Sonntag, März 30, 2008

Aufruf des "Anderen Russlands"

Eigentlich wollte ich mich nie mit der russischen Politik beschäftigen, es gibt schlauere Leute als mich, die nichts anderes tun. Außerdem ist Russland sowieso schon ständig in den Nachrichten. Meist sind die Nachrichten schon kritisch genug, es gibt aber auch Kritik an der kritischen Berichterstattung, wie hier, dort versucht man zu erklären, dass sich selbst die "demokratischen" Parteien in Russland von ihren westlichen Gegenstücken unterscheiden. Doch dann fand ich einen Artikel Artikel von Eduard Limonow und habe beschlossen, ihn zu übersetzen. Limonow halte ich allein deswegen schon für bemerkenswert, weil er es als einer der wenigen Leute geschafft hat, sowohl aus der Sowjetunion als auch aus den USA ausgewiesen zu werden und gleichzeitig wird er in Frankreich als Skandalautor gefeiert. Wieder in Russland gründete er die Nationalbolschewistische Partei (NBP), die, meiner Meinung nach, die etwas ernsthaftere Ausgabe der APPD darstellt. Die Aktivisten, meist jüngere Leute, werden politisch verfolgt, mehrere sind für verschiedene Aktionen in Gefängnissen gelandet. Zur Zeit läuft eine Castorf-Inszenierung von Limonows "Fuck Off Amerika" an der Berliner Volksbühne. Vielen Dank an Vroni, die in mühevoller Arbeit den Text so redaktiert hat, dass er auch bei Indymedia erscheinen kann.

Wir gehen los, stürzen nieder, brechen zusammen und machen doch weiter!

Fast völlig unbemerkt ereignete sich ein internationaler Zwischenfall, der jedoch präzedenzlos und folgenschwer sein dürfte. Olga Kudrina, eine Nationalbolschewistin, bekam politisches Asyl in der Ukraine.

Ich möchte daran erinnern, dass Olga Kudrina in der Russischen Föderation zu 3,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil sie zusammen mit dem Nationalbolschewisten Ewgenij Logowskij ein Transparent mit der Aufschrift "Putin, geh von alleine" aus dem Fenster, des damals noch nicht abgerissenen Hotels "Rossija", entrollte. Das geschah am 4. Mai 2005. Die Aktivisten hatten sich mit Hilfe einer Kletterausrüstung zwischen den 9. und 10. Stock abgeseilt. Das 10 Meter breite Transparent hing über zwei Stunden direkt dem Kreml gegenüber. Das Gericht von Twer verurteilte Olga, Studentin an der MGU (der Staatlichen Universität Moskau) zu 3,5 Jahren Freiheitsstrafe. Die Anwälte der Nationalbolschewisten gingen vor dem Gericht der Stadt Moskau in Revision, doch unsere Rechtsprechung kennend, erschien Olga nicht zum Gerichtstermin. Das Gericht der Stadt Moskau bekräftigte das Urteil des Gerichts von Twer. Olga tauchte unter und lebte all die Jahre im Untergrund.

Jetzt hat die Regierung der Ukraine Olga Kudrina, ein Mitglied einer in Russland verbotenen Partei, als politisch Verfolgte anerkannt. Dies geschah zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte, und ich hoffe, nicht zum letzten Mal. Die Entscheidung über seine Anerkennung als politisch Verfolgter erwartet derzeit der Nationalbolschewist Gangan. Kürzlich wollten ihn die Bullen von der UBOP (der Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität) von der Ukraine an Russland ausliefern lassen, doch die unabhängige Ukraine wies erzürnt die Ansprüche der Polizisten und Verfassungsschützer der Russischen Föderation zurück.

Dass sich die Ukraine wie ein Rechtsstaat verhält, der sich nicht dem Diktat des "Großen Bruders" beugt, des Nachbarn, der alle Rechte und Freiheiten auf seinem Territorium mit Füssen tritt, rief bei mir ein Gefühl der Achtung gegenüber der Ukraine hervor. Ich ziehe meinen Hut, danke für die gerechten Entscheidungen. Danke, dass weder Gas noch wirtschaftliche Interessen die Ukraine gezwungen haben, hartherzig zu werden und einer jungen Mutter (Olga hat ein Kind) politisches Asyl zu verweigern. Danke, dass die ukrainische Regierung begriffen hat, dass das Ausrollen des Transparents "Putin, geh von alleine!" kein Verbrechen darstellt, und die Bestrafung mit Freiheitsentzug nur die Reaktion eines Barbaren ist, der nichts anderes kann, als mit Knüppeln um sich zu schlagen. "Die russischen Machthaber sind Barbaren", sagten sich offenbar die Ukrainer, "wütende Barbaren". Und lieferten den Barbaren weder die Kudrina noch den Gangan aus.

Seinem Abschluss entgegen geht der "Taganer Prozess" gegen sieben meiner Genossen, die schon gut zwei Jahre hinter Gitter sitzen. Jelena Borowskaja, Roman Popkow, Nasir Magomedow, Wladimir Titow, Dmitirij Elisarow, Aleksej Makarow und Sergej Medwedew halten ihre Schlussplädoyers am 13. März. Dann werden natürlich einige Tage Bedenkzeit bis zur Urteilsverkündung ausgerufen werden. Man darf nichts Gutes erwarten, wenn man von den Forderungen der Staatsanwaltschaft ausgeht. Die Staatsanwaltschaft hat Freiheitsstrafen von 3 bis 5 Jahren gefordert. Dafür, dass sie dem Gesindel der Organisation "Die Hiesigen" (Местные) Widerstand geleistet haben, das zu Vierzigst am 13. April 2006 vor dem Gebäude des Taganer Gerichts erschien, an dem Tag, an dem dort die Gerichtsverhandlung über meine Eingabe beim Justizministerium wegen der Ablehnung der Registrierung der NBP (Nationalbolschewistische Partei) stattfand, um mich persönlich anzugreifen. Warten wir das Urteil ab, aber viel Hoffnung, dass es sich merklich von den Forderungen der Staatsanwaltschaft unterscheiden wird, habe ich nicht.

Maxim Resnik (der Vorsitzender des Petersburger Ablegers der liberalen Jabloko Partei, der am 2.März verhaftet wurde, Anm. des Übersetzers) wurde gerade mal zwei Monate eingesperrt, aber immerhin eingesperrt. Falls Maxim, nachdem er diese Strapazen durchgemacht haben wird, die schon 150 Nationalbolschewisten durchmachten, nicht eine Strafe auf Bewährung bekommt, sondern eine ohne, wird er der erste Märtyrer der Liberalen und der Demokraten, bisher war deren Los um einiges leichter. Maxim, halte durch, es gibt nichts zu befürchten, dort hinter Gittern. Es ist Kampf, es sind Entbehrungen, es ist Leiden, dies ist normal in barbarischen Ländern und Russland ist ein barbarisches Land. Resnik, der in eine tragische Situation gebracht wurde, wird so zu einer Gestalt erhoben, die Jawlinskij (der Gründer der Jabloko-Partei, Anm. des Übersetzers) in den Schatten stellen wird. Die Mitglieder von Jabloko sollten ihn augenblicklich zu ihrem Vorsitzenden ausrufen. Das wäre die vernünftigste Entscheidung, die eine Partei treffen sollte, die das Vertrauen der Bürger verliert. Wenn erster Mann, Spitzenkandidat, einer Partei ein Mensch wird, der im Gefängnis sitzt, welche bessere Reputation kann Jabloko brauchen? Was sonst, als die Bereitschaft die eigene Haut zu riskieren, beweist die Ehrlichkeit und Entschlossenheit eines Parteivorsitzenden?

Das Hauptziel des Bündnisses "Anderes Russland" war anfangs, ein Beispiel für den Widerstand in einem Land zu geben, in dem der Widerstand seit Jahr und Tag gebrochen ist. "Anderes Russland" schwebte uns, ihren Gründern, von vornherein als aufopfernde, entschlossene Kraft vor, die die Wahrheit spricht und das Richtige tut. Im März 2008, zwei Jahre nach den ersten Gesprächen über die Gründung des Bündnisses, kann ich sagen, dass wir dieses Ziel erreicht haben.

Besonders beeindruckt das Auseinandertreiben des "Marsches der Nichteinverstandenen" in Moskau am 3. März. Trotz des absoluten Verbots (nicht mal eine Versammlung wurde erlaubt) und massiven Drohungen der Moskauer und föderaler Polizeikräfte kamen die Tapferen und Überzeugten. Und es kamen viele, die faulen Gaffer, Feinde und pathologischen Pessimisten sollen die Klappe halten. Man hat die Leute in der U-Bahn, im Café, im Mc Donald’s aufgegriffen, die FSB-Mitarbeiter zeigten sie den OMON (Polizeispezialkräften) und den Bullen, doch die Moskauer kamen. Obwohl sie von den Generälen eingeschüchtert wurden, und wer hat sie sonst nicht alles eingeschüchtert. Die Leute haben ihre (unter solchen Bedingungen natürliche) Angst überwunden, und diejenigen, die sie überwunden haben, werden keine Angst mehr haben.

Das Dissidententum, erinnern wir uns, fing mit einem kleinen Häuflein an, und bei uns gibt es jetzt schon tausende Furchtlose! Dabei sollte man berücksichtigen, dass sich die Prozesse in der heutigen Welt und im heutigen Russland beschleunigen, die Informationskanäle sind zahlreicher geworden. Und selbst die Tatsache, der Unheil verkündenden Zusammenziehung der Armee in den Zentren der Hauptstädte vor jedem „Marsch der Nichteinverstandenen“, beeinflusst die Leute zu unseren Gunsten und überwiegt die Wirkung des käuflichen Fernsehens. Deswegen gehen wir los, stürzen nieder, brechen zusammen und machen doch weiter. Wir brauchen ein "Anderes Russland"!

Heiß wird der Schewtschuk-Effekt (Jurij Schewtschuk ist der Sänger der russischen Kult-Band DDT, Anm. des Übersetzers) diskutiert. Er kam selbst, kam zu der nicht immer genehmen Seite der Macht, doch auf die Barrikaden des Protestes. Er hatte die Lügen satt. Es war unser Sieg, dass er gekommen ist, mit seinem Beispiel wies er den anderen den Weg zu uns. Doch noch mehr ist das eine Niederlage für die Mächtigen, um die bald nur noch Schurken, Schufte und Angepasste geschart sein werden. Das ist es, was wir mit ihnen machen. Machen wir es so, dass bei ihnen nur noch Schurken und Schufte übrig bleiben. Ich begrüße Schewtschuk in unseren Reihen.

Wir haben schon angerichtet, dass sich die Intelligenzija schämen muss, für sie zu sein. Wir haben angerichtet, dass es die einzig selbstverständlich moralische Position ist, unsere Position zu teilen.

Und verscheuchen, verscheuchen muss man den eigenen pathologischen Pessimismus, all das Gejaule, dass wir wenige sind, all die bedauernswerten Hoffnungen, dass Medwedew, der kleine Medwedew, möglicherweise wie ein Liberaler regieren wird. Dies gleicht der Hoffung, dass der besoffene Vater in dieser Nacht nicht die Frau verprügeln, nicht der schwangeren älteren Tochter einen Tritt in den Bauch geben und nicht alle in die eisige Kälte hinaus jagen wird. Uns passt ein solches Russland nicht, wo sich einander abwechselnde, böse Personen unbekannter Herkunft und mit unklarem finanziellem Status im Geheimen die Macht nach Kriterien übergeben, die uns unbekannt sind. Für welche Verdienste bekam der kleine Medwedew die Macht? Wir möchten selbst die Lenker unseres Staates wählen.

Die Aktionen von "Anderes Russland" werden fortgesetzt. In den nächsten Tagen werden die Pläne des Bündnisses für April und Mai bekannt gegeben.

Und fürchtet euch nicht. Fürchtet euch vor nichts. Wir gehen los, stürzen nieder, brechen zusammen und machen doch weiter!

Eduard Limonow

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kann man nur lachen, was für ein Müll du zusammen schreibst. ET ist voll digital, vor 5. Jahren wurde es auf 100% geschaltet, in KGB Zeiten konnte man nur davon träumen. Die selbe Methode?


......Paranoia

kloty hat gesagt…

Die Technik mag sich verändert haben, die Methode, wo man die Überwachungstechnik plaziert und wie man nur bei bestimmten Nummern das Band laufen lässt ist gleich geblieben. Nähere Informationen kann ich erst geben, wenn ich wieder in Estland war. Telefoniere und maile nur ungerne dorthin, man weiss ja nie, ob das Band/die Festplatte mitläuft :-)