kein Wort über die Taten der estnischen Kollaborateure verloren, schuld sind nur die anderen.
Dieses Statement fügt sich nahtlos in die Politik, die auch der estnische Präsident Ilves betreibt. Die israelische Zeitung Haaretz schreibt über den Besuch von Ilves in Israel, wo er die Leiden von Juden während des Holokausts und der Esten während der beiden Okkupationen als gleich darstellt.
Aber abseits von den Betrachtungen der Vergangenheit, was würde es denn bedeuten, falls so ein Gesetz wirklich verabschiedet wird und zwar in der Form wie befürchtet? Das allerkleinste Problem wird sein, dass die Veteranen mit dem neuen Status evtl. besser vom Staat behandelt werden, höhere Rente usw. Der Status ihrer Zusammentreffen wird komplett geändert, es ist nicht mehr das Treffen der Veteranen der Waffen-SS, sondern das Treffen der Kämpfer für die Freiheit Estlands. Alle, die dagegen protestieren, protestieren gegen die estnische Unabhängigkeit, sind also für eine neue Okkupation, evtl. ist so was schon strafbar. Die estnische Armee wird neue Helden haben, auf die sie sich bezieht und in die Tradition einschliesst, schliesslich verteidigt ja die Armee die Freiheit Estlands. Die Schulkinder werden auch neue Helden haben, die tapfer gegen die Russen gekämpft haben, die Fälle, wo die Kinder ihre russisch-sprachigen Eltern als Okkupanten beschimpfen, werden sich also häufen.
Abschliessen möchte ich mit dem Zitat aus der TAZ: Die Heroisierung der SS- und der Waffen-SS-Angehörigen zu Freiheitskämpfern ist somit nicht nur eine Beleidigung der Opfer - sondern auch ein gefährliche Geschichtsverdrehung, die einzig und allein der Auferstehung des braunen Ungeistes von anno dazumal dient.
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4 Kommentare:
Thanks! Very interesting. http://globalvoicesonline.org/2012/01/16/estonia-the-ss-trap-revisited/
Brrr, dass wird bestimmt noch so werden, Mart Laar sorgt dafür. Wie viele Veteranen gibt es da noch überhaupt?
Hallo Anonymous,
leider habe ich keine Information, wieviele Veteranen es noch gibt.
Dieser Artikel zum Thema gefaellt mir am Besten:
http://mobil.derwesten.de/dw/politik/balten-feiern-ss-schergen-als-helden-bald-auch-per-gesetz-id6265894.html?service=mobile
Der Begriff "SS-Schergen" bringt die Sache genau auf den Punkt, finde ich.
Knut
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